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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 19.10.2000
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 44.99
Rechtsgebiete: BVFG
Vorschriften:
BVFG § 6 Abs. 1 und 2 |
1. § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG setzt auch dann, wenn nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Variante 3 BVFG ein Bekenntnis nicht erforderlich ist, voraus, dass die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt haben.
2. § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG verlangt bezogen auf das bestätigende Merkmal Sprache, dass sie von den Eltern, einem Elternteil oder anderen Verwandten grundsätzlich vom Säuglingsalter an bis zur Selbständigkeit vermittelt worden ist.
3. Sprache als bestätigendes Merkmal im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG muss nicht vorrangig vor anderen Sprachen vermittelt worden sein. Es ist ausreichend, wenn das Kind im Elternhaus die deutsche Sprache und die Landessprache erlernt und gesprochen hat, also mehrsprachig aufgewachsen ist.
4. Die Kenntnis oder Unkenntnis deutscher Sprache zur Zeit der Aus- bzw. Einreise ist zwar kein Tatbestandsmerkmal, ihr kommt aber als Indiz für oder gegen eine frühere Vermittlung deutscher Sprache Bedeutung zu.
Urteil des 5. Senats vom 19. Oktober 2000 - BVerwG 5 C 44.99 -
I. VG Würzburg vom 19.02.1998 - Az.: VG W 8 K 97.1391 - II. VGH München vom 12.10.1998 - Az.: VGH 24 B 98.972 -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 5 C 44.99 VGH 24 B 98.972
Verkündet am 19. Oktober 2000
Müller Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 19. Oktober 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel und Dr. Franke
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Oktober 1998 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe:
I.
Die 1940 in der Republik Komi (ehemals Sowjetunion) geborene Klägerin reiste mit Aufnahmebescheid vom 1. Januar 1995 am 24. Juli 1995 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit Bescheid vom 12. Dezember 1996 wurde der Antrag der Klägerin auf Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung abgelehnt, weil eine Vermittlung der bestätigenden Merkmale nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht stattgefunden habe. Bei der Antragsabgabe, zwei Monate nach der Einreise, sei festgestellt worden, dass die Klägerin weder ein einfaches Gespräch führen könne noch gut Deutsch verstehe. Die Verständigung sei nur über den anwesenden Bruder möglich gewesen.
Nach erfolglosem Widerspruch hat das Verwaltungsgericht den Beklagten mit Urteil vom 19. Februar 1998 verpflichtet, der Klägerin eine Spätaussiedlerbescheinigung auszustellen. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Klägerin - trotz etwaiger sprachlicher Defizite - im deutschen Volkstum erzogen worden sei. Denn von einem Bekenntnis zum deutschen Volkstum könne indiziell auf eine volksdeutsche Erziehung und Kulturvermittlung geschlossen werden, weil es nicht verständlich sei, dass sich ein Betroffener - bei Volkstumsverschiedenheit der Eltern - zur deutschen Nationalität des deutschen Elternteils erkläre, ohne von ihm entsprechend erzogen worden zu sein.
Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Von der Klägerin sei nicht nachgewiesen worden, dass eines der in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG aufgeführten Bestätigungsmerkmale zum Zeitpunkt ihrer Ausreise aus der früheren Sowjetunion vorgelegen habe. Nach ihrer Ausreise habe die Klägerin im August 1995 Deutsch nur etwas verstanden und nicht zur Verständigung ausreichend gesprochen. Diese nicht ausreichenden Deutschkenntnisse seien auch durch eine Niederschrift vom 7. Juni 1996 belegt. Deshalb sei einem Beweisangebot nicht nachzugehen gewesen, dass der Klägerin von ihrer Großmutter und ihrem Großvater die deutsche Sprache beigebracht worden sei. Dem Vortrag der Klägerin sei auch nicht zu entnehmen, inwiefern ihr eine deutsche Erziehung zuteil geworden und deutsche Kultur mit Nachhaltigkeit vermittelt worden sei. Ebenso ließen sich keine besonderen Umstände erkennen, dass hier unabhängig von der deutschen Sprache eine entsprechende Weitergabe von deutscher Erziehung und Kultur möglich gewesen sei.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision beantragt die Klägerin, den Berufungsbeschluss aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen. Sie sei deutsche Volkszugehörige. Ihr seien von ihrem Vater und ihrer Großmutter bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt worden. Das werde bestätigt durch ihre - wenn auch im Zeitpunkt der Einreise geringen - Sprachkenntnisse und den Umstand, dass sie trotz des mit körperlichen Misshandlungen durchgesetzten Verbots ihres Ehemannes mit ihren Kindern deutsche Bücher gelesen und deutsche Gebete gesprochen habe. Auch sei zu berücksichtigen, dass ihr Vater und ihre beiden Geschwister bereits als Spätaussiedler anerkannt seien, was belege, dass in der Familie der Klägerin tatsächlich vom Vater die deutsche Sprache an die Kinder weitergegeben und von den Kindern erlernt und gesprochen worden sei.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Der Klägerin sei das Bestätigungsmerkmal der deutschen Sprache nicht vermittelt worden. Bei der Einreise habe sie nur rudimentäre deutsche Sprachkenntnisse gehabt, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass die deutsche Sprache die Muttersprache oder die bevorzugte Umgangssprache der Klägerin gewesen sei. "Gewichtige" Deutschkenntnisse lägen nur vor, wenn das Deutsche so weit beherrscht und im Alltag so geschickt angewendet werde, dass man von einer echten Zwei- oder Mehrsprachigkeit ausgehen könne; daran fehle es bei der Klägerin. Ob über den Fall der Zwei- und Mehrsprachigkeit hinaus Ausnahmefälle denkbar seien, bei denen eine volksdeutsche Erziehung oder Kulturvermittlung ohne Sprachvermittlung vorstellbar sei, könne dahingestellt bleiben, da im konkret vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte für einen derartigen Ausnahmefall ersichtlich seien. Ein solcher Ausnahmefall ergebe sich insbesondere nicht aus dem Vortrag der Klägerin, dass der Gebrauch des Deutschen innerhalb der Familie vom Ehemann verboten gewesen sei.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht stützt in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium des Innern die Auffassung des Berufungsgerichts. Die Klägerin könne eine objektive Bestätigung ihres Bekenntnisses zum deutschen Volkstum in dem von § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG geforderten Sinn nicht nachweisen. Wenigstens eines der in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG genannten Bestätigungsmerkmale müsse zum Zeitpunkt des Verlassens des Aussiedlungsgebietes (noch) feststellbar sein. Das Bestätigungsmerkmal "Sprache" könne bei der Klägerin nicht in einer den Anforderungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG genügenden Ausprägung festgestellt werden. Von einer Vermittlung deutscher Kultur oder deutscher Erziehung könne bei denjenigen Personen nicht ausgegangen werden, die eine andere als die deutsche Sprache als Mutter- oder bevorzugte Umgangssprache pflegten. Da bei diesen Personen das Tatbestandsmerkmal "familiär vermittelte Deutschkenntnisse" nicht erfüllt sei, werde auf diese Weise der Anwendungsbereich der beiden anderen objektiven Bestätigungsmerkmale "deutsche Kultur" oder "deutsche Erziehung" zwar eingeschränkt, aber nicht ausgeschlossen. Für diese beiden Bestätigungsmerkmale verbleibe der Bereich, in dem die "Regelvermutung" nicht anzuwenden sei, bedürfe dann aber substantiierter Begründung. Die Bejahung der Tatbestandsmerkmale "Kultur" oder "Erziehung" setze zumindest nennenswerte familiär vermittelte Passivkenntnisse der deutschen Sprache sowie, hieraus in der Praxis ohne weiteres folgend, ein zumindest "primitives" Ausdrucksvermögen in Deutsch voraus. Die Klägerin könne sich auch nicht auf die Fiktion des § 6 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BVFG berufen, denn auch nach ihrem Vortrag sei die Vermittlung deutscher Sprache und Kultur ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen.
II.
Die Revision der Klägerin ist begründet. Die angefochtene Berufungsentscheidung verletzt Bundesrecht. Das führt zu ihrer Aufhebung und mangels Entscheidungsreife zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Das Berufungsgericht geht zu Unrecht davon aus, dass nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 829) eines der dort aufgeführten bestätigenden Merkmale zum Zeitpunkt der Ausreise aus dem Aussiedlungsgebiet vorgelegen haben müsse.
§ 6 BVFG regelt, wer deutscher Volkszugehöriger ist, Absatz 1 für die bis zum 31. Dezember 1923 Geborenen und Absatz 2 für die nach dem 31. Dezember 1923 Geborenen. Zwar ist es gerechtfertigt, zur Auslegung des § 6 Abs. 1 BVFG auf die Auslegung des wortgleichen § 6 BVFG a.F. (vor der Änderung durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1992 <BGBl I S. 2094> bis zum 31. Dezember 1992 geltende Fassung) in Bezug auf die bekenntnisfähigen Personen zurückzugreifen. Dagegen ist es nicht zulässig, § 6 Abs. 2 BVFG, insbesondere dessen Satz 1 Nr. 2, unter weitgehendem Rückgriff auf die Auslegung des § 6 BVFG a.F. auszulegen und die rechtliche Bedeutung bestätigender Merkmale in § 6 BVFG a.F. einerseits und in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG andererseits gleichzusetzen. An der auf solchen Ansätzen beruhenden bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. BVerwGE 102, 214; 105, 60) wird nicht festgehalten.
Gegen die Übertragung der Auslegungskriterien und -begriffe zu den bestätigenden Merkmalen im Sinne von § 6 BVFG a.F. auf § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG spricht zunächst der Umstand, dass der Gesetzgeber die zu § 6 BVFG a.F. in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Kriterien für die Beurteilung der deutschen Volkszugehörigkeit nicht in § 6 Abs. 2 BVFG n.F. übernommen hat. Das alte, bis zum 31. Dezember 1992 geltende Recht unterschied zwischen drei Personengruppen: Bei den bei Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen bereits bekenntnisfähigen Personen musste zu dem Bekenntnis zum deutschen Volkstum ein das Volkstumsbekenntnis bestätigendes Merkmal wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur hinzutreten (BVerwGE 98, 367 <368 f.>). Bei den bei Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen wegen ihres Alters noch bekenntnisunfähigen Frühgeborenen kam es für die deutsche Volkszugehörigkeit auf die kurz vor Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen in der Familie prägende Bekenntnislage an, die ihnen zugerechnet wurde (BVerwGE 92, 70 <73>), während bei den nach dem Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen geborenen Spätgeborenen erforderlich war, dass in der Person des Spätgeborenen ein die Identifikation mit der volksdeutschen Bekenntnislage der Eltern bestätigendes Merkmal vorlag (BVerwGE 98, 367 <369 f.>). Diese Unterscheidung hat der Gesetzgeber nicht übernommen (BVerwGE 99, 133 <137>). Als bekenntnisfähig im Sinne des § 6 Abs. 1 BVFG gelten nunmehr "zur administrativen Erleichterung" (vgl. BTDrucks 12/3212 S. 23) nur noch die bis zum 31. Dezember 1923 Geborenen, während alle danach Geborenen zu einer einheitlichen Gruppe zusammengefasst werden, deren Volkszugehörigkeit sich einheitlich nach § 6 Abs. 2 BVFG bestimmt. Das verbietet es, je unterschiedliche Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal der bestätigenden Merkmale aus § 6 BVFG a.F. auf das Tatbestandsmerkmal der bestätigenden Merkmale in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 BVFG zu übertragen.
Gegen die Übertragung des Verständnisses der bestätigenden Merkmale im Sinne des alten Rechts auf § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG spricht weiter, dass der Gesetzgeber nicht der Stellungnahme des Bundesrates gefolgt ist, der § 6 BVFG ausgehend von dessen alter Fassung und dessen Struktur, dass das Volkstumsbekenntnis bestätigende Merkmale vorliegen müssen, wie folgt fassen wollte (BTDrucks 12/3341 S. 1):
"§ 6
Volkszugehörigkeit
Deutscher Volkszugehöriger im Sinne dieses Gesetzes ist, wer sich in der Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat und bekennt, sofern diese Bekenntnisse neben der Abstammung durch die Merkmale wie Sprache, Erziehung und Kultur nachgewiesen werden."
Vielmehr hat der Gesetzgeber die Anforderungen an die deutsche Volkszugehörigkeit der nach dem 31. Dezember 1923 Geborenen "in einem neuen Absatz 2 zu § 6 festgelegt" (BTDrucks 12/3341 S. 13).
§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 BVFG macht anders als § 6 Abs. 1 BVFG die Eigenschaft, deutscher Volkszugehöriger zu sein, kumulativ (Nummer 2 a.E.: "und") von drei Voraussetzungskomplexen abhängig, wobei es allerdings genügen kann, wenn innerhalb eines Voraussetzungskomplexes nur eine von zwei oder mehreren möglichen Voraussetzungen erfüllt ist (BVerwGE 99, 133).
In § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG wird vorausgesetzt,
- dass die Person von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt (Nummer 1),
- dass der Person die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt haben (Nummer 2) und
- dass die Person sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete zur deutschen Nationalität erklärt, sich bis dahin auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt hat oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehörte (Nummer 3). Da die Erklärung zur deutschen Nationalität ein Unterfall des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum ist (s. Nummer 3: "auf andere Weise"), setzt Nummer 3 alternativ entweder ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum oder - ohne dass es auf ein Bekenntnis ankäme - voraus, dass die Person nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehörte.
Bei der Auslegung des § 6 BVFG a.F., des jetzigen § 6 Abs. 1 BVFG, einerseits und des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG andererseits ist zu beachten, dass diese bestätigenden Merkmale in beiden Bestimmungen in einem jeweils anderen textlichen Zusammenhang stehen. So stellen § 6 BVFG a.F. für die bei Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen bekenntnisfähigen Personen und § 6 Abs. 1 BVFG für die bis zum 31. Dezember 1923 geborenen Personen in Bezug auf das bestätigende Merkmal der deutschen Sprache nicht darauf ab, wann und von wem sie erlernt wurde; entscheidend war, dass sie im maßgeblichen Bekenntniszeitraum, also kurz vor Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen, die vorrangig benutzte Sprache war. Demgegenüber verlangt § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in Bezug auf das bestätigende Merkmal der deutschen Sprache, dass sie durch die Eltern, einen Elternteil oder andere Verwandte vermittelt worden ist, wobei die Sprachvermittlung bzw. deren Ende nur in seltenen Ausnahmefällen zeitlich mit dem Verlassen des Aussiedlungsgebietes zusammenfallen werden.
In § 6 BVFG a.F. und § 6 Abs. 1 BVFG beziehen sich die bestätigenden Merkmale unmittelbar und ausschließlich auf ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum. Denn es wird verlangt, dass die Person sich in ihrer Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, und weiter, dass dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale bestätigt wird. Hiermit ist nicht die Bestätigung des Bekenntnisvorgangs, sondern des Bekenntnisinhalts gemeint, also der Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum, zur deutschen Nationalität. Ein bloßes Lippenbekenntnis genügt nicht, vielmehr muss das Bekenntnis in der Lebenswirklichkeit eine Entsprechung finden (BVerwGE 102, 214 <217>). Das setzt (auch) objektive Zugehörigkeitsmerkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur voraus. Wegen des direkten Bezugs und der vorausgesetzten Zeitgleichheit müssen die bestätigenden Merkmale in § 6 BVFG a.F. bzw. § 6 Abs. 1 BVFG zur Zeit des Bekenntnisses vorliegen (§ 6 Abs. 1 BVFG: "... sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird").
In § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG stehen die bestätigenden Merkmale dagegen nicht in einem unmittelbaren und ausschließlichen Bezug zu einem Bekenntnis zum deutschen Volkstum. Denn der Tatbestand des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG ist auch dann erfüllt, wenn kein Bekenntnis zum deutschen Volkstum vorliegt, die Person aber nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört. Auch in diesem Fall verlangt Nummer 2, dass bestätigende Merkmale vermittelt worden sind. Die bestätigenden Merkmale in § 6 Abs. 2 BVFG beziehen sich also nicht auf ein Bekenntnis, sondern unmittelbar auf die Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum, zur deutschen Nationalität (vgl. auch BTDrucks 12/3212 S. 22: "Bestätigungsmerkmale ..., die sie dem deutschen Volkstum zuweisen").
Anders als § 6 BVFG a.F. und § 6 Abs. 1 BVFG, die bestätigende Merkmale als aktuelle Bestätigung der durch Bekenntnis erklärten Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum voraussetzen, verlangt § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG weder für die Erklärung zur deutschen Nationalität noch für das Bekenntnis zum deutschen Volkstum noch für die rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität durch den Herkunftsstaat in Nummer 3 eine Bestätigung durch bestätigende Merkmale. Bestätigende Merkmale sind vielmehr in der der Nummer 3 vorhergehenden Nummer 2 dahin geregelt, dass Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte sie "vermittelt haben" müssen. Tatbestandsvoraussetzung nach Nummer 2 ist also nicht eine aktuelle Bestätigung der Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum, sondern die Vermittlung bestätigender Merkmale als ein in der Vergangenheit liegender Vorgang. Dementsprechend knüpft auch die Fiktion nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BVFG daran an, dass die Vermittlung bestätigender Merkmale nicht möglich oder nicht zumutbar war.
Die Zeit(dauer), in der die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte Sprache, Erziehung, Kultur "vermittelt haben" (grundsätzlich die Zeit von der Geburt bis zur Selbständigkeit), und die Zeit, in der diese Vermittlung abgeschlossen ist, in der sie also Sprache, Erziehung, Kultur "vermittelt haben" (grundsätzlich mit Eintritt der Selbständigkeit), decken sich nicht oder nur zufällig mit der für das Bekenntnis nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG maßgeblichen Zeit "bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete". Da sie einen in der Vergangenheit, und zwar häufig lange Zeit vor dem Verlassen der Aussiedlungsgebiete liegenden Vorgang bezeichnen, können die bestätigenden Merkmale im Sinne der Nummer 2 nicht die Funktion haben, eine bekannte oder herkunftsstaatlich zugeordnete Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum durch eine aktuelle Entsprechung in der objektiven Lebenswirklichkeit zu belegen.
Indem das Gesetz die bestätigenden Merkmale in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in den Kontext der Vermittlung durch die Eltern, einen Elternteil oder andere Verwandte stellt, weist er ihnen anders als in § 6 Abs. 1 BVFG nicht die Funktion zu, eine aktuelle Grundlage für eine deutsche Bewusstseinslage zu bestätigen, sondern lässt es ausreichen, dass den Kindern bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt worden sind, dass bei ihnen also mit Abschluss des Vermittlungsvorgangs die Grundlage für eine (mögliche) deutsche Bewusstseinslage geschaffen war. Bekennen sich die Kinder dann zum deutschen Volkstum oder rechnet sie der Herkunftsstaat der deutschen Nationalität zu (Nummer 3), finden dieses Bekenntnis bzw. diese Zuordnung insofern in der Lebenswirklichkeit eine Entsprechung, als diese nicht inhaltsleer sind.
Die Dauer der Vermittlung bestätigender Merkmale ist in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht besonders bestimmt und richtet sich deshalb nach der Dauer des familiären Erziehungseinflusses, der in der Regel mit der Dauer des Sorgerechts gleichgesetzt werden kann. Grundsätzlich beginnt sie im Säuglingsalter und endet mit der Selbständigkeit. Der Eintritt der Selbständigkeit kann in diesem Zusammenhang nicht generell auf ein bestimmtes Alter festgelegt werden, sondern ist im Einzelfall zu beurteilen; er wird regelmäßig schon angenommen werden können, wenn der Jugendliche sein Elternhaus bzw. den Haushalt des ihn erziehenden Verwandten verlässt, und ist spätestens mit der Volljährigkeit gegeben.
Unter den bestätigenden Merkmalen kommt der Sprache besondere Bedeutung zu; denn die Vermittlung von Erziehung und Kultur wird regelmäßig über die Sprache erfolgen (s. BTDrucks 12/3212 S. 23). Während sich in der Anfangszeit die Sprachvermittlung insbesondere in Form der Nachahmung der von den Eltern, einem Elternteil oder anderen Verwandten gesprochenen Sprache vollzieht, wird sie im Laufe der Jahre in eine Verfestigung der gelernten Sprache und eine Vertiefung und Erweiterung der Sprachkenntnisse durch fortgesetzten Sprachgebrauch übergehen. Dabei richten sich Ausmaß und Intensität der geforderten Sprachvermittlung nach dem Sprachvermögen der Eltern, des Elternteils oder anderer Verwandter. Die deutsche Sprache muss nicht als Hochsprache vermittelt worden sein, es reicht aus, wenn sie so vermittelt worden ist, wie sie im Elternhaus - z.B. in Form des Dialekts - gesprochen wurde (BVerwGE 102, 214 <220>).
Sprache im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG ist insbesondere die Muttersprache (BTDrucks 12/3212 S. 22). Unter Muttersprache wird allgemein die als Kind von den Eltern (oder sie ersetzenden Bezugspersonen) erlernte Sprache verstanden (vgl. Brockhaus, Enzyklopädie, 20. Auflage 1996; Brockhaus/ Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1982; Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 2. Auflage 1989). Soweit in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. Urteil vom 3. November 1998 - BVerwG 9 C 4.97 - Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 90) zum Begriff der Muttersprache weitergehend davon ausgegangen worden ist, sie müsse "so vertieft worden (sein), dass sie auch im Erwachsenenalter entsprechend der Herkunft und dem Bildungsstand als die dem Betreffenden eigentümliche Sprache umfassend beherrscht wird", kann daran für § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht festgehalten werden.
Der vom Bundesverwaltungsgericht zu § 6 BVFG a.F. entwickelte Begriff der bevorzugten Umgangssprache behält für § 6 Abs. 1 BVFG Bedeutung. Denn mit Sprache im Sinne dieser Bestimmungen soll das Bekenntnis zum deutschen Volkstum aktuell objektiv bestätigt werden. Das rechtfertigt es, auf die vorrangig benutzte Sprache abzustellen. Dagegen wird der Begriff der bevorzugten Umgangssprache dem geänderten Kontext des Begriffs der Sprache im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht gerecht. Denn dafür kommt es nicht auf eine bevorzugt "benutzte" Umgangssprache an, sondern allein auf die von den Eltern, einem Elternteil oder anderen Verwandten vermittelte Sprache.
Die Sprache im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG muss "zumindest Gewicht" haben (BTDrucks 12/3212 S. 23). Der wesentliche Gesichtspunkt für Ausmaß und Intensität der Sprachvermittlung ergibt sich aus der geänderten Funktion der bestätigenden Merkmale in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG. Da der Gesetzgeber in den vermittelten bestätigenden Merkmalen Sprache, Erziehung, Kultur die objektive Grundlage für eine deutsche Bewusstseinslage, für die Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum sieht, setzt eine Sprachvermittlung voraus, dass die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte ihre vorhandenen deutschen Sprachkenntnisse möglichst umfassend an das Kind weitergeben. Denn je intensiver deutsche Sprache vermittelt worden ist, umso tragfähiger ist die Grundlage für eine deutsche Bewusstseinslage. Das bedeutet aber nicht, dass dem Kind als Sprache nur oder jedenfalls überwiegend Deutsch vermittelt worden sein muss. Ein derart enges Verständnis kann weder dem Gesetz noch den Gesetzesmaterialien entnommen werden. Es würde auch an der Realität in den Aussiedlungsgebieten vorbeigehen. Denn wer nicht in reinen oder überwiegend deutschsprachigen Siedlungsgebieten aufgewachsen ist, musste realistischerweise, sollte er nicht "sprachlos" in Kinderkrippe, Kindergarten oder Schule kommen, bereits von Kindesbeinen an auch die Landessprache erlernen. Es reicht demnach aus, wenn das Kind im Elternhaus die deutsche Sprache und die Landessprache erlernt und gesprochen hat, also mehrsprachig aufgewachsen ist. Wurden dem Kind im Elternhaus Deutsch und die Landessprache vermittelt, hat sein späteres Bekenntnis zum deutschen Volkstum eine objektive, durch die Vermittlung der deutschen Sprache bis zur Selbständigkeit bestätigte Grundlage. Deutsch muss nicht vorrangig vor der Landessprache vermittelt worden sein. Denn von der Existenz anderer Landessprachen in den Herkunftsgebieten ausgehend verlangt der Gesetzgeber in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG weder bei volkstumsmäßig verschiedenen noch bei volkstumsmäßig gleichen Eltern eine alleinige oder jedenfalls überwiegende deutsche Sprachvermittlung. Vielmehr genügt es, wenn die Eltern ihren Kindern die deutsche Sprache so beibringen und diese mit ihnen so sprechen, wie sie selbst diese beherrschen.
War die Vermittlung deutscher Sprache wegen der Verhältnisse im Herkunftsgebiet nicht möglich oder nicht zumutbar, gelten die Voraussetzungen nach Nummer 2 als erfüllt (§ 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG). Hat die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit nicht die ganze Zeit bis zur Selbständigkeit, aber doch für längere Zeit angedauert, so ist bei Ausmaß und Intensität der Sprachvermittlung zu Gunsten des Kindes zu berücksichtigen, dass sich die Sprachvermittlung nicht über die ganze Länge der Prägephase erstrecken konnte.
Auch wenn im Herkunftsgebiet die Vermittlung deutscher Sprache weder unmöglich noch unzumutbar war, ist doch zu berücksichtigen, dass eine Sprachvermittlung dort insbesondere in der unmittelbaren Nachkriegszeit, aber auch danach oft nur im Familienkreis und nur mit begrenzten Mitteln möglich war. So standen als Folge der Verschleppung und Vertreibung häufig keine Hilfsmittel wie Bücher zur Verfügung, so dass weitgehend keine visuelle, sondern nur eine auditive Sprachvermittlung möglich gewesen sein wird. Das erschwert die Sprachvermittlung. Auch Restriktionen in der Religionsausübung können sich erschwerend auf die deutsche Sprachvermittlung ausgewirkt haben.
Setzt demnach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht voraus, dass bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur beim Verlassen des Aussiedlungsgebietes vorliegen, ist vielmehr entscheidend, ob deutsche Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt worden sind, so ist die Kenntnis deutscher Sprache zur Zeit der Aus- bzw. Einreise zwar kein Tatbestandsmerkmal, ihr kommt aber im Rahmen des Beweises als Indiz für eine frühere Vermittlung deutscher Sprache Bedeutung zu. Bei einem Rückschluss vom bei Aus- bzw. Einreise aktuellen Sprachvermögen bzw. -unvermögen auf zurückliegende Sprachvermittlung sind beispielsweise zu berücksichtigen die Dauer des Aufenthalts im Elternhaus, die Umstände der Sprachvermittlung im Elternhaus, die Sprachbegabung und der Bildungsstand des Betreffenden, die Dauer seit der Trennung vom Elternhaus, die Möglichkeit, Deutsch weiter zu sprechen.
Der Berufungsbeschluss stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Zwar hat das Berufungsgericht ausgeführt, der im Verwaltungsverfahren und im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht festgestellte Sachverhalt ergebe nicht, dass der Klägerin das Bestätigungsmerkmal der deutschen Sprache von ihren Eltern vermittelt worden sei. Aber das Berufungsgericht hat diese Aussage zur Sprachvermittlung in seinem Beschluss nicht auf den mit der Selbständigkeit erreichten Zeitpunkt des Abschlusses der Sprachvermittlung bezogen, sondern auf den davon unabhängigen Zeitpunkt der Ausreise. Für das Berufungsgericht war "nachvollziehbar, dass sie (die Klägerin) zum Zeitpunkt ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1995 über keine ausreichenden deutschen Sprachkenntnisse verfügte". Ein Beweisangebot der Klägerin zu ihrem Sprachverhalten in ihrer Jugend lehnte das Berufungsgericht mit der Begründung ab, es sei nach BVerwGE 105, 60 "für das Vorliegen des Bestätigungsmerkmals Sprache nicht ausreichend, dass diese lediglich in den Jahren der Kindheit in einfacher Form erlernt und später nicht weiter praktiziert wurde".
Die Revision ist wegen der Rechtsverletzung begründet (§ 144 Abs. 3 VwGO). Eine Entscheidung in der Sache selbst ist nicht möglich (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).
Der Klage kann nicht aus den Gründen des Verwaltungsgerichtsurteils stattgegeben werden. Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, "dass von einem Bekenntnis zum deutschen Volkstum i.S.d. Nr. 3 der genannten Norm (§ 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG) indiziell auf eine volksdeutsche Erziehung und Kulturvermittlung i.S.d. Nr. 2 der Norm geschlossen werden kann und muss", kann nicht gefolgt werden. Denn wenn die Schlussfolgerung vom Bekenntnis nach Nummer 3 auf volksdeutsche Erziehung und Kulturvermittlung zwingend wäre, käme den Voraussetzungen nach Nummer 2 in all den Fällen eines Bekenntnisses nach Nummer 3 keine eigenständige Bedeutung zu. Auch trifft die Einschätzung des Verwaltungsgerichts nicht zu, es bleibe unerfindlich, "wie diese bestätigenden Merkmale (Erziehung, Kultur) anders als indiziell festgemacht werden sollen". Denn die Vermittlung deutscher Erziehung, Kultur kann z.B. durch Zeugen aus der Zeit der Vermittlung nachgewiesen werden. Allerdings kommt auch dem Beweis durch Indizien Bedeutung zu, insbesondere dem Indiz der auch noch im Zeitpunkt der Aus- bzw. Einreise nachweisbaren deutschen Erziehung bzw. deutschen Kultur.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.
Ende der Entscheidung
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