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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 28.04.2005
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 28.04
Rechtsgebiete: GSiG, BSHG


Vorschriften:

GSiG § 2 Abs. 1 Satz 3
GSiG § 3 Abs. 2
BSHG §§ 76 ff.
An die Eltern gezahltes Kindergeld ist nicht im Sinne von § 3 Abs. 2 GSiG einzusetzendes Einkommen des (im Streitfall volljährigen) Kindes.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 5 C 28.04

Verkündet am 28. April 2005

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 28. April 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke und Prof. Dr. Berlit

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. September 2004 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Anrechnung des an die Eltern der Klägerin gezahlten Kindergeldes auf Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz an die Klägerin.

Die 1973 geborene Klägerin ist aufgrund eines frühkindlichen Gehirnschadens dauerhaft erwerbsunfähig. Sie lebt im Haushalt ihrer Eltern, die für sie Kindergeld erhalten. Der Beklagte gewährte der Klägerin mit Bescheiden vom Juni 2003 Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz ab 1. Januar 2003. Dabei berücksichtigte er das Kindergeld in Höhe von monatlich 154 € als Einkommen der Klägerin.

Nach erfolglosem Widerspruch hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2003 weitere Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich 154 € zu bewilligen. Die Berufung des Beklagten hiergegen hat das Oberverwaltungsgericht mit im Wesentlichen folgender Begründung zurückgewiesen:

Ebenso wie im Sozialhilferecht sei auch im Grundsicherungsrecht Kindergeld grundsätzlich Einkommen der Kindergeldberechtigten, d.h. regelmäßig der Eltern, und nicht des Kindes, für das es bezahlt werde. Die Möglichkeit, Kindergeld - bzw. einen ihm entsprechenden Betrag - als Einkommen des Kindes auf die Grundsicherungsleistung anzurechnen, hänge davon ab, ob im Einzelfall das Kindergeld an das Kind weitergereicht, ihm also zugewendet werde. Die erforderliche Feststellung eines solchen Weiterreichens lasse sich nicht durch eine "Vermutung der Vorteilszuwendung" ersetzen. Es genüge nicht, dass das Kindergeld in einen "gemeinsamen Topf" fließe, aus dem der Aufwand für den Lebensunterhalt der Haushaltsgemeinschaft insgesamt bestritten werde, und das Kindergeld dem Kind damit im Rahmen des ihm im Haushalt gewährten Familienunterhalts als Naturalleistung, wie z.B. Unterkunft, Kost oder Bekleidung, zugute komme. Im Streitfall lasse sich nicht feststellen, dass das Kindergeld in dem bezeichneten Sinne an die Klägerin weitergereicht worden sei. Auch spreche keine Vermutung dafür, dass das Kindergeld der Klägerin ganz oder, wie der Beklagte hilfsweise geltend mache, mindestens zu 50 % in Form von Geldleistungen oder Leistungen in Geldeswert zugewendet worden sei. Das den Eltern gewährte Kindergeld könne auch nicht nach § 3 Abs. 2 GSiG i.V.m. § 78 Abs. 2 BSHG als Einkommen der Klägerin angerechnet werden. Denn eine Zuwendung, im Sinne dieser Vorschrift, die als zweckgleich angesehen werden könne, sei nicht belegt. Vielmehr werde das Kindergeld für einen anderen Unterhaltsbedarf als den durch Grundsicherungsleistungen gedeckten Bedarf verwendet (Verhütungsmittel, Bestreitung von Fahrtkosten und Aufwand aufgrund der Mehrfachbehinderung der Klägerin). Darüber hinaus sei es nicht zulässig, die Entscheidung des Gesetzgebers, Unterhaltsansprüche behinderter Kinder gegenüber ihren Eltern in den Fällen des § 2 Abs. 1 Satz 3 GSiG nicht zu berücksichtigen, dadurch zu unterlaufen, dass Teile des Elterneinkommens - etwa Kindergeld oder andere mit Rücksicht auf Kinder gewährte Leistungen - unabhängig von der Einkommenshöhe auf die Grundsicherungsleistungen angerechnet würden. Schließlich sei Kindergeld nicht bedarfsmindernd mit der Begründung zu berücksichtigen, in dessen Höhe gewährten die Eltern der Klägerin tatsächlich Unterhalt. Denn das Kindergeld werde von den Eltern nicht für denselben Bedarf verwendet, für den der Klägerin Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz zu gewähren seien, so dass es an der erforderlichen Zweckgleichheit fehle.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten, mit der er geltend macht, das Berufungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass das Kindergeld nicht von den Eltern für deren eigenen Lebensunterhalt verwendet, sondern der behinderten Klägerin, für die es gewährt werde, zugewendet werde.

Die Klägerin verteidigt das Berufungsurteil. Es werde durch die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2003 - BVerwG 5 C 25.02 - <NJW 2004, 2541>) bestätigt.

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt mit dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung das Berufungsurteil.

II.

Die Revision des Beklagten ist, weil unbegründet, zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO).

Die Vorinstanzen haben im Ergebnis zu Recht dahin erkannt, dass das für die Klägerin an ihre Eltern gezahlte Kindergeld nicht im Sinne von § 3 Abs. 2 des Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) vom 26. Juni 2001 (BGBl I S. 1310, 1335) einzusetzendes Einkommen der Klägerin ist. Nach dieser Vorschrift gelten für den Einsatz von Einkommen und Vermögen die §§ 76 bis 88 des Bundessozialhilfegesetzes und die dazu erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend. Von dieser Entsprechung gehen im Grundsatz auch alle Beteiligten aus. Wie der Senat in dem den Beteiligten übersandten Urteil vom 17. Dezember 2003 - BVerwG 5 C 25.02 - (Buchholz 436.0 § 76 BSHG Nr. 38 = NJW 2004, 2541), bestätigt durch Urteil vom 21. Oktober 2004 - BVerwG 5 C 30.03 - (NVwZ 2005, 341), entschieden hat, dass Kindergeld sozialhilferechtlich Einkommen dessen ist, an den es ausgezahlt wird, so ist nach § 3 Abs. 2 GSiG dementsprechend Kindergeld auch im Grundsicherungsrecht Einkommen dessen, an den es ausgezahlt wird.

Anders als der Beklagte meint, hat das OVG Münster in seinem Beschluss vom 2. April 2004 - 12 B 1577/03 - (FEVS 56, 82 = NDV-RD 2005, 14) nicht die Auffassung vertreten, dass das Kindergeld als Einkommen des Kindes anzurechnen sei, sondern ausgeführt, dass "im Bereich des Grundsicherungsrechts eine Anrechnung von Kindergeld (als Einkommen) bei dem nicht bezugsberechtigten Kind regelmäßig ausscheidet".

Soweit der Beklagte im vorliegenden Streitfall das Senatsurteil vom 17. Dezember 2003 (a.a.O.) dafür anführt, dass Eltern ihr Einkommen für die Bedarfsdeckung des Kindes einsetzen müssten, wenn es für eine eigene Bedarfsdeckung nicht benötigt werde und damit übrig bleibe, lässt er außer Acht, dass sich die Ausführungen in diesem Urteil unter Hinweis auf §§ 11, 28 BSHG auf minderjährige Kinder beziehen, die Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits aber volljährig ist.

Auch § 82 SGB XII rechtfertigt eine Einkommensanrechnung bei der Klägerin nicht. Zum einen gilt § 82 SGB XII erst ab 1. Januar 2005 (Art. 70 Abs. 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003 <BGBl I S. 3022>) und zum anderen regelt § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII eine Zurechnung des Kindergeldes als Einkommen des Kindes allein bei Minderjährigen, wobei die Begründung im Gesetzentwurf als Ziel dieser Zurechnung angibt, "die Sozialhilfebedürftigkeit möglichst vieler Kinder zu beseitigen" (BTDrucks 15/1514 S. 65 zu § 77 Entwurf <entspricht § 82 des Gesetzes>).

Dem Anspruch der Klägerin auf ungekürzte Grundsicherung kann nicht entgegengehalten werden, dass der Grundsicherungsbedarf der Klägerin im Umfang von 154 € durch tatsächliche Unterhaltsleistungen der Eltern gedeckt worden sei (in diese Richtung aber OVG Münster, Beschluss vom 2. April 2004 - 12 B 1577/03 - <FEVS 56, 82 = NDV-RD 2005, 14>). Zum einen spricht gegen eine solche Bedarfsdeckung, dass Eltern bei Ausbleiben von Grundsicherungsleistungen in deren Umfang nur "anstelle" dieser Grundsicherungsleistungen Unterhalt leisten, weil die Grundsicherungspflicht anders als die Sozialhilfepflicht nach Maßgabe der durch § 2 Abs. 1 Satz 3 GSiG gezogenen Grenzen der Unterhaltspflicht vorgeht (das sieht im Grundsatz das OVG Münster <a.a.O.> ebenso). Zum anderen und für das vorliegende Revisionsverfahren bereits entscheidend hat das Berufungsgericht im Tatsächlichen festgestellt, "dass das Kindergeld von den Eltern der Klägerin nicht für denselben Bedarf verwendet wird, für den der Klägerin Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz gewährt werden". Bei einem behinderten Kind, das mit seinen Eltern in häuslicher Gemeinschaft lebe, seien die von den Eltern zu tragenden Aufwendungen (z.B. für gemeinsame Unternehmungen, die Teilnahme an behindertengerechten kulturellen und gesellschaftlichen Veranstaltungen sowie erhöhte Haushaltskosten, etwa für Wäsche, elektrische Geräte und Renovierung, Kosten für Fahrten zu Ärzten und Therapien) regelmäßig erheblich höher als bei einer Heimunterbringung, die auch Raum für die besondere Zweckbestimmung des Kindergeldes lasse, zur wirtschaftlichen Entlastung von kindbedingten Mehrkosten der allgemeinen Lebensführung beizutragen (BVerwGE 108, 221 <225>), wobei im vorliegenden Fall noch hinzu komme, dass die Eltern der Klägerin Naturalunterhalt auch durch kostenlose Zurverfügungstellung von Unterkunft gewährten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Dezember 2004 - BVerwG 5 B 57.04 - <juris>).

Ende der Entscheidung

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