Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 11.09.2000
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 9.00
Rechtsgebiete: BSHG, Regelsatzverordnung


Vorschriften:

BSHG § 11
BSHG § 12
Regelsatzverordnung (F. 1962) § 3 Abs. 1
Regelsatzverordnung (F. 1996) § 3 Abs. 1 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 5 C 9.00 OVG 4 L 361/99 I. VG Hannover vom 31.10.1997 - Az.: VG 3 A 1070/97.Hi - II. OVG Lüneburg vom 07.03.2000 - Az.: OVG 4 L 361/99 -

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 11. September 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel und Dr. Franke

ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 7. März 2000 und der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Hannover - 3. Kammer Hildesheim - vom 31. Oktober 1997 werden aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung der Unterkunftskosten in Höhe von 615 DM zuzüglich Heizkosten für die Zeit vom 1. August 1996 bis zum 30. September 1996.

Die Klägerin, die zunächst zusammen mit ihrem im Dezember 1993 geborenen Sohn bei ihren Eltern gewohnt hatte, mietete zum 1. November 1995 in H. eine 3-Zimmer-Wohnung mit einer Größe von 65 m2 zu einem Kaltmietzins von 660 DM zuzüglich 100 DM Nebenkosten (ohne Heizkosten) an. Nachdem die Klägerin am 21. November 1995 mit ihrem Sohn in die Wohnung eingezogen war, beantragte sie am 5. Dezember 1995 die Übernahme der Mietkosten. Dies lehnte der Beklagte mehrfach, zuletzt mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 1997 (Ausgangsbescheid der vom Beklagten zur Durchführung der Aufgaben des örtlichen Sozialhilfeträgers herangezogenen Gemeinde G. vom 5. August 1996) ab, weil die Mietkosten unangemessen hoch seien. Dabei ging er von einer angemessenen Wohnfläche bis zu 60 m2 und einer angemessenen Kaltmiete einschließlich Nebenkosten von 615 DM aus. Zum 1. Oktober 1996 war die Klägerin in eine Wohnung umgezogen, deren Kosten vom Beklagten als angemessen anerkannt werden.

Mit ihrer am 20. August 1997 erhobenen Klage begehrt die Klägerin unter Hinweis auf die am 1. August 1996 in Kraft getretene Neufassung des § 3 der Regelsatzverordnung, den Beklagten zu verpflichten, ihr für die Zeit vom 1. August bis zum 30. September 1996 Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung von Unterkunftskosten in Höhe von 615 DM zuzüglich Heizkosten zu bewilligen. Das Verwaltungsgericht hat der Klage, gestützt auf die Neufassung des § 3 der Regelsatzverordnung, stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hiergegen hatte keinen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat sein Urteil im Wesentlichen wie folgt begründet:

Ob der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur (Nicht-)Anwendbarkeit des § 3 Abs. 1 Satz 3 RegelsatzVO auf Mietverhältnisse, die bereits vor dessen In-Kraft-Treten am 1. August 1996 eingegangen worden seien, zu folgen sei, könne hier offen bleiben. Denn nach der ständigen bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Senats begründe § 3 Abs. 1 Satz 2 RegelsatzVO jedenfalls einen Anspruch des Hilfesuchenden auf Übernahme zumindest des sozialhilferechtlich angemessenen Teils der Unterkunftskosten. Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht sein Urteil vom 28. September 1994 - 4 L 5583/93 - , das vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 30. Mai 1996 (- BVerwG 5 C 14.95 - BVerwGE 101, 194) unter Zurückverweisung des Rechtsstreits aufgehoben worden ist, wörtlich zitiert und ausgeführt, der Senat halte weiterhin die gegenteilige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht für überzeugend, vielmehr seine Rechtsauffassung für richtig. Im Hinblick darauf, dass das vorliegende Verfahren das letzte beim Senat anhängige Verfahren über Unterkunftskosten für eine vor dem 1. August 1996 angemietete Wohnung sei und weitere Verfahren mit vergleichbarem Sachverhalt infolge des Zeitablaufs kaum noch zu erwarten seien, sehe der Senat auch nicht Anlass, zugunsten einer Einheitlichkeit der Rechtsprechung seine bisherige Rechtsauffassung aufzugeben.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Revision eingelegt, mit der er die Abweisung der Klage erstrebt. Er rügt unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Verletzung des materiellen Rechts.

Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

II.

Die Revision des Beklagten, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist begründet. Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Beklagte sei verpflichtet, im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt für die Klägerin von den unangemessen hohen Unterkunftskosten einen als angemessen angesehenen Teilbetrag von monatlich 615 DM zuzüglich Heizkosten als Bedarf zu berücksichtigen, verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

Das Berufungsgericht hat, für das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindend, festgestellt, dass die von der Klägerin vereinbarten Unterkunftskosten nur in Höhe von 615 DM angemessen gewesen seien. Ob die Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung des als angemessen anzusehenden Teils ihrer Unterkunftsaufwendungen hat, beurteilt sich nach §§ 11, 12 BSHG und § 3 Abs. 1 RegelsatzVO in der vor dem In-Kraft-Treten des Art. 11 des Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 (BGBl I S. 1088) geltenden Fassung.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist § 3 Abs. 1 RegelsatzVO in seiner hier maßgeblichen Fassung keine Rechtsgrundlage für die Gewährung eines solchen bloßen Unterkunftskostenzuschusses. Nach dem sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsgrundsatz darf kein ungedeckter Bedarfsrest hinsichtlich der Unterkunftskosten übrig bleiben (BVerwGE 92, 1 <5>; 101, 194 <197>). Andererseits ist dem Hilfesuchenden nur das zu gewähren, was er aus sozialhilferechtlicher Sicht benötigt (vgl. BVerwGE 72, 88 <89>; 75, 168 <170>; 97, 110 <112>; 101, 194 <196>). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der Sozialhilfeträger daher berechtigt, einen Hilfesuchenden, der die Übernahme unangemessen hoher Unterkunftskosten begehrt, auf den Bezug einer geeigneten kostenangemessenen Unterkunft zu verweisen. Die darin liegende Beschränkung des Hilfeanspruchs ist im sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsgrundsatz angelegt, sie läuft ihm nicht zuwider (BVerwGE 101, 194 <197>). Die gegen diese Rechtsprechung vorgebrachten Einwände des Berufungsgerichts hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 30. Mai 1996 (BVerwGE 101, 194 ff.) eingehend gewürdigt und für nicht durchgreifend erkannt. Da das Berufungsgericht insoweit keine neuen Argumente vorgebracht hat, sieht der Senat von einer weiteren Begründung ab.

Das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO). Entgegen der vom Verwaltungsgericht vertretenen Rechtsauffassung ist § 3 Abs. 1 Satz 3 Regelsatzverordnung (F. 1996) nach Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte nicht auf bereits vor seinem In-Kraft-Treten bestehende Mietverhältnisse anwendbar (BVerwG, Urteil vom 1. Oktober 1998 - BVerwG 5 C 15.97 - <Buchholz 436.0 § 12 BSHG Nr. 43 = NJW 1999, 1127>). Ebenso wenig hat die Neuregelung die Bedeutung einer "Klarstellung", dass der Sozialhilfeträger für die vor In-Kraft-Treten liegende Zeit bei Anmietung einer sozialhilferechtlich unangemessenen Unterkunft zur Übernahme jedenfalls der angemessenen Aufwendungen verpflichtet sei. Diese Neuregelung soll ausweislich der Gesetzesbegründung der Bundesregierung (vgl. BTDrucks 13/2440, S. 33) einem Bedürfnis der Praxis Rechnung tragen, das Verhalten der Beteiligten bei einem Umzug des Hilfeempfängers zu regeln; eine die vom Gesetzgeber vorgefundene Rechtslage erhellende Interpretation der bis dahin maßgeblichen Bestimmungen ist damit ersichtlich nicht verbunden (BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1997 - BVerwG 5 C 22.97 - <Urteilsabdruck S. 5>).

Als Rechtsgrund für die vom Berufungsgericht ausgesprochene Verpflichtung des Beklagten, der Klägerin Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung eines Unterkunftskostenanteils in Höhe von 615 DM monatlich zu gewähren, kommt schließlich auch nicht ein weitergehender, die gesamten Unterkunftskosten umfassender Anspruch der Klägerin nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BSHG, § 3 Abs. 1 Satz 1 Regelsatzverordnung in Betracht. Zwar kann auch ein Sozialhilfeempfänger, der eine aus sozialhilferechtlicher Sicht an sich abstrakt zu teure Wohnung bezieht, die Übernahme seiner tatsächlichen Unterkunftskosten in voller Höhe beanspruchen, wenn und solange für ihn auf dem Wohnungsmarkt im Zuständigkeitsbereich seines örtlichen Trägers der Sozialhilfe keine bedarfsgerechte, kostengünstigere Unterkunftsalternative verfügbar ist (BVerwGE 101, 194 <197 f.>). Allerdings ist ein Hilfesuchender, der die Übernahme einer an sich (abstrakt) unangemessen hohen Miete für eine bereits bezogene Wohnung begehrt, verpflichtet, dem Sozialhilfeträger substantiiert darzulegen, dass eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Unterkunft im Bedarfszeitraum auf dem örtlichen Wohnungsmarkt nicht vorhanden bzw. trotz ernsthafter und intensiver Bemühungen nicht auffindbar oder eine vorhandene Unterkunft ihm nicht zugänglich ist (BVerwGE 101, 194 <198>). Dies hat die Klägerin trotz Aufforderung des Berufungsgerichts nicht getan. Das Berufungsgericht hat vielmehr in einer das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Weise festgestellt, dass die Klägerin jegliche substantiierte Darlegung zum Wohnungsmarkt im Jahr 1996 und ihrer Bemühungen um eine kostenangemessene Wohnung zumindest seit Februar 1996, als sie von der Gemeinde G. erstmals auf die Unangemessenheit der Wohnungskosten hingewiesen worden war, hat fehlen lassen.

Die Klage war deshalb unter Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen abzuweisen (§ 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO). Die Kosten-entscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.

Ende der Entscheidung

Zurück