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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 05.04.2007
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 25.05
Rechtsgebiete: SGB VIII
Vorschriften:
SGB VIII § 86 Abs. 6 | |
SGB VIII § 89a | |
SGB VIII § 89f |
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 5 C 25.05
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 5. April 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Franke, Dr. Brunn und Prof. Dr. Berlit ohne mündliche Verhandlung
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 1. September 2005 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe:
I
Im Streit steht, ob dem Kläger gegen die Beklagte (Stadt F.) ein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 89a SGB VIII für Kosten zusteht, die der Kläger einem - unzuständig leistenden - dritten Jugendhilfeträger (Landkreis O.) erstatten musste.
Die 1991 geborene D. wohnte zunächst in F. und ab April 1996 im Landkreis O. Im Dezember 1996 wurde ihrer Mutter das Sorgerecht entzogen und auf den Landkreis O. übertragen. Ihr Vater, der in F. wohnte, behielt das Sorgerecht. Der Landkreis O. gewährte D. Vollzeitpflege und brachte sie bei Pflegeeltern unter. Diese verzogen mit ihr zum 1. März 1999 in den örtlichen Zuständigkeitsbereich des Klägers. Der Landkreis O. forderte den Kläger erfolglos zur Übernahme der Pflegegeldzahlungen in eigener Zuständigkeit auf. Auch die Beklagte, in deren Zuständigkeitsbereich der sorgeberechtigte Vater von D. seinen Wohnsitz hatte, war nicht bereit, die Pflegegeldkosten zu tragen. Der sorgeberechtigte Vater stellte am 22. Juli 1999 einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung.
Die Spruchstelle verpflichtete den Kläger mit Schiedsspruch vom 10. November 2000, dem Landkreis O. die ab dem 22. Juli 1999 entstandenen Kosten zu erstatten. Denn der Kläger sei nach § 86 Abs. 6 SGB VIII für das Pflegegeld leistungszuständig gewesen. Nach dieser Entscheidung erstattete der Kläger dem Landkreis O. einen Betrag in Höhe von umgerechnet 4 140,89 €.
Sodann beantragte der Kläger bei der Beklagten die Anerkennung einer Kostenerstattungsverpflichtung. Eine Zuständigkeit der Beklagten sei gegeben, weil der Vater als personensorgeberechtigter Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt in F. habe. Der Antrag blieb erfolglos.
Auf die Klage des Klägers hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger 4 140,89 € nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Anspruchsgrundlage für den Erstattungsanspruch sei § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII analog.
Mit Ihrer Revision gegen dieses Urteil begehrt die Beklagte, die Klage abzuweisen. Das Urteil verletze § 89a Abs. 1 SGB VIII.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
II
Die zulässige Sprungrevision der Beklagten, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist nicht begründet. Denn das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass dem Kläger der gegen die Beklagte geltend gemachte Erstattungsanspruch nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zusteht. Dabei ist unerheblich, dass es (nur) von der analogen Anwendung dieser Vorschrift ausgegangen ist.
Nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind Kosten, die ein örtlicher Träger aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten, der zuvor zuständig war oder gewesen wäre. Grund für diese Erstattungsregelung ist, dass der Gesetzgeber mit § 86 Abs. 6 SGB VIII aus Gründen der Praktikabilität die örtliche Zuständigkeit an den gewöhnlichen Aufenthalt der Pflegeperson binden wollte, dass aber, wie § 89a SGB III zeigt, letztlich ein anderer als der nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständige Träger verpflichtet sein sollte, die Kosten zu tragen.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger im Streitfall Kosten aufgrund seiner Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII nicht dadurch entstanden sind, dass er selbst oder mit Hilfe Dritter Hilfe zur Erziehung als Jugendhilfeleistung erbracht hat. Aber darauf kommt es für § 89a SGB VIII nicht an. Denn diese Vorschrift macht den Anspruch auf Erstattung nicht davon abhängig, dass der nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständige Jugendhilfeträger selbst oder mit Hilfe Dritter Jugendhilfeleistungen erbracht hat, sondern setzt lediglich voraus, dass der nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständige Jugendhilfeträger aufgrund der Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII "Kosten aufgewendet hat". "Kosten aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewendet hat" ein Jugendhilfeträger dann, wenn er eine Jugendhilfeleistung entweder selbst erbracht hat oder durch einen Dritten hat erbringen lassen und dafür die Kosten getragen hat, aber auch dann, wenn er zwar die Jugendhilfeleistung weder unmittelbar selbst noch mittelbar durch einen Dritten erbracht hat, wenn er aber gerade wegen seiner Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII einem anderen Sozialleistungsträger, hier dem Jugendhilfeträger Landkreis O., Kosten für die von diesem anderen erbrachten Jugendhilfeleistungen erstatten musste. Denn wenn Grund der Verpflichtung zur Erstattung gerade die Leistungszuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII ist, wendet der erstattende Jugendhilfeträger mit der Erstattung der vom anderen Jugendhilfeträger aufgewendeten Kosten selbst Kosten auf, und zwar gerade aufgrund seiner Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII. So war der Kläger von der Spruchstelle zur Kostenerstattung gegenüber dem Landkreis O. nur deshalb verpflichtet worden und hat er diesem nur deshalb die Kosten erstattet, weil er, der Kläger, zuständig nach § 86 Abs. 6 SGB VIII war (vgl. Schiedsspruch der Spruchstelle vom 10. November 2000 S. 6 ff., Behördenakte Bl. 44 ff.).
Soweit der Verwaltungsgerichtshof München (Beschluss vom 30. Juni 2004 - 12 B 00.1250 - juris Rn. 12 f.) die Auffassung vertritt, dass die von einem kostenerstattungspflichtigen Sozialhilfeträger einem kostenerstattungsberechtigten Sozialhilfeträger erstatteten Kosten nicht erstattungsfähig seien und eine Erstattung von Erstattungskosten im System der Kostenausgleichsansprüche der Sozialleistungsträger mit der Ausnahme in § 112 SGB X nicht vorgesehen sei, kann dem - jedenfalls für den Erstattungsanspruch nach § 89a SGB VIII - nicht gefolgt werden. Zwar räumt der Verwaltungsgerichtshof zu den Erstattungsansprüchen im Jugendhilferecht ein, dass "die §§ 89 ff. SGB VIII von der Erstattung der Kosten (sprechen), die ein Jugendhilfeträger aufgewendet hat, was auch Erstattungsleistungen umfassen könnte" (BayVGH, Urteil vom 1. September 2005 - 12 B 02.2455 - FEVS 57, 369 = ZfSH/SGB 2006, 349 = juris Rn. 13). Zu Unrecht aber führt er § 89f Abs. 1 SGB VIII dafür an, dass Kosten, die ein Jugendhilfeträger aufgewendet hat, um einen gegen ihn gerichteten Kostenerstattungsanspruch zu erfüllen, nicht erstattungsfähig seien. Dabei verkennt er, dass nach § 89f Abs. 1 SGB VIII, der allein den Umfang der Kostenerstattung bestimmt, die aufgewendeten Kosten zu erstatten sind, "soweit die Erfüllung der Aufgaben den Vorschriften dieses Buches (des Achten Buches Sozialgesetzbuch) entspricht". Damit wird festgelegt, dass Kosten nur in dem Umfang erstattungsfähig sind, in dem sie der Erfüllung der Aufgaben dienen. Dagegen engt § 89f SGB VIII den Begriff der aufgewendeten Kosten nicht auf die Kosten ein, die ein Jugendhilfeträger als Leistungserbringer aufgewendet hat, und schließt folglich nicht die Kosten aus, die ein Jugendhilfeträger für eine Erstattung an einen anderen Jugendhilfeträger, der statt seiner Jugendhilfe geleistet hat, aufgewendet hat. § 89f Abs. 1 SGB VIII regelt allein den Umfang der Kostenerstattung abhängig vom Ausmaß der Aufgabenerfüllung, bestimmt aber nicht, wer die Aufgabe erfüllt haben muss, und damit nicht, dass nur der Jugendhilfeträger erstattungsberechtigt sei, der die Jugendhilfeleistung selbst erbracht hat.
§ 89a Abs. 2 SGB VIII spricht nicht gegen, sondern für die Möglichkeit, nach § 89a Abs. 1 SGB VIII Erstattung für Kosten zu verlangen, die zur Erfüllung eines Erstattungsanspruchs aufgewendet worden sind, der in der Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII begründet lag. Zwar ist § 89a Abs. 2 SGB VIII im Streitfall nicht direkt einschlägig, aber gleichwohl ergibt sich aus ihm, dass zumindest im Fall des § 89a SGB VIII ein Anspruch auf Erstattung von aufgewendeten Kosten für eine vorangegangene Erstattung bestehen kann. Während es der Verwaltungsgerichtshof München grundsätzlich ablehnt, dass ein Kostenerstattungspflichtiger auch Kostenerstattungsberechtigter sein könne, bejaht er dies im Urteil vom 27. April 2006 - 12 B 04.3126 - (EuG 2007, 63 = juris Rn. 25 f.): Der Kläger des dortigen Verfahrens habe gegen den Beigeladenen einen Kostenerstattungsanspruch für aufgewendete Jugendhilfeleistungen, der seinerseits einen Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten habe, was dazu führe, dass der Beklagte dem Kläger des dortigen Verfahrens nach § 89a Abs. 2 SGB VIII im Wege des sogenannten Durchgriffs kostenerstattungspflichtig sei.
§ 89a Abs. 2 SGB VIII regelt den Fall, dass sowohl eine Erstattung nach § 89a Abs. 1 SGB VIII als auch eine Erstattung nach einer anderen jugendhilferechtlichen Erstattungsvorschrift der §§ 89 ff. SGB VIII in Frage kommt, bestimmt für diesen Fall aber keine Erstattungen in Folge, sondern eine Durchgriffserstattung. Trotz dieser Besonderheiten zeigt § 89a Abs. 2 SGB VIII, dass das Gesetz ein Nacheinander von Erstattungen für zulässig hält. Denn nur bei, wie in § 89a SGB VIII, gedachten Erstattungen in Folge kann, diese abkürzend, eine Durchgriffserstattung angeordnet werden.
Schließlich sprechen Sinn und Zweck der Erstattungsregelung in § 89a Abs. 1 SGB VIII dafür, dass derjenige, der wegen seiner Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zur Kostenerstattung verpflichtet war und diese Erstattung auch geleistet hat, die dafür aufgewendeten Kosten nun seinerseits nach § 89a Abs. 1 SGB VIII erstattet verlangen kann. Denn er hat die Kosten "aufgrund der Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewendet". Das hat bereits das Verwaltungsgericht zu Sinn und Zweck der Erstattungsvorschrift des § 89a Abs. 1 SGB VIII überzeugend ausgeführt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Ende der Entscheidung
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