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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 20.12.2000
Aktenzeichen: BVerwG 8 B 238.00
Rechtsgebiete: VwGO
Vorschriften:
VwGO § 91 | |
VwGO § 102 Abs. 2 | |
VwGO § 108 Abs. 2 |
Ein Beteiligter, der trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zu einer mündlichen Verhandlung erscheint, muss nicht damit rechnen, dass im Wege der Klageänderung ein neuer Streitgegenstand in das Verfahren eingeführt wird und dass aufgrund der mündlichen Verhandlung dann sofort über diesen neuen Streitgegenstand entschieden wird (wie Urteil vom 13. November 1980 - BVerwG 5 C 18.79 - BVerwGE 61, 145 <146 f.> = Buchholz 451.45 § 8 HwO Nr. 7).
Beschluss des 8. Senats vom 20. Dezember 2000 - BVerwG 8 B 238.00 -
I. VG Gera vom 08.08.2000 - Az.: VG 6 K 1300/99 GE -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS
BVerwG 8 B 238.00 VG 6 K 1300/99 GE
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 20. Dezember 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß und Golze
beschlossen:
Tenor:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 8. August 2000 wird aufgehoben, soweit der Beklagte verpflichtet worden ist, festzustellen, dass die Kläger in Erbengemeinschaft einen Anspruch gegen die Beigeladene zu 2 auf Auskehr des Erlöses aus der Veräußerung des ehemals auf Bl. 191 des Grundbuches von Molbitz, Flur 3, eingetragenen Flurstücks Nr. 621 haben.
Insoweit wird der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Beschwerde der Beigeladenen zu 2 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Gera zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt zu 6/7 die Beigeladene zu 2. Die Beigeladene zu 1 trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Im Übrigen bleibt die Entscheidung über die Kosten der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 350 000 DM festgesetzt.
Gründe:
Die Beschwerde der Beigeladenen zu 2 ist teilweise begründet.
1. Es liegt ein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem das angefochtene Urteil teilweise beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch der Beigeladenen zu 2 auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) verletzt. Es hat über die Klage einschließlich des erst in der mündlichen Verhandlung am 8. August 2000 geltend gemachten Anspruchs der Kläger auf Auskehr des Erlöses aus der Veräußerung des im Grundbuch von Molbitz ehemals auf Bl. 191, Flur 3, eingetragenen Flurstücks Nr. 621, den es zutreffend als Klageänderung angesehen hat, entschieden, ohne der Beigeladenen zu 2 rechtliches Gehör zu der erweiterten Klage zu gewähren. Ohne Bedeutung ist es dabei, dass die in der mündlichen Verhandlung nicht vertretene Beigeladene zu 2 zu dieser ordnungsgemäß geladen worden war. Zwar muss ein Beteiligter, der trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zu einer mündlichen Verhandlung erscheint, damit rechnen, dass die übrigen Prozessbeteiligten in der mündlichen Verhandlung ihr bisheriges Vorbringen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ergänzen. Nimmt er durch Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung die Gelegenheit, sich hierzu zu äußern, nicht wahr, kann er sich später nicht mehr auf den Anspruch auf rechtliches Gehör berufen. Er muss jedoch nicht damit rechnen, dass im Wege der Klageänderung ein neuer Streitgegenstand in das Verfahren eingeführt wird und dass aufgrund der mündlichen Verhandlung dann sofort über diesen neuen Streitgegenstand entschieden wird (vgl. Urteil vom 13. November 1980 - BVerwG 5 C 18.79 - BVerwGE 61, 145 <146 f.> = Buchholz 451.45 § 8 HwO Nr. 7).
Der Senat macht von der Möglichkeit, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO), Gebrauch; denn hierfür sprechen Gründe der Verfahrensökonomie. Entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 2 könnte die Klage - nach Zulassung der Revision - nicht ohne weitere tatsächliche Feststellungen abgewiesen werden. Das Verwaltungsgericht hat allein aufgrund der Schreiben der Kläger vom 24. Juni 1991 und vom 4. Februar 1992 die fristgemäße Anmeldung vermögensrechtlicher Ansprüche auf das ehemals auf Bl. 191 des Grundbuchs in Molbitz, Flur 3, eingetragene Grundstück 621 bejaht. Würde der Senat - nach Zulassung der Revision - zu dem Ergebnis gelangen, dass diese Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts materielles Bundesrecht (insbesondere die §§ 133 und 157 BGB) verletzt, könnte die Klage nicht abgewiesen werden, sondern der Rechtsstreit müsste an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen werden. Es wäre dann nämlich aufzuklären, ob sich aus Äußerungen der Kläger in mündlichen Vorsprachen bei dem Vermögensamt ergibt, dass deren Anmeldung auch das Grundstück 621 erfasst, wie die Kläger in der Beschwerdeerwiderung behaupten. Außerdem wäre dann vom Tatsachengericht gegebenenfalls zu prüfen, ob den Klägern Nachsicht im Hinblick auf die Einhaltung der Anmeldefrist zu gewähren ist, weil die Versäumung der Frist auf staatliches Fehlverhalten zurückzuführen ist - wie die Kläger in der Beschwerdeerwiderung ebenfalls vortragen - und die Berücksichtigung der verspäteten Anmeldung den Zweck des § 30 a VermG nicht verfehlen würde (vgl. hierzu Urteil vom 28. März 1996 - BVerwG 7 C 28.95 - Buchholz 428 § 30 a VermG Nr. 2 S. 2 und Beschluss vom 17. März 2000 - BVerwG 8 B 287.99 - Buchholz 428 § 30 a VermG Nr. 14 S. 17 <19> m.w.N.).
2. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet. Das verwaltungsgerichtliche Urteil beruht insoweit nicht auf einem geltend gemachten Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass Manfred P. und seine Familie nur auf das Hausgrundstück nicht jedoch auf die landwirtschaftlichen Flächen verzichten wollten und dass die seinerzeit zuständigen Stellen den Verzicht auf das Hausgrundstück davon abhängig gemacht haben, dass auch auf die streitgegenständlichen landwirtschaftlichen Grundstücke verzichtet wird. Diese Feststellung hat das Verwaltungsgericht hinsichtlich der zusammen mit dem Hausgrundstück im Grundbuch von Molbitz, Bestandsblatt 52, Bl. 56, eingetragenen Grundstücke - ohne Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) getroffen.
Es gehört zu der dem Tatsachengericht durch § 108 Abs. 1 VwGO übertragenen Aufgabe, sich im Wege der freien Beweiswürdigung unter Abwägung verschiedener Möglichkeiten seine Überzeugung über den entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden (vgl. etwa Beschlüsse vom 18. Februar 1972 - BVerwG 8 B 3.72 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 62 S. 27 <28> und vom 14. März 1988 - BVerwG 5 B 7.88 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 199 S. 31 <32 f.>). Revisionsrechtlich sind die Grundsätze der Beweiswürdigung dem sachlichen Recht zuzurechnen. Mit Angriffen gegen die Beweiswürdigung kann deswegen ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO regelmäßig nicht bezeichnet werden (stRspr; vgl. etwa Beschlüsse vom 10. Februar 1978 - BVerwG 1 B 13.78 - Buchholz 402.24 § 2 AuslG Nr. 8 S. 10 und vom 12. Januar 1995 - BVerwG 4 B 197.94 - Buchholz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 4 S. 1 <4>). Eine Verletzung der Denkgesetze im Rahmen der Tatsachenwürdigung der Vorinstanz, die ausnahmsweise als Verfahrensmangel in Betracht gezogen werden könnte (vgl. dazu Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272 f.>), liegt hier ersichtlich nicht vor. Ein Tatsachengericht hat nicht schon dann gegen die Denkgesetze verstoßen, wenn es nach Meinung des Beschwerdeführers unrichtige oder fern liegende Schlüsse gezogen hat; ebenso wenig genügen objektiv nicht überzeugende oder sogar unwahrscheinliche Schlussfolgerungen; es muss sich vielmehr um einen aus Gründen der Logik schlechthin unmöglichen Schluss handeln (stRspr; Urteil vom 20. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 147.86 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 37 S. 1 <4>). Auch geht das Verwaltungsgericht insoweit nicht von einem aktenwidrigen Sachverhalt aus. Nach der - vom Verwaltungsgericht für glaubwürdig erachteten - Aussage der Zeugin S. konnte nicht nur auf ein überschuldetes Hausgrundstück verzichtet werden, sondern es musste auf alle Grundstücke eines Grundbuchblattes verzichtet werden (vgl. VG-Akte Bl. 277 f.). Aktenwidrig ist zwar die Feststellung des Verwaltungsgerichts, auch die Zeugin S. habe ausgesagt, die zuständigen Mitarbeiter wären verpflichtet gewesen, neben dem Verzicht auf ein Hausgrundstück einen Verzicht auf alle (also auch auf die auf einem anderen Grundbuchblatt eingetragenen) Grundstücke zu verlangen. Auf dieser Feststellung kann aber das verwaltungsgerichtliche Urteil für die auf demselben Grundbuchblatt wie das Hausgrundstück eingetragenen Grundstücke nicht beruhen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 Satz 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 13 und 14 GKG. Der Streitwert betrug zunächst 295 136 DM und erhöhte sich durch die Erweiterung der Klage auf 350 000 DM. Die Beschwerde wird hinsichtlich des Streitwerts von 295 136 DM - und damit bezüglich von ca. 6/7 des Gesamtstreitwerts - zurückgewiesen.
Ende der Entscheidung
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