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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 13.09.1999
Aktenzeichen: BVerwG 6 PKH 5.99
Rechtsgebiete: ZPO, VwGO


Vorschriften:

ZPO § 397
ZPO § 402
ZPO § 411
VwGO § 97
VwGO § 98
Leitsatz:

Das Verwaltungsgericht ist verpflichet, das Erscheinen des Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens anzuordnen, wenn ein Beteiligter diese Anordnung beantragt, weil er dem Sachverständigen Fragen stellen will; dem Antrag muß freilich entnommen werden können, in welcher Richtung eine weitere Aufklärung herbeigeführt werden soll, und es darf nicht ausgeschlossen sein, daß eine Befragung des Sachverständigen zu weiteren Ermittlungen oder zu einer anderen Beurteilung führen kann.

Beschluß des 6. Senats vom 13. September 1999 - BVerwG 6 B 61.99 -

I. VG München vom 11.03.1999 - Az.: VG M 4 K 97.8036 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 6 B 61.99 (6 PKH 5.99) VG M 4 K 97.8036

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 13. September 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Niehues und die Richter Büge und Dr. Graulich

beschlossen:

Tenor:

Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 11. März 1999 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.

Dem Kläger wird für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht Prozeßkostenhilfe bewilligt. Ihm wird Rechtsanwältin Dr. Gabriele Schenk in München beigeordnet. Der Kläger hat fünf Monatsraten in Höhe von 150 DM an die Bundeskasse zu zahlen, beginnend ab dem 1. des übernächsten Monats, der auf die Zusendung dieses Beschlusses folgt.

Gründe:

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat Erfolg. Sie führt gemäß § 133 Abs. 6 VwGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen vor.

1. Die in Abschnitt 1 der Beschwerdebegründung geltend gemachte Rüge greift durch. Das Verwaltungsgericht hat dadurch gegen Verfahrensrecht verstoßen, daß es nicht das Erscheinen des Sachverständigen zwecks Erläuterung seines schriftlichen psychiatrischen Gutachtens angeordnet hat.

Gemäß §§ 97, 98 VwGO in Verbindung mit §§ 397, 402, 411 Abs. 3 ZPO ist das Verwaltungsgericht verpflichtet, das Erscheinen des Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens anzuordnen, wenn ein Beteiligter diese Anordnung beantragt, weil er dem Sachverständigen Fragen stellen will. Dem Antrag muß entnommen werden können, in welche Richtung eine weitere Aufklärung herbeigeführt werden soll. Schließlich darf nicht nach Lage der Dinge ausgeschlossen sein, daß eine Ladung des Sachverständigen zur weiteren Ermittlung oder zu einer anderen Beurteilung führen kann (Urteil vom 25. Oktober 1972 - BVerwG 6 C 40.70 - MDR 1973, 339; Beschluß vom 26. November 1980 - BVerwG 6 B 16.80 - BayVBl 1982, 158; Urteil vom 9. März 1984 - BVerwG 8 C 97.83 - BVerwGE 69, 70, 77; Beschluß vom 10. Dezember 1984 - BVerwG 7 B 93.84 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 25; Beschluß vom 31. Juli 1985 - BVerwG 9 B 71.85 - a.a.O. Nr. 28; Urteil vom 1. Dezember 1989 - BVerwG 8 C 44.89 - a.a.O. Nr. 34; Beschluß vom 21. September 1994 - BVerwG 1 B 131.93 - a.a.O. Nr. 46). Sämtliche vorgenannten Voraussetzungen waren hier bei Abschluß des erstinstanzlichen Verfahrens erfüllt.

a) Es fehlte nicht an einem entsprechenden Antrag des Klägers.

aa) Einen Antrag auf Hinzuziehung des gerichtlich bestellten Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung will der Kläger ausweislich der Beschwerdebegründung bereits vor dem Termin in einem Ferngespräch mit einer Berufsrichterin, die am angefochtenen Urteil mitgewirkt hat, angebracht und dabei sogar eine entsprechende Zusage erhalten haben. Eine ähnliche Darstellung fand sich bereits im - nach Durchführung des Termins verfaßten - Schreiben des Klägers an das Verwaltungsgericht vom 19. März 1999. Daß ein solches Gespräch mit dem fraglichen Inhalt tatsächlich stattgefunden hat, ist jedoch weder im angefochtenen Urteil noch sonst in der Akte festgehalten.

bb) Der Senat sieht davon ab, von der vom Kläger benannten Berufsrichterin eine dienstliche Erklärung einzuholen. Denn einen Antrag, den Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung zu laden, enthält jedenfalls das bereits erwähnte Schreiben des Klägers vom 19. März 1999. Darin bedauert dieser zunächst das Nichterscheinen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 11. März 1999 und bemerkt am Ende unter Bezugnahme auf das im Termin vorgelegte Schreiben seines Arbeitgebers: "Für einen weiteren Einblick mit Herrn Dr. Schüle bin ich bereit, kurzfristig eine Sitzung durchzuführen". Dies war sinngemäß als Antrag zu verstehen, eine weitere mündliche Verhandlung anzuberaumen und zu dieser den Sachverständigen zwecks Erläuterung seines Gutachtens hinzuzuziehen.

cc) Dieser Antrag war nicht verspätet. Insbesondere war im Zeitpunkt seines Eingangs (19. März 1999) eine die Instanz abschließende gerichtliche Entscheidung noch nicht ergangen. Im Termin vom 11. März 1999 hatte das Verwaltungsgericht nämlich kein Urteil verkündet, sondern gemäß § 116 Abs. 2 VwGO beschlossen, daß den Beteiligten eine Entscheidung zugestellt werde. In einem solchen Fall wird das Urteil erst mit seiner Hinausgabe aus dem Gerichtsgebäude zur Beförderung mit der Post wirksam mit der Folge, daß bis dahin noch ein Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gestellt werden kann und in der Sache beschieden werden muß (Beschluß vom 31. März 1998 - BVerwG 6 B 18.98 - NVwZ-RR 1998, 568, 569 mit weiteren Nachweisen). Einen derartigen Antrag enthielt das Schreiben vom 19. März 1999 gleichfalls. Ihm mußte das Verwaltungsgericht gemäß § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO entsprechen, weil nur so der verfahrensrechtliche Anspruch des Klägers darauf, dem Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung Fragen zur Erläuterung des schriftlich erstatteten Gutachtens stellen zu können, erfüllt werden konnte.

dd) Es ist mit Rücksicht auf die Besonderheiten des vorliegenden Falls nicht rechtsmißbräuchlich, daß der Kläger den Antrag auf Hinzuziehung des Sachverständigen erst nach Durchführung der mündlichen Verhandlung vom 11. März 1999 gestellt hat. Er war im erstinstanzlichen Verfahren anwaltlich nicht vertreten. Als juristischen Laien ist ihm nicht vorzuwerfen, daß er im genannten Termin einen - zweifelsfrei als solchen erkennbaren - Antrag auf Ladung des Sachverständigen nicht gestellt hat. In der Sache selbst hatte er freilich rechtzeitig vor dem Termin, - nämlich im Schreiben vom 28. Januar 1999 - zum Ausdruck gebracht, in welcher Hinsicht er mit Blick auf das psychiatrische Gutachten vom 23. November 1998 Klärungsbedarf sah. Dort hatte er nämlich mitgeteilt, daß es bei den der Begutachtung zugrundeliegenden Untersuchungen zu einer hinreichenden Erörterung seiner Erfahrungen im Berufsleben nicht gekommen sei und zugleich von schwierigen Auseinandersetzungen im Betrieb berichtet. Einen Hinweis auf mögliche Unvollständigkeit enthielt das Gutachten selbst; denn dort hatte der Sachverständige einen deutlichen Vorbehalt formuliert: Die biographische Anamnese habe sich in der Untersuchungssituation als schwierig gestaltet, da der Kläger nur begrenzt bereit gewesen sei, entsprechende Angaben zu machen (S. 8 des Gutachtens). Diesen Vorbehalt und die Stellungnahme des Klägers hätte das Verwaltungsgericht zum Anlaß nehmen können, gemäß § 411 Abs. 3 ZPO den Sachverständigen von sich aus zum Termin zu laden. Auf diese Weise wäre den Belangen des Klägers Rechnung getragen und zugleich jede Verzögerung vermieden worden.

ee) In welcher Hinsicht der Kläger das schriftliche Sachverständigengutachten für erörterungsbedürftig hielt, ergab sich somit bereits aus seinem Schreiben vom 28. Januar 1999. Im nachgereichten Schreiben vom 19. März 1999 hat er jenen Gesichtspunkt wiederholt.

b) Nach Lage der Dinge kann nicht ausgeschlossen werden, daß eine ergänzende Darstellung seines Berufslebens durch den Kläger in Gegenwart des Sachverständigen diesen zu einer Modifizierung seiner gutachtlichen Feststellungen veranlaßt hätte. Der Sachverständige charakterisiert den Kläger dort als Menschen mit schizoiden und gehemmten Persönlichkeitsmerkmalen, den ausgeprägte Reserviertheit und Verschlossenheit kennzeichneten, bzw. als introvertierten, kontaktarmen, enge emotionale Bindungen meidenden Menschen (S. 30 f. des Gutachtens). Dessen ungeachtet konstatiert der Sachverständige, nachteilige Auswirkungen der beim Kläger beobachtbaren Charaktermerkmale auf die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit mit Berufskollegen seien nicht festzustellen gewesen (S. 31 des Gutachtens). Diese Einschätzung basiert ersichtlich auf den Erhebungen zum beruflichen Werdegang, zu welchem der Kläger dem Sachverständigen offenbar von nennenswerten Schwierigkeiten nichts berichtet hatte. Die Schlußfolgerung im Gutachten beruht daher wesentlich auf einer Annahme, die sich als korrekturbedürftig erweisen könnte, falls die Angaben des Klägers in seinen Schreiben vom 28. Januar und 19. März 1999 über Auseinandersetzungen im Betrieb zutreffen sollten, zu denen er im übrigen in der mündlichen Verhandlung eine Bescheinigung seines Arbeitgebers vom 11. Dezember 1996 vorgelegt hat, die im Hinblick auf den vom Verwaltungsgericht für maßgeblich erachteten Zeitpunkt (November 1997) noch nicht zu weit zurücklag. Angesichts dessen konnte das Verwaltungsgericht in Ermangelung eigener Sachkunde ohne eine Konfrontation des Sachverständigen mit den ergänzenden Angaben des Klägers nicht die Gewißheit erlangen, daß dieser den Anforderungen des Grundwehrdienstes gewachsen ist, ohne seelischen Schaden zu nehmen.

c) Daß das angefochtene Urteil im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf dem festgestellten Verfahrensmangel beruhen kann, folgt ebenfalls aus den vorstehenden Ausführungen.

2. Die vom Kläger in Abschnitt 2 der Beschwerdebegründung ebenfalls geltend gemachte Aufklärungsrüge greift dagegen nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat die Erhebung gerichtlichen Sachverständigenbeweises zum Augenleiden und zu den orthopädischen Beschwerden des Kägers mit der Begründung abgelehnt, dieser habe die im Verwaltungsverfahren eingeholten fachärztlichen Stellungnahmen sowie deren wehrmedizinische Einordnung durch den ärztlichen Dienst der Beklagten nicht seinerseits durch Vorlage qualifizierter ärztlicher Stellungnahmen im gerichtlichen Verfahren in Frage gestellt. Dies steht im Einklang mit der Senatsrechtsprechung (Beschluß vom 18. Dezember 1998 - BVerwG 6 B 108.98 - NVwZ-RR 1999, 449; Beschluß vom 29. Juni 1999 - BVerwG 6 B 38.99 -; Beschluß vom 20. Juli 1999 - BVerwG 6 B 49.99 - S. 5).

3. Im Hinblick auf den unter 1. festgestellten Verfahrensfehler macht der Senat von seinem in § 133 Abs. 6 VwGO eingeräumten Ermessen Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Eine zugelassene Revision würde voraussichtlich zum gleichen Ergebnis führen.

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 1 und 3 GKG.

5. Die Prozeßkostenhilfeentscheidung beruht auf § 166 VwGO in Verbindung mit §§ 114, 115, 120 Abs. 1 und 2, § 121 Abs. 1 ZPO. Von einer weiteren Begründung wird insoweit gemäß § 127 Abs. 1 Satz 3 ZPO abgesehen.

Ende der Entscheidung

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