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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 10.04.2002
Aktenzeichen: BVerwG 6 C 22.01
Rechtsgebiete: GG, DRiG, BWG, EuWG, EuWO


Vorschriften:

GG Art. 20 Abs. 2 Satz 2
GG Art. 92
DRiG § 4 Abs. 1
BWG § 11
EuWG i.d.F. d. Bek. vom 8. März 1994 § 4
EuWG i.d.F. d. Bek. vom 8. März 1994 § 26 Abs. 4
EuWO i.d.F. d. Bek. vom 2. Mai 1994 § 9
Ein Berufsrichter kann das Ehrenamt eines Beisitzers des Wahlvorstandes für die Europawahl nicht mit der Begründung ablehnen, dass ein Richter nach § 4 Abs. 1 DRiG Aufgaben der rechtsprechenden Gewalt und Aufgaben der gesetzgebenden oder der vollziehenden Gewalt nicht zugleich wahrnehmen darf.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 6 C 22.01

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 10. April 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hahn, Dr. Gerhardt, Dr. Graulich und Vormeier

ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 8. Juni 2001 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Die Klägerin ist Vorsitzende Richterin am Landgericht Münster. Mit Bescheid vom 20. April 1999 berief der Beklagte die Klägerin zur Beisitzerin des Wahlvorstandes für die Europawahl am 13. Juni 1999. Die Klägerin lehnte die Übernahme des Ehrenamtes unter Hinweis auf § 4 DRiG ab und erhob Widerspruch. Ein gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit gerichtetes Eilverfahren blieb ohne Erfolg.

Die Klägerin hat am 14. Oktober 1999 Fortsetzungsfeststellungsklage mit dem Antrag erhoben, festzustellen, dass der Bescheid des Beklagten vom 20. April 1999 rechtswidrig war. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Ein wichtiger Grund, der zur Ablehnung des Ehrenamtes berechtige, ergebe sich nicht aus § 4 Abs. 1 DRiG, wonach ein Richter Aufgaben der rechtsprechenden Gewalt und Aufgaben der gesetzgebenden oder der vollziehenden Gewalt nicht zugleich wahrnehmen dürfe. Die Vorschrift solle das Prinzip der Gewaltenteilung durchführen. Die Wahlorgane dienten der Ermittlung der Willensbildung des Volkes in Wahlen und gingen damit der Schaffung der Staatsorgane, die der Gewaltenteilung unterlägen, voraus. Daher gehörten die Wahlorgane nicht zur vollziehenden Gewalt im Sinne von § 4 Abs. 1 DRiG, Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG.

Mit der Sprungrevision verfolgt die Klägerin ihren Antrag weiter. Sie trägt vor: Nach der für § 4 Abs. 1 DRiG geltenden Subtraktionsmethode seien der vollziehenden Gewalt alle Aufgaben öffentlich organisierter Stellen zuzuordnen, die weder zur Rechtsprechung noch zur Gesetzgebung gehörten. Ein Wahlvorstand habe Maßnahmen der vollziehenden Gewalt zu treffen, die gerichtlicher Kontrolle unterlägen.

Der Beklagte tritt der Revision entgegen.

II.

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage ohne Verstoß gegen revisibles Recht abgewiesen. Dies führt zur Zurückweisung der Revision (§ 137 Abs. 1 Nr. 1, § 144 Abs. 2 VwGO).

1. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zutreffend für zulässig erachtet. Insbesondere ist der Verwaltungsrechtsweg nicht durch § 26 Abs. 4 des Gesetzes über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europawahlgesetz - EuWG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 8. März 1994 (BGBl I S. 423), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Mai 1999 (BGBl I S. 1023), ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift können Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, nur mit den in diesem Gesetz sowie in der Wahlordnung vorgesehenen Rechtsbehelfen angefochten werden. Die Berufung zum Beisitzer eines Wahlvorstandes stellt jedoch keine Entscheidung in diesem Sinne dar. Sie bezieht sich nicht unmittelbar auf das Wahlverfahren, sondern ist Teil der Vorbereitung und Organisation des Wahlverfahrens. Etwaige Rechtsmängel führen nicht zu einem "Wahlfehler", der im Wahlprüfungsverfahren zu korrigieren wäre (vgl. BVerfGE 34, 81, 94).

2. Die Klage ist, wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend erkannt hat, unbegründet. Der Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin das Ehrenamt des Beisitzers eines Wahlvorstandes nicht ablehnen durfte.

a) Die Klägerin war nicht aus einem der in § 9 der Europawahlordnung (EuWO) i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. Mai 1994 (BGBl I S. 957), hier anwendbar gemäß Änderung durch Gesetz vom 21. Mai 1999 (BGBl I. S. 1023), genannten Gründe berechtigt, die Übernahme eines Wahlehrenamtes abzulehnen. Insbesondere hat sie nicht glaubhaft gemacht, aus einem wichtigen Grund daran gehindert zu sein, das Amt ordnungsgemäß auszuüben (§ 9 Nr. 5 EuWO).

b) Die Tätigkeit als Berufsrichter als solche vermittelt keinen wichtigen Grund, aus dem das Ehrenamt abgelehnt werden darf (§ 4 EuWG i.V.m. § 11 Satz 3 BWG). Die Berufung der Klägerin auf § 4 Abs. 1 DRiG geht fehl.

aa) Nach § 4 Abs. 1 DRiG darf ein Richter Aufgaben der rechtsprechenden Gewalt und Aufgaben der gesetzgebenden oder der vollziehenden Gewalt nicht zugleich wahrnehmen. Die Aufzählung der drei Gewalten in § 4 Abs. 1 DRiG entspricht erkennbar der Systematik des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Art. 92 GG). Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG bestimmt, dass die Staatsgewalt vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt wird. Das Verbot des § 4 Abs. 1 DRiG versteht sich als unmittelbare Folge der Gewaltentrennung (vgl. BTDrucks 3/516 S. 33). Demgemäß hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass der Begriff der "vollziehenden Gewalt" in § 4 Abs. 1 DRiG dem in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG entspricht und hier wie dort gleichbedeutend mit dem der "Verwaltung" ist (BVerwGE 25, 210, 214 f.; 41, 195). Aus dieser Anknüpfung des § 4 Abs. 1 DRiG an Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG folgt aber auch, dass die Wahrnehmung von Ehrenämtern bei Wahlen und Abstimmungen durch einen im Beruf des Richters tätigen Bürger keine Wahrnehmung von Aufgaben der vollziehenden Gewalt darstellt. Das Grundgesetz unterscheidet in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 nämlich die unmittelbare Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk in Wahlen und Abstimmungen von der Ausübung der Staatsgewalt durch besondere Organe. Der Grundsatz der Gewaltentrennung gilt nur für diese, und nur diese sind in § 4 Abs. 1 DRiG angesprochen. Bei der Organisation von Wahlen handelt es sich aber nicht um ein Verfahren eines der drei vorgenannten Staatsgewalten, insbesondere nicht der vollziehenden Gewalt, sondern um ein vorgelagertes Verfahren zur Kreation der Staatsorgane, das vom Grundsatz der Selbstorganisation des Volkes beherrscht wird (vgl. BTDrucks 7/910 S. 33; BVerfGE 20, 56, 98). Dies gilt für die Wahlen zum Europäischen Parlament ebenso wie für die Wahlen zum Deutschen Bundestag. Dabei mag dahinstehen, ob etwa diejenigen Teile des Wahlverfahrens, die von Behörden - z.B. den Gemeindebehörden - oder von behördenähnlichen Organen in verwaltungsförmlicher Weise abgewickelt werden, trotz der dargelegten Besonderheiten dieses Verfahrens der normalen Verwaltungstätigkeit und damit den Aufgaben der vollziehenden Gewalt im Sinne von § 4 Abs. 1 DRiG gleichgestellt werden müssen. Eine solche Gleichstellung verbietet sich jedenfalls insoweit, als das Wahlverfahren tatsächlich für jedermann wahrnehmbar dem Grundsatz der Selbstorganisation des Volkes folgt. Das trifft für die hier in Rede stehende ehrenamtliche Tätigkeit der Bürger in den Wahlgremien zu, die mithin von dem Verbot des § 4 Abs. 1 DRiG nicht erfasst wird.

bb) Das Revisionsvorbringen führt zu keinem anderen Ergebnis.

Da es nach dem Gesagten nicht darauf ankommt, wie die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung voneinander abzugrenzen sind, ist kein Raum für die Anwendung der herkömmlichen so genannten Subtraktionsmethode, derzufolge unter vollziehender Gewalt jede staatliche Tätigkeit zu verstehen ist, die nicht der Rechtsprechung oder der Gesetzgebung zuzuordnen ist.

Der von der Klägerin weiterhin angesprochene Zweck des § 4 Abs. 1 DRiG, den Richter im Interesse seiner Unabhängigkeit auf die rechtsprechende Tätigkeit zu beschränken und ihn auch gegenüber der Öffentlichkeit nur als Träger der rechtsprechenden Gewalt erscheinen zu lassen (BVerwGE 25, 210, 219), fordert nicht, die ohnehin weite Inkompatibilität auf Wahlehrenämter zu erstrecken. Der Wahlvorgang unterscheidet sich sowohl äußerlich als auch nach seinen inneren Abläufen deutlich vom typischen Verwaltungshandeln. Insbesondere tritt in den Wahlvorständen nicht der Staat dem Einzelnen gegenüber. Vielmehr handeln die Wahlvorstände erkennbar als Einrichtungen der Wahlberechtigten, die für den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahl und die Feststellung des Wahlergebnisses zu sorgen haben. Inwiefern die Unabhängigkeit eines Richters berührt sein könnte, wenn er staatsbürgerliche Aufgaben im Wahlverfahren wahrnimmt, ist nicht ersichtlich. Sollte - was unwahrscheinlich ist - eine Maßnahme oder Entscheidung eines Wahlvorstandes, an der ein Richter mitgewirkt hat, Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens vor diesem Richter werden, genügen die Ausschließungs- und Befangenheitsvorschriften der jeweiligen Prozessordnungen, um die justiziellen Rechte Betroffener im Einzelfall und damit mittelbar die richterliche Unabhängigkeit zu sichern. Vor diesem Hintergrund bedarf keiner Erörterung, ob der von der Revision erstrebte generelle Ausschluss der Berufsrichter von Wahlehrenämtern verfassungsrechtlich überhaupt gerechtfertigt werden könnte.

3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 4 090 € (entspricht 8 000 DM) festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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