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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 17.05.2001
Aktenzeichen: BVerwG 7 C 1.01
Rechtsgebiete: GG, WRV, BGB


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 2 Satz 1
GG Art. 4 Abs. 1
GG Art. 4 Abs. 2
GG Art. 6 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 2
GG Art. 140
WRV Art. 137 Abs. 5 Satz 2
BGB § 1666 Abs. 1
BGB § 1666 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Urteil des 7. Senats vom 17. Mai 2001 - BVerwG 7 C 1.01 -

I. VG Berlin vom 25.10.1993 - Az.: VG 27 A 214.93 - II. OVG Berlin vom 14.12.1995 - Az.: OVG 5 B 20.94 -

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 7 C 1.01 OVG 5 B 20.94

Verkündet am 17. Mai 2001

Nöpel Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 16. Mai 2001 durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Franßen und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel, Kley, Golze und Neumann

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 14. Dezember 1995 wird aufgehoben, soweit der Beklagte verpflichtet worden ist, der Klägerin die Rechtsstellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts im Land Berlin zu verleihen.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Die Klägerin ist aus der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in der DDR hervorgegangen und seit 1999 der Verband aller Zeugen Jehovas in Deutschland mit Sitz in Berlin. Sie begehrt die Verleihung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 der Weimarer Reichsverfassung (WRV).

Mit Schreiben vom 23. Oktober 1990 bat die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland um Bestätigung ihrer Rechtsstellung als Körperschaft des öffentlichen Rechts; der Ministerrat der DDR habe sie im März 1990 als Religionsgemeinschaft anerkannt. Im April 1991 stellte sie vorsorglich auch den Antrag, sie gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV als Körperschaft des öffentlichen Rechts anzuerkennen.

Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 20. April 1993 beide Anträge ab. Soweit es den Antrag auf Verleihung der Körperschaftsrechte betrifft, begründete er die Ablehnung vor allem damit, dass die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas ihren Mitgliedern im Widerspruch zum Demokratieprinzip des Grundgesetzes die Teilnahme an Wahlen verbiete. Auch ihr negatives Grundverständnis vom Staat und die Ablehnung jeder Form des Miteinanders mit anderen Religionsgemeinschaften weckten Zweifel daran, dass die Voraussetzungen des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV erfüllt seien.

Die Klägerin hat daraufhin Klage mit dem Antrag erhoben, ihre Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts festzustellen; hilfsweise hat sie beantragt, den Beklagten zu verpflichten, ihr die Rechtsstellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts im Land Berlin zu verleihen. Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 25. Oktober 1993 (NVwZ 1994, 609) den Hauptantrag der Klägerin abgewiesen und ihrem Hilfsantrag stattgegeben.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufungen der Klägerin und des Beklagten mit Urteil vom 14. Dezember 1995 (NVwZ 1996, 478) zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Im Unterschied zum Hauptantrag habe der Hilfsantrag Erfolg. Die Klägerin könne nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV vom Beklagten die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts verlangen. Auch der erstmals im Berufungsverfahren erhobene Vorwurf, die Religionsgemeinschaft praktiziere ein totalitäres Zwangssystem, führe zu keiner anderen Beurteilung. Denn dieser Vorwurf betreffe im Wesentlichen Verhaltensweisen, die nach dem Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft ihrem religiösen Auftrag entsprächen und im staatlichen Bereich keine unmittelbaren Rechtswirkungen entfalteten. Sie seien deshalb staatlicher Bewertung von vornherein entzogen. Davon abgesehen verbleibe dem religionsmündigen Bürger aufgrund des Grundrechts des Art. 4 Abs. 1 GG jederzeit die Möglichkeit, seine Zugehörigkeit zu der Religionsgemeinschaft zu beenden. Ebenso wenig könne die Haltung der Zeugen Jehovas zu Bluttransfusionen eine Vorenthaltung der Korporationsrechte begründen. Dies gelte selbst im Fall grundrechtsrelevanter Eingriffe in Rechte ihrer Mitglieder oder deren Kinder, zumal die glaubensmotivierte generelle Verweigerungshaltung im Einzelfall vom Staat mit den Mitteln der Rechtsordnung durchbrochen werden könne und auch werde.

Dieses Urteil ist, soweit es den Hauptantrag der Klägerin betrifft, rechtskräftig geworden. Gegen die Entscheidung über den Hilfsantrag hat der Beklagte die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt, mit der er die Abweisung auch dieses Klageantrags erstrebt. Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 26. Juni 1997 - BVerwG 7 C 11.96 - (BVerwGE 105, 117) der Revision des Beklagten stattgegeben und die Klage auch in dem Hilfsantrag abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass von einer Religionsgemeinschaft, die mit ihrem Antrag nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV die Nähe zum Staat suche und dessen spezifische rechtliche Gestaltungsformen und Machtmittel für ihre Zwecke in Anspruch nehmen wolle, erwartet werde, dass sie die Grundlagen der staatlichen Existenz nicht prinzipiell in Frage stelle. Dies sei aber bei der Klägerin der Fall. Mit ihrem religiös begründeten Verbot der Wahlteilnahme und dem entsprechenden Verhalten ihrer Mitglieder setze sie sich in einen verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Widerspruch zu dem Demokratieprinzip, das zum unantastbaren Kernbestand der Verfassung gehöre.

Auf die Verfassungsbeschwerde der Klägerin hat das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 19. Dezember 2000 - 2 BvR 1500/97 - (NJW 2001, 429) das Urteil des Senats vom 26. Juni 1997 aufgehoben und die Sache an das Bundesverwaltungsgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Das religiöse Verbot der Teilnahme an staatlichen Wahlen sei ein Gesichtspunkt, der zwar bei der gebotenen Gesamtbetrachtung Berücksichtigung finden könne, der aber für sich allein die Versagung des Körperschaftsstatus nicht rechtfertige. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts verletze damit Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand sei nicht abzusehen, ob der Klägerin der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts aus anderen Gründen zu versagen sei oder nicht. Insbesondere sei im fachgerichtlichen Verfahren offen geblieben, ob die dem staatlichem Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter einer Verleihung des Körperschaftsstatus entgegenstünden.

Der Beklagte beantragt nunmehr, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aufzuheben und die Sache an einen anderen Senat des Oberverwaltungsgerichts zurückzuverweisen. Er bezieht sich auf seinen Vortrag im Berufungsverfahren zu möglichen Grundrechtsgefährdungen Dritter. Hierzu habe das Oberverwaltungsgericht nicht die erforderlichen Tatsachenfeststellungen getroffen.

Die Klägerin hält den Rechtsstreit für entscheidungsreif und bleibt bei ihrem Antrag auf Zurückweisung der Revision. Die Bejahung der tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme ihrer Rechtstreue durch das Oberverwaltungsgericht schließe die Verneinung ausreichender tatsächlicher Gesichtspunkte für Grundrechtsgefährdungen ein. Im Übrigen seien solche Gefährdungen, die eine Verleihung der Körperschaftsrechte an sie ausschließen könnten, selbst dann nicht gegeben, wenn man den - von ihr bestrittenen - Vortrag der Beklagten als zutreffend unterstelle. Dies gelte auch für die Verweigerung von Bluttransfusionen bei nicht ausreichend einsichtsfähigen Minderjährigen. Die Eltern würden in Kauf nehmen, dass ihre Zustimmung durch gerichtliche Maßnahmen ersetzt werde. In einer solchen Handlungsweise könne keine die Verleihung der Körperschaftsrechte ausschließende grundrechtsgefährdende Haltung gesehen werden; es handele sich lediglich um die - vom Gewissen diktierte - Verweigerung der eigenhändigen Mitwirkung an der Durchsetzung bestimmter staatlicher Rechtspositionen.

Der Oberbundesanwalt vertritt ebenfalls die Auffassung, dass die Sache zur weiteren Aufklärung an das Oberverwaltungsgerichts zurückzuverweisen sei.

II.

Die Revision des beklagten Landes ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts beruht auf einer unrichtigen Anwendung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV, soweit es dem in der Revisionsinstanz allein noch anhängigen Hilfsantrag der Klägerin stattgegeben hat. Da die Tatsachenfeststellungen keine abschließende Entscheidung des Senats über den Antrag der Klägerin zulassen, muss das Urteil nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO aufgehoben und der Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen werden. Für die beantragte Zurückverweisung an einen anderen Senat des Oberverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 15. April 1964 - BVerwG 5 C 97.63 - Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 8) besteht kein Anlass.

1. Nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV ist Religionsgemeinschaften auf ihren Antrag die Rechtsstellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Die Klägerin erfüllt - wie der Senat bereits in dem Urteil vom 26. Juni 1997 - BVerwG 7 C 11.96 - (BVerwGE 105, 117 <118 f.>) festgestellt hat - alle Merkmale einer Religionsgemeinschaft und bietet durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer. Über diese Voraussetzungen hinaus müssen für die Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts weitere, in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV nicht ausdrücklich genannte Voraussetzungen erfüllt sein, die sich daraus ergeben, dass die durch Art. 140 GG übernommenen Weimarer Kirchenartikel im Einklang mit den Wertungen des Grundgesetzes auszulegen sind. Eine Religionsgemeinschaft, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erwerben will, muss insbesondere die Gewähr dafür bieten, dass ihr künftiges Verhalten die in Art. 79 Abs. 3 GG umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien, die dem staatlichen Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des freiheitlichen Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes nicht gefährdet (BVerfG, NJW 2001, 429 <430,433>). Ob die dem staatlichen Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter einer Verleihung des Körperschaftsstatus entgegenstehen, ist im Wege einer typisierenden Gesamtbetrachtung zu klären (BVerfG, NJW 2001, 433). Die gebotene Gesamtbetrachtung bezieht sich auf das jeweils zu prüfende Grundrecht. Häufig wird sich erst aus dem Zusammenwirken vieler einzelner Umstände erschließen, ob das Verhalten der Religionsgemeinschaft eine Gefährdung des Grundrechts erwarten lässt.

2. Das Oberverwaltungsgericht ist von einem damit nicht vereinbaren, weil zu großzügigen Verständnis der rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen, unter denen einer Religionsgemeinschaft der Körperschaftsstatus gewährt werden kann. Von seinem rechtlichen Ansatz aus hat das Berufungsgericht nicht die Tatsachen festgestellt, die dem Senat eine abschließende Entscheidung anhand der vom Bundesverfassungsgericht bindend vorgegebenen Maßstäbe erlaubt; denn es fehlt an hinreichenden Tatsachenfeststellungen zu möglichen Gefährdungen der Grundrechte Dritter. Einen Aufklärungsbedarf sieht der Senat vor allem darin, ob die Religionsgemeinschaft darauf hinwirkt, im Fall der Weigerung von Eltern, der Bluttransfusion bei ihren noch nicht einsichtsfähigen Kindern zuzustimmen, staatliche Schutzmaßnahmen zu erschweren oder gar zu verhindern; ein solches Verhalten würde das Grundrecht der Minderjährigen auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) gefährden (a). Ferner bedarf es der Aufklärung, ob die Religionsgemeinschaft gegenüber den in der Gemeinschaft verbliebenen Familienmitgliedern - wie das beklagte Land behauptet - in einer den Bestand der Familie oder der Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) gefährdenden Weise aktiv darauf hinarbeitet, dass diese den Kontakt zu Kindern oder Ehegatten, die aus der Religionsgemeinschaft ausgeschieden sind oder ausgeschlossen wurden, "auf das absolut Notwendige" beschränken oder ganz aufgeben (b). Ein solches Verhalten der Religionsgemeinschaft wird sich regelmäßig auch als nachhaltige Sperre gegen den Austritt von Mitgliedern auswirken und damit ihr nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistetes Recht gefährden, eine Religionsgemeinschaft zu verlassen (c). Erziehungspraktiken, die das Kind in eine Außenseiterrolle führen können, stellen dagegen noch keine Gefährdung des Grundrechts des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 GG dar (d).

a) Die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas untersagt es ihren Mitgliedern, die Zustimmung zu Bluttransfusionen bei ihren minderjährigen Kindern zu erteilen; dies gilt auch dann, wenn nach ärztlicher Beurteilung die Bluttransfusion das einzige Mittel ist, um das Leben des Kindes zu erhalten. Dies rechtfertigt für sich allein jedoch noch nicht die Versagung des Körperschaftsstatus. Denn der Gesetzgeber hat in § 1666 Abs. 1 und 3 BGB Regelungen geschaffen, die im Konfliktfall einerseits dem Elternrecht und der Religionsfreiheit sowie andererseits dem Grundrechtsschutz des Kindes aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG Rechnung tragen. Nach § 1666 Abs. 3 BGB kann das Familiengericht Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge ersetzen. Diese Vorschrift wird von den Gerichten herangezogen, um anstelle der Eltern die Einwilligung zur Bluttransfusion bei einem Minderjährigen zu erteilen (vgl. OLG Celle, NJW 1995, 792 <793>: Bluttransfusion bei einem neugeborenen Kind; OLG Düsseldorf, DAVorm 1992, 878; auch AG Nettetal, FamRZ 1996, 1104). Die Regelung bewahrt die Mitglieder der Religionsgemeinschaft davor, aktiv an der Durchführung der nach ihrer Anschauung verbotenen Bluttransfusion mitwirken zu müssen, und schafft andererseits im Sinne des Grundrechtsschutzes des Kindes eine wirksame und schnelle Hilfe zur Erhaltung des Lebens des Minderjährigen. Wenn das Verhalten der Religionsgemeinschaft diesen staatlichen Schutz oder eine Sofortmaßnahme des Arztes von vornherein einbezieht und sich darauf beschränkt, die Mitglieder darin zu bestärken, nicht selbst die Zustimmung zur Bluttransfusion zu erklären, kann hierin allein noch keine Gefährdung des Grundrechts des Minderjährigen gesehen werden, welche die Versagung des Körperschaftsstatus rechtfertigt.

Anders verhält es sich aber, wenn die Religionsgemeinschaft Schritte unternimmt, die darauf hinauslaufen, die staatlichen Schutzmaßnahmen zu erschweren oder gar zu verhindern. Eine solche Haltung wäre mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, der - wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat - die besonderen Pflichten des Grundgesetzes zum Schutz der Rechte Dritter näher als anderen Religionsgemeinschaften liegen (BVerfG, NJW 2001, 432), nicht zu vereinbaren und müsste zur Ablehnung des Antrags der Klägerin führen. Das beklagte Land hat vorgetragen, dass von der Religionsgemeinschaft im Fall eines Krankenhausaufenthaltes des Kindes, zu dessen Behandlung eine Bluttransfusion möglich erscheint, die Ältesten der Gemeinde und auch von den Zeugen Jehovas gebildete Komitees (z.B. ein Krankenhausverbindungs-Komitee) eingeschaltet würden und in seltenen Fällen sogar ein Mitglied beauftragt werde, rund um die Uhr "Wache" zu halten. Insoweit ist vom Oberverwaltungsgericht zu klären, welche Schritte die Religionsgemeinschaft typischerweise in einem solchen Fall unternimmt und ob diese das Ziel verfolgen, eine Ersetzung des Einverständnisses der Eltern durch die Familiengerichte zu erschweren oder eine gerichtlich erlaubte Bluttransfusion zu verhindern. Hierfür kann - wegen der voraussichtlich geringen Zahl von Fällen der Bluttransfusion bei Kindern - auch das Verhalten in einem Einzelfall ausreichen, wenn sich aus sonstigen Umständen (einschließlich der Erklärungen und Schriften der Klägerin) ergibt, dass es sich um ein typisches Verhalten der Religionsgemeinschaft handelt.

Wenn sich dagegen herausstellt, dass die von dem Beklagten angeführten Maßnahmen darauf zielen, Eltern in der Ablehnung der Bluttransfusion "zu überwachen" und dadurch zu verhindern, dass diese im Interesse ihres Kindes der Bluttransfusion zustimmen, würde sich aus einem solchen Verhalten unter der Voraussetzung, dass es sich lediglich als Bestärkung der als richtig angesehenen religiösen Haltung darstellt, kein zusätzlicher Gesichtspunkt gegen die Zuerkennung des Körperschaftsstatus ergeben. Eine andere Beurteilung wäre allerdings vorzunehmen, wenn die Klägerin mit unzulässigen Maßnahmen (z.B. Ausübung von Druck oder Drohungen) versuchen würde, zur Zustimmung bereite Eltern von der Erklärung der Zustimmung gegenüber dem Arzt abzuhalten.

Sollte die Prüfung durch das Oberverwaltungsgericht ergeben, dass die Religionsgemeinschaft die Bluttransfusion bei dem Kind, zu der der Staat in Erfüllung seiner Schutzpflicht das Einverständnis der Eltern ersetzt hat, zum Anlass eines Ausschlussverfahrens in der Form eines "Gemeinschaftsentzugs" nimmt, wäre die "Sanktionierung" dieses staatlichen Schutzes ein erheblicher Gesichtspunkt im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung. Sie würde im Widerspruch zu der Darlegung der Klägerin stehen, dass sie sich allein gegen den "eigenhändigen" Beitrag von Mitgliedern zur Bluttransfusion in der Form der Zustimmungserklärung wendet.

b) Vom Oberverwaltungsgericht ist ferner zu klären, ob die Religionsgemeinschaft aktiv darauf hinarbeitet, dass ausgetretene oder ausgeschlossene Familienmitglieder von ihren in der Religionsgemeinschaft verbleibenden Familienangehörigen in einer Weise ausgegrenzt werden, die den durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Bestand von Familie und Ehe gefährdet. Das beklagte Land hat im Berufungsverfahren vorgetragen, dass Eltern angewiesen werden, den Kontakt zu ihren Kindern aufzugeben, die aus der Religionsgemeinschaft ausgeschieden sind. Sinngemäß ist ferner darauf hingewiesen worden, dass mit Ehegatten, die aus der Religionsgemeinschaft ausgetreten sind oder ausgeschlossen wurden, "keine geistige Gemeinschaft" mehr gepflegt werden dürfe und der Umgang auf das "absolut Notwendige" zu beschränken sei. Die Klägerin bestreitet eine solche Ausgrenzung von Kindern und Ehegatten.

Ein aktives Hinarbeiten auf eine Trennung von Ehepartnern oder Familien wäre ein ausreichender Grund für die Versagung des Körperschaftsstatus. Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Die Verfassungsbestimmung enthält ein Grundrecht der Familienangehörigen und verpflichtet den Staat dazu, Ehe und Familie vor Beeinträchtigungen durch andere Kräfte zu bewahren (BVerfGE 6, 55 <76>; 55, 114 <126>). Das von dem beklagten Land behauptete Verhalten der Religionsgemeinschaft würde das Grundrecht der Kinder und des Ehegatten aus Art. 6 Abs. 1 GG, zu dessen Schutzbereich das familiäre Zusammenleben gehört, beeinträchtigen oder zumindest gefährden.

c) Wenn der Austritt aus der Religionsgemeinschaft typischerweise diese Konsequenzen hätte, würde sich dies regelmäßig auch als nachhaltige Sperre gegen einen Austritt auswirken. Denn der Austrittswillige wird von einem Ausscheiden aus der Religionsgemeinschaft regelmäßig absehen, um den Kontakt mit seinen engsten Familienangehörigen aufrechtzuerhalten. Ein solches Verhalten würde - sei es als schwerwiegende Nebenfolge des oben dargestellten Verhaltens der Klägerin (vgl. auch Urteil vom 27. März 1992 - BVerwG 7 C 21.90 - BVerwGE 90, 112 <121> zu faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen) oder als gezielte Maßnahme - auch das Grundrecht des Austrittswilligen aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gefährden, das das Recht umfasst, mit Wirkung für den Bereich des staatlichen Rechts aus der Religionsgemeinschaft auszutreten (BVerfGE 30, 415 <423, 426>; auch BVerwG, Urteil vom 23. Februar 1979 - BVerwG 7 C 32.78 - Buchholz 401.70 Kirchensteuer Nr. 17). Als gezielte Maßnahme wäre ein solches Festhalten austrittswilliger Mitglieder in der Gemeinschaft mit Mitteln, die das Grundgesetz (Art. 6 Abs. 1 GG) missbilligt, ein Grund, der der Verleihung der Körperschaftsrechte entgegenstehen kann (vgl. BVerfG, NJW 2001, 433).

d) Wenn durch das Verhalten der Religionsgemeinschaft, insbesondere durch verbindliche Vorgaben an die Eltern zur Erziehung, die Entwicklung von Kindern zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft in einem Maße beeinträchtigt wird, dass eine Gefährdung des Kindeswohl zu besorgen ist, wäre dies mit Blick auf das Grundrecht der Kinder auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG und die staatliche Schutzpflicht gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG ein Grund, der der Verleihung der Körperschaftsrechte entgegenstehen könnte.

Eine Gefährdung des Kindeswohls (vgl. auch § 1666 Abs. 1 BGB) kann auf der Grundlage des bisherigen Vortrags des Beklagten und des Akteninhalts nicht angenommen werden. Das behauptete Verbot des Kontaktes von Kindern mit "Nichtgläubigen" begründet eine Gefährdung noch nicht; es wird in seiner Wirkung dadurch eingeschränkt, dass das Kind die Schule besucht und dort mit Kindern anderer Religionen zusammentrifft. Der Beklagte hat im Berufungsverfahren vorgetragen, dass die Religionsgemeinschaft die Teilnahme von Kindern an "weltlichen" Veranstaltungen wie Geburtstagsfeiern oder Schul-, Sport- und sonstigen Jugendveranstaltungen, an Klassenfahrten sowie an allgemeinen schulischen Aktivitäten außerhalb des regulären Lehrplans verbiete. Auch insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Kinder am regulären Unterricht einschließlich des Schulsports teilnehmen und dadurch in eine Schulklasse eingebunden sind. Dass sie an Veranstaltungen außerhalb der Schule oder an Schulveranstaltungen außerhalb des regulären Lehrplans nicht teilnehmen, kann sie, worauf der Beklagte zu Recht hinweist, zu Außenseitern machen. Dies allein kann aber mit der Gefährdung des Kindeswohls nicht gleichgesetzt werden. Sie ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass eine andere Erziehung, die die Teilnahme an derartigen Veranstaltungen erlaubt, für die Entwicklung des Kindes besser geeignet sein kann. Soweit der Beklagte geltend macht, dass durch eine bildungsfeindliche Grundhaltung der Religionsgemeinschaft den Kindern Bildungschancen vorenthalten würden, kann auch hierauf eine Grundrechtsgefährdung nicht gestützt werden. Der Beklagte selbst behauptet nicht, dass die Religionsgemeinschaft den Besuch weiterführender Schulen oder von Universitäten verbietet oder generell die Bildung der Kinder über einem Grundniveau ablehnt.

Ende der Entscheidung

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