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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 03.07.2003
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 7.02
Rechtsgebiete: BSHG, SGB XI


Vorschriften:

BSHG § 69 a Abs. 1
BSHG § 69 a Abs. 5
BSHG § 69 b Abs. 1 Satz 2
BSHG § 69 c Abs. 1 Satz 2
BSHG § 69 c Abs. 2
BSHG § 69 c Abs. 4 Satz 2
SGB XI § 37 Abs. 1
1. Ein Pflegegeld der Pflegekasse darf nur insoweit mit einem zusätzlich zu einer Kostenübernahme nach § 69 c Abs. 2 Satz 1 BSHG zu beanspruchenden Pflegegeld nach § 69 a BSGH verrechnet werden, als es noch nicht durch eine Anrechnung nach § 69 c Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 BSHG "verbraucht" ist.

2. § 69 a Abs. 5 Satz 1 BSHG steht, ist im Ergebnis die erforderliche Pflege in geeigneter Weise durch den Pflegebedürftigen selbst sichergestellt, einem Anspruch auf Pflegegeld neben Leistungen nach § 69 b BSHG auch im Falle einer umfassenden Pflegeversorgung nicht entgegen; § 69 c Abs. 2 Satz 2 BSHG beschränkt die Kürzung auch dann auf bis zu zwei Drittel, wenn nach § 69 b Abs. 1 Satz 2 BSHG die Heranziehung einer besonderen Pflegekraft "anstelle" der Pflege nach § 69 Satz 1 BSHG erfolgt.


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 5 C 7.02

Verkündet am 3. Juli 2003

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juli 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke und Prof. Dr. Berlit

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. Dezember 2001 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über den Umfang der Anrechenbarkeit von Leistungen der Pflegekasse nach § 37 Abs. 1 SGB XI auf Leistungen der Sozialhilfe in Fällen des § 69 c Abs. 4 BSHG (Sicherstellung der Pflege durch von dem Pflegebedürftigen beschäftigte besondere Pflegekräfte nach dem so genannten "Arbeitgeber-" bzw. "Assistenz-Modell").

Der 1975 geborene Kläger ist pflegebedürftig im Umfang der Pflegestufe III (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 SGB XI). Ab dem Frühjahr 1996 studierte er an der R.-Universität in B. Physik und wohnte in einem Studentenwohnheim. Dort wurde seine häusliche Pflege tagsüber (von 6.30 Uhr bis 22.00 Uhr) zunächst durch Beschäftigte eines freien Trägers der Wohlfahrtspflege und nachts durch Zivildienstleistende versehen; bei der Teilnahme an Lehrveranstaltungen standen ihm durch den Landschaftsverband W.-L. finanzierte Studienhelfer zur Verfügung.

Ab November 1996 versahen die häusliche Pflege des Klägers von ihm selbst beschaffte Pflegekräfte. Der Beklagte übernahm die dadurch entstandenen Kosten in einem von ihm festgesetzten zeitlichen Umfang und zu einem von ihm festgesetzten Stundensatz, wobei er die Hilfeleistungen auf Hilfe zur Pflege und Eingliederungshilfe aufteilte und ein von der Pflegekasse (in Höhe von monatlich 1 300 DM) zugezahltes Pflegegeld in vollem Umfang anrechnete.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Bewilligung weiterer Hilfe zur häuslichen Pflege in Form eines Pflegegeldes in Höhe von monatlich 433,33 DM für den Zeitraum von November 1996 bis Juni 1997 abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat der hiergegen eingelegten Berufung des Klägers mit im Wesentlichen folgender Begründung stattgegeben:

Die Anwendung des § 69 c Abs. 2 Satz 2 BSHG, der die Konkurrenz zwischen Leistungen nach § 69 b Abs. 1 BSHG und dem BSHG-Pflegegeld regele, führe hier lediglich zu einer Kürzung des Pflegegeldes um bis zu zwei Drittel. § 69 c Abs. 1 Satz 2 BSHG, wonach die Pflegegelder nach dem SGB XI in dem Umfang auf das (BSHG-)Pflegegeld anzurechnen seien, in dem sie gewährt würden (also ggf. in vollem Umfang), trete hinter die speziellere Regelung des § 69 c Abs. 4 Satz 2 BSHG zurück, die eine vorrangige Anrechnung bestimme. Der vollständige Ausschluss des BSHG-Pflegegeldes folge auch nicht aus § 69 a Abs. 5 Satz 1 BSHG; die Annahme des Verwaltungsgerichts, im Falle einer Rund-um-die-Uhr-Versorgung, wie sie der Kläger erhalte, sei von vornherein kein Raum für einen zusätzlich zu deckenden pflegerischen Bedarf, finde im Gesetz keine hinreichende Stütze und vertrage sich auch nicht mit dem Wesen des Pflegegeldes als einer pauschalierten finanziellen Hilfeleistung für Pflegebedürftige. Das Konkurrenzverhältnis zwischen den "Sachleistungen" i.S. von § 69 b BSHG und dem Pflegegeld nach § 69 a BSHG sei in § 69 c Abs. 2 BSHG erschöpfend geregelt. Damit habe das Gesetz auch den hier vorliegenden Fall einer jedenfalls nominellen Vollversorgung des Hilfesuchenden durch vom Sozialhilfeträger finanzierte professionelle Pflegepersonen in der Weise geregelt, dass eine vollständige Entziehung des Pflegegeldes auch nicht unter Berufung auf einen vermeintlich fehlenden weiteren Pflege- bzw. Pflegebereitstellungsbedarf gerechtfertigt sei. § 69 a Abs. 5 Satz 1 BSHG sei daher nicht als Ausschlussgrund für den Fall einer (anderweitig gesicherten) "Rundum-Betreuung", sondern als Regelung für sonstige Fälle der Zweckverfehlung zu verstehen, in denen etwa Pflegegeld bestimmungswidrig verwendet werde oder die selbst organisierte Pflege Mängel erkennen lasse. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sei dem Kläger auch ein über die ihm gewährte "Rundum-Versorgung" hinausgehender pflegerischer Bedarf zuzubilligen. Es verstehe sich, dass ein Pflegebedürftiger, der sich zur Sicherstellung seines pflegerischen Bedarfs für das so genannte "Arbeitergeber-Modell" nach § 69 c Abs. 4 Satz 2 BSHG entschieden habe, nicht darauf beschränkt werden könne, seinen "Arbeitnehmern" stets nur den "tariflichen Lohn" zukommen zu lassen, sondern dass es immer wieder Situationen geben werde, in denen dem Pflegeempfänger eine darüber hinausgehende materielle Anerkennung für die Hilfe angemessen erscheinen müsse; auch sei nicht von der Hand zu weisen, dass auch bei zeitlich lückenlos gewährter Assistenz Betreuungslücken auftreten könnten, etwa wenn sich eine Pflegekraft verspäte und deshalb Nachbarn um akute notwendige Hilfestellung gebeten werden müssten; auch angesichts derartiger Situationen könne dem Hilfesuchenden nicht angesonnen werden, mit leeren Händen dazustehen.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Revision eingelegt, mit der er die Verletzung von §§ 69 a und 69 c BSHG rügt.

Der Kläger unterstützt das angegriffene Urteil.

II.

Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil steht mit Bundesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) im Einklang, so dass die dagegen eingelegte Revision zurückzuweisen ist (§ 144 Abs. 2 VwGO).

Das Oberverwaltungsgericht hat dem Kläger zu Recht ein Pflegegeld nach § 69 a BSHG in der vom Kläger beanspruchten Höhe von einem Drittel (= monatlich 433,33 DM entspricht 221,56 €), welche die Kürzungsmöglichkeit nach § 69 c Abs. 2 Satz 2 BSHG berücksichtigt, zuerkannt.

1. Der Anwendung des § 69 c Abs. 2 BSHG steht nicht entgegen, dass auf das Pflegegeld nach § 69 a BSHG (das sich hier nach Abs. 3 dieser Bestimmung ungekürzt auf monatlich 1 300 DM belaufen würde) gemäß § 69 c Abs. 1 Satz 2 BSHG u.a. Pflegegelder nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch in dem Umfang anzurechnen sind, in dem sie gewährt werden (vorliegend ebenfalls 1 300 DM monatlich). Für eine Anrechnung auf der Grundlage von § 69 c Abs. 1 Satz 2 BSHG ist nur insoweit Raum, als das nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch gewährte Pflegegeld nicht bereits durch die nach Abs. 4 vorrangige Anrechnung "verbraucht" ist. Letzteres ist hier aber der Fall.

Nach § 69 c Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 BSHG ist, wenn der Pflegebedürftige seine Pflege - wie hier der Kläger - durch von ihm beschäftigte besondere Pflegekräfte sicherstellt, ein nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch geleistetes Pflegegeld vorrangig auf die Leistung nach § 69 b Abs. 1 BSHG anzurechnen. Dieser Anrechnungsvorrang bewirkt, dass das Pflegegeld der Pflegekasse nur insoweit mit einem zusätzlich zu einer Kostenübernahme nach § 69 c Abs. 2 Satz 1 BSHG zu beanspruchenden Pflegegeld nach § 69 a BSHG zu verrechnen ist, als es noch nicht durch eine Anrechnung nach § 69 c Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 BSHG "verbraucht" ist, so dass also nur "ein die Kostenübernahme ... übersteigendes Pflegegeld nach SGB XI ... nach Abs. 1 auf den Pflegegeldanspruch nach § 69 a BSHG anzurechnen" ist (BTDrucks 13/3696, S. 19). Damit ist sichergestellt, dass es nicht zu einer Doppelanrechnung eines nach § 37 SGB XI geleisteten Pflegegeldes kommt.

Da das von der Pflegekasse gewährte Pflegegeld (in Höhe von monatlich 1 300 DM) in vollem Umfang mit den Kosten der vom Kläger beschäftigten besonderen Pflegekräfte verrechnet worden ist, steht es mithin nicht auch für eine Anrechnung nach § 69 c Abs. 1 Satz 2 BSHG zur Verfügung.

2. § 69 c Abs. 2 Satz 2 BSHG ist hier - entgegen der Betrachtungsweise des Verwaltungsgerichts - auch nicht etwa deshalb unanwendbar, weil der Kläger für die von ihm benötigte Pflege auf ihm zur Verfügung stehende Möglichkeiten "rund-um-die-Uhr" zurückgreifen kann. Es kann dahinstehen, ob und in welchem Umfang ihm ein Pflegebedarf verbleibt, der nicht durch die Pflegeleistungen gedeckt wird, deren Kosten der Beklagte auf der Grundlage von § 69 b Abs. 1 Satz 2 BSHG trägt. Das Pflegegeld nach § 69 a BSHG ist weder ein Entgelt für die Pflegeperson (s. BVerwGE 88, 86 <90>) noch dient es dazu, den Pflegeaufwand in sonstiger Weise abzugelten (vgl. BVerwGE 90, 217 <219>). Eine Pflegegeldgewährung geht nach ihren gesetzlichen Zielen daher - anders als die Revision geltend macht - nicht ins Leere, wenn der Pflegebedürftige eine "Rund-um-die-Uhr-Versorgung" durch von ihm beschäftigte, ihm vertraglich zur Pflegeleistung verpflichtete professionelle Pflegekräfte erhält (vgl. ebenso W. Schellhorn/H. Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2002, § 69 c Rn. 25 im Anschluss an OVG Koblenz, Beschluss vom 21. März 2000 - 12 A 12269/99 - <FEVS 51, 463>). Vertragliche Ansprüche auf Wartung und Pflege können zwar auf der Bedarfsseite berücksichtigt werden, rechtfertigen aber nur eine Pflegegeldkürzung im Rahmen einer Pauschalregelung, wie sie § 69 c Abs. 2 Satz 2 BSHG darstellt (vgl. BVerwGE 98, 248 <250 f.> zu § 69 Abs. 5 Satz 2 BSHG F. 1986). § 69 c Abs. 2 Satz 2 BSHG beschränkt die Kürzung auch dann auf bis zu zwei Drittel, wenn nach § 69 b Abs. 1 Satz 2 BSHG die Heranziehung einer besonderen Pflegekraft "anstelle" der Pflege nach § 69 Satz 1 BSHG erfolgt.

3. An diesem Verständnis des § 69 c Abs. 2 Satz 2 BSHG hat sich durch die Einfügung des § 69 a Abs. 5 BSHG durch Gesetz vom 14. Juni 1996 (BGBl I S. 830) nichts geändert. Mit Satz 1 bis 3 dieser Vorschrift erfolgte eine Anpassung an die Vorschriften der Pflegeversicherung u.a. in § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB XI (vgl. BTDrucks 13/4091 S. 45). Nach dieser Bestimmung setzt ein Pflegegeldanspruch voraus, dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld dessen Umfang entsprechend die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung in geeigneter Weise selbst sicherstellt, ihr entspricht nunmehr § 69 a Abs. 5 Satz 1 BSHG. Diese Regelung dient - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - dazu, eine Zweckverfehlung der Pflegegeldgewährung etwa infolge bestimmungswidriger Verwendung des Pflegegeldes oder bei Mängeln der selbst organisierten Pflege zu verhindern; die Zwecksetzung des Pflegegeldes selbst bleibt hiervon hingegen unberührt.

Da hier keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der dem Kläger vom Berufungsgericht zugesprochene Pflegegeldanteil nicht pflegebezogen eingesetzt werden kann, steht mithin auch § 69 a Abs. 5 Satz 1 BSHG einer Zuerkennung dieser Leistung nicht entgegen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 VwGO.

Ende der Entscheidung

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