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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 22.11.2005
Aktenzeichen: BVerwG 7 B 32.05
Rechtsgebiete: VermG


Vorschriften:

VermG § 1 Abs. 1 Buchst. a
Der Gläubiger eines Darlehens, das ohne dingliche Sicherung an den Inhaber eines Betriebs zur Verwendung für das Unternehmen gegeben wurde, ist durch die spätere Verstaatlichung des Unternehmens selbst nicht im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG entschädigungslos enteignet worden, wenn die Darlehensforderung gegen den früheren Inhaber des Betriebs fortbesteht.

Dass nach der Rechtsordnung der DDR keine (zusätzliche) Haftung des VEB begründet wurde, der das Unternehmen weiterführte, stellt keinen Eingriff in bestehende Rechte und damit weder rechtlich noch faktisch eine Enteignung dar.


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 7 B 32.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 22. November 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und Guttenberger beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 20. Januar 2005 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 17 732,24 € festgesetzt.

Gründe:

Die Klägerin begehrt die vermögensrechtliche Rückübertragung einer Darlehensforderung. Der Rechtsvorgänger der Klägerin hatte das Darlehen einem Unternehmen gewährt, dessen Alleininhaber Anfang der fünfziger Jahre aus der DDR floh. Das Unternehmen wurde daraufhin in Volkseigentum überführt und als volkseigener Betrieb weitergeführt. Die Darlehensforderung wurde "ausgebucht". Der Antrag der Klägerin auf vermögensrechtliche Rückübertragung der Darlehensforderung blieb ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

1. Die Rechtssache hat nicht die behauptete grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

a) Die Klägerin möchte die Frage geklärt wissen,

ob beim Verlust eines als Darlehen in das Betriebsvermögen geflossenen Geldwertes wegen Verstaatlichung des Unternehmens aufgrund exekutiver Anordnung der Behörden der DDR ein Anspruch auf Entschädigung nach den §§ 3,1 VermG bzw. § 1 Entschädigungsgesetz besteht.

Soweit diese Frage auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts einer Antwort bedarf, liegt diese auf der Hand und muss nicht erst in einem Revisionsverfahren gefunden werden. Namentlich bedarf der Begriff der entschädigungslosen Enteignung im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG keiner weiteren Klärung.

Der Rechtsvorgänger der Klägerin ist bezogen auf die streitige Darlehensforderung weder rechtlich noch faktisch enteignet worden. Das wäre nur dann der Fall, wenn er durch Maßnahmen der Behörden der DDR aus seiner rechtlichen Stellung als Gläubiger einer Forderung gegen den Darlehensnehmer verdrängt worden wäre. Das ist indes nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht der Fall. Danach ist die Forderung des Rechtsvorgängers der Klägerin weder infolge gesetzlicher oder behördlicher Anordnung auf den Staat als neuen Gläubiger übergegangen oder ohne Erfüllung erloschen noch ist der Rechtsvorgänger der Klägerin durch behördliche Maßnahmen an der Durchsetzung seiner formal fortbestehenden Forderung in einer Weise gehindert worden, die in der Rechtswirklichkeit einem Entzug des Forderungsrechts oder einem Erlöschen der Forderung gleichkam. Der Darlehensnehmer war als Einzelkaufmann Alleininhaber des Betriebs, für den der Rechtsvorgänger der Klägerin das Darlehen hingegeben hat. Auch wenn die Darlehensvaluta für den Betrieb verwendet worden ist und die Darlehensverbindlichkeit als Verbindlichkeit des Betriebs bilanziert worden ist, war Schuldner der Darlehensforderung allein der Inhaber des Betriebs. Er blieb dies auch nach seiner Flucht nach Westdeutschland und der ihr nachfolgenden Enteignung des Betriebs. Die Enteignung des Betriebs berührte die Darlehensforderung des Rechtsvorgängers der Klägerin gegenüber dem Darlehensnehmer nicht. Die Enteignung des Betriebs erschwerte es dem Darlehensnehmer nur, seine fortbestehende Verbindlichkeit gegenüber dem Rechtsvorgänger der Klägerin zu erfüllen. Diesem wiederum wurde die faktische Durchsetzung seiner Forderung erschwert, weil er nicht mehr auf das Betriebsvermögen als Vollstreckungsmasse zurückgreifen konnte. Mangels dinglicher Sicherung seiner Forderung war der Rechtsvorgänger der Klägerin aber nicht gegen einen Vermögensverlust seines Schuldners geschützt. Dass seine rechtlich nicht gesicherte Erwartung enttäuscht wurde, auf das Betriebsvermögen als Vollstreckungsmasse zugreifen zu können, stellt keine Enteignung im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG dar. Eine Enteignung liegt allein gegenüber dem Betriebsinhaber vor, durch die der Rechtsvorgänger der Klägerin lediglich mittelbar betroffen war. Diese mittelbare Betroffenheit fällt unter keinen der Schädigungstatbestände des § 1 VermG. Wenn ein Vermögenswert durch eine schädigende Maßnahme im Sinne des § 1 VermG entzogen wurde, sind die Gläubiger des Geschädigten als mittelbar Betroffene nicht deshalb ebenfalls Geschädigte im Sinne des § 1 VermG, weil sie ihre Forderungen gegen den geschädigten Schuldner nicht oder nur noch unter erschwerten Bedingungen durchsetzen konnten.

Für den Bestand der Forderung gegen den Darlehensnehmer ist ohne rechtliche Bedeutung, dass nach der Enteignung des Betriebs in dessen Bilanz die Forderung ausgebucht worden ist. Damit sollte ersichtlich nur zum Ausdruck gebracht werden, dass der jetzt volkseigene Betrieb, der das enteignete Unternehmen weiterführte, entsprechend der vom Verwaltungsgericht dargestellten Rechtslage in der DDR nicht für die zuvor begründete Verbindlichkeit des Unternehmens in einer etwa § 25 HGB vergleichbaren Weise aufgrund der Übernahme haftete. Das Forderungsrecht des Rechtsvorgängers der Klägerin blieb davon unberührt. Dass nach der Rechtsordnung der DDR daneben keine zusätzliche Haftung des Unternehmens begründet wurde, stellt keinen Eingriff in bestehende Rechte und damit weder rechtlich noch faktisch eine Enteignung dar.

b) Die Klägerin möchte ferner sinngemäß die Frage geklärt haben, ob § 1 Abs. 2 Satz 2 EntschG insoweit gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, als diese Vorschrift zwar eine Entschädigung für Darlehensgeber vorsieht, die ihre Forderung dinglich abgesichert haben, nicht jedoch für diejenigen Darlehensgeber, die auf eine solche Absicherung ihrer Forderung verzichtet haben.

Für die hier gegebene Fallgestaltung stellt sich indes keine klärungsbedürftige Rechtsfrage. § 1 Abs. 2 Satz 2 EntschG sieht nicht schlechthin vor, dass dinglich gesicherte Gläubiger als nur mittelbar Geschädigte zu entschädigen sind. Die Vorschrift gewährt dem mittelbar geschädigten Gläubiger eine Entschädigung in Fällen, mit denen die hier gegebene Fallgestaltung von vornherein nicht vergleichbar ist, mit der Folge, dass die Frage einer unzulässigen Ungleichbehandlung nicht ernsthaft aufgeworfen werden kann. Wurde ein Grundstück in Volkseigentum überführt, erloschen damit regelmäßig die an dem Grundstück bestehenden dinglichen Rechte, namentlich dingliche Sicherungsrechte, wie Hypotheken oder Grundschulden, während die zugrunde liegende persönliche Forderung bestehen blieb. Wird das Eigentum an dem Grundstück nach Vermögensgesetz zurückübertragen, waren nach der zunächst geltenden Rechtslage die erloschenen dinglichen Rechte wieder im Grundbuch einzutragen (§ 18 Abs. 1 Satz 1 VermG a.F.), während nunmehr der Berechtigte das Grundstück zwar lastenfrei zurückerhält, aber für die erloschenen dinglichen Rechte einen Ablösebetrag zu hinterlegen hat, der an den Gläubiger des dinglichen Rechts auszuzahlen ist (§§ 18, 18b Abs. 1 Satz 1 VermG). Ist die Rückübertragung des Grundstücks ausgeschlossen und erhält der frühere Eigentümer nur eine Entschädigung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EntschG), wurden die früher bestehenden dinglichen Rechte nicht wiederbegründet, noch werden sie jetzt abgelöst. Der Gläubiger der dinglichen Rechte wird mithin durch den Ausschluss der Rückübertragung des Grundstücks an den geschädigten Eigentümer selbst mittelbar betroffen und erhält als Ausgleich dafür einen eigenen Anspruch auf Entschädigung nach § 1 Abs. 2 Satz 2 EntschG (vgl. Urteil vom 29. Oktober 2003 - BVerwG 8 C 26.02 - BVerwGE 119, 158 <162>).

2. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf den geltend gemachten Verfahrensfehlern im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

a) Das Verwaltungsgericht hat seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht verletzt. Zu Unrecht macht die Klägerin geltend, das Verwaltungsgericht hätte aufklären müssen, inwieweit das zuständige Ausgleichsamt in einem lastenausgleichsrechtlichen Verfahren die streitige Darlehensforderung als teilungsbedingten Schaden festgestellt habe. Das Verwaltungsgericht hatte schon deshalb keinen Anlass, dieser Frage nachzugehen, weil die Klägerin das Verwaltungsgericht nicht darauf hingewiesen hatte, dass ihr Rechtsvorgänger ein lastenausgleichsrechtliches Verfahren betrieben hatte. Das musste sich dem Verwaltungsgericht auch sonst nicht aufdrängen. Abgesehen davon ist nicht erkennbar, inwieweit Feststellungen der zuständigen Ausgleichsämter zu Schäden im Sinne des Lastenausgleichsrechts von Bedeutung für das vermögensrechtliche Rückübertragungsverfahren sein sollten.

b) Soweit die Klägerin weitere Umstände für aufklärungsbedürftig hält, zeigt sie nicht auf, dass es hierauf aus der maßgeblichen materiellrechtlichen Sicht des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich ankam. Das trifft namentlich für ihre Auffassung zu, das Verwaltungsgericht hätte weiter aufklären müssen, ob die Darlehensforderung tatsächlich bei dem als VEB weitergeführten Unternehmen ausgebucht worden sei. Hierauf kam es aus der maßgeblichen Sicht des Verwaltungsgerichts nicht an, weil diese "Ausbuchung" nicht den Tatbestand der entschädigungslosen Enteignung erfüllen konnte, denn sie konnte den Rechtsvorgänger der Klägerin weder rechtlich noch tatsächlich aus seiner Stellung als Darlehensgläubiger verdrängen.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 2. Halbsatz VwGO ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 3 GKG.



Ende der Entscheidung

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