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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 10.03.2004
Aktenzeichen: BVerwG 7 AV 4.03
Rechtsgebiete: VwGO
Vorschriften:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1 | |
VwGO § 124a Abs. 4 Satz 4 |
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS
BVerwG 7 AV 4.03
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 10. März 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel, Kley, Herbert und Neumann
beschlossen:
Tenor:
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nicht vor, wenn zwar einzelne Rechtssätze oder tatsächliche Feststellungen, welche das Urteil tragen, zu Zweifeln Anlass bieten, das Urteil aber im Ergebnis aus anderen Gründen offensichtlich richtig ist.
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich gegen eine Gewerbeuntersagung.
Der Beklagte untersagte dem Kläger und einer Gesellschaft (GmbH), deren alleiniger Geschäftsführer der Kläger war, wegen Unzuverlässigkeit jede selbständige Ausübung der von ihnen angemeldeten Gewerbe auf Dauer, weil unter anderem die steuerlichen Erklärungs- und Zahlungspflichten nicht erfüllt worden und deshalb erhebliche Steuerrückstände aufgelaufen seien. Gegen die ihn betreffende Gewerbeuntersagung hat der Kläger Klage erhoben, die das Verwaltungsgericht abgewiesen hat. Es hat angenommen, Rechtsgrundlage der Gewerbeuntersagung sei auch gegenüber dem Kläger als dem Geschäftsführer der Gesellschaft § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO; eines Rückgriffs auf § 35 Abs. 7a GewO bedürfe es nicht. Der Kläger sei praktisch selbst Gewerbetreibender gewesen. Die hohen Steuerschulden des Klägers bzw. der Gesellschaft seien ein ausreichendes Indiz einer andauernden Unzuverlässigkeit des Klägers.
Der Kläger hat die Zulassung der Berufung beantragt und ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils geltend gemacht. Der Verwaltungsgerichtshof hält einerseits die Begründung des angefochtenen Urteils für ernstlich zweifelhaft: Das Verwaltungsgericht unterscheide im Tatbestand nicht hinreichend zwischen dem Kläger und der Gesellschaft. Grundsätzlich seien Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH keine Gewerbetreibenden, so dass gegen sie eine Gewerbeuntersagung auf der Grundlage des § 35 Abs. 1 GewO nicht in Betracht komme. Andererseits ist das angefochtene Urteil nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs im Ergebnis nicht zu beanstanden: Die Gewerbeuntersagung gegenüber dem Kläger sei durch § 35 Abs. 7a GewO gedeckt.
Mit Blick auf divergierende Rechtsprechung und Literatur hat der Verwaltungsgerichtshof sein Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 124b Satz 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung die Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt,
ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vorliegen, wenn das mit dem Antrag auf Berufungszulassung angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts zur Rechtmäßigkeit eines belastenden Verwaltungsakts (hier: Gewerbeuntersagung) zwar ungenaue bzw. unrichtige Feststellungen und unzutreffende rechtliche Erwägungen enthält (hier: falsche Ermächtigungsgrundlage, § 35 Abs. 1 statt § 35 Abs. 7a GewO), sich hinsichtlich des gefundenen Ergebnisses aber bei summarischer Prüfung im Zulassungsverfahren als offensichtlich richtig erweist.
Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Äußerung.
II.
Der Senat beantwortet die Vorlagefrage dahin, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht vorliegen, wenn zwar einzelne Rechtssätze oder tatsächliche Feststellungen, welche das Urteil tragen, zu Zweifeln Anlass bieten, das Urteil aber im Ergebnis aus anderen Gründen offensichtlich richtig ist.
§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO öffnet den Zugang zur Rechtsmittelinstanz mit Blick auf das prognostizierte Ergebnis des angestrebten Rechtsmittels. Der Zulassungsgrund hat ebenso wie der Zulassungsgrund besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) kein Vorbild im Recht der Revisionszulassung. Diese Zulassungsgründe sind auf das Berufungsverfahren zugeschnitten. Sie sollen Richtigkeit im Einzelfall gewährleisten; die maßgebliche Frage geht also dahin, ob die Rechtssache richtig entschieden worden ist. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO will demgemäß den Zugang zu einer inhaltlichen Überprüfung des angefochtenen Urteils in einem Berufungsverfahren in den Fällen eröffnen, in denen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedarf, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens mithin möglich ist.
Deshalb reicht es nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen. Das wird zwar regelmäßig der Fall sein. Jedoch schlagen Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente nicht auf das Ergebnis durch, wenn das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen als richtig darstellt. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO verlangt nicht, die Berufung wegen eines Fehlers zuzulassen, der für den Ausgang des Berufungsverfahrens und damit für das Ergebnis des Prozesses mit Sicherheit bedeutungslos bleiben wird.
Allerdings ist das Oberverwaltungsgericht nicht verpflichtet, schon im Zulassungsverfahren umfassend nachzuprüfen, ob das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen als richtig darstellt, wenn an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente Zweifel bestehen. Die Frage nach der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung kann im Zulassungsverfahren nicht abschließend geklärt werden. Das Zulassungsverfahren wäre anderenfalls in der Sache ein Berufungsverfahren. Die abschließende Prüfung des angefochtenen Urteils in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht ist nach wie vor dem Berufungsverfahren vorbehalten. Das Oberverwaltungsgericht soll sich jedoch zu seiner Entlastung nicht mehr mit den Rechtssachen befassen müssen, in denen dies mit Blick auf die zu gewährleistende Gerechtigkeit im Einzelfall nicht erforderlich erscheint. Das sind die Rechtssachen, von denen sich ohne den Aufwand eines Berufungsverfahrens schon im Zulassungsverfahren zuverlässig sagen lässt, das Verwaltungsgericht habe sie im Ergebnis richtig entschieden und die angestrebte Berufung werde deshalb voraussichtlich keinen Erfolg haben. Das Oberverwaltungsgericht kann demgemäß im Zulassungsverfahren nur dann auf andere Gründe abstellen, aus denen das angefochtene Urteil im Ergebnis richtig ist, wenn diese Gründe ohne weiteres auf der Hand liegen, ihre Heranziehung also nicht über den Aufwand hinausgeht, der in einem Zulassungsverfahren mit Blick auf dessen Zweck vernünftigerweise zu leisten ist. Anderenfalls ist die Berufung zuzulassen, wenn entscheidungstragende Gründe des Verwaltungsgerichts in ihrer Richtigkeit zweifelhaft sind; dem Berufungsverfahren ist dann die Prüfung vorbehalten, ob das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen als richtig erweist.
Der Rechtsmittelführer ist nicht gehalten, bereits von sich aus darzulegen, dass das angefochtene Urteil sich nicht aus anderen Gründen als richtig erweist. Weil der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung in ihrem Ergebnis abzielt, muss die Darlegung des Zulassungsgrundes nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO zwar auf die Richtigkeit des Ergebnisses ausgerichtet sein. Angriffe sind jedoch nur gegen die konkreten entscheidungstragenden Gründe des angefochtenen Urteils erforderlich (vgl. auch Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 - NVwZ 2000, 1163 <1164>). Das Oberverwaltungsgericht muss dem Rechtsmittelführer allerdings rechtliches Gehör gewähren, wenn es den Zulassungsantrag ablehnen will, weil sich das angefochtene Urteil aus anderen Gründen als richtig darstellt.
Ende der Entscheidung
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