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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 20.10.2005
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 23.04
Rechtsgebiete: BSHG


Vorschriften:

BSHG § 108
BSHG § 147
Die Kostenerstattungspflicht des überörtlichen Sozialhilfeträgers bei Übertritt aus dem Ausland nach § 108 BSHG lebt nicht wieder auf, wenn der Hilfeempfänger nach zwischenzeitlichem Umzug im Inland in den Bereich des für den Einreiseort zuständigen örtlichen Trägers der Sozialhilfe zurückkehrt und von ihm weiterhin Sozialhilfe erhält.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 5 C 23.04

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 20. Oktober 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke und Prof. Dr. Berlit ohne mündliche Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. Januar 2004 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Gründe:

I.

Die Klägerin, ein örtlicher Träger der Sozialhilfe, nimmt den Beklagten als überörtlichen Sozialhilfeträger auf Erstattung von Sozialhilfekosten in Anspruch, die sie in der Zeit vom 25. September 2000 bis zum 30. April 2001 (nur dieser Zeitraum ist Gegenstand des Revisionsverfahrens) für Frau S. D. und ihre Tochter A. D. aufgewendet hat.

Frau D., 1971 im Zuständigkeitsbereich der Klägerin geboren, und ihre Tochter, beide deutsche Staatsangehörige, waren am 5. Januar 1993 aus den Vereinigten Staaten von Amerika in den Zuständigkeitsbereich der Klägerin zugezogen und hatten dort ab dem 11. Januar 1993 laufende Sozialhilfeleistungen erhalten. Der Beklagte erkannte unter dem 18. Februar 1993 seine Kostenerstattungspflicht gegenüber der Klägerin an. Am 1. Oktober 1997 verzog die Familie, ohne dass der Hilfebezug unterbrochen wurde, in den Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen. Am 1. Mai 1999 kehrten die Hilfeempfängerinnen in den Zuständigkeitsbereich der Klägerin zurück, wo sie ebenfalls weiterhin Sozialhilfe erhielten. Die Klägerin verlangte daraufhin vom Beklagten durch ein am 25. September 2001 bei ihm eingegangenes Schreiben Kostenerstattung. Unter dem 28. November 2001 widerrief der Beklagte jedoch das Anerkenntnis seiner Kostenerstattungspflicht, weil der "neue" Erstattungsanspruch nicht als Fortführung des Anspruchs aus dem Jahre 1993 zu werten sei und der Klägerin nunmehr nach § 107 BSHG ein Kostenerstattungsanspruch gegen den Beigeladenen zustehe.

Am 11. November 2002 hat die Klägerin Feststellung durch das Verwaltungsgericht beantragt, dass der Beklagte verpflichtet sei, die von der Klägerin ab dem 1. Mai 1999 bis zum 30. April 2001 entstandenen Sozialhilfekosten für S. und A. D. zu erstatten und auch die zukünftig entstehenden Kosten zu tragen. Das Verwaltungsgericht hat der Klage unter Abweisung im Übrigen hinsichtlich der ab dem 25. September 2000 entstandenen und künftig entstehenden Kosten auf der Grundlage von § 108 BSHG a.F. i.V.m. § 147 BSHG stattgegeben; die teilweise Klageabweisung hat das Verwaltungsgericht auf § 111 SGB X gestützt. Das Oberverwaltungsgericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage in vollem Umfang abgewiesen und dies folgendermaßen begründet:

Ein Erstattungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten ergebe sich nicht aus § 108 BSHG in der ab dem 1. Januar 1994 geltenden Fassung von Art. 7 FKPG (BGBl I 1993 S. 944) und Art. 1 2. SKWPG (BGBl I 1993 S. 2374) - § 108 BSHG n.F. -; diese Vorschrift gelte nach Absatz 1 Satz 3 nicht für Personen, die - wie Frau S. D. - im Geltungsbereich des Bundessozialhilfegesetzes geboren oder - wie ihre in den USA geborene Tochter - bei Eintritt des Sozialhilfebedarfs mit ihr als einer im Geltungsbereich des Bundessozialhilfegesetzes geborenen Person als Verwandte zusammenlebe. Ein Erstattungsanspruch bestehe auch nicht nach § 108 BSHG a.F. i.V.m. § 147 BSHG. Die nach § 108 BSHG a.F. zunächst begründete Kostenerstattungspflicht des Beklagten sei durch den Umzug der Hilfeempfängerinnen nach deren Übertritt aus dem Ausland vom Ort der Einreise in den Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen entfallen. Bei einem Umzug innerhalb Deutschlands fehle es an einem unmittelbaren Zuzug aus dem Ausland. Aus § 108 Abs. 5 BSHG lasse sich nicht entnehmen, dass nur eine dreimonatige Hilfeunterbrechung zu einer Beendigung der Kostenerstattung führe, ein späterer Umzug innerhalb Deutschlands das Fortbestehen des Kostenerstattungsanspruchs dagegen nicht berühre. Auch aus dem Wortlaut von Absatz 1 Satz 1 sei nicht zwingend abzuleiten, dass eine Kostenerstattungsverpflichtung eines überörtlichen Sozialhilfeträgers auch gegenüber einem später - zufällig - örtlich zuständig werdenden anderen örtlichen Sozialhilfeträger begründet werden solle. Nach Sinn und Zweck des § 108 BSHG, an der Grenze zum Geltungsbereich des Bundessozialhilfegesetzes gelegene oder durch ihre exponierte Verkehrslage, z.B. durch internationale Flughäfen, Fernschnellzugbahnhöfe oder Schiffshäfen ausgezeichnete örtliche Sozialhilfeträger vor finanziellen Belastungen durch aus dem Ausland einreisende, binnen eines Monats bedürftig werdende Personen zu schützen, sei es nicht geboten, auch andere Orte zu privilegieren, in die dieser Personenkreis später verziehe. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass bei einem Umzug die Voraussetzungen zur Anwendung der allgemeinen Kostenerstattungsvorschriften des Bundessozialhilfegesetzes gegeben seien. Der örtliche Sozialhilfeträger, in dessen Zuständigkeitsbereich der Hilfeempfänger verziehe, habe dann einen Kostenerstattungsanspruch nach § 107 Abs. 1 BSHG. Die Aufrechterhaltung der einmal gemäß § 108 BSHG entstandenen Kostenerstattungsverpflichtung bei ununterbrochenem Sozialhilfebezug auch gegenüber anderen, erst durch einen Umzug des Hilfeempfängers innerhalb Deutschlands zuständig gewordenen Sozialhilfeträgern sei mithin vom Schutzzweck der Vorschrift nicht mehr gedeckt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die hinsichtlich des Erstattungszeitraums ab 25. September 2000 zugelassene Revision der Klägerin; sie rügt die Verletzung von §§ 108, 147 BSHG.

Der Beklagte tritt der Revision entgegen.

Der Beigeladene schließt sich, ohne einen eigenen Antrag zu stellen, den Ausführungen der Klägerin an.

II.

Die zulässige Revision, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist nicht begründet. Der Rechtsstandpunkt des Oberverwaltungsgerichts, dass die Kostenerstattungspflicht, die dem Beklagten nach § 108 BSHG als überörtlichem Träger der Sozialhilfe wegen der von der Klägerin geleisteten Sozialhilfe für die aus dem Ausland in den Zuständigkeitsbereich der Klägerin übergetretenen Hilfeempfängerinnen entstanden war, nicht mehr besteht, ist mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) vereinbar.

Der von der Klägerin erhobene Erstattungsanspruch betrifft die Kosten von Leistungen, die sie den Hilfeempfängerinnen erbracht hat, nachdem diese aus dem Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen zugezogen waren. Auf einen solchen Fall ist § 108 BSHG weder in seiner neuen, im streitigen Erstattungszeitraum geltenden Fassung des Art. 7 Nr. 27 FKPG (BGBl I 1993 S. 944) noch in seiner alten, im Zeitpunkt des Übertritts der Hilfeempfängerinnen und noch bis zum 31. Dezember 1993 geltenden, zuletzt durch Art. 1 2. SKWPG (BGBl I 1993 S. 2374) geänderten Fassung anwendbar. Das Berufungsgericht hat daher zu Recht entschieden, dass eine Kostenerstattungspflicht des Beklagten gegenüber der Klägerin durch den Umzug der Hilfeempfängerinnen aus dem Zuständigkeitsbereich eines anderen Sozialhilfeträgers nicht besteht.

Die Klägerin kann sich zur Begründung eines fortbestehenden Kostenerstattungsanspruchs insbesondere nicht auf § 147 BSHG berufen. Nach dieser Vorschrift in ihrer ab dem 1. Januar 1994 geltenden Fassung von Art. 7 Nr. 37 FKPG bleibt zwar die Pflicht eines Trägers der Sozialhilfe zur Kostenerstattung bestehen, die nach der vor dem 1. Januar 1994 geltenden Fassung des § 108 entstanden oder von der Schiedsstelle bestimmt worden ist. § 147 BSHG regelt aber als Übergangsvorschrift den Fortbestand der Erstattungspflicht, ohne etwas über deren materielle Voraussetzungen auszusagen. Ihr kann daher insbesondere nicht entnommen werden, wann und unter welchen materiellen Voraussetzungen eine nach § 108 BSHG a.F. entstandene und über den Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Gesetzesänderung zum 1. Januar 1994 hinaus fortbestehende Kostenerstattungspflicht endet.

Es folgt - worauf das Oberverwaltungsgericht zutreffend hinweist - aus Sinn und Zweck des § 108 BSHG sowohl in seiner alten als auch seiner neuen Fassung, dass der überörtliche Sozialhilfeträger zur Erstattung von Sozialhilfekosten für aus dem Ausland übergetretene Hilfebedürftige nicht gegenüber einem örtlichen Träger der Sozialhilfe verpflichtet ist, der infolge Zuzugs der Hilfebedürftigen aus dem Inland für die Hilfeleistung - sei es auch erneut - zuständig geworden ist. Schon in seiner vor dem 1. Januar 1994 geltenden Fassung hatte § 108 BSHG dem Schutz der Sozialhilfeträger an der Grenze zum Ausland gedient (vgl. Gottschick/Giese, BSHG, 6. Auflage 1977, § 108 Rn. 1.1; Mergler/Zink, BSHG, Stand Juli 1994, § 108 Rn. 3). Die Vorschrift bezweckt nach wie vor eine Verteilung entstehender Sozialhilfelasten bei Übertritt aus dem Ausland (vgl. Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG, Stand Juni 2003, § 108 Rn. 7) im Interesse desjenigen örtlichen Sozialhilfeträgers, in dessen Zuständigkeitsbereich Personen aus dem Ausland übertreten und innerhalb Monatsfrist sozialhilfebedürftig werden. Dieser Schutzzweck wird im Falle des Umzugs Hilfebedürftiger im Inland, der mit einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit verbunden ist, nicht berührt; denn einem solchen Umzug fehlt der die Kostenerstattungspflicht nach § 108 BSHG rechtfertigende Bezug zum Einreiseort. Dieser Bezug wird auch nicht (wieder-)hergestellt, wenn der Zuzugsort zugleich der (frühere) Einreiseort ist. Den Schutz örtlicher Sozialhilfeträger, die aus dem Ausland übergetretenen Personen Sozialhilfe leisten müssen, entfaltet § 108 BSHG nur mit Rücksicht darauf, dass der betreffende örtliche Träger infolge des Übertritts der Hilfebedürftigen unmittelbar aus dem Ausland zur Hilfeleistung zuständig geworden ist. Sobald diese Zuständigkeit infolge Wegzugs der Hilfebedürftigen endet, bedarf der für den Einreiseort zuständige örtliche Sozialhilfeträger solchen Schutzes nicht mehr, so dass die Lastenverteilungsregelung des § 108 BSHG insoweit ihren Zweck erfüllt hat. Kehrt der Hilfeempfänger an den Einreiseort zurück, ist dies kein Sachverhalt, an den die Regelung nach ihrer Schutzfunktion anknüpft. Auf sie kann sich der jetzt erneut leistungszuständige örtliche Sozialhilfeträger daher nicht (weiterhin) zur Abwehr einer Kostenlast berufen, die ihm in seiner Eigenschaft als örtlicher Sozialhilfeträger am Einreiseort und für die Dauer dieser Eigenschaft zu Lasten des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe genommen war.

Die Regelung des § 108 Abs. 5 BSHG, auf die das Verwaltungsgericht abgestellt hat und wonach die Verpflichtung des überörtlichen Sozialhilfeträgers zur Erstattung der für einen Hilfeempfänger aufgewendeten Kosten wegfällt, wenn diesem inzwischen für einen zusammenhängenden Zeitraum von drei Monaten Sozialhilfe nicht zu gewähren war, steht der Annahme einer in dem hier vertretenen Sinne eingeschränkten Tragweite der Kostenerstattungspflicht des überörtlichen Sozialhilfeträgers aus § 108 Abs. 1 Satz 1 BSHG nicht entgegen. Absatz 5 bestimmt nicht, dass die Kostenerstattungspflicht nur unter der dort genannten Voraussetzung entfalle. Es bedarf auch keiner ausdrücklichen gesetzlichen Klarstellung des Schutzzwecks des § 108 BSHG und seiner daraus folgenden Grenzen. Insbesondere spricht nicht für den Rechtsstandpunkt der Revision, dass in § 108 BSHG kein "Beendigungstatbestand ŽUmzug`" enthalten ist. Der Umzug von Hilfeempfängern aus dem Zuständigkeitsbereich des einen in denjenigen eines anderen örtlichen Sozialhilfeträgers fällt als für die Kostenerstattung zwischen den Trägern der Sozialhilfe erheblicher Umstand unter § 107 BSHG. Da es sich hierbei um einen Vorgang handelt, der außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs des § 108 BSHG liegt, bestand für den Gesetzgeber keine Veranlassung, ihn innerhalb des Tatbestandes dieser Vorschrift ausdrücklich zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 15 000 € festgesetzt.



Ende der Entscheidung

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