Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 14.11.2002
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 52.01
Rechtsgebiete: SGB VIII


Vorschriften:

SGB VIII § 86 c
SGB VIII § 89 c Abs. 1 Satz 1
Der Anspruch des örtlich unzuständig gewordenen Jugendhilfeträgers aus § 89 c Abs. 1 SGB VIII auf Erstattung seiner nach dem Zuständigkeitswechsel im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86 c SGB VIII getätigten Aufwendungen setzt die unverzügliche Unterrichtung des zuständig gewordenen örtlichen Trägers (§ 86 c Satz 2 SGB VIII) nicht voraus.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 5 C 52.01

Verkündet am 14. November 2002

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 14. November 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke und Prof. Dr. Berlit

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. Juni 2001 wird aufgehoben, soweit es die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 5. Mai 1999 zurückgewiesen und die Klage abgewiesen hat. Unter weiterer Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts wird der Beklagte verurteilt, an die Klägerin auch die in der Zeit vom 25. Juli 1994 bis 27. Juli 1995 entstandenen Jugendhilfekosten für Mirco Brakhage zu erstatten.

Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens trägt der Beklagte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Erstattung von Jugendhilfeaufwendungen in Höhe von 20 994,67 DM in Anspruch, die ihr in der Zeit vom 25. Juli 1994 bis 8. Juli 1996 für die Betreuung eines Kindes in einem Kindertagesheim im Zuständigkeitsbereich der Klägerin entstanden sind; streitig ist im Revisionsverfahren noch der Zeitraum vom 25. Juli 1994 bis zum 27. Juli 1995.

Am 1. März 1994 war der 1989 geborene M., der seit 1990 in einem Kindertagesheim in H. betreut wurde, in welchem seine - allein sorgeberechtigte - Mutter, Frau B., als Hauswirtschaftsleiterin arbeitete, mit seiner Mutter in den örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten verzogen. Frau B. behielt ihren Arbeitsplatz und M. besuchte weiter das Kindertagesheim, das er im Juli 1996 mit seiner Einschulung verließ. Die Kosten abzüglich eines von der Mutter übernommenen Kostenbeitrags hat während der gesamten Zeit die Klägerin getragen.

Mit Schreiben vom 25. Juli 1995, beim Beklagten eingegangen am 27. Juli 1995, teilte die Klägerin dem Beklagten den Zuständigkeitswechsel seit dem 1. März 1994 mit und bat um Übernahme der Hilfegewährung in die dortige Zuständigkeit. Mit Schreiben vom 17. November 1995 übersandte der Beklagte Frau B. einen Fragebogen für die Bearbeitung des Antrages auf Vermittlung und Mitfinanzierung einer Tagespflegestelle. Unter dem 26. Februar 1996 stellte Frau B. "nochmals den Antrag die Kosten zu übernehmen" und machte geltend, es sei aus pädagogischer Sicht unmöglich, M. vor seiner Einschulung aus dem Tagesheim in H. zu nehmen. Erst nach Beendigung der Unterbringung (am 8. Juli 1996) lehnte der Beklagte die Kostenübernahme mit Bescheid vom 31. Juli 1996 gegenüber der Mutter ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Kindertagesstättengesetz des Landes sehe keine Einzelfallhilfe in Form von Kostenübernahmen vor, vielmehr würden die Träger in Form von Zuschüssen gefördert. Sie könne die Vorteile der Landes- und Kreiszuschüsse daher nur dann in Anspruch nehmen, wenn ihr Kind eine Tagesstätte in Schleswig-Holstein besuche. Ein Antrag auf Übernahme der Kosten für die Unterbringung von M. in einer Tagespflegestelle wurde durch Bescheid vom 14. Oktober 1996 unter Hinweis auf die Einkommensverhältnisse der Mutter abgelehnt. Der Klägerin gegenüber hatte der Beklagte bereits im September 1995 auf ablehnende Entscheidungen in ähnlich gelagerten Fällen verwiesen.

Am 28. Dezember 1998 hat die Klägerin Klage auf Erstattung der ihr entstandenen Jugendhilfekosten erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberverwaltungsgericht dagegen der hiergegen eingelegten Berufung der Klägerin teilweise (hinsichtlich eines Teilbetrages von 11 302,65 DM) stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Die Klägerin habe für die Zeit vom 27. Juli 1995 bis 8. Juli 1996 einen Erstattungsanspruch gegen den Beklagten gemäß § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Angebote zur Förderung von Kindern in Kindertagesstätten im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII seien fortsetzungsfähige Leistungen; die vom nunmehr zuständig gewordenen Träger der Jugendhilfe zu erbringende Leistung müsse mit der erbrachten Leistung nicht identisch, sondern nur gleichartig sein. Erstattungsfähig seien auch Jugendhilfeleistungen, auf die kein Rechtsanspruch bestehe. Der zuständige Träger müsse jedoch von dem Zuständigkeitswechsel unverzüglich unterrichtet werden. Erfolge die Unterrichtung nicht unverzüglich - und das sei hier nach ca. 15 Monaten nicht der Fall -, trete die Erstattungspflicht erst mit Zugang der Unterrichtung im Sinne von § 86 c Satz 2 SGB VIII ein, hier also am 27. Juli 1995, da der Beklagte zuvor auch nicht anderweitig Kenntnis von dem Zuständigkeitswechsel gehabt habe. Die Erstattungspflicht ende zu dem Zeitpunkt, in dem der nunmehr zuständige Träger seine Zuständigkeit nach § 86 c SGB VIII wahrnehme und über die Gewährung der Leistung entscheide. Lehne er die Leistung von Hilfe ab, weil z.B. ein Rechtsanspruch auf die Leistung nicht bestehe, ende dennoch die Pflicht des bisher zuständigen Trägers zur weiteren Leistung, so dass ein Erstattungsanspruch ausgeschlossen sei. Hier sei eine Entscheidung über den Leistungsanspruch aber erst nach Beendigung der Maßnahme mit dem Bescheid vom 31. Juli 1996 erfolgt, so dass der Klägerin ein Erstattungsanspruch für die Zeit vom 27. Juli 1995 bis 8. Juli 1996 zustehe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin. Sie rügt die Verletzung von §§ 86 c, 89 c SGB VIII.

Der Beklagte unterstützt das angegriffene Urteil.

II.

Die Revision ist begründet. Das Oberverwaltungsgericht hätte der Berufung der Klägerin auch für den Zeitraum vom 25. Juli 1994 bis zum 27. Juli 1995 stattgeben müssen, also für den Zeitraum, bevor der Beklagte von dem seine örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII begründenden Umzug der Eltern (und des Kindes) erfahren hatte; insoweit verletzt die Zurückweisung der Berufung Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

Dem Bundesrecht widerspricht die Ansicht des Oberverwaltungsgerichts, ein Kostenerstattungsanspruch nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII setze voraus, dass der erstattungsberechtigte, bisher zuständig gewesene den nunmehr zuständig gewordenen Jugendhilfeträger unverzüglich von dem Zuständigkeitswechsel unterrichte.

§ 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII (zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf die Unterbringung in Kindertagesstätten nach Wechsel der örtlichen Zuständigkeit s. das Urteil des Senats vom heutigen Tag in der Sache 5 C 57.01) bestimmt, dass Kosten, die ein örtlicher Träger der Jugendhilfe im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86 c SGB VIII aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten sind, der nach dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit zuständig geworden ist. Nach § 86 c Satz 2 SGB VIII hat der örtliche Träger, der von den Umständen Kenntnis erhält, die den Wechsel der Zuständigkeit begründen, den anderen davon unverzüglich zu unterrichten. Die Ansicht des Berufungsgerichts, ein Verstoß gegen diese Bestimmung schließe einen Kostenerstattungsanspruch des bisher zuständigen Trägers bis zu dem Zeitpunkt aus, in dem der neu zuständige, andere Träger von dem Zuständigkeitswechsel - anderweitig - Kenntnis erlangt, findet im Gesetz keine Stütze.

Es kann hier unterstellt werden, dass eine "unverzügliche", d.h. von der Klägerin "ohne schuldhaftes Zögern" (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) veranlasste Unterrichtung des Beklagten nicht stattgefunden hat. Daran scheitert ein Kostenerstattungsanspruch aus § 89 c SGB VIII jedoch nicht. Die Unterrichtungspflicht nach § 86 c Satz 2 SGB VIII ist in § 89 c SGB VIII nicht als Voraussetzung eines Kostenerstattungsanspruchs erwähnt. § 86 c SGB VIII sodann befasst sich nicht damit, wer unter welchen Voraussetzungen die Kosten der über den Zuständigkeitswechsel hinaus erbrachten Leistung zu tragen hat. Dies regelt vielmehr § 89 c SGB VIII, indem er den örtlich zuständig gewordenen Jugendhilfeträger zum Ersatz der Aufwendungen des vorher zuständigen Trägers verpflichtet. Wenn die Kostenerstattung von einer unverzüglichen Unterrichtung des neu zuständigen Leistungsträgers über die den Zuständigkeitswechsel begründenden Umstände abhinge, wäre aber eine ausdrückliche diesbezügliche Regelung zu erwarten, und zwar - wie z.B. allgemein in Bezug auf Erstattungsansprüche der Träger von Sozialleistungen untereinander, für die § 111 SGB X ausdrücklich anordnet, dass die Geltendmachung dieser Ansprüche fristgebunden ist - im Rahmen der Erstattungsregelungen, hier also der Regelungen über eine Kostenerstattung bei fortdauernder oder vorläufiger Leistungsverpflichtung (§§ 89 a, 89 c SGB VIII) bzw. über den Umfang der Kostenerstattung (§ 89 f SGB VIII). Da dort wie überhaupt in Bezug auf einen Kostenerstattungsanspruch aus § 89 c SGB VIII eine gesonderte Regelung hinsichtlich der Rechtsfolgen einer Verletzung der Unterrichtungspflicht fehlt, unterliegt die Geltendmachung eines solchen Anspruchs lediglich der Ausschlussfrist des § 111 SGB X und muss eine schuldhaft verzögerte Unterrichtung des örtlich zuständig gewordenen Jugendhilfeträgers rechtsfolgenlos bleiben.

Dem kann nicht entgegengehalten werden, der nunmehr zuständige Träger könne anders nicht wirksam vor einer Kostenbelastung geschützt werden. Da das Gesetz für die Weiterleistungspflicht des bisher zuständig gewesenen örtlichen Trägers aus § 86 c SGB VIII nicht einmal voraussetzt, dass dieser überhaupt Kenntnis vom Zuständigkeitswechsel hat (vgl. auch Jans/Happe/ Saurbier, Kinder- und Jugendhilferecht, 3. Auflage <2001>, Erl. § 86 c Art. 1 KJHG Rn. 4), ist auch der Wechsel der der Leistungszuständigkeit folgenden Finanzierungslast nach dem Willen des Gesetzgebers dann nicht von solcher Kenntnis abhängig. Dem Gesetzgeber geht es auch bei der Begründung einer Pflicht zur unverzüglichen Unterrichtung der Leistungsträger untereinander darum, sicherzustellen, dass ein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit nicht zu einer Unterbrechung oder Verzögerung der Jugendhilfeleistung führt. Deshalb ist § 86 c mit § 89 c SGB VIII so abgestimmt, dass weder eine Lücke in der Leistungsgewährung noch in der Kostenerstattung durch den nunmehr örtlich zuständigen Träger entstehen kann (so auch Ziegler in GK-SGB VIII, § 86 c Rn. 3). Eine weiterreichende, auch den vom Oberverwaltungsgericht angestrebten "Schutz des nunmehr zuständigen Leistungsträgers" umfassende Zielsetzung ist den genannten Bestimmungen nicht zu entnehmen.

Hat nach alledem das Berufungsgericht zu Unrecht für die Zeit vom 25. Juli 1994 bis zum 27. Juli 1995 einen Kostenerstattungsanspruch der Klägerin verneint, muss der Revision der Klägerin unter entsprechender Abänderung des Berufungsurteils stattgegeben werden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit des vor dem 1. Januar 2002 anhängig gewordenen Verfahrens beruht auf § 188 Satz 2 VwGO a.F.

Ende der Entscheidung

Zurück