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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 05.03.1998
Aktenzeichen: BVerwG 7 C 8.97
Rechtsgebiete: VermG


Vorschriften:

VermG § 1 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3
Leitsätze:

Enteignungen gegen eine geringere Entschädigung im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG setzen voraus, daß die generelle Diskriminierung unmittelbar auf den Eigentumszugriff durchschlug. Daran fehlt es bei einer Steuervorschrift, nach der die Steuer auf eine Enteignungsentschädigung zugunsten unbeschränkt steuerpflichtiger DDR-Bürger und Ausländer mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in der DDR, nicht aber bei beschränkt steuerpflichtigen gebietsfremden Eigentümern ermäßigt wurde (§ 4 der Dritten Durchführungsbestimmung zum Entschädigungsgesetz vom 24. Januar 1961, GBl DDR II S. 31).

Bei einer Enteignung zugunsten des FDGB auf der Grundlage des Aufbaugesetzes kann eine unlautere Machenschaft anzunehmen sein, wenn die Durchführung von Baumaßnahmen von vornherein nicht konkret geplant war.

Urteil des 7. Senats vom 5. März 1998 - BVerwG 7 C 8.97 -

I. VG Weimar vom 16.12.1996 - Az.: VG 6 K 1989/95.We -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 7 C 8.97 VG 6 K 1989/95.We

Verkündet am 5. März 1998

Nöpel Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

Beteiligte:

1. Thüringer Landesanwaltschaft als Vertreter des öffentlichen Interesses, Rießnerstraße 12 b, 99427 Weimar,

2. Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht,

hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 5. März 1998 durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Franßen und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow, Kley, Herbert und Dr. Brunn

für Recht erkannt:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 16. Dezember 1996 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt nach dem Vermögensgesetz (VermG) die Rückübertragung eines bebauten Grundstücks (Fl.St. 53/1), das früher als Bestandteil des Grundstücks Fl.St. 53 dem Wassermühlenbetrieb des Ehemannes ihrer Rechtsvorgängerin diente. Nach dem Tod des Betriebsinhabers wurde dessen Ehefrau am 2. Dezember 1968 als Eigentümerin des Grundstücks Fl.St. 53 in das Grundbuch eingetragen. Sie bestellte zur Abwicklung des Mühlenbetriebs und Verwaltung des Betriebsvermögens den Bücherrevisor G. als privaten Bevollmächtigten. Anschließend reiste sie aus der DDR in das Bundesgebiet aus. Sie verstarb 1976. Die Klägerin ist ihre Alleinerbin.

Seit 1972 bemühte sich der Kreisvorstand des FDGB um den Erwerb des Grundstücks. Nach seinen Angaben wollte er das frühere Mühlengebäude nach einem Umbau für Gewerkschaftszwecke nutzen. Die Eigentümerin lehnte auf Anfrage ihres Bevollmächtigten die Veräußerung des Grundstücks ab. Darauf wurde auf Betreiben des FDGB das Grundstück geteilt. Das Mühlengebäudegrundstück (Fl.St. 53/1) wurde vom Rat des Bezirks zum Aufbaugebiet erklärt, in das Aufbauregister eingetragen und laut Bescheid des Rats des Kreises vom 22. Januar 1974 auf der Grundlage des § 14 des Aufbaugesetzes i.V.m. § 9 des Entschädigungsgesetzes in Volkseigentum überführt, Rechtsträger Rat des Kreises; in dem Bescheid ist der FDGB als Antragsteller und Träger der Aufbaumaßnahme bezeichnet. Der Rat des Kreises veräußerte das Mühlengebäudegrundstück mit notariellem Kaufvertrag vom 5. Dezember 1974 an den FDGB, der am 30. Dezember 1974 als Grundstückseigentümer in das Grundbuch eingetragen wurde.

Mit Feststellungsbescheid vom 19. September 1974 setzte der Rat des Kreises die Entschädigung der Rechtsvorgängerin der Klägerin wegen der Inanspruchnahme des Grundstücks auf 45 000 M fest. Der Sachverständige hatte in seinem Wertermittlungsgutachten den Sachwert des Gebäudegrundstücks mit 43 100 M und den Wert der Außenanlagen mit 2 900 M ermittelt. Der Entschädigungsbetrag wurde mit einer Steuer in Höhe von 22 260 M auf den sogenannten Veräußerungsgewinn sowie mit einer zugunsten des Sohnes der Klägerin eingetragenen, in Höhe von 22 740 M valutierenden Hypothekenforderung verrechnet.

Durch Bescheid vom 23. August 1994 lehnte das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen den Rückübertragungsantrag der Klägerin ab. Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch und begründete ihren Anspruch damit, daß das Grundstück infolge der diskriminierenden Steuerforderung gegen eine gegenüber DDR-Bürgern geringere Entschädigung enteignet und aufgrund unlauterer Machenschaften nach Überführung in Volkseigentum an den FDGB veräußert worden sei. Das Bundesamt wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 29. November 1995 mit der Begründung zurück, der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG liege nicht vor, da die festgesetzte Entschädigung dem Wertermittlungsgutachten entsprochen habe; selbst bei diskriminierender Besteuerung des Veräußerungsgewinns könne die Klägerin nicht die Rückübertragung des Grundstücks beanspruchen. Unlautere Machenschaften bei der Enteignung seien nicht erkennbar, die spätere Nutzung habe dem Enteignungszweck entsprochen.

Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil vom 16. Dezember 1996 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, das Grundstück Fl.St. 53/1 an die Klägerin zurückzuübertragen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die Inanspruchnahme des Grundstücks auf der Grundlage des Aufbaugesetzes sei nicht deswegen eine entschädigungslose Enteignung, weil die Entschädigung nicht ausgezahlt worden sei. Doch sei der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG erfüllt. Die bei der Auszahlung des Entschädigungsbetrags angewendete Besteuerungsregelung der Dritten Durchführungsbestimmung zum Entschädigungsgesetz vom 24. Januar 1961 (GBl DDR II S. 31; 3. DB-EntschG) sei eine diskriminierende Entschädigungsnorm. Die Regelung habe bezweckt, den auszuzahlenden Entschädigungsbetrag bei den steuerlich nicht begünstigten Enteigneten herabzusetzen. Die Klägerin sei daher Berechtigte, ohne daß es noch darauf ankomme, ob das Aufbaugesetz nach der Rechtsordnung der DDR anwendbar gewesen sei.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Sie führt zur Begründung aus, daß die Steuervorschrift des § 4 der 3. DB-EntschG bei Unternehmen eine steuerliche Privilegierung von DDR-Steuerbürgern bezweckt habe; mit diesem Regelungsinhalt begründe sie keine teilungsbedingte Diskriminierung im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst, b VermG. Die Klägerin tritt der Revision unter Wiederholung und Vertiefung ihres Klagevorbringens entgegen und trägt ergänzend vor: Die fragliche Steuervorschrift habe der Diskriminierung enteigneter Westeigentümer gedient. Davon abgesehen greife der Rückübertragungsanspruch auch aus anderen Gründen durch, insbesondere deswegen, weil die Enteignung des Grundstücks auf der Grundlage des Aufbaugesetzes machtmißbräuchlich gewesen sei (§ 1 Abs. 3 VermG). Die Beigeladenen zu 1 und 2 schließen sich der Revisionsbegründung der Beklagten an, ohne einen Antrag zu stellen. Auch der Oberbundesanwalt meint, das Verwaltungsgericht habe den Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG zu Unrecht angenommen. Die Beteiligte hat von einer Äußerung abgesehen.

II.

Die Revision ist begründet. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, daß die Anwendung der fraglichen Steuervorschrift den Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG erfülle, verletzt Bundesrecht (1). Ob sich die Entscheidung aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 144 Abs. 4 VwGO), läßt sich auf der Grundlage der vorinstanzlichen Feststellungen nicht abschließend beurteilen (2); die Sache muß daher an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen werden.

1. a) § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG begründet vermögensrechtliche Ansprüche an Vermögenswerten, die gegen eine geringere Entschädigung enteignet wurden, als sie Bürgern der DDR zustand. Die Vorschrift will damit solche Enteignungen erfassen, bei denen gegenüber den Betroffenen in bewußter Abkehr von den ansonsten für Bürger der DDR geltenden einschlägigen Vorschriften generell Entschädigungsbestimmungen angewendet wurden, die den diskriminierenden Zugriff auf das Eigentum erleichtern sollten (Urteil vom 24. März 1994 - BVerwG 7 C 11.93 - BVerwGE 95, 289 <291 f.>; Urteil vom 18. Januar 1996 - BVerwG 7 C 51.94 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 61). Diese Auslegung korrespondiert mit dem Schädigungstatbestand der entschädigungslosen Enteignung (§ 1 Abs. 1 Buchst, a VermG), der einen diskriminierenden und gerade deshalb entschädigungslos bleibenden Zugriff auf das Eigentum voraussetzt und daher nicht schon dann gegeben ist, wenn die nach den DDR-Rechtsvorschriften vorgesehene Entschädigung nicht festgesetzt, wegen staatlicher Verwaltung des Vermögens nicht ausgezahlt, mit anderen Forderungen verrechnet oder sonst der Verfügungsmacht des Enteigneten vorenthalten wurde (Urteil vom 24. März 1994 - BVerwG 7 C 16.93 - BVerwGE 95, 284 <286 f.>). Die Schädigungstatbestände stimmen hiernach darin überein, daß ein zielgerichteter, diskriminierender Eigentumszugriff vorliegen muß, wobei die Diskriminierung zum einen in der generellen Entschädigungslosigkeit, zum anderen in der gegenüber DDR-Bürgern generell geringeren Entschädigung liegt.

Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 24. März 1994 - BVerwG 7 C 11.93 - a.a.O. dargelegt hat, kann die in § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG vorausgesetzte Diskriminierung nach dem Zweck und dem gesetzessystematischen Zusammenhang des Schädigungstatbestands nicht aus ihrem instrumentellen Zusammenhang mit der Enteignung gelöst werden. Ein isoliert auf die Höhe des Entschädigungsbetrags bezogenes Normverständnis, das bei diskriminierungsfreier Enteignung schon wegen zu geringer Entschädigung zur Rückübertragung des enteigneten Vermögensgegenstands führte, wäre unvereinbar mit dem restitutionsrechtlichen Grundsatz der Konnexität (vgl. Urteil vom 6. April 1995 - BVerwG 7 C 11.94 - BVerwGE 98, 154 <159 f.>), der entsprechend dem Zweck einer Wiedergutmachung in Natur die Gleichartigkeit von Schädigungsgegenstand und Restitutionsgegenstand voraussetzt. Es hätte auch vielfach eine sachwidrige, dem Gesetz widersprechende Ungleichbehandlung zur Folge; denn eine Rückübertragung des enteigneten Vermögensgegenstands, die allein an die geringere Höhe des Entschädigungsbetrags anknüpfte, würde dem Enteigneten einen ungerechtfertigten und vom Vermögensgesetz nicht gewollten Vorteil gegenüber solchen Enteignungsbetroffenen einräumen, die bei einem im übrigen gleichartigen Sachverhalt die ihnen zustehende, in der DDR übliche Entschädigung erhalten haben und deshalb nicht verlangen können, daß die Entziehung des Eigentums rückgängig gemacht wird. Um solche Wertungswidersprüche zu vermeiden, ist daher das Tatbestandsmerkmal der Enteignung "gegen eine geringere Entschädigung" einschränkend in dem Sinne auszulegen, daß ausschließlich solche Enteignungen erfaßt werden, bei denen Entschädigungsbestimmungen oder eine Entschädigungspraxis bezweckten, durch generell herabgesetzte Enteignungsentschädigungen den diskriminierenden Zugriff auf das Eigentum zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen. Der Schädigungstatbestand setzt demgemäß eine Diskriminierung voraus, die unmittelbar auf den Eigentumszugriff durchschlug. In Fällen dieser Art ist eine generelle Diskriminierung schon dann gegeben, wenn die Entschädigung auf der Grundlage interner Beschlüsse, Erlasse u.a. berechnet wurde, die für Eigentümer mit Wohnsitz außerhalb der DDR ungünstigere Entschädigungsregelungen vorsahen. Zur Anwendung kamen dabei typischerweise unveröffentlichte, meist auch besonderer Geheimhaltung unterliegende Anweisungen, weil es die DDR aus naheliegenden Gründen vermieden hat, die Diskriminierung gebietsfremder Eigentümer durch den Erlaß entsprechender Rechtsnormen offen anzuordnen (vgl. Urteil vom 18. Januar 1996 - BVerwG 7 C 51.94 -, a.a.O.).

b) Das Verwaltungsgericht hat das Tatbestandselement der gegenüber DDR-Bürgern geringeren Entschädigung aus seinem Zusammenhang mit dem Eigentumszugriff gelöst und damit die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG zu Unrecht angenommen.

Das angegriffene Urteil bewertet die im Streitfall angewendete Besteuerungsregelung als Enteignung gegen eine geringere Entschädigung, weil danach die durch Entschädigungsfestsetzung entstandenen Veräußerungsgewinne für ehemalige Betriebsgrundstücke "getrennt von etwaigen anderen Einkünften, aber zusammengefaßt mit den Zinseinkünften gemäß § 2 der Einkommensteuer nach dem geltenden Tarif, Steuerklasse 1, bzw. der Körperschaftsteuer" unterlagen (§ 4 Abs. 3 der 3. DB-EntschG), während bei entsprechenden Veräußerungsgewinnen von DDR-Bürgern die Einkommensteuer ohne Berücksichtigung der Zinseinkünfte um 30 % ermäßigt wurde (§ 4 Abs. 2 der 3. DB-EntschG). Da die Besteuerungsregelung unter Bezugnahme auf das Entschädigungsgesetz erlassen worden sei, mit der - für sich genommen diskriminierungsfreien - Entschädigungsfestsetzung also in untrennbarem Zusammenhang stehe, sei die gegenüber DDR- Bürgern ungünstigere Besteuerung der Entschädigungsforderung sonstiger Enteigneter als diskriminierende Entschädigungsregelung im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG anzusehen. Das Verwaltungsgericht geht damit von einer Diskriminierung Gebietsfremder bei der Besteuerung der Enteignungsentschädigung aus, die dem Zweck diente, die Entschädigung der hiervon betroffenen Enteigneten herabzusetzen.

Mit einer solchen Regelungstendenz zielte die fragliche Steuervorschrift jedoch nur auf den Entschädigungsbetrag, nicht auf den enteigneten Vermögenswert. Eine dadurch bewirkte Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG konnte daher allenfalls die Entschädigungsforderung betreffen, die einem Bürger der DDR bei einer entsprechenden Enteignung zustand. Dagegen war die Besteuerung nach § 4 der 3. DB-EntschG weder dazu bestimmt noch geeignet, den Zugriff auf das Eigentum zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen. Da die steuerliche Benachteiligung bei der festgesetzten Enteignungsentschädigung ansetzte, blieb der vorausgegangene Eigentumszugriff von ihr unbeeinflußt. Das unterscheidet die hier zu beurteilende Regelung von den für den Schädigungstatbestand typischen Diskriminierungen auf der Grundlage der Beschlüsse des DDR-Ministerrats vom 23. Dezember 1976 und vom 28. Juli 1977 (abgedruckt in: Schriftenreihe des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen, Heft 1, S. 17 ff., 101 ff.). Die darin für "Westgrundstücke" angeordneten Maßnahmen zur Herabsetzung der Enteignungsentschädigung (Berechnung des Verkehrswerts allein nach dem Ertragswert, Einsatz speziell ausgesuchter "zuverlässiger" Gutachter) dienten vorrangig dem Zweck, durch die auf diese Weise gezielt manipulativ herbeigeführte Überschuldung den Zugriff auf das Eigentum zu erleichtern. Diese Fallgruppe erfüllt damit das Tatbestandsmerkmal der Enteignung gegen eine geringere Entschädigung deshalb, weil die generell herabgesetzte Entschädigung zwangsläufige Folge der enteignungsbedingten Verminderung des Grundstückswert s war und damit unmittelbar auf den Eigentumszugriff durchschlug. Eine derartige Verküpfung von geringerer Entschädigung und Eigentumszugriff läßt die fragliche Steuervorschrift nicht erkennen.

Die Steuervorschrift unterfällt auch nicht der weiteren Fallgruppe diskriminierender Enteignungsentschädigungen, bei der der Eigentumszugriff aufgrund einer Regelung erfolgte, deren genereller Zweck es war, Grundstücke von "West-Eigentümern" auf möglichst kostengünstige Weise in Volkseigentum zu überführen, um so die Ausgangsposition der DDR bei Verhandlungen über "offene Vermögensfragen" mit "kapitalistischen Staaten" langfristig zu verbessern (vgl. Anlage 1 Nr. 2 zum Beschluß des DDR-Ministerrats vom 28. Juli 1977, a.a.O., S. 106 ff.; s. dazu näher Urteil vom 18. Januar 1996, a.a.O.). Das Ziel, die auf diesen Personenkreis entfallenden Enteignungsentschädigungen mit dem Kunstgriff einer sachwidrigen Wertberechnung zu begrenzen, war durch Besteuerung einer diskriminierungsfrei festgesetzten Entschädigung nicht zu erreichen, da diese den ermittelten Wert des enteigneten Grundstücks unberührt ließ. Der Umstand, daß nach § 4 Abs. 2 i.V.m. § 1 Abs. 6 der 3. DB-EntschG für unbeschränkt steuerpflichtige DDR-Bürger oder Ausländer mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in der DDR ein Abschlag von 30 % auf die bei betrieblichen Enteignungen erhobene Veräußerungsgewinnsteuer vorgesehen war; der beschränkt steuerpflichtigen Enteigneten, die in der DDR weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, nicht zugute kam, war daher für den Eigentumszugriff nicht unmittelbar ursächlich. Allein die Bevorzugung von Steuerinländern durch Gewährung eines Abschlags von der Steuerforderung rechtfertigt nicht die Annahme einer Diskriminierung im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG. Daß die Regelung nicht enteignungsspezifisch war, wird durch das DDR-Einkommensteuergesetz (EStG) in der Fassung vom 18. September 1970 (SDr. Nr. 670) bestätigt, wonach der betriebliche Veräußerungsgewinn auch bei freihändigem Verkauf der Einkommensteuer unterlag (vgl. § 16, § 49 Nr. 2 und § 50 EStG).

Da der Schädigungstatbestand schon deswegen nicht erfüllt ist, weil es an dem erforderlichen Zusammenhang zwischen zu geringer Entschädigung und diskriminierendem Eigentumszugriff fehlt, kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, ob die Annahme einer Enteignung des Grundstücks gegen eine geringere Entschädigung auch daran scheitert, daß die einschlägige Besteuerungsregelung öffentlich bekanntgemacht war. Allerdings kann in der Veröffentlichung einer für eine bestimmte Gruppe von Entschädigungsberechtigten nachteiligen DDR- Rechtsvorschrift ein Indiz dafür gesehen werden, daß ihr keine diskriminierende Wirkung im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG beizumessen ist. Denn bei den hiervon erfaßten Diskriminierungen handelte es sich typischerweise gerade um solche, die auf internen Anweisungen beruhten oder derart verschleiert wurden, daß sie nicht ohne weiteres als rechtsstaatswidrige Diskriminierung erkennbar waren. Die hier einschlägige Besteuerungsregelung entspricht diesem Regelungstyp nicht. Auch der Umstand, daß die Regelung bereits im Jahre 1961 und damit lange vor Beginn der durch die genannten Ministerratsbeschlüsse dokumentierten Kampagne zur gezielten Enteignung von "Westgrundstücken" erlassen wurde; spricht gegen ihre diskriminierende Tendenz. Ob und unter welchen besonderen Voraussetzungen steuerliche Regelungen in der DDR überhaupt als Mittel zu dem Zweck eingesetzt wurden, bei scheinbar gesetzesgemäß gegen Entschädigung erfolgten Enteignungen die Entschädigungslosigkeit oder eine generell diskriminierende Entschädigung im Wege der Besteuerung verdeckt herbeizuführen, um dadurch den Eigentumszugriff zu erleichtern, bedarf aus Anlaß dieses Falles keiner abschließenden Entscheidung.

2. Die Revision des Beklagten ist demnach begründet. Die tatsächlichen Feststellungen in dem angegriffenen Urteil bieten jedoch keine ausreichende Grundlage für die Annahme, daß sich der geltend gemachte Rückübertragungsanspruch auch nicht aus einem anderen Schädigungstatbestand ergibt. Insbesondere ist nicht auszuschließen, daß die Enteignung des Grundstücks auf unlauteren Machenschaften (§ 1 Abs. 3 VermG) beruhte.

Unzutreffend ist allerdings die Annahme der Klägerin, daß die Enteignung zu dem angegebenen Zweck offenkundig einer Rechtsgrundlage im Aufbaugesetz entbehrte. Aus der Gemeinsamen Anweisung des Ministers für Bauwesen und des Ministers der Finanzen über die Erweiterung der Anwendung des Aufbaugesetzes vom 30. Mai 1958 (Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Bauwesen vom 15. September 1958, Nr. 10) läßt sich entnehmen, daß der Anwendungsbereich des Aufbaugesetzes sehr weit verstanden wurde. Danach waren Erklärungen zum Aufbaugebiet und Inanspruchnahmen von Grundstücken zugunsten aller volkseigenen Betriebe, Organe und Institutionen, zur Durchführung von Baumaßnahmen sozialistischer Genossenschaften sowie für Vorhaben der Parteien und Massenorganisationen zulässig. Ob das hier zugunsten des FDGB durchgeführte Enteignungsverfahren in jeder Hinsicht einwandfrei war, ob die genannte Anweisung nach Inkrafttreten der Zweiten Durchführungsbestimmung zum Aufbaugesetz vom 29. September 1972 (GBl DDR II S. 641) noch anwendbar war und ob zu den hiernach zulässigen Aufbaumaßnahmen auch das vom FDGB angegebene Vorhaben eines Ausbaus und Umbaus des Mühlengebäudes unter anschließender Nutzung als Verwaltungsgebäude gehörte, ist zwar nicht zweifelsfrei. Ein dabei unterlaufener Rechtsanwendungsfehler wäre jedoch nach dem insoweit maßgeblichen Rechtsverständnis der DDR jedenfalls kein derart grober und offenkundiger Verstoß gegen die Enteignungsgrundsätze des Aufbaugesetzes, daß von einer willkürlichen Maßnahme gesprochen werden müßte, wie sie der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 3 VermG voraussetzt (vgl. Urteil vom 28. Juli 1994 - BVerwG 7 C 41.93 - Buchholz 112 § 1 VermG Nr. 28).

Der Klärung bedarf jedoch die Frage, ob eine unlautere Machenschaft in der Gestalt einer manipulativen Enteignung vorlag (vgl. Urteil vom 26. Juni 1997 - BVerwG 7 C 25.96 - ZIP 1997, 1563). Aus den Akten ergeben sich nämlich einige Anhaltspunkte dafür, daß der angegebene Zweck der Inanspruchnahme nur vorgeschoben war; es erscheint daher nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen durchaus möglich, daß die Enteignung des Grundstücks willkürlich war, Dabei kann mit der Beklagten davon ausgegangen werden, daß die spätere Nutzung dem von Anfang an verfolgten Enteignungszweck entsprach. Allein die Nutzung des Mühlengebäudes durch den FDGB wäre auch bei weitem Verständnis der einschlägigen Rechtsgrundlagen kein ausreichender Grund dafür gewesen, das Grundstück zu enteignen. Voraussetzung einer Enteignung nach dem Aufbaugesetz war jedenfalls, daß die Durchführung von Baumaßnahmen konkret geplant war. Daß nach der Enteignung irgendwelche Baumaßnahmen zur Sicherung der Instandsetzung, der Modernisierung, des Um- oder Ausbaus oder Abrisses des Mühlengebäudes vorgenommen wurden, geht aus den Akten nicht hervor. Es ist auch nicht ersichtlich, daß der Rat des Kreises die "notwendigen Baukennziffern" für das Vorhaben bereitgestellt hat. Nach Aktenlage liegt die Annahme nicht fern, daß es der "erheblichen Investitionsmittel", mit denen der FDGB die Notwendigkeit einer Enteignung begründet hatte, gar nicht bedurfte. Anlaß zu Zweifeln gibt insoweit die Feststellung des Sachverständigen im Wertermittlungsgutachten, daß das Gebäude "in guter, handwerklich sehr solider Bauweise und Qualität errichtet" und "abgesehen von Durchfeuchtungsschäden sehr gut erhalten" war. Mit Blick auf den Inhalt des in den Akten befindlichen Schreibens des Rats des Kreises an den Rat des Bezirks vom 7. September 1973 ist auch der von der Klägerin geäußerte Verdacht, die Enteignung und anschließende Veräußerung des Grundstücks an den FDGB könnte eine Gegenleistung für vorangegangene Mißwirtschaft gewesen sein, nicht von der Hand zu weisen. Da das Verwaltungsgericht bisher nicht geprüft hat, ob der Erwerb auf unlauteren Machenschaften beruhte, muß die Sache zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts an die Vorinstanz zurückverwiesen werden.

Ende der Entscheidung

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