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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 21.10.2004
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 30.03
Rechtsgebiete: BSHG, SGB VIII


Vorschriften:

BSHG § 11 Abs. 1 Satz 1
BSHG §§ 76 ff.
SGB VIII § 39 Abs. 6
Kindergeld, das auf einen Jugendhilfebedarf anzurechnen ist, kann sozialhilferechtlich nicht als Einkommen des Kindergeldbeziehers angerechnet werden.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 5 C 30.03

Verkündet am 21. Oktober 2004

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 21. Oktober 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke und Prof. Dr. Berlit

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Juni 2003 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

I.

Die Klägerin bezog im Jahre 2001 für ihre in ihrem Haushalt lebende, 1988 geborene Enkelin Kindergeld (monatlich 270 DM). Ferner erhielt sie vom Landkreis T. Pflegegeld nach § 39 SGB VIII, das sich aus 729 DM für die materiellen Leistungen für das Kind und 360 DM als pauschalierte Kosten der Erziehung zusammensetzte; auf diese Leistung wurde nach § 39 Abs. 6 SGB VIII das Kindergeld zur Hälfte angerechnet. Außerdem wurde der Klägerin von der Beklagten aufgrund geänderter Bescheide vom 7. März, 5. April und 6. Juli 2001 für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2001 ergänzende laufende Hilfe zum Lebensunterhalt bewilligt; dabei rechnete die Beklagte das Kindergeld in voller Höhe an.

Im Widerspruchs- und Klageverfahren ist die Klägerin mit ihrem Begehren, ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Vollanrechnung des Kindergeldes zu erhalten, erfolglos gewesen. Das Oberverwaltungsgericht hat ihrer Klage dagegen stattgegeben und die Beklagte für die Zeit von Januar bis Dezember 2001 zur Zahlung weiterer Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von insgesamt 828,29 € (entspricht monatlich 135 DM) verpflichtet. Dies ist wie folgt begründet:

Die Klägerin sei Kindergeldberechtigte im Sinne von § 31 EStG. Anhaltspunkte dafür, dass sie das Kindergeld an ihre Enkelin weitergegeben habe, seien nicht ersichtlich, da sie zur Sicherstellung ihres eigenen sozialhilferechtlichen Bedarfs auf das Kindergeld selbst angewiesen sei. § 39 Abs. 6 SGB VIII sei (jedoch) eine von einem tatsächlichen Zuwendungsakt und einer sozialhilferechtlichen Bedürftigkeit der Pflegeperson unabhängige Fiktion der anteiligen Zuwendung des Kindergeldes an das Pflegekind bzw. den in Pflege befindlichen Jugendlichen durch die Pflegeperson/Pflegeeltern. Die Anrechnung trage dem Grundsatz Rechnung, dass die Jugendhilfe nachrangig sei, d.h. staatliche Doppelleistungen für denselben Bedarf vermieden werden sollten. Es ergäbe sich deshalb ein Wertungswiderspruch zwischen dem Einkommensbegriff des § 76 Abs. 1 BSHG und der nach § 39 Abs. 6 SGB VIII zwingend vorgeschriebenen anteiligen Kindergeldanrechnung, wenn bei der Berechnung des sozialhilferechtlichen Bedarfs der Pflegeperson das Kindergeld in voller Höhe als Einkommen berücksichtigt würde. Die Lösung des Problems einer faktischen "Doppelanrechnung" des Kindergeldes sei nicht im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe zu suchen; eine teleologische Reduktion des § 39 Abs. 6 SGB VIII dahingehend, dass die Vorschrift nicht anwendbar sei, wenn die kindergeldberechtigte Pflegeperson laufende Hilfe zum Lebensunterhalt erhalte und das Kindergeld zur Deckung ihres eigenen Bedarfs benötige, sei nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte der Vorschrift nicht zulässig und würde in der Praxis dazu führen, dass das Jugendamt während der Dauer der Leistungsgewährung nach § 39 SGB VIII stets die finanzielle Situation der Pflegeperson/Pflegeeltern im Auge behalten müsste, um im Falle ihrer Sozialhilfebedürftigkeit von einer Anwendung des § 39 Abs. 6 SGB VIII abzusehen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung von § 39 SGB VIII.

Die Klägerin und der Vertreter des Bundesinteresses verteidigen das Berufungsurteil.

II.

Die Revision ist unbegründet, so dass sie zurückzuweisen ist (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts im Einklang mit dem Bundesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) stattgegeben, weil das von der Klägerin bezogene Kindergeld auf ihren Anspruch auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nicht in voller Höhe, sondern nur zur Hälfte anzurechnen ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist Kindergeld Einkommen im Sinne von §§ 76 ff. BSHG und als zweckgleiche Leistung im Sinne von § 77 Abs. 1 BSHG auf einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG anzurechnen (vgl. BVerwGE 94, 326 <328 f.> m.w.N.; 114, 339 <340 f.>). Durch Urteil vom 17. Dezember 2003 - BVerwG 5 C 25.02 - (NJW 2004, 2541) hat der Senat klargestellt, dass das Kindergeld sozialhilferechtlich Einkommen dessen ist, an den es ausgezahlt wird. Darum kann auf Kindergeld zugegriffen werden, indem es auf einen Sozialhilfeanspruch des Kindergeldbeziehers - im vorliegenden Fall der Klägerin - angerechnet wird. Darüber besteht unter den Verfahrensbeteiligten auch kein Streit.

Für den Umfang, in dem nach § 11 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit §§ 76 ff. BSHG Kindergeld als Einkommen des Kindergeldbeziehers angerechnet werden kann, ist zu berücksichtigen, dass § 39 Abs. 6 SGB VIII bereits eine hälftige Anrechnung von Kindergeld auf die laufenden Leistungen zum Unterhalt des Kindes oder des Jugendlichen anordnet; soweit das Kindergeld hiernach auf einen jugendhilferechtlichen Bedarf anzurechnen ist, kann es sozialhilferechtlich nicht als Einkommen angerechnet werden. Es ist nicht der Auffassung des Verwaltungsgerichts zu folgen, wonach die Teilanrechnung des Kindergeldes auf die Jugendhilfeleistung gemäß § 39 Abs. 6 SGB VIII sozialhilferechtlich außer Betracht zu lassen ist, weil die Frage der Teilanrechnung im Verhältnis des Trägers der Kinder- und Jugendhilfe und der Klägerin zu klären sei; vielmehr ist dem Oberverwaltungsgericht beizupflichten, dass zur Vermeidung einer unstatthaften Doppelanrechnung des Kindergeldes eine teleologische Reduktion des § 39 Abs. 6 SGB VIII mit der Folge, die Vorschrift nicht anzuwenden, wenn der Bezieher des Kindergeldes hierauf für seinen eigenen notwendigen Lebensunterhalt angewiesen ist, nicht zulässig ist.

Beide Vorinstanzen gehen - im Ansatz zutreffend - davon aus, dass eine Mehrfachanrechnung des Kindergeldes (bzw. eines Teiles davon) sowohl auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz als auch auf das Pflegegeld nach § 39 SGB VIII auszuscheiden hat. Der Ausschluss einer "Doppelanrechnung" von Einkommen, wie er z.B. in der Regelung des § 87 Abs. 1 BSHG ausdrücklich angeordnet ist, entspricht auch schon bisheriger Rechtsprechung des Senats, wonach beim Zusammentreffen von Anrechnungsregelungen, die dieselbe Sozialleistung betreffen, diese Leistung mit einer anderen Sozialleistung nur insoweit verrechnet werden darf, als sie noch nicht aufgrund einer der beiden Anrechnungsregelungen "verbraucht" ist (vgl. BVerwGE 118, 297 zur Anrechnung von Pflegegeld nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch auf Pflegegeld nach dem Bundessozialhilfegesetz auf der Grundlage von § 69c Abs. 2 Satz 2 BSHG einerseits und § 69c Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 BSHG andererseits). Allerdings begründet das Gesetz für die Anrechnung von Pflegegeld nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch ausdrücklich einen Anrechnungsvorrang (vgl. § 69c Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 BSHG: "vorrangig ... anzurechnen"); eine solche Bestimmung ist in § 39 Abs. 6 SGB VIII nicht getroffen. Der Vorrang der in § 39 Abs. 6 SGB VIII angeordneten Anrechnung gegenüber einem Einkommenseinsatz nach § 11 Abs. 1 Satz 1, §§ 76 ff. BSHG folgt jedoch daraus, dass § 39 Abs. 6 SGB VIII die speziellere Regelung darstellt. Was aufgrund dieser Vorschrift angerechnet wird, steht darum für eine Anrechnung aufgrund von § 11 Abs. 1 Satz 1, §§ 76 ff. BSHG nicht zur Verfügung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 VwGO.

Ende der Entscheidung

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