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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 27.11.2002
Aktenzeichen: BVerwG 6 A 4.02
Rechtsgebiete: GG, WRV, VereinsG, VwVfG


Vorschriften:

GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 4 Abs. 1
GG Art. 4 Abs. 2
GG Art. 9 Abs. 1
GG Art. 9 Abs. 2
GG Art. 20 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 2
GG Art. 79 Abs. 3
GG Art. 140
WRV Art. 137 Abs. 2
VereinsG § 3
VereinsG § 14
VereinsG § 15
VwVfG § 28
VwVfG § 37
Eine Religionsgemeinschaft kann nach dem seit dem 8. Dezember 2001 geänderten Vereinsgesetz verboten werden, wenn sie sich in kämpferisch-aggressiver Weise gegen die Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaat oder den in Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Grundsatz der Menschenwürde richtet.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 6 A 4.02

Verkündet am 27. November 2002

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung am 27. November 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hahn, Dr. Gerhardt, Dr. Graulich und Vormeier

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Das Bundesministerium des Innern stellte durch Verfügung vom 8. Dezember 2001 (im Folgenden: Verfügung) fest, dass sich der "Kalifatsstaat" - Kläger - , der unter der Bezeichnung "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden" ("Islami Cemaatleri ve Cemiyetleri Birligi" - ICCB) im Vereinsregister eingetragen sei, einschließlich bestimmter Teilorganisationen, sowie die "Stichting Dienaar aan Islam" - Klägerin - gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richteten und die innere Sicherheit sowie sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdeten. Die Kläger wurden verboten und aufgelöst. Ferner wurden die Verwendung von Kennzeichen des Klägers sowie die Bildung von Ersatzorganisationen und die Fortführung bestehender Organisationen als Ersatzorganisationen verboten. Das Vermögen der Kläger wurde beschlagnahmt und eingezogen. Die Verfügung wurde im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der "Kalifatsstaat" wolle unter der Führung ihres selbsternannten "Emir der Gläubigen und Kalif der Muslime" Metin Kaplan nicht nur das laizistische Staatsgefüge der Türkei beseitigen, sondern strebe darüber hinaus eine islamische Ordnung auf der Grundlage der Scharia mit dem Endziel der Weltherrschaft des Islam an. Den Äußerungen des "Kalifatsstaats" sei zu entnehmen, dass er die Demokratie für mit dem Islam unvereinbar und für verderblich halte. Der "Kalifatsstaat" beanspruche im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen eigene Staatsgewalt. Die Agitation gegen die Republik Türkei verstoße ebenso gegen den Gedanken der Völkerverständigung wie die Agitation gegen Israel, die Juden und gegen andere Staaten. Der "Kalifatsstaat" verfolge seine Ziele in kämpferisch-aggressiver Weise. Seine Äußerungen seien hetzerisch und von Aufrufen zur gewaltsamen Auseinandersetzung mit dem (politischen) Gegner geprägt. In der Propagierung gewaltsamer Mittel liege zugleich eine Gefährdung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Diese ergebe sich auch aus den Drohungen gegen Abtrünnige des "Kalifatsstaats", die im Fall des Herrn Sofu zur Verurteilung des Herrn Metin Kaplan zu einer Freiheitsstrafe wegen Aufforderung zu Straftaten geführt hätten. Zudem verunglimpfe der "Kalifatsstaat" die Bundesrepublik und ihre Einrichtungen und gefährde sonstige Belange der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere im Verhältnis zur Türkei.

Zur Begründung ihrer Klage tragen die Kläger verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Streichung des so genannten Religionsprivilegs durch das Erste Gesetz zur Änderung des Vereinsgesetzes vor. Ferner machen sie Mängel des Verwaltungsverfahrens geltend. In der Sache wenden sich die Kläger gegen die Verbotsverfügung vor allem deshalb, weil die Kläger den "Kalifatsstaat" in der Türkei und anderen Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, nicht aber in Deutschland verwirklichen wollten; die vom Bundesministerium des Innern ausgewerteten Unterlagen seien im Zusammenhang zu verstehen und belegten keine kämpferisch-aggressive Haltung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland.

Die Kläger beantragen,

die Verbotsverfügung vom 8. Dezember 2001 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, Bezug genommen.

II.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtene Verfügung ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Die Verfügung lässt verwaltungsverfahrensrechtliche Mängel nicht erkennen. Die Rügen der Kläger greifen nicht durch.

a) Die Zuständigkeit des Bundesministeriums des Innern ist hinsichtlich des Klägers nach § 14 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz) vom 5. August 1964, hier anzuwenden in der Fassung der Änderung durch das Erste Gesetz zur Änderung des Vereinsgesetzes vom 4. Dezember 2001 (BGBl I S. 3319) - VereinsG -, gegeben. Bei dem Kläger handelt es sich um einen Ausländerverein. Seine Mitglieder und Leiter sind zumindest überwiegend türkische Staatsangehörige. Auf die von Klägerseite aufgeworfene Frage einer Gleichstellung türkischer Staatsangehöriger mit Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union kommt es nicht an, weil erst seit dem 1. Januar 2002 Vereine, deren Mitglieder oder Leiter sämtlich oder überwiegend ausländische Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union sind, gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 VereinsG n.F. nicht als Ausländervereine gelten (Art. 22 Abs. 1 des Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus vom 9. Januar 2002, BGBl I S. 361). Die Organisation und Tätigkeit des Klägers erstreckt sich über das Gebiet eines Landes hinaus. Die Zuständigkeit hinsichtlich der Klägerin als eines Vereins mit Sitz im Ausland folgt aus § 15 Abs. 1 Satz 2 VereinsG.

b) Einer Anhörung der Kläger vor Erlass der Verfügung bedurfte es nicht. Nach § 28 Abs. 1 VwVfG ist vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG kann von einer Anhörung abgesehen werden, wenn nach den Umständen des Einzelfalls eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint. Es genügt, dass die Behörde unter diesen Gesichtspunkten eine sofortige Entscheidung für notwendig halten durfte (vgl. Urteil vom 18. Oktober 1988 - BVerwG 1 A 89.83 - BVerwGE 80, 299, 304 m.w.N.).

Die Befürchtung der Beklagten, die Infrastruktur und das Vermögen der Kläger wären bei einer Anhörung vor dem Zugriff geschützt und damit der Zweck des Vereinsverbots in Frage gestellt worden (vgl. S. 57 der Verfügung), lässt sich nach den Umständen nicht beanstanden. Das Bestreben, einer Verbotsverfügung auf diese Weise größtmögliche Wirksamkeit zu geben, rechtfertigt in der Regel ein Absehen von der Anhörung. Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Die einem Vereinsverbot nicht selten und so auch hier vorausgehende öffentliche Erörterung hat nicht denselben "Ankündigungseffekt" wie die Anhörung im Rahmen eines (konkreten) Verwaltungsverfahrens. Ebenso wenig war eine Anhörung deshalb geboten, weil Religionsgemeinschaften vor dem In-Kraft-Treten des erwähnten Ersten Gesetzes zur Änderung des Vereinsgesetzes - im Folgenden: Erstes Änderungsgesetz - am 8. Dezember 2001 (Art. 2 dieses Gesetzes) nicht verboten werden konnten. Wie noch darzulegen ist, war der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, den von der Gesetzesänderung Betroffenen die Möglichkeit einzuräumen, sich auf die neue Rechtslage einzustellen. Es ist nicht Zweck der Anhörung nach § 28 VwVfG, dafür Ersatz zu schaffen. Soweit die Kläger aus dem zeitlichen Zusammenhang von Erlass der Verbotsverfügung und In-Kraft-Treten des Ersten Änderungsgesetzes herleiten, die Anhörung sei wegen des auf der Verbotsbehörde lastenden politischen Drucks unterblieben, kann dahingestellt bleiben, inwieweit diese Erwägung tragfähig ist. Jedenfalls wird durch sie die dargelegte Rechtfertigung für ein Absehen von der Anhörung vor Erlass der angefochtenen Verfügung nicht in Frage gestellt.

c) Die Verfügung lässt die erlassende Behörde und die Namenswiedergabe des Beauftragten des Behördenleiters erkennen und genügt damit den Anforderungen des § 37 Abs. 3 VwVfG. Entgegen der Ansicht der Kläger regelt diese Vorschrift nicht, wer in der erlassenden Behörde zeichnungsberechtigt ist; dies ist eine Frage des Organisationsrechts. Die Kläger haben ihren Vortrag, die Verfügung sei nicht von einer beauftragten Person unterschrieben worden, nicht substantiiert. Der erkennende Senat sieht keinen Anlass zu entsprechender Aufklärung und zu weiteren Rechtsausführungen.

d) Die Verfügung ist hinreichend bestimmt (§ 37 Abs. 1 VwVfG).

aa) Bedenken ergeben sich insoweit nicht aus dem klägerischen Vortrag, bei dem "Kalifatsstaat" handele es sich um einen Zusammenschluss ohne eigene Rechtspersönlichkeit und der "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V." gehöre nicht zu ihm. Die Beklagte geht dagegen davon aus, dass der "Kalifatsstaat" unter der Bezeichnung "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden" im Vereinsregister eingetragen ist, diese Organisationsbezeichnung allerdings nicht mehr verwendet (S. 7 f. der Verfügung). Die Verbotsverfügung ist erkennbar und auch aus der Sicht des Klägers gegen diesen als tatsächlich bestehende Organisation gerichtet. Dieser eindeutige Gehalt der Verfügung wird nicht in Frage gestellt, wenn der "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V.", wie der Kläger vorträgt, eine vom "Kalifatsstaat" gesonderte Vereinigung darstellen sollte. In diesem Fall wäre lediglich auf eine Klage des "Verbands der islamischen Vereine und Gemeinden e.V." zu untersuchen, ob dieser als eigenständige Vereinigung in die Verbotsverfügung einbezogen sein sollte.

bb) Soweit die Kläger sich darauf berufen, dass weitere Verfügungen des Bundesministeriums des Innern gegenüber Teilorganisationen sich auf ein am 8. Dezember 2001 erlassenes Vereinsverbot bezögen, obwohl die Verfügung vom 8. Dezember 2001 erst am 12. Dezember 2001 wirksam geworden sei, und deshalb rechtswidrig seien, betrifft ihr Vortrag Verfügungen, die sie nicht zum Gegenstand ihrer Klage gemacht haben und über die in diesem Verfahren nicht zu befinden ist.

2. Die Verfügung stützt sich auf gültige Rechtsgrundlagen (§ 3 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 1 VereinsG). Maßgeblich ist die Rechtslage bei Erlass der Verfügung am 12. Dezember 2001, nicht diejenige bei Abfassung und Unterzeichnung des Verfügungstextes. Mit dem Ersten Änderungsgesetz ist § 2 Abs. 2 Nr. 3 VereinsG aufgehoben worden, demzufolge Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen keine Vereine im Sinne des Gesetzes waren (sog. Religionsprivileg). Die daraus resultierende Gesetzeslage ist mit höherrangigem Recht vereinbar.

a) Die Erstreckung der Verbotstatbestände nach dem Vereinsgesetz (§ 3 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 1 Satz 1 VereinsG) auf Religionsgemeinschaften - um eine solche handelt es sich beim Kläger - durch das Erste Änderungsgesetz ist jedenfalls insoweit verfassungsrechtlich unbedenklich, als es um die Abwehr verfassungsfeindlicher Bestrebungen im folgenden Sinn geht. Ungeachtet möglicher Unterschiede in der verfassungsrechtlichen Ableitung ist allgemein anerkannt, dass die Vereinigungsfreiheit der Religionsgemeinschaften gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 WRV (vgl. BVerfGE 83, 341, 354 f.) grundsätzlich ihre Schranke in der Abwehr von Gefahren für die verfassungsmäßige Ordnung findet (vgl. Urteile vom 23. März 1971 - BVerwG 1 C 54.66 - BVerwGE 37, 344, 363 ff. und vom 26. Juni 1997 - BVerwG 7 C 11.96 - BVerwGE 105, 117, 121 f.; Pieroth/Kingreen, NVwZ 2001, 841, 845; Schmieder, VBlBW 2002, 146, 148; Michael, JZ 2002, 482, 485 f.; Groth, KritV 85 <2002>, 39; vgl. auch Poscher, KritV 85 <2002>, 298). Der schwerwiegende Eingriff des Verbots einer religiösen Vereinigung ist angesichts des Gewichts, das die Freiheit des religiösen Bekenntnisses in der verfassungsrechtlichen Ordnung des Grundgesetzes hat, allerdings nur gerechtfertigt, wenn er bei der Abwägung der kollidierenden Verfassungsgüter nach dem Grundsatz eines schonenden Ausgleichs (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) unerlässlich ist (vgl. Urteil vom 23. März 1971, a.a.O., S. 365 f.). Dies wird in der Regel der Fall sein, wenn sich die Vereinigung gegen die in Art. 79 Abs. 3 GG genannten Verfassungsgrundsätze richtet. Denn der Staat darf eine systematische Beeinträchtigung oder Gefährdung dieser jeglicher Änderung entzogenen Grundsätze nicht hinnehmen. Dazu gehören neben dem in Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Grundsatz der Menschenwürde und dem von ihm umfassten Kernbereich der nachfolgenden Grundrechte die Prinzipien von Rechtsstaat und Demokratie (vgl. BVerfGE 102, 370, 392). Unter welchen Voraussetzungen darüber hinaus Religionsgemeinschaften verboten werden können, bedarf hier keiner Klärung.

b) Die Anwendung des Vereinsgesetzes auf Religionsgemeinschaften begegnet auch sonst keinen durchgreifenden Bedenken.

aa) Der Gesetzgeber war verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, im Hinblick auf die Bedeutung der religiösen Vereinigungsfreiheit auch für die individuelle Glaubensbetätigung besondere Vorkehrungen für ein Wiederaufleben des verbotenen Vereins - etwa durch eine Befristung des Verbots - zu treffen (vgl. Schmieder, VBlBW 2002, 146, 151). Mit dem Vereinsverbot wird der Verein aufgelöst; er erlischt mit dem Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verbots und der Einziehungsanordnung (§ 3 Abs. 1 Satz 1, § 11 Abs. 2 Satz 1 und 3 VereinsG). Die betroffenen Vereinsmitglieder können sich jederzeit zu einer neuen Vereinigung zusammenschließen, sofern diese die verfassungswidrigen Bestrebungen des verbotenen Vereins nicht weiterverfolgt (§ 8 Abs. 1 VereinsG). Dies gilt auch für die gemeinschaftliche Religionsausübung in Gestalt eines Vereins (§ 2 Abs. 1 VereinsG). Aus welchen Gründen die allgemeinen Regelungen für die Entfaltung der Religionsfreiheit nicht ausreichen sollten, ist nicht ersichtlich.

bb) Der Umstand, dass Vermögensgegenstände oder Rechtsbeziehungen von Religionsgemeinschaften besonderen glaubensbedingten Bestimmungen oder Bindungen, die vom Staat zu respektieren sind, unterliegen können, steht einem Verbot nicht grundsätzlich entgegen. Derartigen Gegebenheiten kann und muss, soweit nötig, bei der Abwicklung der Rechtsverhältnisse im Einziehungsverfahren Rechnung getragen werden (§ 11 Abs. 2 Satz 4 VereinsG).

cc) Das Verbot eines Ausländervereins, der eine Religionsgemeinschaft ist, verstößt nicht etwa deshalb gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), weil von Deutschen gebildete Religionsgemeinschaften nicht verboten werden könnten. Soweit im Schrifttum die Auffassung vertreten wird (Michael, JZ 2002, 482, 488), der für das Verbot von Deutschen gebildeter Religionsgemeinschaften allein in Betracht kommende § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG sei auf Religionsgemeinschaften nicht anwendbar, weil bei solchen Vereinigungen für die von dieser Bestimmung vorausgesetzten Anwendbarkeit des Art. 9 Abs. 2 GG kein Raum sei, rechtfertigt dies nicht die Annahme eines Gleichheitsverstoßes zu Lasten von Ausländervereinen.

Nach Art. 9 Abs. 2 GG sind Vereinigungen verboten, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten. Dem entspricht die Ausgestaltung des Vereinsverbots im Vereinsgesetz. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG darf ein Verein, der kein Ausländerverein ist, erst dann als verboten (Art. 9 Abs. 2 GG) behandelt werden, wenn das Vorliegen eines Verbotsgrundes durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist; in der Verfügung ist die Auflösung des Vereins anzuordnen. Das Verbot besteht aus der Feststellung und der Auflösungsanordnung, enthält aber selbst keinen Verbotsausspruch. Da Art. 9 GG nur für Deutsche gilt, bestimmt § 14 Abs. 1 VereinsG, dass Ausländervereine unter den in der Vorschrift genannten Voraussetzungen verboten werden können. Der Gesetzgeber ist bei der Streichung des sog. Religionsprivilegs davon ausgegangen, dass Art. 9 Abs. 2 GG auch für Religionsgemeinschaften gilt. Ferner ist den Materialien eindeutig sein Wille zu entnehmen, Religionsgemeinschaften unabhängig von der Staatsangehörigkeit ihrer Leiter oder Mitglieder den Bestimmungen des Vereinsgesetzes zu unterstellen (BTDrucks 14/7026 S. 6; ferner BTDrucks 14/7386 <neu> S. 50). Von seinem verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt her hatte der Gesetzgeber keinen Anlass, die Unterschiede in der rechtlichen Konstruktion des Vereinsverbots nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG und desjenigen nach § 14 Abs. 1 Satz 1 VereinsG für Religionsgemeinschaften zu überdenken. Sollten allerdings die Schranken der religiösen Vereinigungsfreiheit nicht aus Art. 9 Abs. 2 GG unmittelbar oder wenigstens in entsprechender Anwendung folgen, sondern der Verfassung anderweit immanent sein, bedürfte das Verbot einer von Deutschen gebildeten Religionsgemeinschaft einer gesetzlichen Ermächtigung nach Art des § 14 Abs. 1 VereinsG. Eine solche Verbotsmöglichkeit enthält das Vereinsgesetz zwar nicht ausdrücklich, so dass sich die eingangs aufgeworfene Frage einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung deutscher und ausländischer Träger der religiösen Vereinigungsfreiheit stellt. Nach den erwähnten Vorstellungen des Gesetzgebers würde das Fehlen dieser Verbotsmöglichkeit aber eine unbeabsichtigte, planwidrige Lücke darstellen. Diese könnte und müsste im Wege einer analogen Anwendung der § 3 Abs. 1, § 14 Abs. 1 Satz 1 VereinsG, soweit dieser das Verbot von Religionsgemeinschaften zulässt, geschlossen werden.

Die Verfügung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG ist durch drei Elemente gekennzeichnet. Zunächst wird durch die genannte Vorschrift den Verbotsbehörden die Aufgabe zugewiesen, die bereits kraft Verfassungsrechts bestehenden Schranken der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 2 GG) im Hinblick auf den Einzelfall (konkretisierend) nachzuvollziehen. Sodann darf ein Verein erst nach Ergehen der Verfügung als verboten behandelt werden. Schließlich ist notwendiger Bestandteil der Verfügung die Anordnung der Auflösung des Vereins. Im praktischen Ergebnis unterscheidet sich eine Verfügung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG so gut wie nicht von einer Verbotsverfügung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 VereinsG. Alles dies eröffnet die Möglichkeit, dem Vereinsgesetz nötigenfalls die Ermächtigung zum Verbot auch einer von Deutschen gebildeten Religionsgemeinschaft zu entnehmen. Insbesondere deckt sich der den Verbotsbehörden durch § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG zugewiesene Konkretisierungsauftrag mit der Aufgabe, die bei der Konkretisierung der verfassungsimmanenten Schranken der religiösen Vereinigungsfreiheit im dargestellten Sinn zu erfüllen ist. Zudem enthält die Verfügung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG wesentliche Merkmale einer "echten" Verbotsverfügung (konstitutive Wirkung der Feststellung; Auflösungsanordnung), auch wenn sie mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Vorgabe des Art. 9 Abs. 2 GG nicht als solche ausgestaltet ist. Zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung der von Deutschen und der von Ausländern gebildeten Religionsgemeinschaften müssen die Verbotsbehörden gegebenenfalls den aufgezeigten Weg beschreiten.

Die hier vorliegenden Besonderheiten rechtfertigen es, die Befugnis für den schwerwiegenden Eingriff in Gestalt eines Vereinsverbots im Wege der Analogie zu begründen. Zum einen hat der Gesetzgeber erkennbar aufgrund verfassungsrechtlicher Erwägungen, die er nach der vorliegenden Rechtsprechung (vgl. Urteile vom 23. März 1971 und vom 26. Juni 1997, jeweils a.a.O.) für tragfähig ansehen durfte, davon abgesehen, zu überprüfen, ob sein Regelungsziel mit dem vorhandenen Normenbestand auch bei einem gewandelten Verfassungsverständnis verwirklicht werden kann. Zum andern geht es hier darum, eine offenkundig unbeabsichtigte und lediglich rechtskonstruktive Lücke der im Vereinsgesetz umfassend angelegten Befugnisse der Verbotsbehörden in enger Anlehnung an die gesetzliche Regelung zu schließen. In einem solchen Fall ist dem gesetzgeberischen Willen im Wege verfassungskonformer Auslegung Geltung zu verschaffen.

dd) Allerdings könnte sich eine Ungleichbehandlung dann ergeben, wenn, was bei einem Deutschenverein unzulässig ist (§ 1 Abs. 2, § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG), eine als Ausländerverein zu qualifizierende Religionsgemeinschaft als verboten behandelt wird, bevor eine Verbotsverfügung ergangen ist (vgl. § 14 Abs. 2 Satz 2 VereinsG). Diesbezügliche Probleme berühren indes nicht die rechtlichen Grundlagen von Verbotsverfügungen, sondern stellen sich allenfalls bei der rechtlichen Beurteilung des jeweiligen Verwaltungshandelns.

ee) Ein Verbot von Religionsgemeinschaften, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, auf der Grundlage der Vorschriften des Vereinsgesetzes steht nicht im Widerspruch zur Gewährleistung der Religionsfreiheit des Art. 9 EMRK. Nach Art. 9 Abs. 2 EMRK darf die Religions- und Bekenntnisfreiheit nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind. Es unterliegt keinem Zweifel, dass ein Vereinsverbot unter den genannten Voraussetzungen zu den in einer demokratischen Gesellschaft notwendigen Maßnahmen zumindest im Interesse der öffentlichen Ordnung, nämlich der demokratisch-rechtsstaatlichen Ordnung selbst, gehört (vgl. zu Art. 11 Abs. 2 EMRK Urteil vom 25. Januar 1978 - BVerwG 1 A 3.76 - BVerwGE 55, 175 <183>; ferner etwa Urteil vom 13. April 1999 - BVerwG 1 A 3.94 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 30, S. 16).

Entsprechendes gilt für Art. 18 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte.

c) Soweit die Kläger sich auf den Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation berufen, verkennen sie, dass das Assoziationsrecht, das durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963 (BGBl II 1964, 509) begründet worden ist, keine Bestimmungen über die religiöse Vereinigungsfreiheit enthält und auch nicht durch Bezugnahmen auf das Recht der Europäischen Gemeinschaften vermittelt. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, inwiefern die angefochtene Verfügung, worauf der klägerische Vortrag abzielt, eine Diskriminierung türkischer Staatsangehöriger darstellen könnte.

d) Das Erste Änderungsgesetz unterliegt ferner keinen Bedenken unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten.

aa) Entgegen der Ansicht der Kläger entfaltet das Erste Änderungsgesetz keine Rückwirkung. Es regelt weder in der Vergangenheit abgeschlossene Sachverhalte neu (sog. echte Rückwirkung) noch knüpft es mit seinen Regelungen an Sachverhalte an, die in der Vergangenheit begründet worden sind und noch fortdauern (sog. unechte Rückwirkung). Der Wegfall des so genannten Religionsprivilegs hat bewirkt, dass die Verbotsbehörden seit dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Ersten Änderungsgesetzes Maßnahmen nach dem Vereinsgesetz auch gegenüber Religionsgemeinschaften treffen können. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verbotsverfügung ist derjenige ihres Erlasses. Dies gilt auch für die hier entscheidende Frage, ob sich die Kläger gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Zu deren Beurteilung können - wie auch sonst im Gefahrenabwehrrecht - zurückliegende Umstände herangezogen werden, soweit sie im maßgeblichen Zeitpunkt noch aussagekräftig sind. Dies wirft keine Fragen auf, die mit der Zulässigkeit rückwirkender Gesetzgebung in Zusammenhang gebracht werden können.

Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich auch nicht aus dem Vorbringen, die angefochtene Verfügung sei auf Umstände gestützt, die bis zum In-Kraft-Treten der Gesetzesänderung hinzunehmen gewesen seien; auch im Hinblick auf die Bedeutung der Freiheit des religiösen Bekenntnisses unterliege die Verwertung früherer Tatsachen zur Begründung der angefochtenen Verfügung dem Rückwirkungsverbot; zumindest sei der Gesetzgeber verpflichtet gewesen, den betroffenen Religionsgemeinschaften in geeigneter Weise - etwa durch einen Zeitraum zwischen Verkündung und In-Kraft-Treten des Gesetzes - Gelegenheit zu geben, sich auf die neue Rechtslage einzustellen. Der damit angesprochene Grundsatz des Vertrauensschutzes ist nicht verletzt.

Der Grundsatz des Vertrauensschutzes findet nur Anwendung, wenn eine Regelung dazu geeignet ist, aus dem Vertrauen auf ihr Fortbestehen heraus Entscheidungen und Dispositionen herbeizuführen (vgl. BVerfGE 13, 39, 45 f.; 30, 367, 389; 75, 246, 280 <"Vertrauensinvestition">). Es ist bereits nicht erkennbar, inwiefern das so genannte Religionsprivileg eine derartige Regelung darstellen könnte. Vor allem aber kann allenfalls ein schutzwürdiges Vertrauen verfassungsrechtliche Bedeutung haben (vgl. BVerfGE 32, 111, 123; 63, 343, 364 f.). Entscheidungen und Dispositionen, die in Verfolgung verfassungsfeindlicher Bestrebungen getroffen werden, sind nicht schutzwürdig. Der Umstand, dass das Vereinsgesetz ein Verbot von Religionsgemeinschaften nicht vorsah, begründet kein schutzwürdiges Vertrauen darauf, Betätigungen fortzuführen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Im Übrigen würde sich bei einer Abwägung etwaiger Positionen, für die eine Religionsgemeinschaft, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet, Vertrauensschutz beanspruchen könnte, mit dem Anliegen des Schutzes der Verfassung Letzteres durchsetzen.

bb) Rechtsstaatliche Bedenken gegen das Erste Änderungsgesetz lassen sich entgegen der Ansicht der Kläger nicht daraus herleiten, dass im Gesetzgebungsverfahren auf den "Kalifatsstaat" und fundamentalistisch-islamistische Vereinigungen Bezug genommen wurde (vgl. BT, Sten.Ber., 14. WP S. 19542 ff.). Da hier kein Gesetz in Rede steht, durch das ein Grundrecht auf der Grundlage einer im Grundgesetz vorgesehenen Grundrechtsschranke eingeschränkt wird, ist das Erste Änderungsgesetz nicht an Art. 19 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG zu messen. Es ist aber auch nicht erkennbar, worin ein im Hinblick auf allgemeine Aspekte der Einzelfallgesetzgebung denkbarer Verfassungsverstoß (vgl. BVerfGE 25, 371, 398; 99, 367, 400; s. auch BVerfGE 10, 234, 244 f. <"getarntes Individualgesetz">) liegen könnte. Das Gesetz ist generell-abstrakt gefasst. Die Begründung des Gesetzentwurfs bezieht sich zudem nicht nur auf fundamentalistisch-islamistische Vereinigungen, sondern auch auf "Vereinigungen mit Gewinnerzielungsabsicht oder politischen Zielen, die für sich den Status einer religiösen bzw. weltanschaulichen Vereinigung reklamieren" sowie auf Weltuntergangssekten (vgl. BTDrucks 14/7026 S. 6). Selbst wenn der Fall der Kläger den ausschlaggebenden Anlass für das Erste Änderungsgesetz gegeben haben sollte, wäre dies verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. zum Begriff des "Maßnahmegesetzes" BVerfGE 10, 89, 108; 25, 1, 14).

3. Der Kläger richtet sich gegen die in Art. 79 Abs. 3 GG genannten Grundelemente der verfassungsmäßigen Ordnung und erfüllt deshalb die Voraussetzungen für ein Verbot gemäß § 14 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG. Ob weitere Verbotsgründe vorliegen, bedarf keiner Entscheidung.

a) Der Kläger lehnt die Demokratie und die rechtsstaatliche Ordnung des Grundgesetzes ab. Grundlage der staatlichen Herrschaftsordnung ist seiner Ansicht nach nicht die Selbstbestimmung des Volkes, sondern ausschließlich der Wille Allahs. Maß aller Dinge ist der Koran. Außerhalb der islamischen Religion kann es keinen Staat geben. Der "Kalifatsstaat" versteht sich in diesem Sinn als real existierender Staat mit eigener Staatsgewalt. Das Gewaltmonopol der Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland wird folglich nicht anerkannt. Muslime dürfen nach Ansicht des "Kalifatsstaats" im Konfliktfall demokratische Gesetze nicht anerkennen und befolgen.

Die Mitglieder des "Kalifatsstaats" bekennen sich offen zu einer antidemokratischen Haltung. Der Kläger ist den diesbezüglichen Ausführungen und Belegen in der Verfügung (S. 21 bis 27) nicht nur nicht entgegengetreten, sondern hat in der mündlichen Verhandlung nochmals bekräftigt, dass diese Haltung zu den unverzichtbaren Glaubensgrundlagen des "Kalifatsstaats" gehört (vgl. bereits Schriftsatz vom 9. Januar 2002 S. 21 f.).

Ebenso wenig hat der Kläger die in der Verfügung getroffenen Feststellungen zum Selbstverständnis des "Kalifatsstaats", das mit der rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes, insbesondere mit dem demokratisch fundierten staatlichen Gewaltmonopol unvereinbar ist, grundsätzlich in Frage gestellt (vgl. Verfügung S. 8 ff., 27 bis 30 sowie S. 41 bis 47). Diese Feststellungen stimmen mit denjenigen des Oberlandesgerichts Düsseldorf im Urteil vom 15. November 2000 - VI 11/99 - (Beweismittel Nr. 153 S. 67 ff.) überein. Der erkennende Senat hält diese Feststellungen auf der Grundlage der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände für zutreffend.

Das Selbstverständnis des Klägers als eines Staats mit eigenem Rechtssystem (Scharia) und eigener Staatsgewalt unter der Leitung des Kalifen führt - anders als bei vielen Religionen, die die Autorität staatlicher Gesetze für sich grundsätzlich anerkennen, gleichwohl aber einen Vorbehalt zu Gunsten ihres Gewissens und ihrer aus dem Glauben begründeten Entscheidungen erheben und letztlich darauf bestehen, dass im unausweichlichen Konfliktsfall den Glaubensgeboten mehr zu gehorchen ist als den Geboten des Rechts (vgl. BVerfGE 102, 370, 391) - zu einer grundsätzlichen Ablehnung der Autorität staatlicher Gesetze. Der Kläger legitimiert auf diese Weise, dass sich seine Mitglieder über die deutschen Gesetze hinwegsetzen (vgl. die auf S. 28 der Verfügung wiedergegebene Äußerung eines Zeugen vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf, die auch bei Berücksichtigung der von den Klägern vorgetragenen Relativierungen nicht ohne Bedeutung ist) und die Vorstellungen des "Kalifatsstaats" mit Gewalt, nötigenfalls auch im Widerstand zur deutschen Staatsgewalt durchsetzen. Der vom Kläger vorgelegten Aussage des Zeugen C. zu den Äußerungen des Herrn Metin Kaplan auf dem Neujahrstreffen 1419 am 3. Mai 1998 (Beweismittel Nr. 145 Bl. 3, 26 bis 29, 32) ist die Bereitschaft der Anhänger des "Kalifatsstaats" zu entnehmen, gewalttätig zu reagieren, wenn ihnen Gewalt angetan wird; als ein solcher Fall wird die Verletzung ihrer Heiligtümer angesehen, die etwa darin bestanden habe, dass Durchsuchungsbeamte eine Moschee mit Schuhen und Hunden betreten hätten (vgl. Vernehmungsprotokoll vom 1. und 8. September 1998, S. 6/7 und 13 <Bl. 73 f. und 82 d.A.>). Auch wenn dieser - hier nicht zu bewertende - Vorfall die Mitglieder stark erregt hat, wird dadurch die Tragweite der Aussage nicht in Frage gestellt. Das vom Oberlandesgericht Düsseldorf abgeurteilte Tatgeschehen belegt den Anspruch des Klägers auf nach seinen Vorstellungen legitime Gewaltanwendung (vgl. Urteil vom 15. November 2000, a.a.O., S. 85 ff.). Die Angeklagten Kaplan und Gökbulut waren bereit und in der Lage, Mitglieder des "Kalifatsstaats" unter Einsatz religiös-rechtlicher Autorität und unter Schaffung aufhetzender Begleitumstände gezielt zur Gewaltanwendung aufzurufen. Der "Kalif" Metin Kaplan nahm für sich in Anspruch, die Ermordung des "falschen Kalifen" Halil Ibrahim Sofu als dem Willen Allahs entsprechend und damit religiös geboten zu legitimieren, und setzte diesen Anspruch in einer Weise um, die mit den Grundsätzen des Rechtsstaats schlechthin unvereinbar ist. In das dadurch vermittelte Bild fügt sich das Bestehen einer Gerichtsinstanz ebenso ein wie die Anordnungen des "Kalifatsstaats", mit denen das Leben seiner Anhänger bestimmt und kontrolliert werden sollten (Verfügung S. 27 bis 30). Für sich genommen mögen, wie der Kläger vorträgt, diese Erscheinungen unverfänglich und bei anderen Vereinigungen in ähnlicher Form (Verbandsgerichtsbarkeit; vereinsinterne Verhaltensregeln) zu beobachten sein. Gleichwohl verstärken sie den dargestellten Eindruck, ohne dass es darauf ankäme, ob sie in ihrer konkreten Ausprägung nicht entgegen dem klägerischen Vortrag doch über die im zivilen Vereinsleben üblichen Formen der Ausübung der Verbandsgewalt hinausgehen.

Aus diesen Feststellungen folgt zugleich, dass sich der Kläger gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland richtet, indem er das Ziel, sie zu untergraben, in kämpferisch-aggressiver Weise verfolgt. Er stellt nicht lediglich seine Vorstellungen eines islamischen Staats der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes kritisch oder ablehnend entgegen, sondern bekämpft sie aktiv. Zwar soll der "Kalifatsstaat", worauf der Kläger in diesem Verfahren mehrfach überzeugend hingewiesen hat, in erster Linie in der Türkei und in Ländern mit überwiegend muslimischer Bevölkerung erkämpft werden. Richtig erscheint auch der weitere Hinweis darauf, dass das ideologische Endziel der weltweiten Herrschaft des "Kalifatsstaats" in absehbarer Zeit nicht erreichbar ist. Die Frage, inwiefern derartige, auf den voraussichtlichen Erfolg der Vereinstätigkeit bezogene Einwände für die Beurteilung eines Vereinsverbots erheblich sind (vgl. dazu Urteil vom 13. April 1999, a.a.O., S. 15 m.w.N.), kann jedoch dahingestellt bleiben. Denn der Kampf des "Kalifatsstaats" berührt auch die Bundesrepublik Deutschland, und zwar nicht nur virtuell, sondern aktuell.

Der Herrschaftsanspruch des "Kalifatsstaats" tritt zwangsläufig in Konflikt mit der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Der Kläger bestreitet deren Legitimität und setzt eine eigene Ordnung an deren Stelle. In diesem Sinne schult und indoktriniert der Kläger unbestrittenermaßen fortlaufend seine Mitglieder und schafft damit Verfassungsfeinde (vgl. grundsätzlich Urteil vom 2. Dezember 1980 - BVerwG 1 A 3.80 - BVerwGE 61, 218, 221). Ist die Demokratie, wie vom Kläger propagiert wird, eine Krankheit und Teufelswerk, ist sie nach dem Selbstverständnis des Klägers von den auf ihr Heil bedachten Anhängern des "Kalifatsstaats" überall zu bekämpfen. Auch wenn die im Beweismittel Nr. 140 enthaltene Aussage "2. Es ist eine kanonische Pflicht, gegen die Ungläubigen den Jihad zu führen. Diese Pflicht besteht auch dann, selbst wenn nicht die Ungläubigen es sind, die den Krieg begonnen haben." nicht im Sinne einer aktuellen Aufforderung zu Kampfhandlungen zu verstehen sein mag, enthält sie doch einen Grundauftrag in der genannten Richtung. Weiter liegt es in der Konsequenz des Herrschaftsanspruchs des "Kalifatsstaats" als einzig legitimen "Staats", dass sich der Kläger zur Ausübung von Gewalt gegenüber Mitgliedern und Abweichlern und im Konfliktfall auch gegenüber den deutschen Staatsorganen für legitimiert ansieht. Die Mitglieder des "Kalifatsstaats" müssen sich dadurch zu entsprechenden Gewalthandlungen für ermächtigt halten. Der Kläger richtet sich damit - unabhängig von der Frage, in welchem Ausmaß die innere Sicherheit durch seine Tätigkeit bedroht ist - gegen die Grundlagen der demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung.

Wie die zuvor dargestellten Vorgänge und Äußerungen belegen, ist der Anspruch des Klägers auf legitime Gewaltanwendung auch in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur theoretischer Natur, sondern sogar bereits verwirklicht worden. Dem Vorbringen des Klägers lässt sich nicht entnehmen, dass der aufgezeigte Konflikt zwischen dem "Kalifatsstaat" und der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes von Seiten des "Kalifatsstaats" zwischenzeitlich in einer Weise gelöst worden sei oder noch gelöst werden könnte, die ein Vereinsverbot entbehrlich machen würde. Es besteht jederzeit die Gefahr, dass sich der Konflikt aktualisiert und manifestiert. Mit der Erklärung, die Auseinandersetzung mit dem "falschen Kalifen" Sofu habe leider eine "sehr emotionsgeprägte Seite" angenommen und Metin Kaplan bedauere die Ermordung Sofus und würde nicht erneut, wie geschehen, vorgehen, können die Feststellungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf zur Einbettung dieser Auseinandersetzung in das Selbstverständnis des "Kalifatsstaats" und zur planmäßigen Überleitung der verbalen Attacken in die Aufforderung zur Gewaltanwendung, die der erkennende Senat für überzeugend hält, nicht entkräftet werden. Ferner lässt sich daraus, dass weitere Gewaltakte nicht bekannt geworden sind, nicht auf einen grundlegenden Wandel in der Haltung des Klägers schließen. Aus den politischen Verhältnissen in der Türkei kann der Kläger nichts für sich herleiten. Der Vortrag, der Kläger habe seine - nicht selbst verursachte - Isolierung durchbrochen, was die Durchführung einer Pressekonferenz (Pressemitteilung in "ÜMMET-I MUHAMMED" vom 15. November 2001) zeige, geht ebenfalls nicht auf den Kern der verfassungsfeindlichen Bestrebungen des Klägers ein. Schließlich wird die Virulenz der antidemokratischen und antirechtsstaatlichen Haltung des Klägers nicht dadurch abgeschwächt, dass er sie in den Gesamtzusammenhang seiner Lehren und Auffassungen stellt und damit zu relativieren versucht.

b) Zur aggressiv-kämpferischen Haltung des Klägers gegenüber Demokratie und Rechtsstaat tritt hinzu, dass der Kläger die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte nicht achtet, sondern in schwerwiegender und die Menschenwürde verletzender Weise missachtet. Offen bleiben kann, ob sich dies, wie die Beklagte meint, aus den Anweisungen des Klägers gegenüber seinen Mitgliedern herleiten lässt (vgl. Verfügung S. 28 bis 30). Jedenfalls sind die dem Kläger zuzurechnenden Äußerungen in der verbandseigenen Zeitung "ÜMMET-I MUHAMMED" über Juden und führende Politiker der Türkei von Ausdrücken geprägt, die - auch unter Berücksichtigung des von ihm vorgetragenen Zusammenhangs mit der politischen Auseinandersetzung - nicht mehr als bloße Rhetorik verstanden werden können, sondern eine menschenverachtende Intoleranz zum Ausdruck bringen (vgl. im Einzelnen die vom Kläger nicht bestrittenen, auf S. 30 bis 38 der Verfügung zitierten Äußerungen). Die Diffamierungen sind stets mehr oder weniger deutlich mit der Aufforderung verbunden, die Diffamierten zu bekämpfen. Dies ist mit der durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Würde des Menschen unvereinbar (vgl. Urteil vom 23. März 1971, a.a.O., S. 360).

4. Das Verbot des Klägers entspricht den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und lässt Ermessensfehler nicht erkennen.

Eine Religionsgemeinschaft darf, wie erwähnt, nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur verboten werden, wenn dies zum Schutz der Verfassungsgüter, gegen die sie sich richtet, unerlässlich ist. Insbesondere darf sich die verfassungsfeindliche Tätigkeit nicht mit milderen Mitteln unterbinden lassen. Danach ist ein Verbot beispielsweise dann gerechtfertigt, wenn die verfassungsfeindlichen Bestrebungen einen wesentlichen, unabtrennbaren Teil des Gedankenguts der verbotenen Religionsgemeinschaft darstellen. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Die Verteufelung der Demokratie und die rechtsstaatswidrige Anmaßung legitimer Gewaltausübung gehören wesentlich zum Selbstverständnis des Klägers. Sein Verbot ist zum Schutz der Verfassung unerlässlich.

Die Beklagte hat darüber hinaus in ihre Abwägung eingestellt, dass weder Strafverfahren gegen Führer und Mitglieder des Klägers noch behördliche Verbote politischer Betätigung zur Eindämmung seiner Aktivitäten geführt haben. Ferner hat sie zutreffend ausgeführt, dass die verfassungsmäßige Ordnung durch die Zielsetzung und die Organisation des "Kalifatsstaats" als solchen und nicht durch bestimmte Tätigkeiten oder das Verhalten einzelner Funktionäre gefährdet wird (Verfügung S. 55 f.). Auf die Dauer seines Bestehens kommt es daneben nicht an. Diese Erwägungen weisen keine Abwägungs- oder Ermessensfehler auf.

5. Die Beklagte hat die Klägerin zutreffend als ausländischen Verein mit einer Teilorganisation in der Bundesrepublik Deutschland angesehen (§ 15 Abs. 1, § 18 VereinsG), die im Wesentlichen als Vermögensverwalterin des Klägers fungiert und mit diesem personell eng verflochten ist. Sie fördert dessen Aktivitäten unmittelbar und ausschließlich und verfolgt dessen Ziele. Die Klägerin ist den Feststellungen in der Verfügung (S. 50 bis 55) nicht entgegengetreten. Der erkennende Senat hält diese Ausführungen für überzeugend und nimmt auf sie gemäß § 117 Abs. 5 VwGO Bezug.

6. Die Kläger machen, wie in der mündlichen Verhandlung klargestellt worden ist, nicht geltend, dass ihnen in der Verfügung zugeordnete Vereine keine Teilorganisationen sind. Da eine Rechtsverletzung, die gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO insoweit zur Aufhebung der Verfügung führen könnte, nicht in Betracht kommt, besteht kein Anlass für eine entsprechende Aufklärung und Entscheidung durch den Senat. Sollte der 1. Senat früher von einem weitergehenden Prüfprogramm ausgegangen sein (vgl. Urteil vom 25. Januar 1978, a.a.O., S. 186), hält der nunmehr zuständige erkennende Senat daran nicht fest.

7. Die Nebenentscheidungen der Verfügung sind rechtmäßig. Dies gilt auch für die Beschlagnahme und die Einziehung des Vereinsvermögens (§ 3 Abs. 1 Satz 2 VereinsG). Die Kläger machen sinngemäß geltend, das Vermögen sei von Muslimen im Vertrauen darauf aufgebracht worden, dass der Kläger seine Aktivitäten habe entfalten können, ohne mit einem Verbot rechnen zu müssen, und daraus folge, wenn dieses unter Rückwirkungsgesichtspunkten überhaupt zulässig sein sollte, zumindest, dass das Vermögen im Fall eines rechtskräftigen Verbots in Not geratenen Muslimen zur Verfügung gestellt werden müsse. Dieses Vorbringen betrifft nicht die Anordnung der Beschlagnahme und der Einziehung, sondern ist allenfalls bei deren Durchführung - etwa in den oben 2. b) bb) erwähnten Fällen nach § 11 Abs. 2 Satz 4 VereinsG oder im Rahmen der Verwendung gemäß § 13 Abs. 4 VereinsG - zu berücksichtigen.

8. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 50 000 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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