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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 19.12.1997
Aktenzeichen: BVerwG 8 B 234.97
Rechtsgebiete: GG, WHG


Vorschriften:

GG Art. 20 a
WHG § 1 a Abs. 2
WHG § 18 a
Leitsatz:

Art. 20 a GG sowie die Bestimmungen des Wasserhaushaltsgesetzes und der EG-Richtlinie über die Verringerung des Abwasseranfalls und des Trinkwasserverbrauchs verbieten es auch dann nicht, den Anschluß eines Grundstücks an die öffentliche Entwässerungseinrichtung zu verlangen, wenn der Grundstückseigentümer bisher eine private Kläranlage betrieben hat, die einwandfrei arbeitet.

Beschluß des 8. Senats vom 19. Dezember 1997 - BVerwG 8 B 234.97

I. VG Regensburg vom 18.04.1994 - Az.: VG RO 13 K 93.2358 II. VGH München vom 24.07.1997 - Az.: VGH 23 B 94.1935


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 8 B 234.97 VGH 23 B 94.1935

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 19. Dezember 1997 durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Silberkuhl, Krauß und Golze

beschlossen:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Juli 1997 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die mit ihr begehrte Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht gegeben. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung in der mit dem Beschwerdevorbringen bezeichneten Richtung (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

Das angefochtene Urteil versagt dem Kläger die begehrte Befreiung vom Anschluß- und Benutzungszwang hinsichtlich der von der Beklagten betriebenen öffentlichen Entwässerungsanlage. Es beruht auf der Auslegung und Anwendung irrevisiblen Rechts (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1, § 173 VwGO in Verbindung mit § 562 ZPO). Zu dessen Auslegung und Anwendung können sich mangels Revisibilität keine rechtsgrundsätzlichen Fragen stellen, die in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren geklärt werden könnten. Die mit der Beschwerdebegründung aufgeworfene Frage der Vereinbarkeit der vorinstanzlichen Auslegung des irrevisiblen Rechts mit Bundesrecht könnte die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nur dann rechtfertigen, wenn das Bundesrecht eine revisionsgerichtliche Klärung erforderte (vgl. etwa Beschluß vom 14. Oktober 1994 - BVerwG 1 B 153.93 - Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 27 S. 9 <12>). Das ist nicht der Fall. Daß Bundesverfassungsrecht die Gemeinden nicht daran hindert, aufgrund landesgesetzlicher Ermächtigung durch Satzung für ihre Einrichtungen der Daseinsvorsorge - namentlich der Abwasserbeseitigung - den Anschluß- und Benutzungszwang anzuordnen, ist nicht klärungsbedürftig (vgl. etwa auch Beschlüsse vom 15. Oktober 1984 - BVerwG 7 B 27.84 - Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 226 S. 14 <15 f.> m.w.N. und vom 12. Juli 1991 - BVerwG 7 B 17 u. 18.91 - Buchholz 415.1 allg. KommR Nr. 113 S. 95 <97> m.w.N.). Die in den Gemeindeordnungen enthaltenen Vorschriften über den Anschluß- und Benutzungszwang zählen zu dem der ausschließlichen Regelungskompetenz der Länder unterliegenden Kommunalrecht (vgl. etwa Beschluß vom 12. Juli 1991, a.a.O. S. 97). Die Einrichtung einer öffentlichen Kanalisation mit Anschluß- und Benutzungszwang gehört seit langem zu den den Gemeinden aus Gründen des allgemeinen Wohls, insbesondere der Volksgesundheit, gesetzlich zugewiesenen Aufgaben. Schutzgut der öffentlichen Abwasserbeseitigung ist die Sauberkeit des Grundwassers im Interesse des Allgemeinwohls, namentlich der Volksgesundheit (vgl. etwa Urteile vom 17. März 1989 - BVerwG 4 C 40.88 - BVerwGE 81, 347 <350> und vom 24. Januar 1992 - BVerwG 7 C 38.90 Buchholz 316 § 49 VwVfG Nr. 25 S. 6 <8> m.w.N.). Der durch Ortssatzung angeordnete Zwang, Grundstücke an die öffentliche Kanalisation anzuschließen und die Einrichtung zu benutzen, dient der Sicherung dieses Schutzgutes. Durch den Anschluß- und Benutzungszwang läßt sich mit größtmöglicher Sicherheit eine Verunreinigung des Grundwassers durch Abwässer ausschließen. Ein Verzicht auf dieses Maß an Sicherheit führt bereits zu einer dem Allgemeinwohl widersprechenden Gefährdung des Schutzgutes (vgl. Urteil vom 24. Januar 1992, a.a.O. S. 8). Das Eigentumsrecht des Grundeigentümers, der auf seinem Grundstück eine private Kläranlage betreibt, ist von vornherein dahin eingeschränkt, daß er seine Anlage nur solange benutzen darf, bis die Gemeinde von der ihr gesetzlich zustehenden Befugnis Gebrauch macht, die Abwasserbeseitigung im öffentlichen Interesse in ihre Verantwortung zu übernehmen und hierfür den Anschluß- und Benutzungszwang anzuordnen (vgl. Beschluß vom 12. Januar 1988 - BVerwG 7 B 55.87 - Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 239 S. 2 <3>). Der durch gemeindliche Satzung begründete Zwang, Grundstücke an die öffentliche Entwässerungsanlage anzuschließen und diese zu benutzen, bedeutet für die betroffenen Grundeigentümer eine zulässige Bestimmung von Inhalt und Schranken des Grundeigentums, die durch dessen Sozialbindung gerechtfertigt wird (vgl. Beschluß vom 12. Januar 1988, a.a.O. S. 3 m.w.N.). Privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Nutzungsrechte hinsichtlich der Entwässerung eines Grundstücks werden nach Anordnung des Anschluß- und Benutzungszwangs regelmäßig gegenstandslos oder können nicht mehr ausgeübt werden (vgl. Beschluß vom 15. Oktober 1984, a.a.O. S. 16). Das gilt auch dann, wenn der Grundstückseigentümer auf seinem Grundstück eine private Kläranlage errichtet und bisher betrieben hat, die einwandfrei arbeitet (vgl. Urteil vom 24. Januar 1992, a.a.O. S. 9). Besonderen Ausnahmefällen, in denen die Ausübung des Anschluß- und Benutzungszwangs mit Blick auf Art. 14 GG und das Verhältnismäßigkeitsgebot zu unbilligen Härten führen würde, kann durch die auch in der Anschlußsatzung des Beklagten vorgesehene Möglichkeit der Befreiung vom Anschluß- und Benutzungszwang hinreichend Rechnung getragen werden (vgl. Beschlüsse vom 15. Oktober 1984, a.a.O. S. 16 und vom 12. Januar 1988, a.a.O. S. 3). Grundsätzlich klärungsbedürftige Fragen des revisiblen Rechts wirft die Beschwerde insoweit nicht auf.

Namentlich reicht ihr Hinweis auf Art. 20 a GG nicht aus, um eine noch der Klärung in einem Revisionsverfahren bedürftige Frage des Bundesverfassungsrechts aufzuzeigen. Das Schutzgebot des Art. 20 a GG zugunsten der natürlichen Lebensgrundlagen, zu denen auch das Wasser gehört, zwingt die Gemeinden nicht dazu, Grundstückseigentümer, die eine private Kläranlage betreiben, vom Anschluß- und Benutzungszwang hinsichtlich einer öffentlichen Entwässerungsanlage zu befreien. Dies ergibt sich unmittelbar aus der Verfassungsnorm selbst und gilt auch dann, wenn die private Anlage eine einwandfreie Klärung des anfallenden Abwassers gewährleistet. Die Schutznorm des Art. 20 a GG ist als objektiv-rechtlich wirkende Staatszielbestimmung ausgestaltet. Sie enthält keinen subjektiv-rechtlichen Anspruchstatbestand (vgl. etwa Hömig, in: Seifert/Hömig, GG, 5. Aufl. 1995, Art. 20 a Rn. 3 m.w.N.). Bei der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe und bei der Betätigung von Ermessen ist das Schutzgebot des Art. 20 a GG zwar Auslegungs- und Abwägungshilfe für die vollziehende Gewalt (vgl. Hömig, a.a.O. Rn. 5 m.w.N.). Diese darf sich jedoch im Einklang mit der geltenden Rechtsordnung schutzgutfördernd des zur Sicherung der Reinhaltung der Gewässer gesetzlich vorgesehenen Instruments des Anschluß- und Benutzungszwangs bedienen. Sie darf dabei insbesondere berücksichtigen, daß die Errichtung und der Betrieb einer zentralen gemeindlichen Abwasserbeseitigungsanlage mit Blick sowohl auf die Gewährleistung des Gewässerschutzes als auch die Wirtschaftlichkeit einer solchen Einrichtung grundsätzlich nur bei einem Anschluß möglichst aller Grundstücke des Einzugsgebiets sinnvoll sind. Freilich könnten einzelne private Kläranlagen behördlich daraufhin überwacht werden, ob sie ordnungsgemäß funktionieren und nicht durch Versickerung der Abwässer auf dem Grundstück das Grundwasser verunreinigen. Zur Vermeidung des Aufwandes solcher Kontrollen der einzelnen privaten Anlagen durch Bedienstete der Gemeinde könnten die Grundstückseigentümer auch durch Auflagen zur Befreiung vom Anschluß- und Benutzungszwang verpflichtet werden, auf ihre Kosten in regelmäßigen Abständen Gutachten eines anerkannten Sachverständigen zum Nachweis des einwandfreien Zustandes und Betriebes der jeweiligen Anlage beizubringen. Die der Gemeinde durch die Prüfung der vorgelegten Sachverständigengutachten entstehenden Kosten könnten ebenfalls auf die Betreiber privater Kläranlagen abgewälzt werden. Das alles könnte jedoch nichts daran ändern, daß die Gemeinde ihre zentrale Entwässerungsanlage so dimensionieren muß, daß sämtliche Grundstücke im Einzugsgebiet angeschlossen werden können. Denn bei einem Defekt oder der Stillegung einer privaten Kläranlage muß das Grundstück zur Gewährleistung des Gewässerschutzes an die vorhandene öffentliche Entwässerungsanlage angeschlossen werden. Die Kosten für die Vorhaltung solcher Anschlußmöglichkeiten für Grundstücke mit privaten Kläranlagen fielen entweder der Gemeinde oder den Eigentümern der an die Einrichtung angeschlossenen Grundstücke zur Last. Beides widerspräche der mit der Anordnung des Anschluß- und Benutzungszwangs neben dem Gewässerschutz bezweckten gleichmäßigen Verteilung der entstehenden Kosten auf möglichst sämtliche Grundstückseigentümer. Eine Überbürdung des Aufwandes für die vorsorgliche Überdimensionierung auf die Eigentümer der angeschlossenen Grundstücke oder den Gemeindehaushalt ließe sich auch sachlich nicht rechtfertigen.

Ebensowenig wie aus Art. 20 a GG läßt sich ein Anspruch auf Befreiung vom Anschluß- und Benutzungszwang aus der von der Beschwerde angeführten gemeinschaftsrechtlichen Richtlinie über die Verringerung des Abwasseranfalls und des Trinkwasserverbrauchs herleiten: Gleiches gilt für die von der Beschwerde zitierte bundesrechtliche Vorschrift des § 1 a Abs. 2 WHG.

Schließlich wirft auch die Auslegung der von der Beschwerde gegenüber dem irrevisiblen Recht als vermeintlicher korrigierender Maßstab herangezogenen bundesrechtlichen Vorschrift des § 18 a WHG keine entscheidungserhebliche ungeklärte Frage von grundsätzlicher Bedeutung auf. Der durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes vom 11. November 1996 (BGBl I S. 1690) in § 18 a Abs. 1 angefügte Satz 2 "Dem Wohl der Allgemeinheit kann auch die Beseitigung von häuslichem Abwasser durch dezentrale Anlagen entsprechen", soll den Gemeinden mehr Spielraum für die "Optimierung ihrer Entsorgungskonzepte" eröffnen, weil dezentrale Entsorgungseinrichtungen kostensparender als zentrale Systeme mit langen Kanalnetzen sein können und die umweltrechtlichen Anforderungen ebenfalls zu erfüllen vermögen (vgl. BTDrucks 13/4788, S. 20 <zu Nr. 4 a § 18 a>). Die Vorschrift zwingt Gemeinden dagegen nicht, von der Anordnung des Anschluß- und Benutzungszwangs hinsichtlich einer bestehenden zentralen Abwasserbeseitigungsanlage abzusehen und begründet keinen Anspruch auf Befreiung vom Anschluß an das öffentliche Kanalnetz.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1, § 73 Abs. 1 Satz 2 GKG.



Ende der Entscheidung

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