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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 13.09.2007
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 25.06
Rechtsgebiete: BVFG
Vorschriften:
BVFG § 6 Abs. 2 Satz 1 | |
BVFG § 27 |
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 5 C 25.06
Verkündet am 13. September 2007
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 13. September 2007 durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Franke, Dr. Brunn und Prof. Dr. Berlit
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. September 2005 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe:
I
Die 1953 in der ehemaligen Sowjetunion geborene Klägerin beantragte im Dezember 1998 beim Bundesverwaltungsamt für sich, ihren russischen Ehemann und ihren 1989 geborenen Sohn die Erteilung eines Aufnahmebescheides. In der Geburtsurkunde der Klägerin aus dem Jahre 1953 ist nur ihre Mutter und diese mit russischer Nationalität eingetragen. Im ersten Inlandspass der Klägerin war die russische Nationalität, in einem 1996 ausgestellten Inlandspass die deutsche Nationalität eingetragen. In einer russischen Vaterschaftsurkunde vom 17. Mai 1995 ist der 1993 im Wege des Aufnahmeverfahrens nach Deutschland eingereiste A.E., der eine Bescheinigung nach § 15 BVFG erhalten hat, als ihr Vater eingetragen. In seinem Gesuch an das russische Generalkonsulat in Bonn vom 28. Februar 1995 hinsichtlich der Feststellung seiner Vaterschaft für die Klägerin und ihren Bruder hatte er mitgeteilt, er habe von 1935 bis 1942 eine Haftstrafe verbüßt, sei wegen seiner deutschen Nationalität bis Juni 1947 in Lagerhaft verblieben, danach an anderer Stelle festgehalten worden, habe in dieser Zeit geheiratet, die Ehe aber erst 1955 schließen können und danach seine Vaterschaft nicht feststellen lassen.
Das Bundesverwaltungsamt lehnte den Aufnahmeantrag aufgrund von Zweifeln an der Abstammung von einem deutschen Volkszugehörigen und wegen der russischen Nationalitätseintragung im ersten Inlandspass der Klägerin ab.
Der nach erfolglosem Widerspruch erhobenen Klage der Klägerin, ihres Ehemannes und ihres Sohnes hat das Verwaltungsgericht stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin einen Aufnahmebescheid zu erteilen sowie den Ehemann und den Sohn in diesen Bescheid einzubeziehen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen mit im Wesentlichen folgender Begründung:
Bei der Klägerin fehlten Anhaltspunkte dafür, dass sie sich, wie es nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG erforderlich sei, für den gesamten Zeitraum zwischen dem Eintritt der Bekenntnisfähigkeit und der Ausreise zum deutschen Volkstum bekannt habe. Selbst wenn man davon ausgehe, dass die Klägerin bei der Beantragung ihres ersten Inlandspasses im Jahre 1969 zunächst die deutsche Nationalität in die Forma Nr. 1 eingetragen und mit der Abgabe dieses Antrages ein wirksames Bekenntnis zum deutschen Volkstum abgegeben habe, wirke ein solches Bekenntnis zwar im Regelfall fort und decke auch Folgezeiträume ab, ohne dass es bis zur Ausreise kontinuierlich oder periodisch bekräftigt oder wiederholt werden müsse, doch entfalle diese durch ein einmal abgegebenes Bekenntnis zum deutschen Volkstum begründete Indizwirkung für die Folgezeit, wenn die Klägerin einen Pass mit dem Eintrag einer nichtdeutschen Nationalität entgegennehme und nutze. Die Fortwirkung eines Bekenntnisses zum deutschen Volkstum werde nicht erst durch ein beachtliches Bekenntnis gegen das ursprüngliche Bekenntnis zum deutschen Volkstum aufgehoben, sondern auch durch die äußere Hinwendung zu einem nichtdeutschen Volkstum, wie sie in der Entgegennahme und Führung eines Passes mit nichtdeutscher Nationalität liege. Dass sich die Klägerin in der Zeit ab 1969 auf eine einer Nationalitätenerklärung vergleichbare Weise zum deutschen Volkstum bekannt habe, sei nicht dargelegt und auch nicht ersichtlich.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Revision der Klägerin (frühere Klägerin zu 1). Sie rügt die fehlerhafte Auslegung und Anwendung des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG.
Die Beklagte verteidigt den Berufungsbeschluss.
II
Die Klägerin begehrt mit der nach der Änderung des § 27 BVFG durch Art. 6 Nr. 6 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950, 1999 f.) vom Senat in Bezug auf sie zugelassenen Revision für sich die Erteilung eines Aufnahmebescheides und für ihren Ehemann und ihren Sohn die Einbeziehung in diesen Aufnahmebescheid.
Die Revision der Klägerin ist mit der Maßgabe begründet, dass der Berufungsbeschluss aufzuheben und die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Zwar ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BVGF nur derjenige deutscher Volkszughöriger sein kann, der sich im Aussiedlungsgebiet von seiner Bekenntnisfähigkeit an ausschließlich und durchgängig zum deutschen Volkstum bekennt (im Anschluss an das Urteil vom 13. November 2003 - BVerwG 5 C 40.03 - BVerwGE 119, 192), und im Streitfall die Voraussetzungen für eine Unterstellung des Bekenntnisses nach § 6 Abs. 2 Satz 5 BVFG nicht vorliegen. Ebenso hat es zutreffend angenommen, dass ein einmal abgegebenes Bekenntnis zum deutschen Volkstum im Regelfall fortwirkt und darum auch Folgezeiträume abdeckt, solange kein Gegenbekenntnis erfolgt, ohne dass es bis zur Ausreise kontinuierlich oder periodisch bekräftigt oder wiederholt werden muss (unter Berufung auf das Senatsurteil vom 13. November 2003 a.a.O.) und dass ein einmal abgegebenes Bekenntnis zum deutschen Volkstum nicht nur dann nicht fortwirkt, wenn sich jemand nach außen erkennbar vom deutschen Volkstum ab- und einem anderen Volkstum zuwendet, sondern auch dann, wenn er sich, ohne ausdrücklich vom Bekenntnis zum deutschen Volkstum abzurücken, nach außen (auch) einem anderen Volkstum zuwendet (im Anschluss an den Senatsbeschluss vom 8. Februar 2005 - BVerwG 5 B 128.04 - juris und in Übereinstimmung mit dem späteren Senatsurteil vom 3. Mai 2007 - BVerwG 5 C 6.06 - NVwZ-RR 2007, 816).
Zu Unrecht sieht das Berufungsgericht dagegen in der Entgegennahme und Führung eines Passes mit eingetragener nichtdeutscher Nationalität stets und ohne Rücksicht auf deren Zurechenbarkeit eine nach außen gerichtete Hinwendung zu einem anderen Volkstum. Ist einer Person die Entgegennahme, das Führen, die Nutzung eines Passes mit eingetragener nichtdeutscher Nationalität zurechenbar, dann wendet sie sich damit nach außen einem anderen Volkstum zu. Das ist der Fall, wenn die Entgegennahme und Führung eines Passes mit nichtdeutscher Nationalität vom Willen des Passinhabers getragen ist oder wenn dieser eine Möglichkeit, sich der Entgegennahme und Führung eines Passes mit nichtdeutscher Nationalität zu widersetzen und stattdessen einen Pass mit deutscher Nationalität zu erhalten, nicht nutzt. Dann lässt er ihn für sich wirken (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Februar 2005 a.a.O.). Ist dagegen die Entgegennahme und Führung eines Passes mit eingetragener nichtdeutscher Nationalität nicht vom Willen des Passinhabers getragen und kann er sich der Entgegennahme und Führung dieses Passes auch nicht erfolgversprechend widersetzen, muss er ihn also gegen seinen Willen entgegennehmen und benutzen, dann kann weder in der Entgegennahme noch in der Nutzung des Passes eine dem Passinhaber zurechenbare Hinwendung (auch) zu einem nichtdeutschen Volkstum gesehen werden.
Das Berufungsgericht hat - auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung konsequent - keine tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen, ob es der Klägerin möglich war, sich der Entgegennahme und Führung des ersten und der folgenden Inlandspässe mit eingetragener russischer Nationalität zu widersetzen, und ab wann es ihr möglich war, stattdessen einen Pass mit deutscher Nationalität zu erhalten. Das führt zur Zurückverweisung.
Wenn, wie es das Berufungsgericht unterstellt hat, die Klägerin im Antrag zu ihrem ersten Inlandspass die deutsche Nationalität angegeben hat, so ist zu prüfen, ob es in der Sowjetunion im Jahre 1969 überhaupt möglich war, einen Nationalitäteneintrag von "Russin" auf "Deutsche" ändern zu lassen. Dass solches schon vor dem in der Bescheinigung des Stadtbezirksgerichts in Omsk vom 6. Juni 1999 (Beiakte 1 S. 66) erwähnten Antrag der Klägerin auf Änderung der Nationalität im Pass möglich war, lag keinesfalls auf der Hand. Vielmehr wird in dem Rechtsspruch des Stadtbezirksgerichts in Omsk von 1995 (Beiakte 1 S. 34 und 34 R) berichtet, dass die Verwaltung der Klägerin eine Änderung der Nationalität im Pass unter Bezugnahme auf P.3 der Bestimmung über das Passsystem (wonach "die weitere Änderung der Nationalität verboten ist") abgelehnt hatte. Das Gericht korrigierte diese Entscheidung mit der Begründung, dass diese Bestimmung dem Art. 16 der Deklaration der Rechte und Freiheiten des Menschen und Bürgers, angenommen vom Obersten Sowjet RSFSR im November 1992, widerspreche, dass jeder das Recht auf freie Wahl der Nationalität habe. Dass Anträge auf Änderungen des Nationalitäteneintrags mit Aussicht auf Erfolg bereits vor November 1992 gestellt werden konnten, ist deshalb auch nicht offensichtlich und bedarf der Klärung.
Im Streitfall ist weiter zu berücksichtigen, dass die Klägerin 1953 und damit vor der offiziellen Eheschließung ihrer Eltern 1955 (s. Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht) geboren worden ist und dass nicht feststeht, dass der Vater der Klägerin sie vor 1995 wirksam als Kind anerkannt hat, wobei vorgetragen wurde, dass er das in der Sowjetunion mehrfach schriftlich, allerdings erfolglos, versucht habe (s. Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht). In der Beiakte 1 S. 31 f. befindet sich ein Gesuch des Herrn A. E. an das russische Generalkonsulat in Bonn vom 28. Februar 1995, in dem er bat festzustellen, dass er der Vater der Klägerin ist. Aus der Übersetzung eines Rechtsspruchs eines Stadtbezirksgerichts in Omsk mit einem Aktenzeichen aus dem Jahr 1995 ergibt sich, dass nach der Prüfung des Gerichts Herr A. E. der Vater der Klägerin und Deutscher ist und dass der Rechtsspruch, wonach im Pass der Klägerin die Nationalität "Russin" in "Deutsche" zu ändern ist, am 12. November 1995 in Rechtskraft getreten ist (Beiakte 1 S. 34 und 34 R). In einer Übersetzung einer Bescheinigung desselben Stadtbezirksgerichts in Omsk vom 6. Juni 1999 wird u.a. bescheinigt, dass sich die Klägerin mit einer Klage dagegen gewandt habe, dass ihr Antrag auf die Änderung der Nationalität im Pass am 17. Dezember 1993 abgelehnt worden ist. Weiter wird bescheinigt, dass die Verhandlung am 1. November 1995 stattfand und die Ablehnung des Antrags auf Änderung der Nationalität als unrechtmäßig anerkannt wurde (Beiakte 1 S. 66).
Ist nicht festgestellt, dass die Klägerin bereits 1969 rechtlich nachweisen konnte, dass sie Kind eines deutschen Vaters war, hätte sie, unterstellt man mit dem Berufungsgericht, dass sie beim Passantrag 1969 ihre Nationalität mit deutsch angegeben hat, eine gleichwohl eingetragene russische Nationalität nicht korrigieren lassen können, weil sie damals keinen deutschen Vater hätte nachweisen können.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 9 000 € festgesetzt; 5 000 € für die Erteilung des Aufnahmebescheides und je 2 000 € für die beiden Einbeziehungen in den Aufnahmebescheid (Beschluss vom 7. Februar 2007 - BVerwG 5 B 178.06 - juris).
Ende der Entscheidung
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