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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 15.05.1998
Aktenzeichen: BVerwG 6 B 35.98
Rechtsgebiete: WPflG
Vorschriften:
WPflG § 5 Abs. 1 Satz 3 |
1. Materiellrechtlich hängt der Bestand eines angefochtenen Einberufungsbescheides davon ab, daß sich die Verfügbarkeitsentscheidung (Musterungsbescheid, Tauglichkeitsüberprüfungsbescheid) in der verwaltungsgerichtlichen Prüfung als richtig erweist.
2. In den Fällen, in denen das Verfahren auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zum Abschluß kommt, bevor der Wehrpflichtige das 25. Lebensjahr vollendet hat, beginnt der Verlängerungszeitraum gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 WPflG erst mit der Vollendung des 25. Lebensjahres.
Beschluß des 6. Senats vom 15. Mai 1998 - BVerwG 6 B 35.98 -
I. VG Braunschweig vom 17.12.1997 - Az.: VG 9 A 9251/97 -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS
BVerwG 6 B 35.98 f6 VR 2.98) VG 9 A 9251/97
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 15. Mai 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Niehues und die Richter Albers und Büge
beschlossen:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 17. Dezember 1997 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.
Gründe:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat Erfolg. Sie führt gemäß § 133 Abs. 6 VwGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen vor.
1. Die mit der Beschwerde in bezug auf die Tauglichkeitsfrage geltend gemachte Aufklärungsrüge greift durch. Wie der Senat mit Beschluß vom heutigen Tage - BVerwG 6 B 21.98 - festgestellt hat, hat das Verwaltungsgericht dadurch gegen § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen, daß es über die vom Kläger angeführten allergischen Beschwerden keinen Sachverständigenbeweis erhoben hat. Dies wirkt sich unter Zugrundelegung der - insoweit zutreffenden - Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts auch auf den vorliegenden Einberufungsrechtsstreit aus:
Der angefochtene Einberufungsbescheid vom 12. Juni 1997 ist nicht schon deswegen rechtswidrig, weil er vor rechtskräftigem Abschluß des Tauglichkeitsrechtsstreites ergangen ist. Zur Zulässigkeit der Einberufung reicht vielmehr ein vollziehbarer Musterungsbescheid aus (§ 13 Abs. 1 MustV). Auch beim Tauglichkeitsüberprüfungsbescheid handelt es sieh materiell um einen Musterungsbescheid. Die Vollziehbarkeit muß zum festgesetzten Gestellungszeitpunkt gegeben sein (Urteil vom 21. Juni 1972 - BVerwG 8 C 87.70 - BVerwGE 40, 165, 170; Urteil vom 27. Januar 1984 - BVerwG 8 C 12.83 - Buchholz 448.0 § 35 WPflG Nr. 24; Urteil vom 30. Januar 1987 - BVerwG 8 C 72.84 - Buchholz 448.5 § 13 MustV Nr. 21; Urteil vom 19. April 1996 - BVerwG 8 C 3.96 - Buchholz 448.0 § 5 WPflG Nr. 21 S. 11). Der im Falle des Klägers ergangene Tauglichkeitsüberprüfungsbescheid vom 21. Mai 1997 war mit Rücksicht auf den Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 1997 im Gestellungszeitpunkt (1. September 1997) gemäß § 35 Satz 1 WPflG vollziehbar.
Andererseits hängt der Bestand eines angefochtenen Einberufungsbescheides materiellrechtlich davon ab, daß die etwa auch angefochtene Verfügbarkeitsentscheidung, als die sich der Tauglichkeitsüberprüfungsbescheid darstellt, der verwaltungsgerichtlichen Prüfung standhält (Urteil vom 21. Juni 1972, a.a.O. S. 170; Urteil vom 27. Januar 1984, a.a.O. S. 9). Erweist sich daher der Tauglichkeitsüberprüfungsbescheid als rechtswidrig, so muß auch der zugleich angefochtene Einberufungsbescheid aufgehoben werden. Tauglichkeitseinwände kann der Wehrpflichtige daher, solange die Musterungsentscheidung noch nicht unanfechtbar geworden ist, auch dem angefochtenen Einberufungsbescheid entgegensetzen.
Die vorbezeichnete Rechtslage hat das Verwaltungsgericht nicht verkannt. Wie die Ausführungen auf S. 10 des angefochtenen Urteils belegen, hat das Verwaltungsgericht die Tauglichkeitseinwände im vorliegenden Einberufungsrechtsstreit nicht etwa aus verfahrensrechtlichen Gründen für unbeachtlich gehalten, sondern mit seinem Hinweis auf sein klageabweisendes Urteil im Tauglichkeitsrechtsstreit für materiell unbegründet erklärt. Dieselbe Rechtsauffassung lag dem Beschluß des Verwaltungsgerichts vom 15. September 1997 - 9 B 9253/97 - zugrunde, durch welchen die Aussetzung des Tauglichkeitsüberprüfungsbescheides unter Hinweis auf effektiven vorläufigen Rechtsschutz im Einberufungsverfahren abgelehnt wurde. Unter Zugrundelegung der eigenen Rechtsauffassung mußte sich dem Verwaltungsgericht somit die weitere Aufklärung der allergischen Beschwerden des Klägers nicht nur mit Blick auf die Tauglichkeitsüberprüfung, sondern auch in bezug auf die Einberufung aufdrängen. Daraus ergibt sich zugleich, daß der im Verfahren BVerwG 6 B 21.98 festgestellte Verfahrensmangel sich auch auf das klageabweisende Urteil des vorliegenden Einberufungsrechtsstreits ausgewirkt haben kann.
2. Alle übrigen mit der Beschwerde erhobenen Rügen bleiben ohne Erfolg.
a) Dies gilt zunächst hinsichtlich der Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 3 WPflG.
aa) Die diesbezügliche Abweichungsrüge gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO greift nicht durch. Das angefochtene Urteil weicht nicht vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Oktober 1996 - BVerwG 8 C 17.96 - (BVerwGE 102, 184) ab. Der dort aufgestellte Rechtssatz, wonach der Verlängerungszeitraum nach § 5 Abs. 1 Satz 3 WPflG nicht bereits mit der Vollendung des 25. Lebensjahres beginnt, sondern erst mit dem Abschluß des Anerkennungsverfahrens, bezieht sich auf den dort entschiedenen Fall, in welchem das Anerkennungsverfahren erst zum Abschluß gelangt war, nachdem der Wehrpflichtige die allgemeine Altersgrenze bereits überschritten hatte. Im vorliegenden Fall endete das Anerkennungsverfahren aber bereits vor Vollendung des 25. Lebensjahres. Eine Aussage des Inhalts, daß auch in diesem Fall der Verlängerungszeitraum mit dem Abschluß des Anerkennungsverfahrens beginnt, trifft das zitierte Urteil vom 25. Oktober 1996 nicht. Das angefochtene Urteil enthält daher keinen Rechtssatz, der von einem solchen in dem vorbezeichneten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts abweicht.
bb) Der vorliegenden Rechtssache kommt insoweit keine grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach der Verlängerungszeitraum nach § 5 Abs. 1 Satz 3 WPflG frühestens mit Vollendung des 25. Lebensjahres beginnt, ist offensichtlich zutreffend und bedarf deshalb nicht der Überprüfung in einem Revisionsverfahren.
Für diese Auffassung sprechen bereits der Wortlaut der Vorschrift und die Gesetzessystematik. Die in § 5 Abs. 1 Satz 1 WPflG normierte allgemeine Altersgrenze für die Ableistung des Grundwehrdienstes ist maßgebend für den Zeitpunkt des Dienstbeginns. Fällt dieser in die Zeit vor Vollendung des 25. Lebensjahres, so bedarf es keines Hinausschiebens der Altersgrenze. Hieran knüpft die Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 3 WPflG über den Verlängerungszeitraum an: Dieser kann erst mit Erreichen der Altersgrenze beginnen, weil vorher für eine "Verlängerung" schon begrifflich kein Raum ist.
Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten diese Auslegung in den hier in Rede stehenden Fällen, in welchen das Verfahren auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zum Abschluß gelangt, bevor der Wehrpflichtige das 25. Lebensjahr vollendet hat. Wie im zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Oktober 1996 (a.a.O. S. 192) hervorgehoben wird, dient § 5 Abs. 1 Satz 3 WPflG der Gewährleistung der im allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verankerten Wehrgerechtigkeit. Die Vorschrift soll sicherstellen, daß die allgemeine Altersgrenze nicht durch das Wahrnehmen insoweit bestehender tatsächlicher und rechtlicher Möglichkeiten eines erfolglosen Anerkennungsverfahrens unterlaufen wird. Eben diese Überlegungen rechtfertigen es jedenfalls für die hier in Rede stehende Fallgruppe - Abschluß des Anerkennungsverfahrens vor Erreichen der allgemeinen Altersgrenze -, es bei der nach dem Wortlaut der Vorschrift naheliegenden Auslegung zu belassen, wonach der Verlängerungszeitraum erst mit der Vollendung des 25. Lebensjahres beginnt. In der Praxis werden diejenigen Fälle im allgemeinen aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift herausfallen, in denen das Anerkennungsverfahren lange Zeit vor Erreichen der allgemeinen Altersgrenze beendet wurde; in solchen Fällen wird es zumeist an der in § 5 Abs. 1 Satz 3 WPflG vorausgesetzten Kausalität zwischen Anerkennungsverfahren und Unmöglichkeit der Einberufung vor Vollenden des 25. Lebensjahres fehlen. Die Regelung zielt daher typischerweise auf Fälle ab, in welchen das Anerkennungsverfahren wie hier nur kurz vor Vollendung des 25. Lebensjahres endete. Wäre dieser Zeitpunkt maßgeblich für den Beginn des Verlängerungszeitraums, so würde die rechtzeitige und zugleich verfahrensrechtlich korrekte Einberufung (vgl. §§ 20 b Satz 2, 21 Abs. 3 Satz 1 WPflG und § 13 Abs. 3 Satz 1 MustV) vor allem in solchen Fällen häufig scheitern, in denen das Verfahren auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer schon nach kurzer Zeit abgeschlossen wurde, Eine derartige Handhabung der Vorschrift gäbe einen (zusätzlichen) Anreiz, Anerkennungsanträge alsbald wieder zurückzunehmen oder rasch ergangene Ablehnungsbescheide unanfechtbar werden zu lassen oder deren Unanfechtbarkeit durch Erklärung eines Rechtsbehelfsverzichts vorzeitig herbeizuführen. Die vom Verwaltungsgericht befürwortete Rechtsauffassung trägt somit dem verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der Wehrgerechtigkeit offensichtlich stärker Rechnung als die von der Beschwerde für richtig gehaltene Auslegung.
b) Sämtliche die örtliche Zuständigkeit des Kreiswehrersatzamtes betreffenden Rügen gehen fehl. Daß und unter welchen Umständen das Bundesamt für Wehrverwaltung gemäß § 3 Abs. 3 VwVfG die Zustimmung zur Fortführung des Einberufungsverfahrens erteilen kann, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (Urteil vom 22. Februar 1985 - BVerwG 8 C 25.84 - Buchholz 448.0 § 21 WPflG Nr. 36 S. 18 ff). Aus der vorgenannten Entscheidung ergibt sich auch, daß eine allgemeine Weisung des Bundesamtes für Wehrverwaltung, wonach das zunächst örtlich zuständige Kreiswehrersatzamt im Fall einer späteren Änderung der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen bis zum Abschluß des Einberufungsverfahrens zuständig bleibt, bereits seit Ende 1979 existiert. Daß eine dahin gehende Generalzustimmung des Bundesamtes für Wehrverwaltung weiterhin vorliegt, hat die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 1997 sowie im Schriftsatz vom 20. August 1997 dargelegt. Da der Kläger dem nicht widersprochen hat, mußte das Verwaltungsgericht in dieser Richtung nicht weiter aufklären.
3. Im Hinblick auf den unter 1. festgestellten Verfahrensfehler macht der Senat von seinem in § 133 Abs. 6 VwGO eingeräumten Ermessen Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Eine zugelassene Revision würde voraussichtlich zum gleichen Ergebnis führen.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
5. Soweit die Beklagte mit Rücksicht auf die Senatsbeschlüsse vom heutigen Tage im vorliegenden Verfahren sowie im Verfahren BVerwG 6 B 21.98 an ihrem Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO festhalten sollte, wird das nunmehr zuständige Verwaltungsgericht auch darüber zu befinden haben. Eines Verweisungsbeschlusses bedarf es insoweit nicht (Beschluß vom 5. Januar 1972 - BVerwG 8 CB 120.71 - BVerwGE 39, 229).
Ende der Entscheidung
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