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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 13.12.2007
Aktenzeichen: BVerwG 7 C 41.07
Rechtsgebiete: BImSchG, 4. BImSchV


Vorschriften:

BImSchG § 4 Abs. 1 Satz 1
4. BImSchV § 1 Abs. 1 Satz 4
4. BImSchV Anhang 3.7 Spalte 2
Der Begriff "Produktionsleistung von Gussteilen" im Sinne von Nr. 3.7 des Anhangs zur 4. BImSchV stellt auf die Rohgussmenge und nicht auf die Menge des verkaufsfertigen Gusses (sog. guter Guss) ab.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

BVerwG 7 C 41.07

Verkündet am 13. Dezember 2007

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert, Krauß, Neumann und Guttenberger

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 20. März 2007 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die von ihr betriebene Stahlgießerei nicht der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungspflicht unterliegt.

Sie betreibt eine Stahlfeingießerei, die erstmals 1969 baurechtlich genehmigt wurde. In der Folgezeit - letztmals 1991 - wurden verschiedene immissionsschutzrechtliche Genehmigungen für Änderungen der Anlage erteilt.

Im Jahre 2002 kam es zum Streit zwischen der Klägerin und der zuständigen Behörde über die immissionsschutzrechtliche Genehmigungspflicht der Anlage nach geltendem Recht. Diese beurteilt sich nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Nr. 3.7 Spalte 2 des Anhangs der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen- 4. BImSchV. Danach sind im vereinfachten Verfahren nach § 19 BImSchG genehmigungspflichtig Stahlgießereien mit einer Produktionsleistung von 2 t bis weniger als 20 t Gussteilen je Tag. Die Behörde bejahte die Genehmigungspflicht der Anlage, da deren Rohgussmenge je Tag größer als 2 t sei. Die Klägerin hielt die Anlage für nicht genehmigungspflichtig, weil die Menge des verkaufsfertigen Gusses (sog. guter Guss) unter 2 t täglich liege.

Die daraufhin erhobene Feststellungsklage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 10. April 2006 abgewiesen.

Die Berufung der Klägerin hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 20. März 2007 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er insbesondere ausgeführt:

Die von der Klägerin betriebene Stahlfeingießerei unterliege der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungspflicht. Es handele sich um eine Stahlgießerei mit einer Produktionsleistung von mindestens 2 t Gussteilen je Tag. Dabei komme es auf die Rohgussmenge und nicht auf die Menge des verkaufsfertigen Gusses (sog. guter Guss) an.

Dass auf die Rohgussmenge abzustellen sei, ergebe sich zunächst aus dem Wortlaut der Nr. 3.7 des Anhangs zur 4. BImSchV. Dort werde auf die "Produktionsleistung" abgestellt. "Produktion" meine allgemein die Herstellung von Gütern. Dem Begriff "Gussteile" sei keine Beschränkung auf verkaufsfertige Teile zu entnehmen. Ein "Gussteil" sei ein Werkstück, das seine Gestalt durch Erstarren flüssigen Metalls in einer Gießform erhalte. Dies schließe Fehlgüsse nicht aus.

Auch der Zweck der Norm spreche für das gefundene Ergebnis: Die 4. BImSchV bestimme den Kreis der Anlagen, die in besonderem Maße geeignet seien, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen oder in anderer Weise die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft zu gefährden, erheblich zu benachteiligen oder erheblich zu belästigen. Dabei komme es auf das abstrakte Gefährdungspotential des Anlagentyps an. Für dieses sei die Menge des zunächst geschmolzenen und sodann gegossenen Rohmaterials (z.B. Stahl) entscheidend. Ohne Bedeutung sei dabei, ob das geschmolzene Rohmaterial nach dem Guss zum Verkauf geeignet sei.

Für das gefundene Ergebnis spreche schließlich der Aspekt der Rechtssicherheit. Das Abstellen auf den "guten Guss" sei nicht praktikabel. Es sei möglich, dass bei einer Anlage, deren Produktionsleistung im Bereich von 2 t je Tag liege, durch geringe Veränderungen in der Produktpalette oder der Qualitätsanforderungen an die Produkte der "gute Guss" tageweise über oder unter dem Schwellenwert von 2 t liege. Demgegenüber erweise sich die von der Produktionskapazität abhängige Rohgussmenge als vergleichsweise einfach handhabbare Größe. Diese abstrakten Überlegungen würden nicht dadurch entkräftet, dass im konkreten Fall die Klägerin versichert habe, ihre Anlage stets so zu betreiben, dass der "gute Guss" die Schwelle von 2 t Gussteilen je Tag nicht überschreite.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision der Klägerin. Zur Begründung führt sie insbesondere aus:

Bei der Bestimmung der Genehmigungsbedürftigkeit von Eisengießereien sei auf die Produktionsleistung an sog. "gutem Guss" abzustellen. Die jetzige Fassung von Nr. 3.7 des Anhangs zur 4. BImSchV beruhe auf Art. 4 des Gesetzes zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27. Juli 2001. Nach Nr. 2.4 des Anhangs I der IVU-Richtlinie werde für Eisenmetallgießereien auf den Begriff der "Produktionskapazität" abgestellt. Darunter sei die Produktion von "gutem Guss" zu verstehen.

Für den Fall, dass der Senat insoweit die klägerische Auffassung nicht teile, werde eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof beantragt.

Auch die Systematik der 4. BImSchV spreche für die Auffassung der Klägerin.

Der Beklagte und der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht verteidigen das angegriffene Urteil.

II

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Zu Recht hat der Verwaltungsgerichtshof angenommen, dass die von der Klägerin betriebene Anlage der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungspflicht unterliegt. Es handelt sich um eine Stahlgießerei mit einer Produktionsleistung von über 2 t Gussteilen je Tag (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Nr. 3.7 Spalte 2 des Anhangs der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen - 4. BImSchV). Denn dabei kommt es - wie im Berufungsurteil zutreffend ausgeführt wird - auf die, hier 3,2 t täglich betragende, Rohgussmenge und nicht auf die Menge des verkaufsfertiges Gusses (sog. "guter Guss") an. Dies ergibt eine Auslegung der Bestimmung nach Wortlaut (vgl. 1.) sowie Sinn und Zweck (vgl. 2.). Aus der Entstehungsgeschichte der Norm (vgl. 3.) und der Systematik des Anhangs der 4. BImSchV (vgl. 4.) ergibt sich nichts anderes.

1. Nach dem Wortlaut der Bestimmung kommt es - wie der Verwaltungsgerichtshof zutreffend ausgeführt hat - auf die Rohgussmenge der Anlage an.

Dies ergibt sich schon aus dem Begriff "Produktionsleistung". Unter "Produktion" ist allgemein die Herstellung von Gütern zu verstehen. Eine Einengung auf verkaufsfertige Endprodukte enthält der Begriff nicht. Hängt die Genehmigungsbedürftigkeit einer Anlage vom Erreichen oder Überschreiten einer bestimmten Leistungsgrenze ab, ist jeweils auf den rechtlich und tatsächlich möglichen Betriebsumfang der Anlage abzustellen (§ 1 Abs. 1 Satz 4 der 4. BImSchV). Produktionsleistung ist folglich das Ergebnis des Produktionsprozesses, das sich bei der maximalen Nutzung des möglichen Betriebsumfangs ergibt.

Auch aus dem Begriff "Gussteile" ergibt sich dies. Ein Gussteil ist ein Werkstück, das seine Gestalt durch Erstarren flüssigen Metalls in einer Gießform erhält. Es liegt nach dem Auspacken des Teils aus der Form vor. Auch Fehlgüsse, die nach dem Auspacken als Kreislaufmaterial wieder in den Schmelzbetrieb zurückgeführt werden, sind demnach Gussteile.

2. Für das gefundene Ergebnis sprechen zudem Sinn und Zweck der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen - 4. BImSchV -.

Wie das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, bestimmt die Verordnung den Kreis der Anlagen, die in besonderem Maße geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen oder in anderer Weise die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft zu gefährden, erheblich zu benachteiligen oder erheblich zu belästigen (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG). Welche Anlagen hierunter fallen, bestimmt die 4. BImSchV auf Grund einer generalisierenden und typisierenden Beurteilung durch den Verordnungsgeber (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 3 BImSchG). Maßgebend ist dabei das abstrakte Gefährdungspotential des Anlagentyps. Dieses wird bestimmt von den Emissionen, die von Anlagen typischerweise ausgehen. Das im Anhang der 4. BImSchV für die Genehmigungsbedürftigkeit vielfach herangezogene Merkmal der Leistungsgrenze dient dazu, solche Anlagen der Genehmigungspflicht zu unterwerfen, die nach den Kriterien des § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG immissionsrelevant sind. Das Ausmaß der von einer Stahlgießerei ausgehenden Emissionen lässt sich anhand der produzierten Rohgussmenge - und nicht des produzierten verkaufsfertigen Gusses - bestimmen. Denn die Menge des zunächst geschmolzenen und sodann gegossenen Stahls bestimmt den Umfang der Emissionen. Diese entstehen beim Produktionsprozess unabhängig davon, ob das geschmolzene und verarbeitete Rohmaterial nach dem Guss zum Verkauf geeignet ist oder als Rohmaterial (Fehlgüsse u.a.) wieder dem Schmelzprozess zugeführt wird.

Sinn und Zweck der Verordnung sprechen auch deshalb für das gefundene Ergebnis, weil die Frage, ob eine Anlage genehmigungsbedürftig ist, grundsätzlich im Vorhinein nach objektiven Kriterien zu beantworten ist. Die zuständige Behörde muss auf Grund der eingereichten Unterlagen - ggf. unter Heranziehung technischen Sachverstands - beurteilen können, ob ein Genehmigungsverfahren durchzuführen ist. Anhand von in Plänen für Bau und Betrieb einer Stahlgießerei enthaltenen Angaben - wie Leistung der Schmelzöfen und Kapazität der Formerei - lässt sich allein die größtmögliche (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 4 der 4. BImSchV) Rohgussmenge errechnen, nicht aber die Menge des verkaufsfertigen Gusses. Die Klägerin nennt keine nachvollziehbaren Kriterien, an Hand derer sich im Vorhinein ermitteln ließe, welcher Anteil des Rohgusses "guter Guss" sein wird. Auch können Änderungen der Produktpalette und der Qualitätsanforderungen an den "guten Guss" immer wieder zu Schwankungen des Anteils von "gutem Guss" führen.

3. Aus der Entstehungsgeschichte von Nr. 3.7 des Anhangs der 4. BImSchV ergibt sich nicht anderes. Deren jetzige Fassung beruht auf Art. 4 des Gesetzes zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27. Juli 2001 (BGBl I S. 1950). Die Regelung der Spalte 2 ist lediglich eine Folge der Neufassung der Spalte 1, die der Umsetzung von Nr. 2.4 des Anhangs I der Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU-RL) dient. Der Anhang I der IVU-RL bestimmt die Anlagen, die einer Genehmigungspflicht nach der Richtlinie zu unterwerfen sind. Nach Nr. 2.4 des Anhangs I fallen hierunter "Eisenmetallgießereien mit einer Produktionskapazität von über 20 t pro Tag". Bei der Umsetzung der Richtlinie hat der nationale Gesetzgeber statt des Begriffes "Produktionskapazität" den Begriff "Produktionsleistung" gewählt und - insoweit über den Wortlaut der Richtlinie hinausgehend - ausdrücklich bestimmt, dass dabei auf "Gussteile" abzustellen ist. Zwar lässt sich den Gesetzesmaterialien(vgl. BRDrucks 674/00 zu Art. 4 Nr. 4<Anhang> S.124) nicht entnehmen, dass der Bundesgesetzgeber die Genehmigungsbedürftigkeit über europarechtliche Vorgaben hinaus ausweiten wollte. Daraus folgt aber nur, dass der Gesetzgeber mit der von ihm gewählten Formulierung von Nr. 3.7 des Anhangs der 4. BImSchV den Inhalt von Nr. 2.4 des Anhangs I der IVU-RL klarstellen wollte. Dies dürfte ihm gelungen sein. Wie oben ausgeführt, spricht der Begriff "Produktionsleistung" dafür, auf die Produktion von Rohguss abzustellen. Gleiches dürfte auch für den in der IVU-RL enthaltenen Begriff "Produktionskapazität" gelten. Selbst wenn der IVU-RL jedoch - wie die Klägerin meint - eine andere Bedeutung beizumessen wäre, wäre dies ohne Bedeutung. Der Bundesgesetzgeber hätte dann (unbeabsichtigt) auch über die Richtlinie hinausgehend Anlagen der Genehmigungspflicht im förmlichen immissionsrechtlichen Verfahren unterworfen. Dazu war er befugt. Zu der von der Klägerin geforderten Vorlage an den EuGH besteht schon deshalb kein Anlass.

4. Schließlich ergibt sich aus der Systematik des Gesetzes nichts anderes. Zur Bestimmung der Genehmigungsbedürftigkeit verwendet der Anhang der 4. BImSchV bei anderen Anlagentypen ebenfalls den Begriff "Produktionsleistung". Gelegentlich werden andere Begriffe als in Nr. 3.7 des Anhangs verwendet. Die Liste der UVP -pflichtigen Vorhaben (Anlage 1 zum UVPG) spricht teils von Gusseisen (3.7.1 der Anlage 1), teils von Gussteilen (3.7.2 der Anlage 1). Die Klägerin meint, aus diesen Formulierungen seien Schlüsse oder Umkehrschlüsse zu ziehen, die zu dem von ihr gewünschten Ergebnis führten. Dies ist nicht der Fall. Die genannten Vorschriften sind zu unterschiedlichen Zeiten in die 4. BImSchV bzw. in das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung aufgenommen worden. Sie betreffen völlig unterschiedliche Anlagen-Typen. Der Anhang zur 4. BImSchV und die Anlage 1 zum UVPG beinhalten deshalb kein in sich geschlossenes sprachliches System, bei dem aus der Verwendung gleicher Begriffe bei unterschiedlichen Anlagen-Typen und unterschiedlicher Begriffe bei ähnlichen Anlagen-Typen Schlüsse für die Auslegung einer bestimmten Nummer zu ziehen wären.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.



Ende der Entscheidung

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