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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 17.12.1997
Aktenzeichen: BVerwG 6 B 55.97
Rechtsgebiete: GG
Vorschriften:
GG Art. 3 Abs. 1 |
Leitsätze:
1. Unter Fachfragen, die im prüfungsrechtlichen Verwaltungsstreitverfahren voller gerichtlicher Überprüfung unterliegen, sind alle Fragen zu verstehen, die fachwissenschaftlicher Erörterung zugänglich sind; hierunter fallen sowohl Fragen, die fachwissenschaftlich geklärt sind, als auch solche, die in der Fachwissenschaft kontrovers behandelt werden.
2. Die Verwaltungsgerichte sind gehalten, die mit der prüfungsspezifischen Bewertung verflochtene fachwissenschaftliche Beurteilung gleichsam herauszufiltern und auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.
I. VG Gelsenkirchen vom 04.03.1994 - Az.: VG 3 K 4291.91 II. OVG Münster vom 23.05.1997 - Az.: OVG 22 A 2105/94
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS
BVerwG 6 B 55.97 OVG 22 A 2105/94
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 17. Dezember 1997 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Niehues, die Richterin Eckertz-Höfer und den Richter Büge
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluß des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Mai 1997 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.
1. Der vorliegenden Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Die in der Beschwerdeschrift als klärungsbedürftig bezeichneten Fragen lassen sich, ohne daß es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte, anhand der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres beantworten.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der prüfungsrechtliche Bewertungsspielraum auf prüfungsspezifische Wertungen beschränkt, erstreckt sich also nicht auf alle fachlichen Fragen, die den Gegenstand der Prüfung bilden (Beschluß vom 17. April 1991 - 1 BvR 419.81 u.a. BVerfGE 84, 34, 50). Zutreffende Antworten und brauchbare Lösungen dürfen nicht als falsch bewertet werden. Soweit die Richtigkeit oder Angemessenheit von Lösungen wegen der Eigenart der Prüfungsfrage nicht eindeutig bestimmbar sind, die Beurteilung vielmehr unterschiedlichen Ansichten Raum läßt, muß dem Prüfling ein angemessener Antwortspielraum zugestanden werden. Eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung darf nicht als falsch gewertet werden (a.a.O. S. 55). Fachliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Prüfer und Prüfling sind der gerichtlichen Kontrolle nicht entzogen. Vielmehr hat das Gericht aufgrund hinreichend substantiierter Einwendungen des Prüflings notfalls mit sachverständiger Hilfe darüber zu befinden, ob die von dem Prüfer als falsch bewertete Lösung im Gegenteil richtig oder jedenfalls vertretbar ist (BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1993 - BVerwG 6 C 12.92 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 320 S. 307).
Unter Fachfragen sind alle Fragen zu verstehen, die fachwissenschaftlicher Erörterung zugänglich sind. Hierunter fallen sowohl Fragen, die fachwissenschaftlich geklärt sind, als auch solche, die in der Fachwissenschaft kontrovers behandelt werden. Dieses Verständnis vom Begriff der Fachfrage liegt der zitierten Rechtsprechung zugrunde, in der bezüglich der in Rede stehenden Abgrenzung entscheidend auf die Richtigkeit oder auf die Vertretbarkeit der Antworten des Prüflings abgestellt wird.
Was demgegenüber unter prüfungsspezifischen Wertungen zu verstehen ist, erschließt sich aus demjenigen Grund, der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Einräumung eines prüfungsrechtlichen Bewertungsspielraums zu rechtfertigen vermag. Es handelt sich dabei um das Gebot vergleichender Beurteilung von Prüfungsleistungen, welches letztlich aus dem das Prüfungsrecht beherrschenden Grundsatz der Chancengleichheit herzuleiten ist. Mit diesem Grundsatz wäre es nicht vereinbar, wenn im Verwaltungsprozeß klagende Kandidaten die Chance einer vom Bezugsrahmen unabhängigen Bewertung erhielten (a.a.O. S. 51 f.). Demzufolge hat der beschließende Senat den Prüfern einen Bewertungsspielraum zugebilligt, soweit komplexe prüfungsspezifische Bewertungen - z.B. bei der Gewichtung verschiedener Aufgaben untereinander, bei der Einordnung des Schwierigkeitsgrades der Aufgabenstellung oder bei der Würdigung der Qualität der Darstellung - im Gesamtzusammenhang des Prüfungsverfahrens getroffen werden müssen und sich nicht ohne weiteres in nachfolgenden Verwaltungsstreitverfahren einzelner Prüflinge isoliert nachvollziehen lassen (a.a.O. S. 307 f.; ebenso Urteil vom 16. März 1994 - BVerwG 6 C 5.93 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 329 S. 11).
Nach alledem kann nicht zweifelhaft sein, daß es zunächst um Fachfragen geht, wenn bei einer Beurteilung juristischer Prüfungsleistungen Methodik sowie Art und Umfang der Darstellung in bezug auf Lösungsansatz und zur Prüfung gestellte Normen in Rede stehen. Insbesondere ist der fachwissenschaftlichen Erörterung zugänglich, ob bei der Lösung eines mit der Aufgabe gestellten Rechtsproblems die Prüfung einer Norm geboten, vertretbar oder fernliegend ist. Erst wenn feststeht, daß Vorzüge und Mängel einer Arbeit unter Beachtung des dem Prüfling zukommenden Antwortspielraums fachwissenschaftlich korrekt erfaßt worden sind, und sich sodann die Frage nach der Bewertung, insbesondere der richtigen Benotung stellt, ist Raum für die Annahme des prüfungsrechtlichen Bewertungsspielraums (vgl. BVerfG a.a.O. 57 f.; BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1993 a.a.O. S. 308; Urteil vom 16. März 1994 a.a.O.; Beschluß vom 10. Oktober 1994 - BVerwG 6 B 73.94 - Buchholz a.a.O. Nr. 338 S. 48).
Soweit der Beklagte in der Beschwerdeschrift die Frage nach der untrennbaren Verknüpfung von fachlichen Beurteilungen und prüfungsspezifischen Bewertungen aufwirft, spielt er offenbar auf eine Wendung in der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an, wonach prüfungsspezifische Bewertungen vielfach mit fachlichen Urteilen untrennbar verknüpft seien (a.a.O. 53). Jene Formulierung gibt jedoch entgegen der beim Beklagten möglicherweise vorhandenen Vorstellung keinen Anhalt dafür, die durch jene Entscheidung intendierte starke Zurückdrängung des prüfungsrechtlichen Bewertungsspielraums in Frage zu stellen. Sie entbindet die Verwaltungsgerichte namentlich nicht davon, die mit der prüfungsspezifischen Bewertung verflochtene fachwissenschaftliche Beurteilung gleichsam herauszufiltern (vgl. dazu Niehues, Prüfungsrecht, 3. Auflage 1994, Rn. 408).
Hingegen bietet der vorliegende Fall keinen Anlaß, der Frage nach der Untrennbarkeit von fachlichen Beurteilungen und prüfungsspezifischen Bewertungen sowie der daraus folgenden rechtlichen Konsequenzen zum Zwecke der Fortbildung oder Vereinheitlichung des Rechts in einem Revisionsverfahren zu vertiefen. Zu Recht hat sich nämlich das Berufungsgericht jedenfalls in dem Umfang, in dem es die angefochtene prüfungsrechtliche Entscheidung beanstandet hat und der Beklagte mit der Beschwerde diesbezüglich noch Einwände erhebt, zur vollen Überprüfung für befugt gehalten. Unzweifelhaft handelt es sich um eine Fachfrage, wenn es darum geht, ob die sachlogische Struktur einer Norm die Prüfung eines Tatbestandsmerkmals verbietet, wenn zuvor ein anderes (alternatives) Tatbestandsmerkmal bejaht worden ist; davon ist das Berufungsgericht im Zusammenhang mit der Erörterung des § 52 Nr. 2 Satz 1 VwGO in der Hausarbeit der Klägerin ausgegangen. Ebenso stellt es eine Fachfrage dar, ob bei der Behandlung eines Rechtsproblems die Prüfung eines bestimmten gesetzlichen Tatbestandes geboten oder nur vertretbar ist; in letzterem Fall hat der Prüfling einen Antwortspielraum, der ihn berechtigt, von der Prüfung abzusehen; solches hat das Berufungsgericht bezogen auf den der Klägerin gestellten Prüfungsfall hinsichtlich der Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 75 Nr. 1 a GG angenommen. Beide vorgenannten Fragen sind anhand objektiver fachwissenschaftlicher Kriterien zu beantworten. Auf dieser Ebene fachlicher Beurteilung ist der Vergleich mit den Leistungen anderer Prüflinge weder erforderlich noch überhaupt zulässig. Ist nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts ein "seit langem anerkannter Grundsatz" aus fachlicher Sicht "selbstverständlich", bleibt kein Raum, dies durch prüfungsspezifische Wertungen mangelnder "Gründlichkeit der Erörterungen" in Frage zu stellen. Deshalb wäre hier in einem Revisionsverfahren nicht grundsätzlich zu klären, wieweit der prüfungsspezifische Gehalt der "Gründlichkeitsrüge" eines Prüfers reicht.
2. Die Verfahrensrüge gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO greift ebenfalls nicht durch.
Sie ist unbegründet, soweit mit ihr ein Verstoß gegen den aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO herzuleitenden Überzeugungsgrundsatz geltend gemacht wird. Ein dahin gehender Verfahrensfehler liegt vor, wenn das Gericht von ihm festgestellte wesentliche tatsächliche Umstände nicht berücksichtigt oder für seine Entscheidung erhebliche tatsächliche Umstände im Widerspruch zum festgestellten Akteninhalt zugrunde gelegt hat (vgl. Urteil vom 2. Februar 1984 - BVerwG 6 C 134.81 BVerwGE 68, 338, 339 f.; Urteil vom 25. März 1987 - BVerwG 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183; Urteil vom 3. April 1987 - BVerwG 4 C 30.85 - Buchholz 406.11 § 19 BBauG Nr. 50; Beschluß vom 22. Januar 1988 - BVerwG 4 B 252.87 -). Solches kann dem Berufungsgericht jedoch in dem in der Beschwerdeschrift angesprochenen Zusammenhang nicht vorgeworfen werden. Wie die Ausführungen des Berufungsgerichts auf S. 6 ff. (7/8) des angefochtenen Beschlusses belegen, hat es die Stellungnahme des Erstkorrektors vom 21. März 1997 vollständig zur Kenntnis genommen, und zwar unter Einschluß der in der Beschwerdeschrift hervorgehobenen Passage, wonach der Lösungsansatz der Klägerin völlig unzureichend dargestellt worden sei und so nicht akzeptiert werden könne (vgl. S. 8 des Beschlußabdrucks). Es hat sodann die Stellungnahme des Erstkkorrektors einer ausführliche - nach Ergebnis und Begründung differenzierenden - Würdigung in prüfungsrechtlicher Hinsicht unterzogen. Dabei hat das Berufungsgericht nicht etwa den Sachverhalt aktenwidrig festgestellt, sondern aus dem unstreitigen Akteninhalt andere Schlüsse gezogen, als der Beklagte für richtig hält. Die Beschwerde nennt keinen Gesichtspunkt, unter dem das Bundesverwaltungsgericht die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Tatsachengerichts ausnahmsweise überprüfen könnte. Insbesondere die Feststellung des Berufungsgerichts, der Prüfer habe eine Lösung der Klägerin "im Ergebnis" nicht beanstandet (S. 11), steht nicht im Widerspruch zu seiner - vom Berufungsgericht auf S. 7/8 zitierten - Äußerung, es gehe ihm um die "Auseinandersetzung" mit einem einschlägigen Rechtsbegriff.
Die Verfahrensrüge ist schließlich unzulässig, soweit mit ihr eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend gemacht wird. Insoweit entspricht sie nicht den Darlegungserfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. "Bezeichnet" im Sinne dieser Vorschrift ist der Verfahrensmangel unzureichender Sachaufklärung nur dann, wenn angegeben wird, inwiefern sich dem Berufungsgericht eine weitere Beweisaufnahme hätte aufdrängen müssen, welche Beweismittel dafür in Frage gekommen wären, welches Ergebnis die unterbliebene Beweisaufnahme gehabt hätte und inwiefern dieses Ergebnis zu einer für den Beklagten günstigeren Entscheidung hätte führen können (Beschluß vom 11. Dezember 1981 - BVerwG 7 B 22.81 - NVwZ 1982, 433, 434). Diesen Voraussetzungen genügt die Beschwerdeschrift nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 GKG n.F.
Niehues
Eckertz-Höfer
Büge
Ende der Entscheidung
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