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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 05.01.2005
Aktenzeichen: BVerwG 7 B 135.04
Rechtsgebiete: AtG (2002), StrlSchV
Vorschriften:
AtG (2002) § 6 Abs. 2 | |
AtG (2002) § 6 Abs. 3 | |
AtG (2002) § 6 Abs. 4 | |
AtG (2002) § 9 a Abs. 2 Satz 3 | |
StrlSchV § 45 | |
StrlSchV § 86 |
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS
BVerwG 7 B 135.04
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 5. Januar 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und Herbert
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden- Württemberg vom 11. Mai 2004 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
Gründe:
Der Kläger wendet sich gegen eine atomrechtliche Genehmigung zur Aufbewahrung von Kernbrennstoffen im Interimslager des Gemeinschaftskernkraftwerks Neckar. Nach der Genehmigung dürfen bis zum 30. April 2006 auf dem Betriebsgelände des Kernkraftwerks auf höchstens 24 Stellplätzen bestrahlte Brennelemente aus den Reaktoren der Anlage in höchstens 24 Castor-Behältern zum Zweck der Zwischenlagerung bis zur Einlagerung in das Standort-Zwischenlager aufbewahrt werden. Der 1 400 m vom Betriebsgelände entfernt wohnende Kläger sieht sich durch die Genehmigung in seinen Rechten verletzt, weil die Castor-Behälter die Risiken für Leben und Gesundheit der Bevölkerung erhöhten, insbesondere gezielten Angriffen mittels Verkehrsflugzeugen nicht standhielten, und für die Lagerung von Kernbrennstoffen außerhalb der staatlichen Verwahrung kein Bedürfnis bestehe.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage abgewiesen: Nach den hier maßgebenden Vorschriften des Atomgesetzes i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 6. April 1998 (BGBl I S. 694; AtG a.F.) und der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) i.d.F. der Bekanntmachung vom 30. Juni 1989 (BGBl I S. 1321; StrlSchV a.F.) seien Rechte des Klägers mit Blick auf die erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Aufbewahrung der Kernbrennstoffe und den erforderlichen Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter nicht verletzt (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 4 AtG a.F.). Anhaltspunkte für ein Vorsorgedefizit bei der Aufbewahrung von Kernbrennstoffen in dem Interimslager gebe es nicht; das gelte auch für den Fall eines Defekts an einem der Castor-Behälter, deren Dichtsystem überdies kontinuierlich überwacht werde. Die im Genehmigungsverfahren prognostizierte maximale Jahresdosis von 0,029 mSv am standortnahen Aufpunkt Neckarufer liege um ein Vielfaches unter den für den Kläger maßgeblichen Dosisgrenzwerten des § 45 StrSchV a.F. Das in § 6 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 AtG a.F. genannte Merkmal des Bedürfnisses für eine Aufbewahrung von Kernbrennstoffen außerhalb der staatlichen Verwahrung sei nicht auf die Belange eines abgegrenzten Personenkreises bezogen und diene damit nicht dem Schutz Dritter; namentlich sei ihm kein die Anforderungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AtG a.F. überschreitendes drittschützendes Strahlenminimierungsgebot zu entnehmen. Auch der Schutz gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter auf das Interimslager sei gewährleistet. Das Risiko gezielter Angriffe mittels Verkehrsflugzeugen sei bei Erteilung der angefochtenen Genehmigung noch nicht zu berücksichtigen gewesen. Davon abgesehen sei die Beklagte in einem ergänzenden Bescheid zu dem Ergebnis gelangt, dass das gesetzliche Schutzziel auch bei einem solchen Anschlag auf das Interimslager gewahrt sei, da sich unter konservativen Annahmen selbst bei einer Freisetzung von mehr als sieben Tagen Dauer über ein Jahr gerechnet eine effektive Dosis von weniger als 0,055 mSv und eine Organdosis für die Schilddrüse von weniger als 0,86 mSv ergäben, die die Dosisgrenzwerte des § 45 StrlSchV a.F. und übrigens auch diejenigen des § 46 Abs. 1 und des § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StrlSchV i.d.F. vom 20. Juli 2001 (BGBl I S. 1714) unterschritten. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung zuzulassen. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob das gesetzliche Merkmal eines Bedürfnisses für die Aufbewahrung von Kernbrennstoffen außerhalb der staatlichen Verwahrung dem Schutz Dritter diene, betrifft ausgelaufenes Recht und rechtfertigt daher schon aus diesem Grund nicht die Zulassung der Grundsatzrevision (1). Davon abgesehen lässt sich die Frage anhand des Gesetzes beantworten, ohne dass hierfür ein Revisionsverfahren durchgeführt werden müsste (2).
1. Gegenstand der Anfechtungsklage ist eine Genehmigung, die auf der Grundlage des § 6 Abs. 2 AtG a.F. erteilt worden ist. Diese Vorschrift setzt neben den Genehmigungsvoraussetzungen der Nr. 1 bis 4 voraus, dass ein "Bedürfnis" für eine Aufbewahrung außerhalb der staatlichen Verwahrung besteht. Die Vorschrift ist zwar in ihrem Wortlaut durch das Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität vom 22. April 2002 (BGBl I S. 1351) nicht geändert worden. Die Einfügung der Absätze 3 und 4 durch dieses Gesetz bewirkte aber für die hiervon betroffenen Fallgestaltungen eine Funktionsänderung des in § 6 Abs. 2 AtG bestimmten Bedürfnisses, die zur Folge hat, dass der Frage eines hierauf bezogenen Drittschutzes keine grundsätzliche Bedeutung mehr zukommt.
Nach dem neuen, seit In-Kraft-Treten des Änderungsgesetzes vom 22. April 2002 geltenden Recht ist eine Genehmigung zur vorübergehenden Aufbewahrung bestrahlter Brennelemente innerhalb eines abgeschlossenen Geländes des Betreibers einer Kernkraftanlage zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität demjenigen zu erteilen, der für eine Aufbewahrung aufgrund der Verpflichtung zur Errichtung eines Zwischenlagers innerhalb des abgeschlossenen Geländes der Anlage (§ 9 a Abs. 2 Satz 3 AtG) die erforderliche Genehmigung beantragt hat (§ 6 Abs. 4 Satz 1 AtG). Sind diese Voraussetzungen - neben den in § 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 AtG genannten Genehmigungsvoraussetzungen - erfüllt, ist für die Prüfung eines individuellen Bedürfnisses für die Aufbewahrung bestrahlter Brennelemente außerhalb der staatlichen Verwahrung kein Raum. Die Genehmigung nach § 6 Abs. 4 Satz 1 AtG soll den Zeitraum bis zur Ausnutzung der Genehmigung für die Zwischenlagerung bestrahlter Brennelemente in einem gesonderten Lagergebäude innerhalb des abgeschlossenen Geländes der Anlage (§ 6 Abs. 3 AtG) überbrücken. Da aufgrund der Verpflichtung nach § 9 a Abs. 2 Satz 3 AtG für diese Zwischenlagerung ein gesetzliches Bedürfnis gegeben ist (vgl. BTDrucks 14/6890 S. 20), besteht das entsprechende gesetzliche Bedürfnis auch während des Überbrückungszeitraums für die Aufbewahrung im Interimslager (Müller-Dehn, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG-Novelle 2002, Rn. 80). Das Merkmal eines gesonderten Bedürfnisses kommt daher bei der in § 6 Abs. 4 Satz 7 AtG "im Übrigen" bestimmten entsprechenden Anwendung des § 6 Abs. 2 AtG wegen der veränderten Zweckbestimmung der Vorschrift nicht zur Geltung. Die Prüfung eines individuellen Bedürfnisses für die Aufbewahrung bestrahlter Brennelemente außerhalb der staatlichen Verwahrung ergibt angesichts des gesetzlich bestimmten generellen Bedürfnisses für eine solche Aufbewahrung keinen Sinn.
Infolge der geänderten Rechtslage stellt sich die von der Beschwerde aufgeworfene Frage nach der drittschützenden Eigenschaft eines individuellen Bedürfnisses für ein Interimslager in Zukunft nicht mehr. Damit kann das die Zulassung der Grundsatzrevision rechtfertigende Ziel, die Rechtseinheit zu erhalten oder zur Weiterentwicklung des Rechts beizutragen, nicht erreicht werden. In einem Revisionsverfahren könnten keine grundsätzlichen Aussagen zur künftigen Bedeutung des Bedürfnis-Merkmals des § 6 Abs. 2 AtG für die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die Genehmigung eines Interimslagers getroffen, sondern allenfalls abstrakte Rechtsfragen erörtert werden. Das ist nicht der Sinn der Zulassung einer Rechtssache wegen grundsätzlicher Bedeutung (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 1994 - BVerwG 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4; stRspr).
2. Stellt man den Gesichtspunkt ausgelaufenen Rechts zurück, kann die Revision deshalb nicht zugelassen werden, weil die Frage, ob ein Dritter als Verletzung in seinen Rechten geltend machen kann, dass für eine Aufbewahrung bestrahlter Brennelemente außerhalb der staatlichen Verwahrung kein Bedürfnis bestehe, ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass Drittschutz nur solche Rechtsvorschriften vermitteln, die nicht ausschließlich der Durchsetzung von Interessen der Allgemeinheit, sondern zumindest auch dem Schutz individueller Rechte dienen. In diesem Sinne drittschützend ist eine Norm, die das geschützte Recht sowie einen bestimmten und abgrenzbaren Kreis der hierdurch Berechtigten erkennen lässt. Aus dem Atomgesetz ergibt sich nicht das Recht, vor jedweder von einem Kernkraftwerk ausgehenden ionisierenden Strahlung geschützt zu sein. § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AtG a.F. gewährleistet bezüglich des Betriebs einer Kernkraftanlage nur "die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge", was die Hinnahme eines auf die Begrenzung menschlichen Erkenntnisvermögens zurückzuführenden Restrisikos einschließt. Die erforderliche Vorsorge dafür, dass bestimmte Strahlendosen und bestimmte Konzentrationen radioaktiver Stoffe in Luft und Wasser nicht überschritten werden, wird durch die Bestimmung der Dosisgrenzwerte des § 45 StrlSchV a.F. konkretisiert. Die Dosisgrenzwerte haben drittschützenden Charakter, weil sie die äußerste, nicht mehr überschreitbare Grenze der erforderlichen Schadensvorsorge bestimmen und damit nicht nur die Allgemeinheit, sondern auch den Einzelnen vor den Gefahren und Risiken der Kernenergie bewahren sollen. Soweit die Genehmigungsbehörde im Rahmen ihrer Entscheidung die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik dem Einzelnen gegenüber erforderliche Vorsorge gegen Schäden als getroffen ansehen darf, hat es auch mit dem Drittschutz sein Bewenden. Mehr als die erforderliche Vorsorge, die auf den praktischen Ausschluss eines sich als Grundrechtsverletzung darstellenden Schadens hinausläuft, kann ein Dritter nicht verlangen. Insbesondere gibt es keinen Anspruch eines Dritten auf weitergehende Minimierung der Strahlenexposition (vgl. Urteil vom 22. Dezember 1980 - BVerwG 7 C 84.78 - BVerwGE 61, 256 <262 ff.>; Urteil vom 19. Dezember 1985 - BVerwG 7 C 65.82 - BVerwGE 72, 300 <318>).
Für die Aufbewahrung bestrahlter Brennelemente außerhalb der staatlichen Verwahrung gilt unter dem Gesichtspunkt des Drittschutzes nichts anderes. Insoweit gewährleistet § 6 Abs. 2 Nr. 2 AtG bezüglich der Aufbewahrung der Kernbrennstoffe gleichfalls "die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge". Die Genehmigungsvoraussetzung, dass "ein Bedürfnis für eine solche Aufbewahrung besteht", dient demgegenüber ausschließlich den Interessen der Allgemeinheit. Das Merkmal des Bedürfnisses sollte vor der Einfügung der Absätze 3 und 4 sicherstellen, dass der Grundsatz der staatlichen Verwahrung nur unter besonderen Umständen durchbrochen werden konnte. Diese Umstände knüpften an das entsprechende Interesse der Allgemeinheit an, das durch das Interesse des Kraftwerkbetreibers an einer privaten Aufbewahrung nur unter dem Vorbehalt eines individuellen Bedürfnisses sollte überwunden werden können (vgl. BTDrucks 3/759 S. 22). Damit verbindet sich kein auf Rechte eines individualisierbaren Dritten bezogener Schutzzweck. In welcher Weise die Verpflichtung zur Zwischenlagerung (§ 86 StrlSchV a.F.) erfüllt wird, ist im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen Sache des Anlagenbetreibers. Die von der Beigeladenen verfolgte dezentrale Zwischenlagerkonzeption berührt die Rechte Dritter nicht. Das Merkmal des Bedürfnisses in § 6 Abs. 2 AtG ist ein vor die Klammer gezogener Vorbehalt, der anders als die drittschützende Genehmigungsvoraussetzung des § 6 Abs. 2 Nr. 2 AtG keinen Drittschutz vermittelt. Die Annahme der Beschwerde, dieses Merkmal müsse drittschützend sein, um eine gerichtliche Überprüfung zu ermöglichen, ob die vorübergehende Aufbewahrung bestrahlter Brennelemente innerhalb des Geländes des Kraftwerkbetreibers vernünftigerweise geboten ist, verwechselt die Wirkungen des Drittschutzes mit seinen Voraussetzungen. Dritte sind durch die Dosisgrenzwerte unabhängig davon geschützt, ob für die Aufbewahrung bestrahlter Brennelemente außerhalb der staatlichen Verwahrung ein Bedürfnis besteht oder nicht. Von einer untrennbaren Verknüpfung von Bedürfnis und Schadensvorsorge, wie sie die Beschwerde behauptet, kann hiernach keine Rede sein. Die von der Beschwerde angedeuteten Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Aarhus-Konvention und des europäischen Gemeinschaftsrechts geben für eine andere Beurteilung schon deswegen nichts her, weil die Frage eines Drittschutzes durch Auslegung des einschlägigen materiellen Rechts zu beantworten ist und den genannten Regelwerken keine entsprechenden Vorgaben und Maßstäbe in Bezug auf das allein erhebliche Bedürfnis-Erfordernis zu entnehmen sind.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG; beim Ansatz des Streitwerts für Drittanfechtungsklagen gegen eine atomrechtliche Aufbewahrungsgenehmigung hält der Senat den festgesetzten, an Nr. 6.2 i.V.m. Nr. 2.2.2 des Streitwertkatalogs i.d.F. vom 7./8. Juli 2004 orientierten Streitwert für angemessen.
Ende der Entscheidung
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