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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 26.02.2009
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 4.08
Rechtsgebiete: AusglLeistG, VwGO
Vorschriften:
AusglLeistG § 1 Abs. 4 | |
VwGO § 108 Abs. 1 |
In der Verwaltungsstreitsache
...
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Februar 2009
durch
den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Brunn, Prof. Dr. Berlit,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer
ohne mündliche Verhandlung
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 7. Juni 2006 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe:
I
Die Kläger begehren die Gewährung einer Ausgleichsleistung für die auf besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgte entschädigungslose Enteignung eines Hausgrundstücks.
Das Hausgrundstück stand im Eigentum ihres Rechtsvorgängers. Dieser war seit 1923 Polizeibeamter. Er diente zunächst in der Schutzpolizei. Anfang April 1933 wurde er zur Geheimen Staatspolizei (Gestapo) versetzt, wogegen er ohne Erfolg Einspruch erhob. Innerhalb der Gestapo bekleidete der Rechtsvorgänger der Kläger das Amt eines Kriminaloberassistenten und war bis zum Kriegsende in der Staatspolizeistelle D. als Fachabteilungsleiter in wirtschaftspolitischen Angelegenheiten tätig. Er gehörte zur Abteilung II in der Abteilung Wirtschaft (II E). In dieser Funktion war ihm neben dem Abteilungsleiter zumindest ein Referent übergeordnet. Überdies war er seit 1937 NSDAP-Mitglied.
Nach Kriegsende wurde der Rechtsvorgänger der Kläger von der sowjetischen Militäradministration verhaftet. Er starb während seiner Inhaftierung im Mai 1949, ohne dass es zu einem förmlichen Verfahren gekommen war. Sein Hausgrundstück wurde vor seinem Tod auf besatzungshoheitlicher Grundlage sequestriert und enteignet.
Nachdem ihr Antrag auf Rückübertragung des Grundstücks bestandskräftig abgelehnt worden war, beantragten die Kläger im Mai 1995 die Gewährung von Ausgleichsleistungen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. Oktober 1998 mit der Begründung ab, der Rechtsvorgänger der Kläger habe als Gestapo-Beamter dem nationalsozialistischen System in erheblicher Weise Vorschub geleistet. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde unter dem 15. April 2004 aus demselben Grund zurückgewiesen. Im Einzelnen wurde zur Begründung ausgeführt, der Rechtsvorgänger der Kläger sei aufgrund seiner Tätigkeit innerhalb der Gestapo in die Gruppe der Hauptschuldigen im Sinne der Kontrollratsdirektive 38 einzustufen. Damit sei ein erhebliches Vorschubleisten nachgewiesen oder wenigstens zu vermuten. Allein die Tätigkeit innerhalb der Gestapo indiziere die Unwürdigkeit im Sinne des § 1 Abs. 4 Ausgleichsleistungsgesetz (AusglLeistG). Unabhängig davon ergebe sich aus den vorliegenden Unterlagen auch ein konkreter Nachweis, dass sich der Rechtsvorgänger der Kläger an Verfolgungsmaßnahmen beteiligt habe. In einem Zeitraum von mehreren Jahren sei er - wie auch die Aussage des Zeugen M. vom Juli 1949 belege - als Kriminaloberassistent (bzw. womöglich als Kriminalsekretär) an Verhaftungen, Vernehmungen und Hausdurchsuchungen beteiligt gewesen.
Der Vorwurf eines erheblichen Vorschubleistens werde auch nicht dadurch widerlegt, dass der Rechtsvorgänger der Kläger bei der Ausführung seiner Tätigkeit Zurückhaltung geübt habe, worauf die nach dem Kriegsende eingeholten, schriftlich vorliegenden Zeugenaussagen von Inhaftierten, Verfolgten und Bedrohten schließen ließen. Ebenso wenig stehe der Bewertung entgegen, dass er seinen Aufgaben auch nicht mit besonderem Engagement und besonderer Härte nachgekommen sei. Selbst wenn er in Ausübung seiner Tätigkeit nur die unbedingt notwendigen unvermeidbaren Maßnahmen ergriffen habe, habe er bereits dadurch in erheblichem Maße dazu beigetragen, die Ziele des Nationalsozialismus nicht nur unbedeutend zu fördern. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Rechtsvorgänger der Kläger Verfolgten des Nationalsozialismus geholfen habe und welche Leumundszeugnisse ihm deshalb ausgestellt worden seien. Ein einmal begangenes erhebliches Vorschubleisten könne mangels rechtlicher Anknüpfungspunkte durch eine spätere Abkehr oder Wiedergutmachungsbemühungen nicht wieder rückgängig gemacht werden.
Das Verwaltungsgericht hat die auf Neubescheidung gerichtete Klage mit Urteil vom 7. Juni 2006 mit einer inhaltsgleichen Begründung abgewiesen. Dem Anspruch der Kläger auf Gewährung von Ausgleichsleistungen stehe § 1 Abs. 4 AusglLeistG entgegen. Der Rechtsvorgänger der Kläger habe dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet, was in objektiver Hinsicht aus seiner Tätigkeit für die Gestapo bzw. das Reichssicherheitshauptamt, zu dem auch die Dienststellen der früheren Gestapo gehört hätten, sowie deren Aufgaben folge. Als Angehöriger der Gestapo habe der Rechtsvorgänger der Kläger auch die zu den Aufgaben der Gestapo gehörenden Unterdrückungs- und Verfolgungsmaßnahmen ergriffen, was sich aus der Aussage des Zeugen M. aus dem Jahr 1949 ergebe. Danach sei dieser von dem Rechtsvorgänger der Kläger im Februar 1939 festgenommen, vernommen und seine Wohnung durchsucht worden. Auch andere Zeugen hätten für die Zeit nach 1941 angegeben, der Rechtsvorgänger der Kläger sei im Zusammenhang ihrer Verhaftungen ihr Sachbearbeiter gewesen. Mithin sei davon auszugehen, dass er nicht nur gelegentlich, sondern von 1934 bis 1945 aktiv an der Verfolgung von Gegnern und vermeintlichen Gegnern des nationalsozialistischen Regimes mitgewirkt und damit einen stetigen sowie einen zumindest zeitweilig "erfolgreichen" Beitrag zur Unterdrückung des Widerstandes geleistet habe. Der Beitrag sei auch nicht nur unbedeutend gewesen, wie sich aus den von Zeugen bekundeten Verfolgungserfolgen ergebe.
Der Erfüllung des Merkmals des erheblichen Vorschubleistens stehe nicht entgegen, dass ausweislich der vorliegenden Erklärungen der Rechtsvorgänger der Kläger Verfolgten des nationalsozialistischen Regimes dienstlich und außerdienstlich auch geholfen und dazu teilweise auch sein Amt als Gestapo-Mitarbeiter genutzt habe. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Rechtsvorgänger der Kläger sein Amt übernommen oder behalten habe, um von dieser Position aus dem nationalsozialistischen Regime zu schaden. Vielmehr sei davon auszugehen, dass er die ihm übertragenen Aufgaben im Großen und Ganzen wahrgenommen und die auferlegten Pflichten erfüllt habe. Selbst wenn man davon ausgehe, dass der Rechtsvorgänger der Kläger unter seiner dienstlichen Tätigkeit gelitten und seine Stellung mitunter genutzt habe, um Verfolgten Erleichterungen zu verschaffen, habe er dadurch weder die Ziele des Systems unterlaufen noch den Widerstand unterstützt.
Freilich sei eine Unterstützung des Widerstandes und anderer Verfolgter des Regimes darin zu sehen, dass der Rechtsvorgänger der Kläger im Jahre 1934 eine Hausdurchsuchung selbst vorgenommen und dabei belastendes Material absichtlich übersehen sowie später den Betroffenen vor einer erneuten Hausdurchsuchung gewarnt habe, dass er im Jahre 1945 die Vernichtung einer Akte bewirkt und damit eine Verhaftung verhindert habe und schließlich im Februar 1945 einer Frau und ihrer Tochter, die deportiert werden sollten, Ratschläge zur Flucht erteilt habe. Diese Handlungen hätten den Nutzen nicht zu verringern vermocht, den das nationalsozialistische Regime aus der Tätigkeit im Übrigen gezogen habe.
Auch die subjektiven Voraussetzungen lägen vor. Der Rechtsvorgänger der Kläger habe gewusst, dass seine Tätigkeit der Unterdrückung und Verfolgung der Gegner des Regimes gedient und damit dem Regime genutzt habe, selbst wenn er seinen Beitrag ungern erbracht und sogar darunter gelitten habe. Es sei auch nicht ersichtlich, dass eine Weigerung, die Aufgaben zu übernehmen, zu schweren, unzumutbaren Nachteilen für ihn geführt hätte.
Die Kläger rügen mit ihrer Revision eine Verletzung des § 1 Abs. 4 AusglLeistG und tragen im Kern vor, ihr Rechtsvorgänger habe innerhalb des NS-Staates und seiner Gliederungen keine exponierte und verantwortungsvolle Aufgabe innegehabt. Das gelte auch für seine Tätigkeit in der Gestapo. Das Verwaltungsgericht habe wesentliche Umstände übergangen, die belegten, dass dieser sich seit 1934 durch Strafvereitelung im Amt, Unterstützung und Hilfeleistungen für Dritte permanent der Gefahr ausgesetzt habe, selbst strafrechtlich verfolgt zu werden, und so seine Position genutzt habe, dem Regime zu schaden.
Die Beklagte und der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht verteidigen das angefochtene Urteil.
II
Die Revision der Kläger, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1, i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO) entschieden, dass den Klägern kein Anspruch auf Gewährung einer Ausgleichsleistung für die Enteignung des ursprünglich im Eigentum ihres Rechtsvorgängers stehenden Hausgrundstücks zusteht, weil der Ausschlussgrund des § 1 Abs. 4 AusglLeistG eingreift.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AusglLeistG erhalten natürliche Personen, die Vermögenswerte im Sinne des § 2 Abs. 2 des Vermögensgesetzes durch entschädigungslose Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) verloren haben, oder ihre Erben oder weiteren Erben (Erbeserben) eine Ausgleichsleistung nach Maßgabe dieses Gesetzes. Der Anspruch steht jedoch unter dem Vorbehalt von § 1 Abs. 4 AusglLeistG. Danach wird eine Ausgleichsleistung nicht gewährt, wenn der nach den Absätzen 1 und 2 Berechtigte oder derjenige, von dem er seine Rechte ableitet, dem nationalsozialistischen Regime erheblichen Vorschub geleistet hat. Ein solches erhebliches Vorschubleisten hat das Verwaltungsgericht zu Recht in der langjährigen hauptamtlichen Tätigkeit des Rechtsvorgängers der Kläger für die Gestapo gesehen.
1.
Der Ausschlussgrund des erheblichen Vorschubleistens zugunsten des nationalsozialistischen Systems setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. zusammenfassend: Urteil vom 19. Oktober 2006 - BVerwG 3 C 39.05 - BVerwGE 127, 56 <58> m.w.N.) in objektiver Hinsicht voraus, dass nicht nur gelegentlich oder beiläufig, sondern mit einer gewissen Stetigkeit Handlungen vorgenommen wurden, die dazu geeignet waren, die Bedingungen für die Errichtung, die Entwicklung oder die Ausbreitung des nationalsozialistischen Systems zu verbessern oder Widerstand gegen dieses System zu unterdrücken, und dies auch zum Ergebnis hatten. Der Nutzen, den das Regime aus dem Handeln gezogen hat, darf nicht nur ganz unbedeutend gewesen sein. Die subjektiven Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes sind erfüllt, wenn die betreffende Person dabei in dem Bewusstsein gehandelt hat, ihr Verhalten könne diesen Erfolg haben. Auf der Grundlage der vom Verwaltungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die mit durchgreifenden Verfahrensrügen nicht in Zweifel gezogen wurden, sind diese Voraussetzungen im Streitfall gegeben.
1.1
Das Verwaltungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise der Sache nach im Wege einer Vermutung, welche durch Feststellungen zum konkreten Verhalten gestützt wird, aus der langjährigen hauptamtlichen Tätigkeit des Rechtsvorgängers der Kläger für die Gestapo den Schluss gezogen, dass die objektiven Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes des § 1 Abs. 4 AusglLeistG erfüllt sind.
a)
Aus einer langjährigen, nicht völlig untergeordneten bzw. "neutralen" (z.B. als Hausmeister) hauptamtlichen Tätigkeit für die Gestapo kann eine tatsächliche Vermutung (Indizwirkung) des Inhalts abgeleitet werden, dass durch diese Tätigkeit dem nationalsozialistischen System im Sinne des § 1 Abs. 4 AusglLeistG erheblich Vorschub geleistet worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 1961 - IV ZR 303/60 - RzW 1961, 377, zur als völlig untergeordnet zu bewertenden Tätigkeit als "Fernschreiber"). Eine derartige Indizwirkung findet ihre Rechtfertigung, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, in den der Gestapo obliegenden Aufgaben und deren Bedeutung für das nationalsozialistische System.
Das ergibt sich zusätzlich zu den das angegriffene Urteil allein tragenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts aus folgenden Erwägungen: Nach dem allgemeinkundigen, also für jedermann ohne besondere Fachkunde aus allgemein zugänglichen Quellen zuverlässig zu entnehmenden zeitgeschichtlichen Erfahrungswissen handelte es sich bei der Gestapo um einen tragenden Pfeiler des nationalsozialistischen Unterdrückungs- und Verfolgungssystems. Sie war ein Instrument des politischen Terrors und der Durchsetzung der nationalsozialistischen Rassenideologie bzw. Genozidpolitik. Zu ihren Kernaufgaben gehörte es, Gegner oder vermeintliche Gegner des Regimes aufzuspüren, zu verfolgen und zu bestrafen oder dies zu versuchen oder anzudrohen. Dementsprechend war für die herkömmliche Tätigkeit eines Mitarbeiters der Gestapo kennzeichnend, dass dieser - im Sinne der Definition des erheblichen Vorschubleistens - mit einer gewissen Stetigkeit und nicht nur gelegentlich oder beiläufig Handlungen vornahm, die in ihrem Nutzen für das Regime nicht ganz unbedeutend und dazu geeignet waren, die Bedingungen für die Errichtung, die Entwicklung oder die Ausbreitung des nationalsozialistischen Systems zu verbessern oder Widerstand gegen dieses System zu unterdrücken.
Diese heutige historische Bewertung stimmt uneingeschränkt überein mit der in der Nachkriegszeit erfolgten besatzungsrechtlichen Einschätzung. Hiernach ist durch das Gesetz Nr. 2 vom 10. Oktober 1945 betreffend die Auflösung und Liquidation der Naziorganisationen (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland Nr. 1 vom 29. Oktober 1945, S. 19 ff.) die Gestapo "abgeschafft und für ungesetzlich erklärt" worden (vgl. Anhang Nr. 47). Dem lag die Proklamation Nr. 2 vom 20. September 1945 (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland Nr. 1 vom 29. Oktober 1945, S. 8) zugrunde, wonach die Gestapo - ebenso wie beispielweise SS, SA und SD - "vollständig und endgültig ... aufzulösen" war. Damit einher ging die allgemeinkundige Erklärung der Gestapo zur "verbrecherischen Organisation" durch das Internationale Militärtribunal in Nürnberg (1945 bis 1946).
b)
Zwar kann bei nicht hervorgehobenen Funktionsträgern in der Regel nicht in gleichem Maße wie bei hervorgehobenen Funktionsträgern darauf abgestellt werden, dass allein aufgrund des Gewichts und Einflusses ihrer Ämter auf ein dem Amtsinhaber vorhaltbares Vorschubleisten und dessen erhebliches Gewicht zu schließen sein dürfte (vgl. zur Indizwirkung der Wahrnehmung herausgehobener Funktionen in der NSDAP oder ihrer Gliederungen, zumal wenn sie über einen längeren Zeitraum und im Sinne der Partei beanstandungsfrei ausgeübt worden sind, insbesondere als Gauleiter oder führender Funktionär auf Reichsebene Urteil vom 19. Oktober 2006 a.a.O. S. 61 sowie Beschluss vom 1. August 2007 - BVerwG 5 B 148.07 - [...]). Die Amtsausübung untergeordneter Funktionsträger im nationalsozialistischen System unterlag im Einzelfall naturgemäß weder zeithistorischer noch durchgängiger Zeugenbeobachtung, weshalb es schwieriger ist, die Bedeutung der persönlichen Tätigkeiten bzw. einzelner Handlungen für den Unrechtserfolg zu gewichten. Jedoch kennzeichnet es staatliche Organisationen wie die Gestapo bzw. parteiabhängige Apparate in Unrechtssystemen, dass sie zur Herbeiführung ihrer Unrechtserfolge nicht nur auf Anleitungen und Anweisungen der Führungsebene angewiesen sind. Vielmehr bedürfen deren Direktiven der alltäglichen Umsetzung durch vordergründig vermeintlich unscheinbare unter- bzw. nachgeordnete Ausführungsorgane. Gerade eine solche alltägliche Umsetzung eines angeordneten Terrorprogramms führt sowohl beim verfolgten Einzelnen als auch bei der Gesamtheit der Verfolgten zu dem Bewusstsein des ohnmächtigen Ausgeliefertseins. Aus diesem Grund ist es zulässig und geboten im Hinblick auf nicht hervorgehobene Funktionsträger in einem ersten Schritt ergänzend auf die besondere Bedeutung und den hervorgehobenen Nutzen der Gestapo sowie ihrer Gliederungen für die Durchsetzung und Stabilisierung des nationalsozialistischen Systems zurückzugreifen. In einem zweiten Schritt ist sodann der Beitrag des einzelnen Funktionsträgers in Abhängigkeit von dessen Einbindung in diese Organisation sowie den insoweit zur Verwertung geeigneten Einzelbeobachtungen zu bewerten.
c)
Diesen Rechtsstandpunkt hat sich das Verwaltungsgericht der Sache nach zu Eigen gemacht. Es folgert bereits im Wege einer Vermutung aus der langjährigen hauptamtlichen Tätigkeit des Rechtsvorgängers der Kläger in operativ tätigen Bereichen der Gestapo, über die Beanstandungen durch Vorgesetzte nicht bekannt sind, dass er damit zwangsläufig an den von dieser Organisation typischerweise durchgeführten Unterdrückungs- und Verfolgungsmaßnahmen beteiligt war. Ergänzend trifft es Feststellungen zum konkreten Verhalten des Rechtsvorgängers der Kläger, die seine Bewertung im Ergebnis stützen. Hierzu wertet es schriftlich festgehaltene Zeugenaussagen aus der Nachkriegszeit aus, die für sich genommen zwar nur punktuelle Begebenheiten (Hausdurchsuchungen, Verhaftungen, Vernehmungen) schildern. Sie bilden aber ausschnittsweise den beruflichen Alltag des Rechtsvorgängers der Kläger ab, sodass sie für dessen alltägliche langjährige Dienstzeit repräsentativ sind. Sie belegen konkret für die Person des Rechtsvorgängers der Kläger, dass dieser in den Jahren 1934 bis 1945 dergestalt in die Gestapo eingebunden war, dass er Teil der für das gewöhnliche Aufgabenspektrum zuständigen Einheiten war und damit Diensthandlungen durchführte, die als kausaler und erheblicher Beitrag zur Terrortätigkeit der Gestapo zu beurteilen sind.
1.2
Das Verwaltungsgericht durfte auch in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise auf das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes des § 1 Abs. 4 AusglLeistG schließen.
Als langjähriger hauptamtlicher Gestapo-Bediensteter musste dem Rechtsvorgänger der Kläger klar sein, was die Folgen seiner Tätigkeit in der Terrororganisation Gestapo waren und hatten sein sollen. Auch wenn Konkretes über dessen Motive und Einsichten nicht festgestellt werden konnte, ist es nach Art und Dauer der Einbindung in den Apparat auszuschließen, dass ihm die systemstützenden Zielsetzungen der Gestapo und ihre Funktion bei der Etablierung des NS-Herrschaftssystems verborgen geblieben sind. Es besteht daher kein Anlass daran zu zweifeln, dass er im Rahmen seiner Amtsausübung wissentlich und willentlich zugunsten des nationalsozialistischen Systems tätig geworden ist, auch wenn er diese Tätigkeit, wie der erfolglose Einspruch gegen seine Versetzung zeigt, nicht aktiv angestrebt hat.
1.3
Es liegen keine Umstände vor, die die zu Lasten der Kläger wirkende - tatsächliche - Vermutung eines erheblichen Vorschubleistens widerlegen.
a)
Die - tatsächliche - Vermutung eines erheblichen Vorschubleistens ist nicht unwiderleglich. Es besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sie nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises zu entkräften oder zu erschüttern (vgl. allgemein zur Frage der Widerlegbarkeit von Vermutungen statt vieler: Urteil vom 29. Februar 1996 - BVerwG 7 C 59.94 - BVerwGE 100, 310 <314>). Die Anforderungen an den Entlastungsbeweis haben sich zum einen an dem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal, an dem die Vermutung ansetzt, und zum anderen an dem Gewicht der Indizien, auf denen die Vermutung gründet, zu orientieren. Von diesem rechtlichen Ausgangspunkt geht auch die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichtshofs aus.
So hat das Bundesverwaltungsgericht im Beschluss vom 12. Februar 1991 - BVerwG 9 B 244.90 - (Buchholz 412.6 § 2 HHG Nr. 3) dargelegt, dass ein Vorschubleisten nicht vorliegen muss, wenn der Betroffene seine Stellung dazu benutzt hat, die Ziele des Unrechtssystems zu unterlaufen oder Systemgegner zu schützen. In entsprechender Weise ist im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. April 1961 - IV ZR 303/60 - (RzW 1961, 377) ein Vorschubleisten trotz langjähriger Tätigkeit eines Beamten in einem Judendezernat der Gestapo (nur dann) verneint worden, wenn der Beamte fortgesetzt im Widerspruch zu seinen Dienstpflichten den Verfolgten geholfen und durch sein ganzes zu würdigendes dienstliches Verhalten vorsätzlich die nationalsozialistischen Bestrebungen, die Juden zu verfolgen, mehr gehindert als gefördert hat.
Nur in solchen außergewöhnlichen Fällen würde der Hauptzweck des Ausschlusstatbestandes des § 1 Abs. 4 AusglLeistG verfehlt oder zumindest ungenügend berücksichtigt, der darin besteht, zu verhindern, dass diejenigen, die einem Unrechtssystem wie dem nationalsozialistischen in erheblicher Weise Vorschub geleistet haben, das Ausgleichsleistungsgesetz zu ihren Gunsten in Anspruch nehmen (vgl. grundlegend bereits Urteil vom 9. September 1959 - BVerwG 8 C 281.59 - BVerwGE 9, 132 <141>, aus jüngerer Zeit Urteil vom 17. März 2005 - BVerwG 3 C 20.04 - BVerwGE 123, 142 <144>).
b)
Im Streitfall bedarf es keiner abschließenden Beurteilung, unter welchen Voraussetzungen Handlungen, wie sie dem Rechtsvorgänger der Kläger zugute zu halten sind, der Rechtsfolge des Ausschlusstatbestands des § 1 Abs. 4 AusglLeistG trotz einer feststehenden, nicht völlig untergeordneten hauptamtlichen Betätigung in der Gestapo (ausnahmsweise) entgegenstehen können. Denn die vom Verwaltungsgericht zugunsten des Rechtsvorgängers der Kläger getroffenen Feststellungen, die mit durchgreifenden Verfahrensrügen nicht in Zweifel gezogen wurden, reichen hierfür jedenfalls nicht aus. Danach haben zwar einige ehemals durch die Gestapo Verfolgte nach Kriegsende bekundet, dass sich dessen Verhalten gegenüber den von der Gestapo Bedrohten, Verfolgten oder Inhaftierten deutlich von dem Verhalten anderer Gestapo-Bediensteter unterschieden hätte und er in Einzelfällen auch konkrete Hilfe geleistet sowie drohende Rechtsverletzungen verhindert habe. Die dem Rechtsvorgänger der Kläger danach zugute zu haltenden Handlungen rechtfertigen aber nicht die Annahme, dass ihm bei einer Gesamtbetrachtung im Ergebnis ein erhebliches Vorschubleisten nicht entgegengehalten werden darf. Seine positiven Handlungen zeichnen kein vollständiges und umfassendes Bild seiner langjährigen Tätigkeit in der Gestapo; sie lassen es auch nicht zu, die mit der gesamten übrigen Tätigkeit für die Gestapo verbundene Unterstützung und Stabilisierung des nationalsozialistischen Systems in einem Maße zu relativieren, dass ihm (und damit den Klägern) bei einer Gesamtbetrachtung im Ergebnis ein erhebliches Vorschubleisten nicht mehr entgegenzuhalten ist. Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit, die vielfach durch Angehörige der Gestapo begangen worden sind, sind dem Rechtsvorgänger der Kläger im Übrigen von vornherein nicht vorgeworfen worden.
2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Beschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 18 500 EUR festgesetzt.
Ende der Entscheidung
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