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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 26.06.2003
Aktenzeichen: BVerwG 7 C 26.02
Rechtsgebiete: VermG, REAO
Vorschriften:
VermG § 1 Abs. 6 | |
REAO Art. 3 Abs. 1 Buchst. b |
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 7 C 26.02
Verkündet am 26. Juni 2003
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 26. Juni 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel, Kley, Herbert und Neumann
für Recht erkannt:
Tenor:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. Juni 2002 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe:
I.
Die Kläger wenden sich gegen die Rückübertragung eines Grundstücks in Berlin-Prenzlauer Berg, das der jüdische Architekt Siegfried B. und der nichtjüdische Architekt Paul M. 1930 jeweils zur Hälfte erworben und gemeinsam mit einem Mietshaus bebaut haben.
Mit notariellem Kaufvertrag vom 8. Dezember 1939 veräußerten die Grundstückseigentümer ihre Miteigentumsanteile zum Gesamtpreis von 234 200 RM an die Eheleute Heinz und Ilse K. in Berlin-Neukölln; der Anteil von Herrn M. ging an Frau K., der Anteil von Herrn B. an Herrn K.. Die Käufer übernahmen zwei Hypotheken, die zusammen mit 204 200 RM valutierten. Von dem Herrn M. zustehenden Restkaufpreis zahlte Frau K. 10 000 RM bei Vertragsschluss in bar und 5 000 RM durch Hinterlegung beim Notar zur Ablösung einer Hypothek zu Lasten von Herrn M.. Der Restkaufpreis für Herrn B. sollte beim Notar hinterlegt werden mit der Weisung, nach Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamts und Genehmigung des Kaufvertrags durch die Amtsstelle für jüdischen Grundbesitz Zahlungen zu leisten unter Befriedigung dinglich gesicherter Forderungen in Höhe von knapp 7 000 RM. Den Verkäufern und den Käufern war im Vertrag ein Rücktrittsrecht für den Fall eingeräumt, dass der Grundstücksverkauf unter Erhöhung oder Ermäßigung des Kaufpreises um mehr als 5 % genehmigt werde. Auf der Grundlage der Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 genehmigte die Preisstelle für Grundstücke beim Oberbürgermeister der Reichshauptstadt Berlin mit Bescheid vom 6. Mai 1940 den Kaufvertrag unter Herabsetzung des Kaufpreises auf 222 000 RM. Darauf trat Herr M. vom Kaufvertrag zurück. Die Beschwerde der Eheleute K. gegen den Bescheid hatte mit dem Ergebnis Erfolg, dass der Stadtpräsident der Reichshauptstadt Berlin aufgrund einer Überprüfung der Ertragswertberechnung den Kaufpreis durch Bescheid vom 12. September 1940 auf 223 500 RM festsetzte. Eine Beschwerde des Herrn M. gegen den Bescheid vom 12. September 1940 blieb erfolglos. Die Eheleute K. wurden im Oktober 1940 als Grundstückseigentümer eingetragen. Herr B. kehrte nach seiner Deportation 1943 nicht zurück.
Im November 1952 wurde das Grundstück gemäß der Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten vom 4. September 1952 unter vorläufige Verwaltung gestellt. Im Juni 1961 wurde eine unbebaute Teilfläche des Grundstücks von 58 m² auf der Grundlage der Aufbauverordnung in Anspruch genommen und in Volkseigentum überführt; diese Teilfläche ist nicht mehr Gegenstand des Verfahrens.
Im Jahr 1990 meldeten Frau C. als Alleinerbin des Herrn B. und die Beigeladenen als Erben des Herrn M. Ansprüche auf Rückübertragung an. Durch Bescheid vom 20. Februar 1997 übertrug das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen das Mietwohngrundstück jeweils zur Hälfte an Frau C. einerseits und die Beigeladenen andererseits zurück: Herr B. sei in der Zeit des Nationalsozialismus aus rassischen Gründen verfolgt worden. Die Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlusts (§ 1 Abs. 6 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und 3 REAO) sei nicht widerlegt. Die Eheleute K. hätten nicht nachgewiesen, dass Herr B. über den ihm zustehenden Restkaufpreis frei habe verfügen können und dass er seinen Miteigentumsanteil auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus veräußert hätte. Auch die Veräußerung des Miteigentumsanteils des nicht verfolgten Herrn M. sei als Zwangsverkauf zu werten, weil er aufgrund enger Geschäftsbeziehungen in einer Schicksalsgemeinschaft mit dem Verfolgten gestanden und dessen Verfolgung sich damit auch gegenüber dem Miteigentümer ausgewirkt habe.
Nach Zurückweisung ihrer Widersprüche haben die Eheleute K. Klage erhoben. Aufgrund gütlicher Einigung mit der Alleinerbin der 1993 verstorbenen Frau C. hat Herr K. die Klage gegen die Rückübertragung seiner Miteigentumshälfte zurückgenommen. Die Eheleute K. sind im Lauf des Klageverfahrens verstorben. Die Kläger führen die Klage als ihre Erben fort.
Durch Urteil vom 25. Juni 2002 hat das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufgehoben, soweit die Miteigentumshälfte der Frau K. an die Beigeladenen zurückübertragen wurde. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die Veräußerung des Miteigentumsanteils durch Herrn M. sei nicht als Zwangsverkauf zu bewerten. Herr M. sei keinen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen. Dem Personenkreis der Kollektivverfolgten sei er nicht deswegen zuzurechnen, weil er Geschäftsfreund des Herrn B. und Miteigentümer des diesem zur Hälfte gehörenden Grundstücks gewesen sei. Da Herr M. mit der Veräußerung seiner Miteigentumshälfte nicht zum Schutz seines jüdischen Partners gehandelt habe, habe er sein Eigentum nicht durch dessen Verfolgung eingebüßt. Ebenso wenig könne angenommen werden, dass Herr M. wegen des verfolgungsbedingten Vermögensverlusts des Herrn B. keine freie Verkaufsentscheidung habe treffen können. Eine solche Zwangslage habe nur bei jüdischen Miteigentümern eines seinen Miteigentumsanteil veräußernden jüdischen Eigentümers bestanden. Herr M. sei nicht gezwungen gewesen, seine Miteigentumshälfte zu veräußern. Das ergebe sich aus dem im notariellen Vertrag vereinbarten Rücktrittsrecht, das jeder einzelne Miteigentümer mit Wirkung für seinen Anteil habe ausüben können. Dass Herr M. seine Entscheidungen unabhängig von der Verfolgungssituation des Herrn B. nach eigenen wirtschaftlichen Interessen getroffen habe, zeige auch sein Verhalten nach Vertragsabschluss. Mit seiner Beschwerde gegen den Bescheid des Stadtpräsidenten vom 12. September 1940 habe er gerügt, dass durch die Kaufpreisfestsetzung sein Rücktritt vom Kaufvertrag vereitelt werde. Bei Erfolg der Beschwerde hätte sein Rücktritt zu einer Miteigentümergemeinschaft mit Herrn K. geführt. Das spreche gegen den Einwand, er habe mit dem Verkauf seines Miteigentumsanteils verhindern wollen, dass ihm ein fremder Geschäftspartner aufgezwungen werde. Ein Zwangsverkauf folge auch nicht daraus, dass der Rücktritt durch die Kaufpreisfestsetzung des Stadtpräsidenten unmöglich geworden sei.
Gegen das Urteil haben die Beigeladenen die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Sie tragen vor: Ein nichtjüdischer Miteigentümer, der einem jüdischen Geschäftsfreund im Miteigentum verbunden gewesen sei, sei ebenso wie der nichtjüdische Ehegatte eines Juden als Kollektivverfolgter anzusehen. Da nach der Rechtsprechung der Rückerstattungsgerichte als Berechtigter auch in Betracht komme, wer einen feststellbaren Vermögensgegenstand durch eine gegen einen Dritten gerichtete Verfolgungsmaßnahme eingebüßt habe, müsse die Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlusts zugunsten von Herrn M. eingreifen. Von einer freien Verkaufsentscheidung könne angesichts dessen, dass ein Miteigentumsanteil nicht oder nur zu einem geringeren Preis veräußert werden könne, keine Rede sein. Für einen Zwangsverkauf sprächen auch die behördliche Preisfestsetzung sowie der Umstand, dass Herr M. von dem Kaufvertrag nicht habe zurücktreten können.
Der Beklagte teilt die Auffassung der Revision, dass die Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlusts auch für Herrn M. gelte. Die engen Geschäftsbeziehungen der Miteigentümer ließen eine unterschiedliche Bewertung ihrer Vermögensverluste nicht zu. Das mit der Einsatzverordnung verfolgte Ziel einer "Entjudung" des Grundstücks habe den nichtjüdischen Miteigentümer in eine Zwangslage versetzt und am Rücktritt vom Vertrag gehindert. Es sei darum davon auszugehen, dass die Miteigentumsanteile so miteinander verbunden gewesen seien, dass die Behörden die Verfügung über eine Grundstückshälfte ausgeschlossen hätten.
Die Kläger verteidigen das angegriffene Urteil und vertreten den Standpunkt, dass ein Zwangsverkauf weder bei Herrn B. noch bei Herrn M. vorgelegen habe, weil das Grundstück aus rein wirtschaftlichen Gründen veräußert worden sei.
II.
Die Revision der Beigeladenen ist begründet. Das angegriffene Urteil verletzt Bundesrecht (1). Ob es sich aus anderen Gründen als richtig darstellt, kann der Senat nicht entscheiden, weil das Verwaltungsgericht die hierzu erforderlichen Tatsachenfeststellungen nicht getroffen hat (2); daher ist das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.
1. Das Vermögensgesetz ist auf vermögensrechtliche Ansprüche von Bürgern und Vereinigungen, die in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben, entsprechend anzuwenden (§ 1 Abs. 6 Satz 1 VermG); zugunsten der Berechtigten wird ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust nach Maßgabe der Art. 3 und 4 REAO vermutet (§ 1 Abs. 6 Satz 2 VermG). Das Verwaltungsgericht hat einen verfolgungsbedingten Vermögensverlust des nicht verfolgten Herrn M. verneint, weil sein Vermögensverlust nicht auf eine gegen Herrn B. gerichtete Verfolgungsmaßnahme zurückzuführen und die Veräußerung seiner Miteigentumshälfte nicht als Zwangsverkauf zu bewerten sei. Es hat damit die Voraussetzungen eines verfolgungsbedingten Vermögensverlusts nicht verfolgter Dritter verkannt.
a) Nach der Rechtsprechung der Rückerstattungsgerichte konnte rückerstattungsberechtigt auch ein persönlich nicht verfolgter Dritter sein, der durch eine gegen einen anderen gerichtete Verfolgungsmaßnahme einen Vermögensgegenstand eingebüßt hatte (vgl. OLG Hamm, RzW 1951, 324 f.; BoR Herford, RzW 1952, 78 m. Anm. Heinsen). Er wurde unter bestimmten Voraussetzungen in den Schutzbereich der Vorschriften über die Kollektivverfolgung einbezogen, wenn sich Maßnahmen gegen einen Kollektivverfolgten auf ihn auswirkten. Bei - im Sinn des Sprachgebrauchs der Nationalsozialisten - "rassisch gemischten" Personengemeinschaften wurde eine solche Verfolgungsbetroffenheit nichtjüdischer Mitglieder angenommen, wenn sich die Verfolgung des jüdischen Mitglieds auch ihnen gegenüber als Verfolgungsmaßnahme darstellte. So galten Erbengemeinschaften als verfolgt, wenn die Voraussetzungen eines verfolgungsbedingten Vermögensverlusts - gegebenenfalls aus den gegen einen Miterben bestehenden Verfolgungsgründen heraus - in der Person aller Miterben vorlagen (OLG Köln, RzW 1953, 45). Gleichermaßen begründeten Verfolgungsmaßnahmen gegen das jüdische Mitglied einer Bruchteilsgemeinschaft, das seinen Grundstücksanteil verkaufen musste, einen entsprechenden Verfolgungsdruck gegenüber den übrigen Miteigentümern, soweit sie ihre Anteile aus diesem Anlass veräußerten, um nicht einem fremden Partner in der Gemeinschaft ausgesetzt zu sein (ORG Berlin, RzW 1958, 257; ebenso Neuhaus, in: Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, § 1 VermG Rn. 138; Dietsche, in: Kimme, Offene Vermögensfragen, § 1 VermG Rn. 308; Schwarz, Rückerstattung nach den Gesetzen der Alliierten Mächte, 1974, S. 129; a.A. Wasmuth, in: Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der DDR, § 1 VermG Rn. 193). Bei der Auslegung des § 1 Abs. 6 VermG sind die alliierten Rückerstattungsregelungen und die hierzu ergangene Rechtsprechung heranzuziehen (Beschluss vom 5. September 1997 - BVerwG 7 B 146.97 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 122; Urteil vom 22. Februar 2001 - BVerwG 7 C 12.00 - BVerwGE 114, 68 <70>).
b) Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass Herr B. rassisch verfolgt wurde. Er gehörte als jüdischer Bürger zu dem Personenkreis, dessen Ausschließung aus dem kulturellen und wirtschaftlichen Leben Deutschlands die nationalsozialistische Herrschaft aus rassischen Gründen beabsichtigte, und war damit als Kollektivverfolgter Berechtigter i.S. des § 1 Abs. 6 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO. Zu diesem Personenkreis gehörte Herr M. nicht. Der Vermögensverlust des Herrn B. stand aber mit der Veräußerung des Miteigentumsanteils des Herrn M. in einem derart engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang, dass die Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlusts des Herrn B. auf den Anteilsverkauf des Herrn M. zu erstrecken ist. Steht der verfolgungsbedingte Vermögensverlust des jüdischen Miteigentümers fest, kommt diese Tatsache auch dem nichtjüdischen Miteigentümer mit der Folge zugute, dass die Kausalität des verfolgungsbedingten Vermögensverlusts des jüdischen Miteigentümers für den Vermögensverlust des nichtjüdischen Miteigentümers regelmäßig zu vermuten ist. Die widerlegbare Kausalitätsvermutung zugunsten des nichtjüdischen Miteigentümers rechtfertigt sich durch die Erfahrungstatsache, dass bei typischem Geschehensablauf der verfolgungsbedingte Verkauf einer Grundstückshälfte durch den jüdischen Miteigentümer die Ursache für den gleichzeitigen Verkauf der Miteigentumshälfte des anderen Miteigentümers war. Die angegriffene Entscheidung verfehlt diese Maßstäbe und wird deshalb dem ihnen zugrunde liegenden Wiedergutmachungsgedanken nicht gerecht.
Das Verwaltungsgericht hat - erstens - die Erstreckungswirkung der Verfolgungsvermutung vernachlässigt. Es hat zu Unrecht angenommen, der in dem Urteil des ORG Berlin (RzW 1958, 257) aufgestellte Grundsatz, dass sich der verfolgungsbedingte Vermögensverlust des Mitglieds einer Bruchteilsgemeinschaft auch gegenüber anderen, ihre Miteigentumsanteile veräußernden Mitgliedern als Verfolgungsmaßnahme auswirke, sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Das Verwaltungsgericht misst der Tatsache, dass in dem vom ORG Berlin entschiedenen Fall alle Miteigentümer Juden waren, zu Unrecht eine die Anwendung des Rechtssatzes ausschließende Bedeutung zu. Das ORG Berlin hatte die Frage zu beantworten, ob der Umstand, dass bei einigen der kollektivverfolgten Miteigentümer die Vermutung des verfolgungsbedingten Vermögensverlusts widerlegt war, deren Rückerstattungsansprüchen entgegenstand (vgl. Schwarz, a.a.O., S. 129 Anm. 4). Es hat diese Frage mit der Begründung verneint, dass die betroffenen Miteigentümer durch die unwiderlegt verfolgungsbedingte Veräußerung des anderen Miteigentümers ihrerseits zum Verkauf gezwungen gewesen seien, und dies als andere Tatsache i.S. des. Art. 3 Abs. 2 Halbsatz 1 REAO gewertet, weshalb die Widerlegung der Vermutung unerheblich war. Wäre der Grundsatz, dass der verfolgungsbedingte Vermögensverlust eines Miteigentümers geeignet ist, den freien Willen der übrigen Miteigentümer bei ihrer Veräußerung auszuschließen, auf jüdische Miteigentümer beschränkt, hätte er keinen Sinn; denn bei jüdischen Mitgliedern einer Bruchteilsgemeinschaft ist eine verfolgungsbedingte Veräußerung schon nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO zu vermuten, so dass es der vom ORG Berlin erkannten Erstreckungswirkung nicht bedurft hätte.
Das Verwaltungsgericht hat - zweitens - auch den Kausalzusammenhang zwischen den Veräußerungen der beiden Miteigentumsanteile aus Gründen abgelehnt, die den besonderen Verhältnissen des vorliegenden Falles nicht hinreichend Rechnung tragen. Als nichtjüdischer Miteigentümer eines Grundstücks, das zur anderen Hälfte einem jüdischen Miteigentümer gehörte, war Herr M. Mitglied einer "rassisch gemischten" Personengemeinschaft, die angesichts der begrenzten Zahl der Miteigentümer durch eine persönliche Nähe geprägt war. Der als verfolgungsbedingt zu vermutende Vermögensverlust seines jüdischen Miteigentümers war zeitlich und sachlich unmittelbar mit der Veräußerung des Eigentumsanteils des nichtjüdischen Miteigentümers verknüpft. Angesichts dessen entspricht es der Lebenserfahrung, dass die Veräußerung des Miteigentumsanteils des nichtjüdischen Miteigentümers adäquat-kausale Folge des verfolgungsbedingten Vermögensverlusts des jüdischen Miteigentümers war, sei es, weil sich bei der Veräußerung eines Miteigentumsanteils kein dem Verkehrswertanteil beim Verkauf des ganzen Grundstücks entsprechender Kaufpreis erzielen lässt oder weil die damit verbundene personelle Veränderung der Bruchteilsgemeinschaft für den verbleibenden Miteigentümer regelmäßig unerwünscht ist. Der Vermögensverlust des nichtjüdischen Miteigentümers beruht in Fällen dieser Art auf dem gegen den jüdischen Miteigentümer gerichteten Verkaufszwang und stellt sich damit ebenfalls als Zwangsverkauf dar. Eine "uneingeschränkte Ausweitung des Kreises der Berechtigten auf alle von einer Verfolgung Betroffenen", der Heinsen (a.a.O.) in seiner Entscheidungsanmerkung durch das Merkmal einer Förderung der Interessen des Kollektivverfolgten zu begegnen suchte, wird durch das Kausalitätserfordernis und die Widerlegbarkeit der entsprechenden Vermutung verhindert. Mangels greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte für das Gegenteil ist deshalb davon auszugehen, dass die Veräußerung des Miteigentumsanteils des Herrn B. die Veräußerung des anderen Miteigentumsanteils durch Herrn M. verursacht hat. Bei Anwendung dieser Vermutung hätte das Verwaltungsgericht die Möglichkeit eines verfolgungsbedingten Vermögensverlusts des Herrn M. nicht verneinen können.
Die Annahme, dass die Veräußerung des Miteigentumsanteils durch Herrn M. von dem Veräußerungsgeschäft des Herrn B. beeinflusst war, wird durch die Abwicklung des notariellen Kaufvertrags bestätigt. Zwar bedurfte nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 (RGBl I S. 1709) nur der Verkauf des Miteigentumsanteils von Herrn B. der Genehmigung. Die mit der Genehmigung der Preisstelle vom 6. Mai 1940 verbundene Anordnung, die den vereinbarten Kaufpreis auf 222 000 RM herabsetzte, betraf jedoch ebenso wie die Änderung der Kaufpreisfestsetzung durch den Bescheid des Stadtpräsidenten vom 12. September 1940 auch den Miteigentumsanteil von Herrn M.. Die geringfügige Erhöhung des herabgesetzten Kaufpreises durch den Bescheid vom 12. September 1940 auf 223 500 RM hatte zudem die mit der Beschwerde der Eheleute K. gegen den Bescheid vom 6. Mai 1940 angestrebte Rechtsfolge, dass es Herrn M. unmöglich gemacht wurde, in Ausübung der vertraglich vereinbarten 5 %-Klausel von dem Kaufvertrag zurückzutreten. Angesichts dieser Zwangselemente liegt der Schluss fern, dass sich der Vermögensverlust des Herrn B. nicht auf die rechtsgeschäftliche Willensfreiheit des Herrn M. ausgewirkt haben könnte.
Die in dem angegriffenen Urteil angestellten Erwägungen zu den Motiven, die Herrn M. zu seinem versuchten Rücktritt und seiner erfolglos gebliebenen Beschwerde gegen den Bescheid vom 12. September 1940 bewogen haben könnten, sind demgegenüber spekulativ. Ob Herr M. mit einem Rücktritt seine eigenen wirtschaftlichen Interessen oder auch diejenigen des Miteigentümers B. verfolgt hätte, ist offen. Da die Eheleute K., wie sich aus der Begründung ihrer Beschwerde gegen den Bescheid der Preisstelle vom 6. Mai 1940 ergibt, am Erwerb eines Miteigentumsanteils kein Interesse hatten, hätte ein erfolgreicher Rücktritt des Herrn M. auch dazu führen können, dass sie von dem Kaufvertrag Abstand genommen hätten. Jedenfalls darf die Beschwerdebegründung, die der beurkundende Notar im Auftrag und im Interesse der Eheleute K. eingereicht hat, nicht ohne weiteres dahin gewürdigt werden, dass es Herrn M. um eine "Arisierung" der Miteigentumshälfte seines Partners gegangen sein könnte, wie es die Revisionserwiderung unterstellt.
2. Die bislang festgestellten Tatsachen lassen eine abschließende Entscheidung über die Klage nicht zu.
Das Verwaltungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - nicht geklärt, ob die Kläger die zugunsten von Herrn B. bestehende Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlusts widerlegt haben. Diese Vermutung kann nur durch die in Art. 3 Abs. 2 und 3 REAO vorgesehenen Beweise widerlegt werden. Insoweit ist offen, ob Herr B. über den ihm zustehenden Kaufpreisanteil, insbesondere über den die Forderungen von rund 7 000 RM übersteigenden Betrag, frei verfügen konnte und ob das Rechtsgeschäft seinem wesentlichen Inhalt nach auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden wäre. Ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust des Herrn M. könnte nicht angenommen werden, wenn die Vermutung, dass Herr B. seinen Miteigentumsanteil aus Verfolgungsgründen veräußert hat, widerlegt werden sollte.
Ist von dem verfolgungsbedingten Vermögensverlust des Herrn B. auszugehen, greift zugunsten von Herrn M. die Vermutung ein, dass der Verkauf seines Miteigentumsanteils auf den Verfolgungsmaßnahmen gegen Herrn B. beruhte. Diese Vermutung kann durch den Beweis widerlegt werden, dass Herr M. seinen Miteigentumsanteil abweichend vom typischen Geschehensablauf nicht aufgrund des Zwangsverkaufs seines jüdischen Partners veräußert, sondern dessen Zwangslage nur zum Anlass genommen hat, seine unabhängig von der Verfolgung des Herrn B. entstandene Verkaufsabsicht bei dieser Gelegenheit zu verwirklichen. Ein solcher vom gewöhnlichen Verlauf abweichender Geschehensablauf wäre anzunehmen, wenn die ernstliche Möglichkeit einer solchen Abweichung durch konkrete Tatsachen dargelegt ist; dem wird das Verwaltungsgericht mit Blick auf die Behauptung der Kläger nachzugehen haben, dass Herr M. seinen Miteigentumsanteil ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen verkauft habe, die bereits in der Zeit vor 1933 vorhanden gewesen seien. Sollte die Vermutung eines typischen Geschehensablaufs durch konkrete Tatsachen erschüttert werden, wäre es Sache der Beigeladenen, den Beweis dafür zu erbringen, dass der Verkauf der Miteigentumshälfte des Herrn M. durch den gegen Herrn B. gerichteten Verfolgungsdruck verursacht wurde.
Ende der Entscheidung
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