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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 12.07.2001
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 36.00
Rechtsgebiete: BVFG
Vorschriften:
BVFG § 6 Abs. 2 Satz 1 |
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 5 C 36.00
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts ohne mündliche Verhandlung am 12. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Rothkegel, Prof. Dr. Rojahn und Dr. Franke
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27. Dezember 1999 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe:
I.
Die am 6. September 1971 bzw. 4. Februar 1974 in Kasachstan geborenen Kläger sind Eheleute. Sie kamen mit Aufnahmebescheid vom 6. August 1997 am 20. November 1997 ins Bundesgebiet und beantragten die Ausstellung einer Bescheinigung für Spätaussiedler.
Die Eltern des Klägers sind als Spätaussiedler anerkannt. In dem am 14. Oktober 1987 ausgestellten Inlandspass ist der Kläger mit deutscher Nationalität eingetragen. Im Aufnahmeverfahren hatte er angegeben, er spreche Zuhause häufig Deutsch, verstehe auf Deutsch fast alles und schreibe Deutsch. Er habe deutsche Sitten und Gebräuche gepflegt, indem er Weihnachten, Ostern und andere Feiertage gefeiert habe. Zu seinem Antrag auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung gab der Kläger an, beide Elternteile seien deutsche Volkszugehörige mit Deutsch als Muttersprache und Umgangssprache innerhalb der Familie. Er spreche ebenfalls Deutsch als Muttersprache und Umgangssprache innerhalb der Familie. Bei einem Sprachtest der Aussiedlerinformationsstelle beim Landratsamt F. am 27. November 1997 ergab sich, dass der Kläger teilweise Deutsch verstand, aber nur einzelne Wörter und nur gebrochen Deutsch sprach. Dort gab er dann an, dass in der Familie kein Deutsch gesprochen werde. Seine deutschen Sprachkenntnisse habe er sich mit Büchern und Sprachkassetten angeeignet. Daraufhin lehnte der Beklagte den Antrag nach § 15 Abs. 1 BVFG ab; der Kläger erhielt eine Bescheinigung als Abkömmling eines Spätaussiedlers nach § 15 Abs. 2 BVFG.
Die Klägerin hatte im Aufnahmeverfahren beim Bundesverwaltungsamt angegeben, sie spreche Zuhause selten Deutsch und verstehe wenig Deutsch, sie schreibe auf Deutsch. In ihrem 1990 ausgestellten Inlandspass sei sie mit deutscher Nationalität eingetragen. In ihrem Antrag nach § 15 BVFG gab sie später dagegen an, Deutsch sei ihre Muttersprache. Die Umgangssprache in der Familie sei Deutsch-Russisch gewesen. Ihr Vater sei deutscher Volkszugehöriger, ihre Mutter russische Volkszugehörige. Der am 27. November 1997 durchgeführte Sprachtest ergab, dass die Klägerin wenig Deutsch verstand und nur einzelne Wörter sprach. Sie gab dort an, in ihrer Familie werde nur Russisch gesprochen. Sie habe sich die deutschen Sprachkenntnisse selbst mit Büchern und Sprachkassetten beigebracht. Auch der Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung wurde deshalb abgelehnt.
Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten verpflichtet, den Klägern Spätaussiedlerbescheinigungen nach § 15 Abs. 1 BVFG auszustellen, der Verwaltungsgerichtshof die Klagen dagegen abgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt:
Die Kläger hätten keinen Anspruch auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG, da sie keine deutschen Volkszugehörigen im Sinne des § 6 Abs. 2 BVFG seien. Ihnen seien keine der sich aus § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG ergebenden bestätigenden Merkmale wie Kultur, Sprache, Erziehung vermittelt worden. Sie hätten beim Verlassen des Aussiedlungsgebietes nur wenig Deutsch gesprochen. Daher sei der Schluss gerechtfertigt, dass beide Deutsch weder als Muttersprache noch als bevorzugt verwendete Umgangssprache innerhalb der Familie gesprochen hätten. Dies ergebe sich zum einen aus den eigenen Angaben der Kläger, zum anderen aus den durchgeführten Sprachtests. Besondere Umstände für die Annahme, dass auch ohne Einsatz der deutschen Sprache als Muttersprache oder bevorzugter Umgangssprache deutsche Erziehung und Kultur vermittelt worden seien, ließen sich dem Sachvortrag nicht entnehmen.
Mit ihrer Revision gegen diese Entscheidung machen die Kläger u.a. geltend, das Berufungsgericht habe sich in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gesetzt, wonach das Bestätigungsmerkmal "deutsche Sprache" nicht noch zum Zeitpunkt der Ausreise aus dem Aussiedlungsgebiet vorgelegen haben müsse, sondern es nur darauf ankomme, ob den Klägern die deutsche Sprache bis zum Zeitpunkt des Erreichens ihrer Selbständigkeit vermittelt worden sei; demgegenüber beurteile das Berufungsgericht die Sprachvermittlung an die Kläger unter Heranziehung der Begriffe "Muttersprache" und "bevorzugter Umgangssprache" nach inzwischen überholter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts; jetzt reiche es aus, dass den Kindern die deutsche Sprache durch ihre Eltern, so wie diese selbst sie beherrschten und gebrauchten, vermittelt worden sei.
Der Beklagte und der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht halten eine Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz für erforderlich, damit ermittelt werden könne, ob und in welchem Umfang den Klägern während des nunmehr maßgeblichen Zeitraums bis zur Selbständigkeit hinreichend bestätigende Merkmale vermittelt worden sind.
II.
Die Revision, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§§ 141, 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO), ist im Sinne einer Zurückverweisung an die Vorinstanz unter Aufhebung der Berufungsentscheidung begründet (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Der angefochtene Beschluss steht, soweit es um die Beurteilung des Klagebegehrens unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des § 15 Abs. 1 BVFG geht, zu Bundesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) in Widerspruch, weil das Berufungsgericht sich bei der Ermittlung, ob die Kläger Bestätigungsmerkmale im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG erfüllen, von einem falschen rechtlichen Maßstab hat leiten lassen. Die Vorinstanz hat in Bezug auf das Bestätigungsmerkmal "deutsche Sprache" entscheidend darauf abgestellt, dass "die Kläger beim Verlassen des Aussiedlungsgebiets Deutsch weder als Muttersprache noch als bevorzugt verwendete Umgangssprache (sprachen)" (S. 8 des Beschlusses). Die deutsche Sprache als bestätigendes Merkmal im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG muss aber nicht vorrangig vor anderen Sprachen vermittelt worden sein, sondern es reicht aus, wenn das Kind im Elternhaus Deutsch und die Landessprache erlernt und gesprochen hat, also mehrsprachig aufgewachsen ist. Auch ist die Kenntnis oder Unkenntnis der deutschen Sprache zur Zeit der Aus- bzw. Einreise nicht Tatbestandsmerkmal jener Bestimmung, wenn diesem Gesichtspunkt auch Bedeutung als Indiz für oder gegen eine frühere Vermittlung deutscher Sprache zukommt (Urteil des erkennenden Senats vom 19. Oktober 2000 - BVerwG 5 C 44.99 - zur Veröffentlichung in der Amtlichen Entscheidungssammlung vorgesehen). Anders als nach früherem Recht (siehe z.B. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. November 1998 - BVerwG 9 C 4.97 - Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 90) ist nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in der Fassung des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2094) das Merkmal deutscher Sprache nicht davon abhängig, dass Deutsch auch im Erwachsenenalter entsprechend der Herkunft und dem Bildungsstand als die dem Betreffenden eigentümliche Sprache umfassend beherrscht wird (Urteil des erkennenden Senats vom 19. Oktober 2000, a.a.O.). Legt man den tatsächlichen Feststellungen, die das Berufungsgericht zu den deutschen Sprachkenntnissen der Kläger getroffen hat, die rechtlichen Maßstäbe zugrunde, die sich aus der neuen Gesetzeslage ergeben, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Vorinstanz die Frage der Vermittlung der deutschen Sprache an die Kläger anders - und zwar in einem für die Kläger günstigen Sinne - beurteilt hätte, als dies im Berufungsbeschluss anhand des Kriteriums einer im Zeitpunkt der Aus- bzw. Einreise vorliegenden Sprachbeherrschung geschehen ist.
Deshalb muss die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 16 000 DM festgesetzt.
Ende der Entscheidung
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