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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 13.05.2004
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 51.02
Rechtsgebiete: BSHG
Vorschriften:
BSHG § 111 Abs. 2 (F. 1993, 1996) |
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 5 C 51.02
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 13. Mai 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke und Prof. Dr. Berlit
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 9. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt Kostenerstattung gemäß § 107 Abs. 1 BSHG für Sozialhilfeleistungen, welche er in der Zeit vom 1. April 1996 bis zum 28. November 1996 erbracht hat; der Beklagte lehnt die Erstattung unter Hinweis auf die mit Wirkung zum 1. August 1996 erfolgte Neufassung des § 111 Abs. 2 BSHG durch das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 (BGBl. I S. 1088 <1093>) mit der Begründung ab, weder im Zeitraum vor dem 1. August 1996 noch im Zeitraum danach sei die jeweils geltende Bagatellgrenze erreicht.
Die aus Kasachstan kommende Spätaussiedlerfamilie L. wurde 1993 dem im Zuständigkeitsbereich des Beklagten liegenden Amt L. S. zugewiesen. Nachdem die volljährigen Kinder der Familie von dort in den Zuständigkeitsbereich des Klägers umgezogen waren, zogen auch die Eheleute L. mit ihrer am 31. Juli 1978 geborenen Tochter am 29. November 1994 nach O. in den örtlichen Zuständigkeitsbereich des Klägers um; dort erhielten sie gemeinsam mit der Tochter seit dem 5. Dezember 1994 Hilfe zum Lebensunterhalt.
Der Beklagte erkannte seine Kostenerstattungspflicht für die Sozialhilfeleistungen im Zeitraum vom 1. April 1996 bis zum 28. November 1996 gemäß § 107 BSHG i.V.m. § 111 SGB X dem Grunde nach an. Mit Schreiben vom 1. Oktober 1998 machte der Kläger Kostenerstattung in Höhe von 12 525,25 DM unter näherer Aufschlüsselung des Sozialhilfeaufwandes für die einzelnen Mitglieder der Familie geltend. Danach waren in der Zeit bis einschließlich Juli 1996 für Herrn L. insgesamt 3 541,58 DM, für Frau L. 1 554,68 und für die Tochter M. L. 2 775,47 DM aufgewendet worden. Im Zeitraum von August bis November 1996 wandte der Kläger für Herrn L. Sozialhilfe-leistungen in Höhe von 3 236,84 DM, für Frau L. in Höhe von 1 416,68 DM auf; für die Tochter M. L. wurden für diesen Zeitraum Sozialhilfeaufwendungen nicht geltend gemacht, weil diese am 31. Juli 1996 ihr 18. Lebensjahr vollendet hatte und danach nicht mehr Mitglied im Haushalt ihrer Eltern war (§ 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG).
Der Beklagte lehnte die Kostenerstattung ab und berief sich dabei auf die zum 1. August 1996 in Kraft getretene Neufassung des § 111 Abs. 2 BSHG. Die Sozialhilfeaufwendungen des Klägers im Zeitraum von April bis Juli 1996 hätten die Bagatellgrenze in Höhe von 5 000 DM pro Einzelperson, die Aufwendungen für die Eheleute L. im Zeitraum August bis November 1996 die Bagatellgrenze in Höhe von 5 000 DM pro Haushaltsgemeinschaft nicht erreicht, so dass insgesamt eine Kostenerstattung nicht zu erfolgen habe.
Die in Höhe von 12 525,25 DM erhobene Klage auf Kostenerstattung hatte vor dem Verwaltungsgericht in Höhe des Betrages von 9 749,78 DM Erfolg; hinsichtlich der Aufwendungen für die Tochter M. L. wurde die Klage abgewiesen.
Die hiergegen eingelegte Berufung des Beklagten blieb erfolglos. Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger habe einen Anspruch gemäß §§ 107, 111 BSHG auf Erstattung der in dem Zeitraum von April bis November 1996 geleisteten Hilfe zum Lebensunterhalt, weil die Bagatellgrenze des § 111 Abs. 2 Satz 2 BSHG in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 (BGBl. I S. 1088 <1093>) (n.F.) erreicht sei. Zwar sei weder zum 31. Juli 1996 die Grenze des § 111 Abs. 2 BSHG in der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG) vom 23. Juni 1993 (BGBl. I S. 944 <954>) - a.F. - erreicht, wonach (auch) bei einer Hilfewährung an verschiedene Personen, die einen Haushalt im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG bildeten, für jede der Gemeinschaft angehörenden Person gesondert der Kostenbetrag von 5 000 DM erreicht gewesen sein müsse, noch in dem Hilfezeitraum danach die ab dem 1. August 1996 geltende Grenze des § 111 Abs. 2 Satz 2 BSHG n.F., wonach abweichend von Satz 1 bei einer Hilfegewährung an die Mitglieder eines Haushalts i.S.d. § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG die Begrenzung auf 5 000 DM für die Mitglieder des Haushalts zusammen gelte, doch sei letztere überschritten, wenn man der Betrachtung die gesamten den Eheleuten in der Zeit von April bis November 1996 zugewandten Leistungen zugrunde lege und diese gesamte Leistung dem seit dem 1. August 1996 neu gefassten Recht unterwerfe. Dies sei auch geboten. Der mit Wirkung zum 1. August 1996 eingefügte § 111 Abs. 2 Satz 2 BSHG finde keine Anwendung auf Leistungszeiträume, die zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Neuregelung bereits abgeschlossen gewesen seien. Abgeschlossen in diesem Sinne seien Erstattungsverhältnisse, in denen die Leistungserbringung an den Hilfeempfänger vor dem 1. August 1996 beendet bzw. der Zwei-Jahreszeitraum des § 107 Abs. 2 Satz 2 BSHG bereits abgelaufen gewesen sei oder im Sinne des § 107 Abs. 2 Satz 1 BSHG vor Ablauf dieser Frist für einen zusammenhängenden Zeitraum von zwei Monaten keine Hilfe zu gewähren gewesen sei. Um einen solchen abgeschlossenen Leistungszeitraum handele es sich hier nicht. Der Sozialhilfefall der Eheleute L. sei bei In-Kraft-Treten der neuen Vorschrift am 1. August 1996 nicht abgeschlossen gewesen, da auch zeitlich darüber hinaus Leistungen gewährt worden seien. Für derartige "überlappende" Fälle ergebe eine Auslegung des Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze zum intertemporalen Verwaltungsrecht die Anwendbarkeit des neuen Rechts für die gesamte Kostenerstattung. Eine ausdrückliche Regelung des zeitlichen Geltungsbereiches der neuen Vorschrift habe das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts nicht getroffen. Nach den Grundsätzen zum intertemporalen Verwaltungsrecht sei grundsätzlich anzunehmen, dass ein Gesetz in die Vergangenheit gerichtet derartige noch nicht abgeschlossene Tatbestände erfassen wolle, und vorliegend könne auch nach Sinn und Zweck des Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 nicht angenommen werden, dass ausnahmsweise etwas anderes Geltung haben solle.
Mit der Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 111 BSHG. Da ein Kostenerstattungsanspruch jeweils mit der Leistungserbringung entstanden sei, sei für die Frage, ob altes oder neues Recht zu beachten sei, auf den Zeitpunkt der Leistungserbringung abzustellen. Gegen dieses Rückwirkungsverbot hätten die Vorinstanzen verstoßen, weil sie dem abgeschlossenen Sachverhalt bis zum 31. Juli 1996 dadurch eine andere Wertung gegeben hätten, dass sie die Beträge des Ehepaars nach der neuen Gesetzeslage zusammengerechnet hätten.
Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil.
II.
Die Revision, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist unbegründet, so dass sie zurückzuweisen ist (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Berufungsurteil hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) entschieden, dass dem Kläger nach § 107 Abs. 1 BSHG hinsichtlich der für die Eheleute L. von April bis November 1996 innerhalb der Frist des § 107 Abs. 2 Satz 2 BSHG insgesamt aufgewendeten Leistungen in Höhe von 9 749,78 DM gemäß § 111 Abs. 2 BSHG n.F. ein Erstattungsanspruch zusteht.
Der mit Wirkung zum 1. August 1996 eingefügte § 111 Abs. 2 Satz 2 BSHG findet auch auf Leistungszeiträume Anwendung, die bereits vor In-Kraft-Treten der Neuregelung zum 1. August 1996 zu laufen begonnen haben und erst hiernach endeten. Insoweit handelt es sich entgegen der Ansicht des Beklagten nicht um abgeschlossene Sachverhalte.
Gemäß der Regelung des § 111 Abs. 2 BSHG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG) vom 23. Juni 1993 (BGBl. I S. 944 <954>) (a.F.), waren "Kosten unter 5 000 DM, bezogen auf einen Zeitraum der Leistungsgewährung von bis zu zwölf Monaten, ... außer in den Fällen einer vorläufigen Leistungsgewährung nach § 97 Abs. 2 Satz 3 nicht zu erstatten." Durch das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 (BGBl. I S. 1088 <1093>) ist jene Regelung mit Wirkung zum 1. August 1996 durch Anfügung eines Satzes 2 ergänzt worden, der lautet: "Die Begrenzung auf 5 000 DM gilt, wenn die Kosten für die Mitglieder eines Haushalts im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 2 zu erstatten sind, abweichend von Satz 1 für die Mitglieder des Haushaltes zusammen."
In seinem Urteil vom heutigen Tage im Verfahren BVerwG 5 C 47.02 hat der Senat entschieden, dass der mit Wirkung zum 1. August 1996 eingefügte § 111 Abs. 2 Satz 2 BSHG keine Anwendung findet auf Erstattungsverhältnisse, die im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Neuregelung bereits abgeschlossen waren. Zu der Frage, wann ein Kostenerstattungsverhältnis als abgeschlossen anzusehen ist, hat der Senat ausgeführt (S. 6 - 7 des Urteils):
"Abgeschlossen bzw. 'in sich vollendet' ist das an das Leistungsverhältnis anknüpfende Erstattungsverhältnis in den Fällen der Kostenerstattung bei Umzug nach § 107 BSHG, wenn in Bezug auf das Erstattungsverhältnis erhebliche Veränderungen des Sachverhaltes nicht mehr möglich sind und auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt geltenden Rechtslage rechtlich feststeht, dass die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruches nicht gegeben sind. Dies ist mit Blick auf die Feststellung der Bagatellgrenze mit Ablauf des Monats der letzten Leistung an den Hilfeempfänger nicht weniger der Fall als in den Fällen des Endes der Erstattungspflicht infolge Ablaufs des Zwei-Jahreszeitraums des § 107 Abs. 2 Satz 2 BSHG oder gemäß § 107 Abs. 2 Satz 1 BSHG, wenn für einen zusammenhängenden Zeitraum von zwei Monaten keine Hilfe zu gewähren war ...
Da das Gesetz keinen förmlichen Beendigungsakt fordert, ist das Kostenerstattungsverhältnis in den Fällen, in denen infolge Beendigung der Leistungserbringung an den Hilfeempfänger, wegen Ablaufs der Zwei-Jahresfrist des § 107 Abs. 2 Satz 2 BSHG, oder weil vor Ablauf dieser Frist für einen zusammenhängenden Zeitraum von zwei Monaten keine Hilfe zu gewähren war (§ 107 Abs. 2 Satz 1 BSHG), feststeht, dass ein Kostenerstattungsanspruch wegen Nichterfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen nicht entstanden ist, als für die Anwendung des § 111 BSHG abgeschlossen anzusehen ..."
In diesem Sinne war der Erstattungsfall des Klägers zum 1. August 1996 nicht abgeschlossen, da das dem Erstattungsverhältnis zugrunde liegende Leistungsverhältnis über den 1. August 1996 hinaus bis November 1996 währte.
Anhaltspunkte dafür, dass für in diesem Sinne nicht abgeschlossene Erstattungsverhältnisse eine rechtlich getrennte Berechnung der Bagatellgrenze für die Zeiträume vor und nach In-Kraft-Treten der Neuregelung vorzunehmen sei, sind dem Gesetz nicht zu entnehmen.
Die Anwendbarkeit der Neuregelung auf nicht abgeschlossene Erstattungsverhältnisse ergibt sich aus dem Fehlen einer Übergangsregelung. Dazu hat der Senat in seinem heute ergangenen Urteil im Verfahren BVerwG 5 C 47.02 ausgeführt (S. 5 f. des Urteils):
"Der Gesetzgeber hat als Datum des In-Kraft-Tretens des Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts in dessen Art. 17 bis auf die in Satz 1 dieser Bestimmung genannten Ausnahmen allgemein - und damit auch für die neue Kostenerstattungsregelung in § 111 Abs. 2 Satz 2 BSHG - den 1. August 1996 festgesetzt. Eine Übergangsregelung, wie das Bundessozialhilfegesetz sie - bezogen auf sein eigenes erstes In-Kraft-Treten - in seinem § 144 für die Kostenerstattung zwischen den Trägern der Sozialhilfe vorsieht, enthält das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts nicht. Ein unmittelbarer Rückgriff auf § 144 BSHG, wonach die bei In-Kraft-Treten des Bundessozialhilfegesetzes geltenden Regelungen weiter anzuwenden sind
'1. bei allen Leistungen, die für eine vor dem In-Kraft-Treten dieses Gesetzes liegende Zeit gewährt worden sind,
2. in den Fällen, in denen vor In-Kraft-Treten dieses Gesetzes die Pflicht zur Kostenerstattung durch Anerkennung oder rechtskräftige Entscheidung festgestellt worden ist', ist wegen des eindeutigen Bezuges dieser Regelung auf das In-Kraft-Treten des Bundessozialhilfegesetzes nicht möglich; auch eine Geltungsanordnung, wie Art. 2 § 2 des 2. Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes vom 14.08.1969 (BGBl. I S. 1153 <1161>) sie für die Kostenerstattung in den Fällen des § 105 Satz 2 und des § 108 Abs. 1 BSHG a.F. vorsieht, enthält das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts nicht."
Im Wortlaut der Vorschrift des § 111 Abs. 2 BSHG alter wie neuer Fassung ("bezogen auf einen Zeitraum der Leistungsgewährung von bis zu zwölf Monaten") findet die Annahme einer rechtlichen Zäsur zum 1. August 1996 mit der Folge der Bildung von getrennten Zeitabschnitten für die Leistungsgewährung verbunden mit einer getrennt zu ermittelnden Bagatellgrenze vor dem 1. August 1996 gemäß § 111 Abs. 2 BSHG a.F. - bezogen auf jeden einzelnen Hilfeempfänger - und nach dem 1. August 1996 gemäß § 111 Abs. 2 BSHG n.F. - bezogen auf die Mitglieder eines Haushalts i.S.d. § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG - keinen Anhalt. § 111 Abs. 2 BSHG a.F. bzw. § 111 Abs. 2 Satz 2 BSHG n.F. stellen keine Regelung für das Abrechnungsverfahren auf (BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2000 - BVerwG 5 C 30.99 - FEVS 52, 221 <223> = Buchholz 436.0 § 111 BSHG Nr. 4) und enthalten auch keine Anhaltspunkte für die Bildung rechtlich selbständiger, getrennter Betrachtung zugänglicher Zeitabschnitte für die Berechnung der Überschreitung der Bagatellgrenze (BVerwG, Urteil vom 26. September 2002 - BVerwG 5 C 1.02 - FEVS 54, 193 <194 f.> = Buchholz 436.0 § 111 BSHG Nr. 7). Vielmehr muss im Verlauf der Leistungsgewährung innerhalb eines beliebigen Zwölf-Monats-Zeitraums, den der Kostenerstattungsberechtigte innerhalb der Zweijahresfrist des § 107 Abs. 2 Satz 2 BSHG frei wählen kann, die Bagatellgrenze überschritten sein (BVerwG, Urteil vom 26. September 2002 - BVerwG 5 C 1.02 - a.a.O.).
Auch Sinn und Zweck der Neuregelung der Bagatellgrenze durch Ergänzung des § 111 Abs. 2 BSHG um den neuen Satz 2 sprechen für diese Betrachtung. Hierzu hat der Senat in seinem heutigen Urteil im Verfahren BVerwG 5 C 47.02 festgestellt:
"Durch die Erleichterung des Erreichens der Bagatellgrenze bei Haushaltsgemeinschaften im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG sollte in den typischen Fällen der §§ 107, 108 BSHG ein häufiges Hindernis der Erfüllung der Voraussetzungen beseitigt und eine Verwaltungsvereinfachung erreicht werden, die komplizierte Berechnungen zur Umlegung der für den Haushalt einheitlich errechneten Hilfe auf die haushaltsangehörigen Hilfeempfänger entbehrlich machte (vgl. BT-Drucks. 13/3904, S. 47 zu Nr. 20b). Aus der Absicht des Gesetzgebers, einen misslichen Rechtszustand zu beseitigen, kann nicht gefolgert werden, dass dies auch für in der Vergangenheit abgeschlossene, die Anspruchsvoraussetzungen bis dahin nicht erfüllende Sachverhalte gelten sollte. Damit wäre entgegen dem Grundgedanken einer Vereinfachung der Erstattungsverfahren die Notwendigkeit geschaffen worden, alle bislang infolge Nichterreichens der Bagatellgrenze als erledigt angesehenen Vorgänge erneut aufzugreifen und auf eine Erstattungsmöglichkeit zu überprüfen."
Entsprechendes gilt auch für die hier vorliegende Sachverhaltsgestaltung eines vor In-Kraft-Treten der Gesetzesänderung zum 1. August 1996 begonnenen und erst danach endenden Leistungsverhältnisses. Die Annahme einer Zäsur zum 1. August 1996 mit der Folge der Bildung zweier Leistungszeiträume mit jeweils unterschiedlichen Bagatellgrenzenregelungen bedingte gegenüber der Annahme eines einheitlichen Leistungszeitraumes zum einen gerade eine aufwändigere Kostenermittlung, da zunächst für den Leistungszeitraum vor dem 1. August 1996 im Wege komplizierter Berechnungen die für den Haushalt einheitlich errechnete Hilfe auf die haushaltsangehörigen Hilfeempfänger umzulegen wäre und sodann eine weitere - diesmal einheitliche - Ermittlung für den Leistungszeitraum nach dem 1. August 1996 zu erfolgen hätte. Zum anderen wäre damit der gesetzlich vorgegebene Bezugszeitraum "von bis zu zwölf Monaten" unterbrochen.
Schließlich stellt die Erstreckung der Regelung des § 111 Abs. 2 BSHG n.F. auch auf die Zeit der Leistungsgewährung vor dem In-Kraft-Treten zum 1. August 1996 - abgesehen von der Frage, inwieweit erstattungspflichtige Kostenträger sich als juristische Personen des öffentlichen Rechts auf einen im Rechtsstaatsprinzip begründeten Vertrauensschutz berufen können (vgl. zur Problematik BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1982 - 2 BvR 1187/80 - BVerfGE 61, 82 <100 ff.>; BVerwG, Urteil vom 1. Juli 1988 - BVerwG 4 C 15.85 - NVwZ 1989, 247 <249>) - entgegen der Ansicht des Beklagten auch keine unzulässige Rückwirkung dar, weil die Neuregelung - wie bereits dargelegt - nicht an einen in der Vergangenheit begründeten und abgeschlossenen Tatbestand andere als die bisherigen Rechtsfolgen anknüpft (sog. "echte Rückwirkung", vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 1971 - 2 BvL 6/70 - BVerfGE 31, 222 <225 f.>, bzw. "Rückbewirkung von Rechtsfolgen", vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1986 - 2 BvL 2/83 -, BVerfGE 72, 200 <241 f.>), sondern an einen zwar in der Vergangenheit begonnenen, aber nicht abgeschlossenen Tatbestand (sog. "unechte Rückwirkung", vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 22. Juni 1971 - 2 BvL 6/70 -, a.a.O. und vom 22. Januar 1975 - 2 BvL 51/71 -, BVerfGE 39, 128 <143> bzw. "tatbestandliche Rückanknüpfung", vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1986 - 2 BvL 2/83 -, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskostenfreiheit besteht nach § 188 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO (in der Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 2001, BGBl. I S. 3987) nicht. Diese Fassung des Gesetzes ist nach § 194 Abs. 5 VwGO anzuwenden, weil das Revisionsverfahren erst am 18. November 2002 und damit nach dem 1. Januar 2002 bei dem Gericht anhängig geworden ist.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 4 984,98 € (entspricht 9 749,78 DM) festgesetzt.
Ende der Entscheidung
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