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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 16.02.2007
Aktenzeichen: BVerwG 7 B 8.07
Rechtsgebiete: GG, LWG NW


Vorschriften:

GG Art. 14 Abs. 1 Satz 2
GG Art. 14 Abs. 2 Satz 2
LWG NW § 128 Abs. 1
Eine durch Landesrecht begründete Verpflichtung, die Durchleitung von Trinkwasser zu dulden, ist eine grundsätzlich zulässige Inhaltsbestimmung des Eigentums.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 7 B 8.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 16. Februar 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß und Neumann

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. November 2006 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe:

I

Das beigeladene kommunale Wasserversorgungsunternehmen leitet von ihm gefördertes Trinkwasser mittels einer unterirdischen Transportleitung zu einem städtischen Versorgungsnetz. 1971 schlossen die Beigeladene und der damalige Eigentümer eines Außenbereichsgrundstücks einen Vertrag, in dem der Eigentümer u.a. gestattete, in dem Grundstück einen Teil der Wasserrohrleitung zu verlegen. Die damals vereinbarte grundbuchliche Absicherung der Rechte der Beigeladenen durch die Eintragung einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit im Grundbuch unterblieb.

Durch Bescheid verpflichtete der Beklagte im Jahre 2005 den Kläger als heutigen Grundstückseigentümer, das Durchleiten von Wasser durch die bestehende unterirdische Leitung und die Unterhaltung der Leitung zu dulden.

Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die daraufhin eingelegte Berufung hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen und zur Begründung insbesondere ausgeführt: Die Duldungsverfügung sei rechtmäßig. Sie finde ihre Rechtsgrundlage in § 128 Abs. 1 LWG NW.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts ist unbegründet. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Daran fehlt es hier.

Die Beschwerde hält folgende Fragen, die sich auf die Verfassungsmäßigkeit der Duldungsverfügung beziehen, für grundsätzlich klärungsbedürftig:

(1.) Ist im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gerechtfertigt, wenn im Fall der Verlegung einer Trinkwasser durchleitenden Leitung ohne Kontakt mit dem Grundwasser oder mit sonstigen oberirdischen Gewässern auf eine Ermächtigungsgrundlage für eine Duldung in einem Landesgesetz wie z.B. § 128 Abs. 1 LWG NW zurückgegriffen wird und bildet eine solche Vorschrift eine Art. 20 Abs. 3 GG genügende Rechtsgrundlage für einen Eingriff der Verwaltung in Rechtspositionen des Bürgers?

(2.) Ist es mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG sowie Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar, wenn eine gegenüber einem Grundstückseigentümer ausgesprochene und auf § 128 Abs. 1 LWG NW gestützte Duldungsverfügung zugunsten eines anderen Unternehmens als eines Unternehmens der Ent- und Bewässerung vorgenommen wird?

(3.) Ist es mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG sowie Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar, dass ein rechtswidriger, in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG eingreifender Zustand nachträglich über eine auf § 128 Abs. 1 LWG NW gestützte Duldungsverfügung gerechtfertigt wird?

(4.) Ist es mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG sowie Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar, dass gegenüber einem Grundstückseigentümer eine auf § 128 Abs. 1 LWG NW gestützte Duldungsverfügung ausgesprochen wird, mit welcher dieser zur Duldung einer Trinkwasser führenden Leitung verpflichtet wird?

(5.) Ist es mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG sowie Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar, dass im Hinblick auf § 128 Abs. 1 LWG NW ein Eingriff in nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Rechtspositionen erfolgt, weil Belange eines am Wettbewerb tätigen Unternehmens solches erfordern sollen?

(6.) Ist es mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG, Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar, wenn eine Ermächtigungsgrundlage wie § 128 Abs. 1 LWG NW dahingehend ausgelegt wird, dass neben der dort genannten Verpflichtung der Duldung der Durchleitung von Wasser und Abwasser und der Unterhaltung der Leitungen weitere Anlagen wie Stromleitungen und Steuerungskabel geduldet werden müssen, obwohl das Gesetz diese nicht nennt und wären ein Steuerungskabel sowie eine Stromleitung als Teil einer Wasserleitung im Sinne von § 128 Abs. 1 LWG NW duldungsfähig?

Diese Fragen lassen sich beantworten, ohne dass es hierzu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf: Wird der Eigentümer eines Grundstücks verpflichtet, eine unterirdische Leitung zu dulden, wird ihm das Eigentum an dem in Anspruch genommenen Grundstücksteil weder ganz noch teilweise entzogen. Es handelt sich vielmehr um eine die Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG) konkretisierende Inhaltsbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. für die Duldung von Telekommunikationsleitungen BVerfG, Beschluss vom 26. August 2002, - BVerfG 1BvR 142/02 - NJW 2003, 196). In diesem Fall ist der Gesetzgeber verpflichtet, bei der Inhaltsbestimmung des Eigentums die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls zu einem gerechten Ausgleich zu bringen (vgl. BVerfGE 91, 294). Insbesondere ist dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Ist dies der Fall, ist grundsätzlich auch das Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) beachtet.

Grundsätzlich kann der Landesgesetzgeber deshalb eine Verpflichtung, Trinkwasserleitungen (mit oder ohne Kontakt mit dem Grundwasser oder mit oberirdischen Gewässern) zu dulden, normieren (Fragen 1 und 4).

Angesichts des hohen öffentlichen Interesses an der Trinkwasserversorgung kann die Duldungsverfügung zugunsten jedes die Trinkwasserversorgung betreibenden Unternehmens ergehen (Frage 2).

Eine Duldungsverfügung kann unter diesen und den weiteren vom Berufungsgericht genannten Voraussetzungen auch zulässig sein, wenn dadurch ein formell rechtswidriger Zustand nachträglich legalisiert wird. Dies gilt umso mehr, wenn - wie hier - Leitungen zunächst rechtmäßigerweise verlegt wurden, weil sich der Grundstückseigentümer schuldrechtlich zur Duldung verpflichtet hatte, und lediglich ein rechtswidriger Zustand dadurch entstanden ist, dass die Verpflichtung zur Duldung eines zwischenzeitlich veräußerten Grundstücks nicht dinglich abgesichert war (Frage 3).

Der Duldungsverpflichtung steht grundsätzlich nicht entgegen, dass diese zugunsten eines am Wettbewerb tätigen Unternehmens ergeht (Frage 5), wenn dieses - wie hier - eine Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge in privatrechtlicher Form wahrnimmt.

Mit der Verpflichtung, das Durchleiten von Wasser durch eine unterirdische Leitung zu dulden, kann auch die Verpflichtung verbunden sein, zu dieser Leitung gehörende Strom- und Steuerkabel zu dulden. Ob § 128 Abs. 1 LWG NW eine solche Verpflichtung vorsieht, ist eine Frage der Auslegung des irrevisiblen Landesrechts durch das Oberverwaltungsgericht. Das Oberverwaltungsgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Verpflichtung, das Durchleiten von Wasser zu dulden, auch die Duldung von Stromleitungen und Steuerungskabeln umfasst, die zu einer unterirdischen Wasserleitung gehören. Diese Auslegung beachtet den verfassungsrechtlichen Rahmen der Gesetzesauslegung (Frage 6).

Schließlich hält die Beschwerde folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig:

Ist es mit § 37 Abs. 1 LVwVfG NW bzw. dem inhaltsgleichen § 37 Abs. 1 VwVfG des Bundes sowie Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar, dass in einer auf § 128 Abs. 1 LWG NW gestützte Verfügung, nach welcher ein Bürger zur Duldung des Durchleitens von Wasser und Abwasser verpflichtet wird, entgegen dem Wortlaut nicht zur Passivität, sondern zum positiven Tun aufgefordert wird, das Durchleiten von Wasser und Abwasser zu dulden?

Diese Frage stellt sich hier nicht. Nach der für den Senat bindenden Auslegung (§ 137 Abs. 2 VwGO) des angefochtenen Bescheids durch das Berufungsgericht wurde der Kläger nur verpflichtet, die Durchleitung von Trinkwasser zu dulden. Dass der Bescheid auslegungsbedürftig gewesen sein mag, nimmt ihm nicht die hinreichende Bestimmtheit im Sinne des § 37 Abs. 1 LVwVfG NW.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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