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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 18.08.2003
Aktenzeichen: BVerwG 6 C 11.02
Rechtsgebiete: ZDG, WPflG


Vorschriften:

ZDG § 44 Abs. 3
WPflG § 29 a
Die fiktive dreimonatige Verlängerung der Zivildienstzeit gemäß § 44 Abs. 3 Nr. 1 ZDG setzt voraus, dass der Dienstpflichtige den Dienst tatsächlich angetreten hat und während der tatsächlichen Ausübung des Dienstes durch einen Arzt zur stationären Krankenbehandlung eingewiesen worden ist.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 6 C 11.02

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 18. August 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hahn, Büge, Dr. Graulich und Vormeier ohne mündliche Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 9. Oktober 2001 wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Der Kläger wurde mit Bescheid des Bundesamtes für den Zivildienst vom 4. Januar 2000 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 5. April 2000 zur Ableistung des Zivildienstes vom 2. Mai 2000 bis zum 31. März 2001 einberufen. Die Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätskliniken im Luitpoldkrankenhaus in Würzburg teilte dem Bundesamt mit Schreiben vom 19. April 2000 mit, dass der Kläger aufgrund einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung sich seit dem 27. März 2000 dort in stationärer Behandlung befinde und den Einberufungstermin deshalb nicht wahrnehmen könne.

Mit Bescheid vom 12. Mai 2000 erklärte das Bundesamt für den Zivildienst den Kläger daraufhin für vorübergehend nicht zivildienstfähig und entließ ihn "mit Ablauf des 19.05.2000 nach § 43 Abs. 1 Nr. 5 ZDG aus dem Zivildienst". Außerdem wurde er bis zum 31. Oktober 2000 von der Ableistung des Zivildienstes zurückgestellt. Dem Text des Bescheides war eine Rechtsmittelbelehrung angefügt sowie für den Fall der Widerspruchseinlegung ein weiterer Abschnitt mit Hinweisen. Unter den Hinweisen war u.a. ausgeführt:

"Befinden Sie sich an dem vorgesehenen Entlassungstag in stationärer Krankenbehandlung aufgrund einer Einweisung durch einen Arzt, so endet der Zivildienst,

1. wenn die stationäre Krankenbehandlung beendet ist, spätestens jedoch 3 Monate nach dem für Ihre Entlassung vorgesehenen Entlassungstag, oder

2. ..."

Das Bundesamt für den Zivildienst teilte dem Kläger mit Schreiben vom 24. Mai 2000 u.a. mit, da er sich an dem vorgesehenen Entlassungstag in stationärer Krankenbehandlung aufgrund einer Einweisung durch einen Arzt befunden habe, ende der Zivildienst mit Beendigung der stationären Krankenbehandlung, spätestens jedoch drei Monate nach dem für die Entlassung vorgesehenen Zeitpunkt.

Mit Schreiben vom 30. Mai 2000 legte der Kläger gegen den Bescheid vom 12. Mai 2000 Widerspruch ein und erklärte, nach seiner Entlassung aus der stationären Behandlung seinen Zivildienst sofort antreten zu wollen. Den Widerspruch wies das Bundesamt für den Zivildienst mit Bescheid vom 18. August 2000 zurück und stellte fest, dass der Anspruch auf Zahlung von Geld- und Sachbezügen sowie auf freie Heilfürsorge am 19. Mai 2000 geendet habe.

Auf seine daraufhin erhobene Klage stellt das Verwaltungsgericht fest, dass das Zivildienstverhältnis mit Ablauf des 19. August 2000 beendet gewesen sei.

Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Nach § 44 Abs. 3 Nr. 1 ZDG ende der Zivildienst, sofern der Dienstleistende sich im Entlassungszeitpunkt in stationärer Krankenbehandlung aufgrund der Einweisung durch einen Arzt befinde, grundsätzlich mit der Beendigung der stationären Krankenbehandlung, spätestens jedoch drei Monate nach dem Entlassungszeitpunkt. Ein Ausschluss derjenigen Fälle von der Anwendung der vorgenannten Vorschrift, in denen die stationäre Krankenbehandlung bereits im Dienstantrittszeitpunkt vorgelegen habe, sei mit dem Gesetzeswortlaut nicht zu vereinbaren.

Zur Begründung ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision führt die Beklagte aus: Die Regelung des § 44 Abs. 3 ZDG könne auf den vorliegenden Fall keine Anwendung finden, weil die Krankenhausbehandlung des Klägers vor dem festgesetzten Einberufungszeitpunkt begonnen habe. Der Kläger sei also noch nicht "Dienstleistender" i.S.v. § 44 Abs. 3 ZDG gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Das Urteil ergeht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Revision ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zutreffend für zulässig erachtet (1.). Sein der Klage stattgebender Feststellungsausspruch verletzt aber Bundesrecht (2.).

1. Zulässigerweise hat der Kläger die seinem Begehren entgegenstehende Feststellung im Widerspruchsbescheid vom 18. August 2000 angefochten (§ 79 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 VwGO). Seinen ebenfalls gestellten Feststellungsantrag hat das Verwaltungsgericht zu Recht für zulässig erachtet. Der Kläger hat - allein im Hinblick auf die nach seinen unwiderlegten Angaben weiterhin unklare Tragung der Kosten seiner stationären Krankenbehandlung - ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung des Fortbestehens seines Zivildienstverhältnisses über den 19. Mai 2000 hinaus (§ 43 Abs. 1 VwGO).

2. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§§ 137 Abs. 1 Nr. 1, 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht die Voraussetzungen einer gemäß § 44 Abs. 3 Nr. 1 ZDG vom Entlassungszeitpunkt abweichenden Beendigung des Zivildienstes beim Kläger angenommen (a), obwohl dieser den Dienst tatsächlich nie aufgenommen hat (b).

a) Das Zivildienstverhältnis endet gemäß § 44 Abs. 1 ZDG mit dem Ablauf des Entlassungstages. Dies war beim Kläger der mit Bescheid des Bundesamtes für den Zivildienst vom 12. Mai 2000 festgesetzte Zeitpunkt des 19. Mai 2000. Davon abweichend bestimmt § 44 Abs. 3 Nr. 1 ZDG: Wenn ein Dienstleistender sich im Entlassungszeitpunkt in stationärer Krankenbehandlung aufgrund einer Einweisung durch einen Arzt befindet, so endet der Zivildienst, zu dem er einberufen war, wenn die stationäre Krankenbehandlung beendet ist, spätestens jedoch drei Monate nach dem Entlassungszeitpunkt.

Unter "Entlassungstag" i.S. des § 44 Abs. 1 ZDG ist der Tag zu verstehen, der in der Entlassungsverfügung als Entlassungstag festgesetzt ist. Da mit Ablauf dieses Tages der Zivildienst grundsätzlich endet, ist "Entlassungszeitpunkt" i.S. des § 44 Abs. 3 ZDG der Ablauf des festgesetzten Entlassungstages. Befindet sich der Dienstleistende in diesem Zeitpunkt aufgrund ärztlicher Einweisung in stationärer Krankenhausbehandlung, die sich über den festgesetzten Entlassungszeitpunkt hinaus erstreckt, verlängert sich das Dienstverhältnis. Der Zeitpunkt der Entlassung und der Zeitpunkt der Beendigung des Zivildienstes fallen in derartigen Fällen auseinander, weil der Entlassungszeitpunkt sich durch die Verlängerung des Dienstverhältnisses nicht ändert. Er bleibt vielmehr der maßgebliche Stichtag, an dem der Dienstpflichtige sich in stationärer Krankenbehandlung befunden haben muss, wenn sich sein Dienstverhältnis verlängern soll. Denn an den Entlassungszeitpunkt knüpft sich die Dreimonatshöchstgrenze für die Dauer der Verlängerung (Urteil vom 16. August 1985 BVerwG 8 C 75.83 - Buchholz 448.11 § 44 ZDG Nr. 2 -).

b) Das Verwaltungsgericht hat diese Grundsätze in unzutreffender Weise auf den Fall angewandt, in welchem der Zivildienstpflichtige den Dienst tatsächlich gar nicht angetreten hat, sondern durch eine zuvor erfolgte ärztliche Einweisung in stationäre Krankenbehandlung an der Aufnahme des Dienstes gehindert worden ist. Die fiktive dreimonatige Verlängerung der Zivildienstzeit gemäß § 44 Abs. 3 Nr. 1 ZDG setzt voraus, dass der Pflichtige den Dienst tatsächlich angetreten hat und während der tatsächlichen Ausübung des Dienstes durch einen Arzt zur stationären Krankenbehandlung eingewiesen worden ist.

aa) Der Wortlaut der maßgeblichen Regelung in § 44 Abs. 3 Nr. 1 ZDG gestattet allerdings die vom Verwaltungsgericht befürwortete Auslegung. Denn nach der eindeutigen Regelung in § 25 ZDG ist auch derjenige anerkannter Kriegsdienstverweigerer, der sich vor dem im Einberufungsbescheid festgesetzten Dienstantrittszeitpunkt in stationäre Krankenhausbehandlung begeben musste, ab diesem Zeitpunkt als Dienstleistender zu betrachten. Andererseits steht § 44 Abs. 3 Nr. 1 ZDG nach seinem Wortlaut dem mit Hilfe anderer Auslegungsmethoden gewonnenen Ergebnis nicht entgegen, wonach die dort normierte günstige Rechtsfolge nur denjenigen Dienstleistenden zugute kommt, welche sich erst nach Dienstantritt in stationäre Krankenhausbehandlung begeben mussten. So liegt es hier.

bb) Die im angefochtenen Urteil vertretene Auslegung verbietet sich bereits mit Blick auf die Entstehungsgeschichte der Norm und ihren rechtssystematischen Zusammenhang. Die Regelung über die fiktive Verlängerung des Zivildienstes nach § 44 Abs. 3 ZDG (seinerzeit § 30 b ErsDiG) wurde durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst vom 28. Juni 1965 (BGBl I S. 531) eingefügt. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs übernimmt die Regelung "für die Fälle stationärer Krankenbehandlung des zu Entlassenden die Regelung des § 29 a des Wehrpflichtgesetzes mit den Änderungen, die sich daraus ergeben, dass der Ersatzdienst eine 'stationäre ersatzdienstärztliche Behandlung' nicht kennt" (BTDrucks 4/2273 S. 31 zu § 30 b). Die in § 29 a WPflG zum Bezugspunkt gewählte "stationäre truppenärztliche Behandlung" setzt sachgesetzlich den tatsächlichen Dienstantritt des Wehrpflichtigen voraus. Für die Gruppe der Zivildienstpflichtigen musste lediglich deshalb eine andere Formulierung gewählt werden, weil es kein dem truppenärztlichen Dienst vergleichbares Krankenversorgungssystem gibt. Der Regelung in § 44 Abs. 3 ZDG liegt daher ebenfalls ein Verständnis zugrunde, wonach der bereits Dienstleistende zur stationären Krankenbehandlung eingewiesen wird.

cc) Nach der - zu § 44 Abs. 3 Nr. 1 WPflG parallelen - Regelung in § 29 a Nr. 1 WPflG fallen zwar unter den Begriff "stationäre truppenärztliche Behandlung" auch vom Truppenarzt angeordnete Einweisungen in nichtmilitärische Krankenhäuser (vgl. Steinlechner/Walz, Wehrpflichtgesetz, 6. Aufl. 2003 § 29 a Rn. 4). In jedem Fall ist jedoch Voraussetzung für die Inanspruchnahme der sozialen Vergünstigung nach § 29 a Nr. 1 WPflG, dass die stationäre Krankenhausbehandlung der Soldaten nach Antritt ihres Wehrdienstes begonnen hat. Wenn Wehrpflichtige die Fürsorge des Bundes noch für bis zu drei Monate nach dem Entlassungszeitpunkt nur unter der Voraussetzung in Anspruch nehmen können, dass die stationäre Krankenhausbehandlung nach Dienstantritt begonnen hat, so kann unter entsprechenden Voraussetzungen für Zivildienstleistende nichts anderes gelten. Andernfalls ergäbe sich ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz in seiner besonderen, in Art. 12 a Abs. 2 Satz 1 GG angelegten Ausformung, wonach der Zivildienstleistende gegenüber demjenigen, der aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht Wehrdienst leistet, nicht sachwidrig privilegiert werden darf.

dd) Nach Sinn und Zweck will die Regelung in § 44 Abs. 3 ZDG verhindern, dass der Dienstpflichtige vor Ablauf der vorgesehenen Drei-Monats-Frist den Status als Zivildienstleistender und damit den sozialen Schutz eines aufgrund der Dienstpflicht Dienenden verliert, obwohl er noch stationär behandelt wird (vgl. Urteil vom 16. August 1985 - BVerwG 8 C 75.83 - Buchholz 448.11 § 44 ZDG Nr. 2 S. 6; Harrer/Haberland, Zivildienstgesetz, 4. Aufl. 1992, § 44 Abs. 3; Steinlechner/Walz a.a.O. Rn. 3). Liegen die Voraussetzungen dieser Vorschrift vor, so ist der Dienstpflichtige von dem Nachweis entbunden, dass die stationäre Krankenhausbehandlung im Zusammenhang mit der Erfüllung der Dienstpflicht steht. Hat sich die Notwendigkeit der stationären Behandlung nach Dienstantritt ergeben, so ist ein derartiger Zusammenhang nicht von vornherein ausgeschlossen. Mit der Regelung in § 44 Abs. 3 ZDG honoriert der Gesetzgeber den bereits erbrachten Gemeinschaftsdienst. Wer in dessen Erfüllung sich in stationäre Behandlung begeben muss, soll den für die Dienstleistenden vorgesehenen sozialen Schutz noch bis zu drei Monate nach dem Entlassungszeitpunkt behalten. Hat die stationäre Behandlung jedoch bereits vor Dienstantritt begonnen, so ist jeder Zusammenhang mit dem Zivildienstverhältnis von vornherein ausgeschlossen. Darin liegt die vom Verwaltungsgericht vermisste sachliche Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung beider Fallgruppen.

ee) Das Urteil vom 8. November 1991 - BVerwG 8 C 53.90 - (BVerwGE 89, 183) steht nicht entgegen. Diese zu § 44 Abs. 2 ZDG ergangene Entscheidung bestätigt allenfalls, dass der anerkannte Kriegsdienstverweigerer ab dem im Einberufungsbescheid festgesetzten Dienstantrittszeitpunkt als Dienstleistender zu betrachten ist. Dies ergibt sich aber - wie bereits erwähnt - schon aus § 25 ZDG. Die Besonderheit dieser Entscheidung liegt lediglich darin, dass eine in älterer Rechtsprechung begründete einschränkende Sichtweise aufgegeben wurde. Zu Sinn und Zweck der in § 44 Abs. 3 ZDG getroffenen Regelung verhält sich das Urteil vom 8. November 1991 nicht.

3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 4 000 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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