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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 28.06.2002
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 8.01
Rechtsgebiete: BSHG


Vorschriften:

BSHG § 107 Abs. 1
BSHG § 111 Abs. 1
Der Anspruch auf Erstattung von Sozialhilfekosten nach § 107 Abs. 1 BSHG richtet sich auf aufgewendete Kosten (§ 111 Abs. 1 BSHG). Daran fehlt es, soweit Kindergeld und pauschaliertes Wohngeld als Einkommen auf die Sozialhilfe angerechnet worden sind.

Eine erst im Erstattungsverfahren geänderte Einkommenszurechnung kann nicht nachträglich "aufgewendete Kosten" zur Entstehung bringen.


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 5 C 8.01

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 28. Juni 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel und Dr. Franke

ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 15. Januar 2001 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

I.

Das Verfahren betrifft die Frage, ob ein nach § 107 BSHG kostenerstattungsberechtigter Sozialhilfeträger, der bei der Bewilligung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt an Mutter und Kind das Kindergeld und pauschalierte Wohngeld der Mutter als Einkommen auf die Sozialhilfe angerechnet hat, im Erstattungsverfahren Kindergeld und Wohngeld stattdessen als Leistungen an das Kind ausweisen und dadurch den Betrag erstattungsfähiger Sozialhilfeleistungen an die Mutter erhöhen kann.

Der klagende Landkreis P. nimmt den Beklagten auf Erstattung von Sozialhilfe in Anspruch, welche die Stadt P. in der Zeit vom 17. Oktober 1994 bis 31. Juli 1996 an die Hilfeempfängerin Frau D.-S. und deren Tochter D. geleistet hat; im Streit sind noch Beträge von 4 393,87 DM Kindergeld und 3 450,92 DM anteiligem pauschalierten Wohngeld, zusammen 7 844,79 DM.

Die Hilfeempfängerin und ihre Tochter sind am 1. August 1994 von B. (Hochsauerlandkreis) in den Zuständigkeitsbereich des Klägers gezogen. Sie wohnten zunächst in einem Frauenhaus in S., wo sie von der Stadt S. Sozialhilfe erhielten, für welche der Beklagte Kostenerstattung geleistet hat. Nachdem die Hilfeempfängerin am 17. Oktober 1994 mit ihrer Tochter für 500 DM Monatsmiete zuzüglich Nebenkosten eine Wohnung in P. bezogen hatte, führte der Stadtdirektor der Stadt P. in einem an die Mutter gerichteten Bescheid vom 23. November 1994 die Bedarfs- und Einkommensberechnung in der Weise durch, dass der Regelbedarf für Mutter und Tochter mit einer Gesamtsumme von 944 DM errechnet und die zu berücksichtigenden Unterkunftkosten unaufgeteilt mit 600 DM angesetzt wurden; als anzurechnendes Einkommen wurden für die Mutter ein Kindergeld in Höhe von 70 DM und für die Tochter Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe von 256 DM, zusammen 326 DM, in Abzug gebracht, so dass sich eine zu zahlende Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von monatlich 1 218 DM ergab. Im Anschluss an diese Berechnungen heißt es in dem Bescheid: "In der Summe Hilfe zum Lebensunterhalt ist pauschaliertes Wohngeld in Höhe von 295 DM enthalten". Außerdem wurde für den Zeitraum Oktober bis November 1994 Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 2 282,31 DM nachbewilligt. Insgesamt leistete der Stadtdirektor von P. in der Zeit vom 17. Oktober 1994 bis zum 31. Juli 1996 auf der Grundlage weiterer nach dem gleichen Berechnungsschema erstellter Bescheide an die Hilfeempfängerin und deren Tochter einen Betrag von 25 020,67 DM einschließlich einmaliger Beihilfen; dazu traten ab April 1996 Leistungen für den im Februar 1996 geborenen Sohn der Hilfeempfängerin.

Nachdem der Beklagte für den Zeitraum vom 17. Oktober 1994 bis längstens 16. Oktober 1996 seine Kostenerstattungspflicht anerkannt hatte, bezifferte die Stadt P. ihre Aufwendungen in diesem Zeitraum mit 29 822,79 DM, wobei sie das Kindergeld voll und das Wohngeld anteilig bei der Tochter berücksichtigte. Der Beklagte wandte ein, Kindergeld und Wohngeld seien Einkommen des Kindergeld- bzw. Wohngeldberechtigten.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, mit welcher der Kläger zuletzt noch Aufwendungen in Höhe des in der Zeit vom 17. Oktober 1994 bis zum 30. Juli 1996 gezahlten Kindergeldes von 4 393,87 DM und pauschalierten anteiligen Wohngeldes von 3 450,92 DM geltend machte. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Da sowohl das Kindergeld von 4 393,87 DM als auch das (pauschalierte) Wohngeld von - anteilig - 3 450,92 DM in den Sozialhilfebescheiden der Stadt P. der Hilfeempfängerin als Einkommen zugeordnet worden seien, habe der Kläger in dieser Höhe schon keine erstattungsfähigen Kosten aufgewendet. Eine andere Zuordnung im Rahmen der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt entspreche auch nicht dem Gesetz, da Kindergeld und (pauschaliertes) Wohngeld Einkommen des Kindergeld- bzw. Wohngeldberechtigten darstellten, sofern er selbst - wie hier - wegen fehlenden ausreichenden Einkommens hilfebedürftig sei. Zwar seien die Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs gemäß § 107 Abs. 1 BSHG dem Grunde nach erfüllt, nachdem die Hilfeempfängerin mit ihrer Tochter am 1. August 1994 aus dem Zuständigkeitsbereich des Beklagten in den des Klägers verzogen sei. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch bestehe jedoch deshalb nicht, weil nach § 111 Abs. 1 Satz 1 BSHG (nur) die aufgewendeten Kosten zu erstatten seien. "Aufgewendet" seien (nur) Kosten, die vom Sozialhilfeträger tatsächlich getragen worden seien. Welche Kosten der anspruchsberechtigte Sozialhilfeträger aufgewendet habe, ergebe sich aus den maßgeblichen Sozialhilfebescheiden. Bei Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt an eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG sei anhand der Bewilligungsbescheide, insbesondere unter Berücksichtigung der dortigen Bedarfs- und Einkommensberechnungen, festzustellen, welcher Teilbetrag der jeweils bewilligten Sozialhilfe auf die einzelnen Hilfeempfänger entfalle, da jeder Hilfeempfänger einen eigenen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt habe.

Danach seien erstattungsfähige Kosten nicht entstanden. In den Bescheiden der Stadt P. sei das Kindergeld ebenso wie der Zuschlag zum Kindergeld fortlaufend als Einkommen der Hilfeempfängerin (und nicht der Tochter) berücksichtigt und bedarfsmindernd auf die bewilligte Hilfe zum Lebensunterhalt angerechnet worden, so dass insoweit keine Kosten für die Hilfeempfängerin aufgewendet worden seien; auch das pauschalierte Wohngeld sei in vollem Umfang der Hilfeempfängerin gewährt worden. Anders könnten die ausschließlich an die Hilfeempfängerin adressierten Bescheide nicht verstanden werden.

Unabhängig davon entspreche allein die vorgenannte Anrechnung des Kindergeldes und Wohngeldes als Einkommen der Hilfeempfängerin dem Gesetz; für eine Weitergabe des Kinder- und Wohngeldes durch die bezugsberechtigte Mutter an ihre Tochter mit der Folge, dass die Beträge im Umfang der Weitergabe als Einkommen des Kindes zu bewerten seien, fänden sich in den Sozialhilfebetreuungsakten keinerlei Anhaltspunkte. Die vom Kläger erstmalig im Kostenerstattungsverfahren praktizierte Anrechnung von Kindergeld und pauschaliertem Wohngeld als Einkommen der Kinder der Hilfeempfängerin entspreche daher nicht dem Gesetz.

Mit seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der § 11 Abs. 1 Satz 2, §§ 107, 111 BSHG. Das Kindergeld sei ebenso wie das Wohngeld nicht als Einkommen des kindergeldberechtigten Elternteils zu werten, sondern ein höchstpersönlicher (Einkommens-)Anspruch des Kindes; die volle Anrechnung bei der Mutter durch das Verwaltungsgericht sei daher rechtsfehlerhaft. Dem Kläger müsse zugestanden werden, die personenbezogene Kostenaufstellung im Kostenerstattungsverfahren in richtiger Form nachzureichen, da eine richtige Ausweisung bei Leistungsgewährung noch nicht erforderlich und aus EDV-technischen Gründen damals im Bescheid nicht möglich gewesen sei. Der Umfang der Kostenerstattung habe sich nicht an der Fassung des Sozialhilfebescheides zu orientieren, vielmehr stelle § 107 BSHG eine eigenständige Anspruchsgrundlage dar, die es dem erstattungsberechtigten Sozialhilfeträger ermögliche, rechtlich zulässige Konkretisierungen im Erstattungsverfahren vorzunehmen.

Der Beklagte hält die Revision für unbegründet.

II.

Die zulässige Sprungrevision hat keinen Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Erstattung von Sozialhilfekosten in Höhe des aufgewendeten Kindergeldes und des anteiligen Wohngeldes verneint hat.

Verzieht eine Person vom Ort ihres bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts, ist nach § 107 Abs. 1 BSHG der Träger der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsortes verpflichtet, dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe die dort erforderlich werdende Sozialhilfe außerhalb von Einrichtungen im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG zu erstatten, wenn die Person innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel der Hilfe bedarf. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung hat das Verwaltungsgericht mit Blick auf den Umzug der Hilfeempfängerinnen in den Zuständigkeitsbereich des Klägers und die von diesem geleistete Sozialhilfe dem Grunde nach bejaht; es hat jedoch für die streitigen Beträge des Kindergeldes und pauschalierten Wohngeldes die Voraussetzungen des § 111 Abs. 1 BSHG, wonach die "aufgewendeten Kosten" zu erstatten sind, mit der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Erwägung verneint, insoweit habe der Kläger keine Sozialhilfekosten aufgewendet, da nach den Bewilligungsbescheiden das Kindergeld und das pauschalierte Wohngeld in vollem Umfang der Hilfeempfängerin gewährt und bedarfsmindernd auf die Hilfe zum Lebensunterhalt angerechnet worden seien.

Unter Zugrundelegung der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, an welche das Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, hat der Kläger bei der Sozialhilfegewährung an Mutter und Kind für die Mutter insoweit Sozialhilfekosten nicht aufgewendet, als er bei ihr Kindergeld und pauschaliertes Wohngeld als Einkommen angesehen und angerechnet hat. Die vom Kläger für das Kostenerstattungsverfahren zugrunde gelegte abweichende Berechnung, welche das Kindergeld ganz und das pauschalierte Wohngeld teilweise der Tochter der Hilfeempfängerin zuordnet, vermag daran nichts zu ändern.

Die Einkommensanrechnung der Kinder- und Wohngeldleistungen bei der Mutter als Hilfeempfängerin hat bewirkt, dass insoweit nicht Sozialhilfemittel, sondern Kinder- und Wohngeldmittel aufgewendet worden sind. Beträge, die nicht als Sozialhilfeleistungen aus Sozialhilfemitteln, sondern als Kinder- und Wohngeldleistungen aus anderen Mitteln erbracht worden sind, können nicht nachträglich im Erstattungsverfahren durch eine von der Berechnung im sozialhilferechtlichen Bewilligungsverfahren abweichende Leistungsberechnung zu "aufgewendeten Kosten" der Sozialhilfe erklärt werden. Dies ergibt sich aus § 111 Abs. 1 BSHG, der mit den "aufgewendeten Kosten" nur Kosten der "Sozialhilfe" meint, die dem Erstattungsberechtigten tatsächlich entstanden sind.

Auf die weitere Frage, ob die Einkommensanrechnung des Kindergeldes und pauschalierten Wohngeldes bei der kinder- und wohngeldberechtigten Mutter rechtlich zutreffend war, kommt es danach im Streitfall nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.

Ende der Entscheidung

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