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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 12.10.2006
Aktenzeichen: BVerwG 8 B 21.06
Rechtsgebiete: VermG, VwGO
Vorschriften:
VermG § 36 | |
VwGO § 73 |
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS
BVerwG 8 B 21.06
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 12. Oktober 2006 durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Postier
beschlossen:
Tenor:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 30. November 2005 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 96 373,60 € festgesetzt.
Gründe:
Die Beschwerde hat Erfolg. Sie ist zwar nicht entlang der in § 132 Abs. 2 VwGO aufgelisteten Gründe für die Zulassung der Revision erarbeitet worden, führt aber zu einem Verfahrensfehler, auf dem das angefochtene Urteil beruht (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht die Klage wegen verspäteten Widerspruchs für unzulässig gehalten. Der Widerspruchsbescheid hat den Widerspruch so behandelt, als wäre er rechtzeitig erhoben worden und hat damit die Fristversäumnis geheilt.
Die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass die Widerspruchsbehörde bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung durch eine Entscheidung in der Sache den Klageweg nicht eröffnen könne, trifft auf den vorliegenden Fall nicht zu. Der hier angefochtene, die Restitution ablehnende Bescheid hat keine solche Wirkung entfaltet.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Verwaltungsakten mit Drittwirkung vermittelt zwar die Bestandskraft auch eines objektiv rechtswidrigen Verwaltungsaktes dem dadurch Begünstigten eine "gesicherte Rechtsposition", die diesem nur dann entzogen werden darf, wenn hierfür eine Rechtsgrundlage besteht. Die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung über das Vorverfahren (§§ 68 ff. VwGO) enthalten eine solche Ermächtigungsgrundlage nicht. Eine derartige Befugnis könnte nur durch das anzuwendende materielle Recht nach Maßgabe seiner Zuständigkeitsvorschriften eröffnet werden (vgl. Urteile vom 17. Oktober 1975 - BVerwG 4 C 66.72 - BVerwGE 49, 244 <249> = Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 24; vom 18. Mai 1982 - BVerwG 7 C 42.80 - BVerwGE 65, 313 <318 f.> = Buchholz 406.25 § 5 BImSchG Nr. 3; vom 4. August 1982 - BVerwG 4 C 42.79 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 49). Das Vermögensgesetz ermächtigte die Widerspruchsbehörde jedoch weder in formeller noch in materieller Hinsicht, auf einen verspäteten Widerspruch des durch einen ablehnenden Restitutionsbescheid belasteten Antragstellers in der Sache zu entscheiden, wenn ein Dritter durch Eintritt der Bestandskraft eine verfahrensrechtlich gesicherte Rechtsposition erlangt hat (Beschluss vom 11. Februar 1998 - BVerwG 7 B 30.98 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 69). Ein solcher Dritter kann etwa der Begünstigte sein, der den Vermögenswert in restitutionsausschließender Weise redlich erworben hat. Der Gemeinde aber, der das zuvor volkseigene Grundstück lediglich zugeordnet worden ist, über das sie nunmehr verfügen darf, steht eine derart schutzwürdige Rechtsposition nicht zu.
Würde sich der Widerspruch unmittelbar gegen einen Verwaltungsakt der Gemeinde richten, wäre die Widerspruchsbehörde befugt, auch nach verspätetem Widerspruch zur Sache zu entscheiden und damit den Rechtsweg für eine sachliche Überprüfung des Verwaltungsaktes zu eröffnen. Dies gilt selbst dann, wenn es sich um eine Selbstverwaltungsangelegenheit der Gemeinde handelt (Urteil vom 18. September 1970 - BVerwG 4 C 78.69 - Buchholz 310 § 76 VwGO Nr. 8). Nicht anders verhält es sich, wenn die Gemeinde am gerichtlichen Verfahren - wie hier - als Beigeladene beteiligt ist (vgl. Urteil vom 7. Januar 1972 - BVerwG 4 C 61.69 - Buchholz 310 § 70 VwGO Nr. 6). Die Bestandskraft, deren Eintritt durch den verspäteten Widerspruch nicht gehindert wird, ist im Verhältnis zwischen Ausgangs- und Widerspruchsbehörde kein Instrument der Rechtssicherheit; denn die Ausgangsbehörde bedarf gegenüber der Widerspruchsbehörde nicht der Gewährleistung, dass ihre Entscheidung unabänderlich bleibt. Das gilt gleichermaßen für Angelegenheiten der Gemeinde; denn sie ist vorrangig dem Gemeinwohl und der Gesetzmäßigkeit verpflichtet und genießt im Grundsatz insofern - anders als Private - keinen Vertrauensschutz.
Soweit in der Literatur der dargestellten Rechtsprechung die Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegengehalten werden (vgl. Kopp/Schenk, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 70 Rn. 9 m.w.N.), bleibt außer Betracht, dass die Folgen der Fristversäumnis in § 60 Abs. 1 bis 4 VwGO nicht abschließend geregelt sind. Diese bestehen lediglich darin, dass der Rechtsanspruch des Widerspruchsführers auf Durchführung eines Vorverfahrens mit Sachprüfung untergegangen ist. Dieser Verlust mindert die Sachherrschaft der Widerspruchsbehörde aber nicht.
Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit der Aufhebung der Entscheidung und der Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht (§ 133 Abs. 6 VwGO) Gebrauch.
Die Streitwertentscheidung folgt aus §§ 47, 52 GKG.
Ende der Entscheidung
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