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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 23.01.1998
Aktenzeichen: BVerwG 8 C 12.96
Rechtsgebiete: BBauG


Vorschriften:

BauGB § 131 Abs. 3
Leitsatz:

Die Erhebung eines grundstücksbezogenen Artzuschlags wegen gewerblicher Nutzung eines im qualifiziert beplanten Wohngebiet gelegenen, doppelt erschlossenen Grundstücks ist ausnahmsweise dann unzulässig, wenn der durch die gewerbliche Nutzung verursachte Ziel- und Quellverkehr nicht über die abzurechnende, sondern ausschließlich über die andere Anbaustraße abgewickelt wird und ohne Veränderung der für die Gemeinde eindeutig erkennbaren tatsächlichen Verhältnisse auf dem Grundstück auch nur abgewickelt werden kann.

Urteil des 8. Senats vom 23. Januar 1998 - BVerwG 8 C 12.96

I. VG Lüneburg vom 22.09.1993 - Az.: VG 3 A 165/92 II. OVG Lüneburg vom 10.10.1995 - Az.: OVG 9 L 6602/93


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 8 C 12.96 OVG 9 L 6602/93

Verkündet am 23. Januar 1998

Grosser Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 23. Januar 1998 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer, Krauß, Golze und Postier

für Recht erkannt:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 1995 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Der Kläger wird von der beklagten Gemeinde zu einem Erschließungsbeitrag herangezogen. Im vorliegenden Revisionsverfahren streiten die Beteiligten nur noch über die Rechtmäßigkeit eines dabei erhobenen Artzuschlags für gewerbliche Nutzung.

Der Kläger ist Eigentümer des 3 319 m² großen Flurstückes 27/27 der Flur 2 in der Gemarkung E. Das Grundstück liegt im Bereich des Bebauungsplans Nr. 2, der für seinen gesamten Geltungsbereich allgemeines Wohngebiet festsetzt. Mit der Nordseite grenzt das Grundstück an die T. Straße und im Süden an die Sch.-straße. Etwa in der Grundstücksmitte wird das Grundstück durch einen Zaun und eine zusätzliche Tannenbepflanzung, die parallel zur Sch.-straße verlaufen, geteilt. Der nördliche Grundstücksteil ist mit einem 176 m² großen Einfamilienhaus und einer Garage bebaut. Auf dem südlichen Grundstücksteil befindet sich ein Gebäude, das aus einer gewerblich genutzten Garagenanlage und einer Lagerhalle für Parkett- und Kunststoffböden besteht und insgesamt ungefähr 392 m² groß ist. Die Zufahrt zu dem Gebäude erfolgt von der Sch.-straße aus.

Im Jahr 1991 wurden die Fahrbahn und die Beleuchtung der T. Straße erstmalig hergestellt. Mit Bescheid vom 21. Februar 1992 setzte die Beklagte den für diese Teileinrichtungen und den Grunderwerb zu zahlenden Erschließungsbeitrag für das Grundstück des Klägers im Wege der Kostenspaltung auf 30 711,28 DM fest. Dabei bezog sie die gesamte Grundstücksfläche in die Berechnung ein und multiplizierte diesen Wert wegen überwiegender gewerblicher Nutzung mit 1,5.

Nach erfolglosem Vorverfahren hat der Kläger Klage erhoben und zur Begründung im wesentlichen vorgetragen, die Beklagte hätte nicht die gesamte Grundstücksfläche, sondern nur den nördlichen Grundstücksteil heranziehen dürfen. Wegen des Zauns und der Tannenbepflanzung bestehe das Grundstück aus zwei räumlich selbständigen Teilflächen. Der südliche Grundstücksteil werde ausschließlich von der Sch.-straße erschlossen. Da im übrigen allenfalls ein Drittel des Grundstücks gewerblich genutzt werde, lägen die Voraussetzungen für einen Gewerbezuschlag nicht vor.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten erklärt, ohne Gewerbezuschlag beliefe sich der vom Kläger zu zahlende Beitrag bei Berücksichtigung einer Eckgrundstücksvergünstigung auf 22 819,74 DM und ohne Eckgrundstücksvergünstigung auf 24 250,80 DM. Daraufhin hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers die Berufung in Höhe eines Teilbetrages von 22 819,74 DM zurückgenommen. Das Berufungsgericht hat insoweit das Verfahren eingestellt und im übrigen auf die Berufung des Klägers das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und den Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 1992 sowie deren Widerspruchsbescheid insoweit aufgehoben, als ein Erschließungsbeitrag von mehr als 24 250,80 DM festgesetzt worden ist. Die weitergehende Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:

Der dem Grunde nach rechtmäßige Beitragsbescheid sei nur insoweit fehlerhaft, als die Grundstücksfläche wegen überwiegender gewerblicher Nutzung mit 1,5 vervielfacht worden sei. Die Beklagte habe in § 7 Abs. 4 b ihrer Erschließungsbeitragssatzung unter anderem für Grundstücke in Wohngebieten bestimmt, daß die Grundstücksfläche mit 1,5 multipliziert werde, wenn Grundstücke "überwiegend gewerblich oder überwiegend in einer der gewerblichen Nutzung ähnlichen Weise" genutzt würden. Ihrem Wortlaut nach erfasse die Vorschrift alle Fälle einer überwiegenden gewerblichen Nutzung, im vorliegenden Fall widerspreche eine derartige Erhöhung aber dem Sinn und Zweck der Regelungen über den Gewerbezuschlag. Denn dem Kläger sei es aus Rechtsgründen auf Dauer verwehrt, die auf dem südlichen Grundstücksteil befindlichen Garagen von der T. Straße aus zu nutzen. Es bestehe daher nicht einmal die Möglichkeit, die T. Straße zur Abwicklung des durch die überwiegende gewerbliche Nutzung ausgelösten Ziel- und Quellverkehrs in Anspruch zu nehmen.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts beruht zwar auf einer Verletzung von Bundesrecht, es erweist sich im Ergebnis aber als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).

Nachdem der Kläger seine Klage vor dem Berufungsgericht teilweise zurückgenommen hat und das Berufungsurteil, soweit die Berufung zurückgewiesen wurde, rechtskräftig geworden ist, hängt der Erfolg der Revision nur noch von der Frage ab, ob die Beklagte für das klägerische Grundstück einen Artzuschlag für gewerbliche Nutzung erheben durfte. Daß der Beitragsbescheid dem Grunde nach rechtmäßig ist und daß insbesondere bei der Berechnung des Beitrags zu Recht die gesamte Grundstücksfläche berücksichtigt wurde, hat das Berufungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 4. Oktober 1990 - BVerwG 8 C 1.89 - Buchholz 406.11 § 131 BBauG/BauGB Nr. 83 S. 51 <55> und vom 22. April 1994 - BVerwG 8 C 18.92 - Buchholz a.a.O. Nr. 91 S. 1 <5 f.>) zutreffend entschieden. Das ist zwischen den Beteiligten auch nicht mehr streitig. Soweit jedoch ein Erschließungsbeitrag von mehr als 24 250,80 DM festgesetzt worden ist, hat das Berufungsgericht den Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 1992 und ihren Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 1992 zu Recht aufgehoben, weil die Bescheide insoweit rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Im Ergebnis zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht erkannt, daß eine Erhöhung der der Berechnung zugrundeliegenden Fläche gemäß § 7 Ziff. 4 b der Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten wegen überwiegender gewerblicher Nutzung dem Sinn und Zweck der Regelungen über den Gewerbezuschlag widerspricht. Das Berufungsgericht hat dieses Ergebnis entscheidungstragend damit begründet, dem Kläger sei es aus Rechtsgründen auf Dauer verwehrt, die auf dem südlichen Grundstücksteil befindlichen Garagen von der T. Straße aus zu nutzen. Die Anlegung und Benutzung einer Zufahrt von diesen Garagen zur T. Straße sei vor allem im Blick auf § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO unzulässig, weil der über eine solche Zufahrt stattfindende Verkehr zu Lärm, Gerüchen und Abgasen führen müßte, die bei einem Wohngebiet ins Gewicht fielen. Die über 50 m lange Zufahrt müßte unmittelbar an der Grenze zum Grundstück T. Straße 4 und deshalb in der Nähe des dort befindlichen Wohnhauses nebst Terrasse verlaufen, so daß sich die Emissionen in bezug auf dieses Grundstück besonders intensiv auswirken müßten. Dies gehe über den Grad des bloßen Lästigseins hinaus. Für das körperliche Wohlbefinden und die sonst durch § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO geschützten Rechtsgüter erreichten sie die Intensität von Belästigungen und Störungen.

Ob derartige Belästigungen, wie sie hier in erster Linie in Betracht kommen, die Grenze der Unzumutbarkeit überschreiten, läßt sich ausschließlich nach Maßgabe der konkreten Lage des Einzelfalls beurteilen (Urteil vom 4. Oktober 1990, a.a.O. S. 54). Die dazu vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen sind nicht ausreichend und teilweise auch mit dem sonstigen Akteninhalt nicht vereinbar. So hat die Revision zu Recht darauf hingewiesen, daß nicht nachvollziehbar ist, warum eine mögliche Zufahrt von der T. Straße zu den im südlichen Teil des Grundstücks gelegenen Garagen und der Lagerhalle nur unmittelbar an der Grenze zum Nachbargrundstück T. Straße 4 angelegt werden könnte. Aufgrund des bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Kartenausschnitts ist nicht ersichtlich, warum eine solche Zufahrt nicht an der östlichen Grundstücksgrenze entlang geführt werden könnte, so daß sie zum Außenbereich hin verlaufen würde. Auch die von der Revision darüber hinaus angeführte Alternative der Verschwenkung der Zufahrt hinter der im nördlichen Grundstücksteil befindlichen Garage zur Grundstücksmitte erscheint jedenfalls nicht ausgeschlossen. Warum das Berufungsgericht dennoch nur die für die Nachbarschaft besonders lästige Anlegung der Zufahrt entlang der westlichen Grundstücksgrenze für möglich gehalten hat, ist nicht dargetan. Auch den Umfang der sich aus einer solchen Zufahrt ergebenden Belästigungen für die Nachbarschaft hat das Oberverwaltungsgericht nicht weiter aufgeklärt. Es hat insoweit die sich aus dem materiellen Recht ergebenden Anforderungen für eine hinreichende Sachaufklärung verkannt. Darin liegt eine Verletzung des § 15 BauNVO und damit von materiellem Bundesrecht (vgl. Urteil vom 4. Oktober 1990 a.a.O.).

2. Dies nötigt jedoch nicht zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, weil es für die Frage, ob die Beklagte einen Artzuschlag wegen gewerblicher Nutzung erheben durfte, auf die baurechtliche Zulässigkeit einer Zufahrt von der T. Straße zu den auf dem südlichen Grundstücksteil gelegenen Garagen und der Lagerhalle nicht ankommt. Entscheidend ist vielmehr allein, daß eine Abwicklung des durch die gewerbliche Nutzung des Grundstücks ausgelösten Ziel- und Quellverkehrs in dem nach § 133 Abs. 2 BauGB maßgeblichen Zeitpunkt nicht über die abzurechnende Erschließungsanlage erfolgte und für die Beklagte ohne weiteres ersichtlich war, daß dies ohne Veränderung der gegebenen tatsächlichen Verhältnisse auch nicht erfolgen konnte. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Das Erschließungsbeitragsrecht ist auf einen angemessenen Ausgleich der durch die Inanspruchnahme(möglichkeit) einer beitragsfähigen Erschließungsanlage ausgelösten Vorteile ausgerichtet (Urteil vom 11. Dezember 1987 - BVerwG 8 C 85.86 - BVerwGE 78, 321 <330> = Buchholz 406.11 § 127 BBauG Nr. 51 S. 8 <15>). Dementsprechend bestimmt § 131 Abs. 3 BauGB, daß in Gebieten, die nach dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes erschlossen werden, wenn eine unterschiedliche bauliche oder sonstige Nutzung zulässig ist, die Maßstäbe nach § 131 Abs. 2 BauGB in der Weise anzuwenden sind, daß der Verschiedenheit dieser Nutzung nach Art und Maß entsprochen wird. Das mit dieser Vorschrift zum Ausdruck gebrachte Differenzierungsgebot zielt darauf ab, den Erschließungsaufwand jedenfalls in neu erschlossenen Gebieten gemäß dem Vorteilsprinzip angemessen zu verteilen: Grundstücke eines Abrechnungsgebiets, die größere Erschließungsvorteile haben als andere Grundstücke desselben Abrechnungsgebiets, sollen bei der Verteilung des Erschließungsaufwands stärker belastet werden als die anderen, die nur geringere Vorteile haben. Der maßgebliche Erschließungsvorteil ist der Sache nach daran zu messen, was die Erschließung für die bauliche oder gewerbliche Nutzung des betreffenden Grundstücks hergibt (Urteil vom 26. Januar 1979 - BVerwG 4 C 61-68 u. 80-84.75 - BVerwGE 57, 240 <245 f.> = Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 27 S. 42 <47>; vgl. auch Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 4. Aufl. 1995 § 9 Rn. 3 und § 18 Rn. 3). Hinsichtlich der verschiedenen Arten der Nutzung muß der in der Satzung vorgesehene Verteilungsmaßstab wenigstens eine Unterscheidung zwischen gewerblicher/industrieller Nutzung und anderer Nutzung vorsehen (Urteile vom 21. Januar 1977 - BVerwG IV C 84-92.74 - Buchholz a.a.O. Nr. 20 S. 20 <22> m.w.N. und vom 26. Januar 1979, a.a.O. S. 252 bzw. S. 52 f.). § 131 Abs. 3 BauGB schreibt allerdings nicht vor, in welcher Weise die unterschiedliche Nutzungsart im Vergleich zum Nutzungsmaß beitragsrechtlich zu bewerten ist. Deshalb ist davon auszugehen, daß die Vorschrift dem Ortsgesetzgeber für die Berücksichtigung der Nutzungsart im Verteilungsmaßstab ein weitgehendes (Bewertungs-)Ermessen einräumt. Die Ausübung dieses gesetzgeberischen Ermessens ist jedoch, abgesehen insbesondere von den aus dem Willkürverbot und aus dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit folgenden rechtlichen Grenzen, eingeschränkt durch das Vorteilsprinzip, das - wie gesagt - der Regelung des § 131 Abs. 3 BauGB zugrunde liegt und in sie eingeschlossen ist (Urteile vom 10. Juni 1981 - BVerwG 8 C 15.81 - BVerwGE 62, 300 <302> = Buchholz a.a.O. Nr. 39 S. 7 <10> und - BVerwG 8 C 66.81 - Buchholz a.a.O. Nr. 41 S. 23 <24>). Während nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Verteilungsregelung wenigstens einen Artzuschlag für alle Grundstücke in beplanten Gewerbe- und Industriegebieten sowie in den diesen entsprechenden unbeplanten Gebieten vorsehen muß (vgl. u.a. Urteil vom 25. Juni 1982 - BVerwG 8 C 82 u. 83.81 - Buchholz 406.11 § 132 BBauG Nr. 38 S. 11 <12 f.> m.w.N.), verlangt es § 131 Abs. 3 BauGB nicht, tatsächlich (überwiegend) gewerblich genutzte Grundstücke in qualifiziert beplanten Wohngebieten mit einem satzungsmäßigen Artzuschlag zu belegen; die Vorschrift gestattet es aber (vgl. Urteile vom 26. Januar 1979 a.a.O. S. 252 bzw. S. 52, vom 14. Dezember 1979 - BVerwG 4 C 23.78 - Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 30 S. 54 <56> und vom 19. Februar 1982 - BVerwG 8 C 36.81 Buchholz a.a.O. Nr. 46 S. 45 <47>). Dabei bestehen jedenfalls keine Bedenken - wie hier - für ein qualifiziert beplantes Wohngebiet einen grundstücksbezogenen, d.h. auf die tatsächliche gewerbliche Nutzung der Einzelgrundstücke abstellenden Artzuschlag (vgl. Driehaus a.a.O. § 18 Rn. 50) vorzusehen, weil das Abheben auf die tatsächliche Nutzung in diesen Gebieten im Interesse der Beitragspflichtigen, die ihre Grundstücke gebietstypisch zu Wohnzwecken nutzen, gerade den Grundsatz der Abgabengerechtigkeit berücksichtigt (vgl. Urteil vom 14. Dezember 1979 a.a.O.; Driehaus a.a.O. § 18 Rn. 52). Durch die Maßgeblichkeit der tatsächlichen gewerblichen Nutzung unterscheidet sich der hier zu beurteilende grundstücksbezogene Artzuschlag entscheidend von dem gebietsbezogenen Artzuschlag.

Dies alles gilt auch für mehrfach erschlossene Grundstücke, und zwar regelmäßig für jede der mehreren Anbaustraßen. Soweit jedoch der Satzungsgeber im Interesse der Abgabengerechtigkeit zulässigerweise einen grundstücksbezogenen Artzuschlag für gewerbliche Nutzung vorsieht und damit entscheidend auf die tatsächliche gewerbliche Nutzung im maßgeblichen Zeitpunkt abstellt, kann es bei der Anwendung eines solchen Artzuschlags nicht unberücksichtigt bleiben, wenn bei einem doppelt erschlossenen Grundstück der durch die gewerbliche Nutzung verursachte Ziel- und Quellverkehr nicht über die abzurechnende Erschließungsanlage, sondern ausschließlich über eine andere Anbaustraße erfolgt. Denn in diesen Fällen ist der Anknüpfungspunkt für den Artzuschlag, der durch die gewerbliche Nutzung vermehrte Vorteil des Grundstückseigentümers, gerade nicht gegeben. Ebenso wie es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geboten ist, eine den grundstücksbezogenen Artzuschlag regelnde Satzungsbestimmung dahin auszulegen, daß vom Begriff "Gewerbe" über die gewerbliche Nutzung im Sinne des Gewerbe- und Gewerbesteuerrechts hinaus auch solche Nutzungen erfaßt werden, die der gewerblichen Nutzung im engeren Sinne darin ähnlich sind, daß sie wie diese eine im Vergleich zur Wohnnutzung deutlich intensivere Inanspruchnahme der Anbaustraßen auslösen (Urteil vom 11. Dezember 1987 - BVerwG 8 C 85.86 - BVerwGE 78, 321 <332> - Buchholz 406.11 § 127 BBauG Nr. 51 S. 8 <17>; vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 21. November 1988 - 9 A 68/87 - AgrarR 1990, 179 <180>; OVG Münster, Beschluß vom 15. Juni 1994 - 3 B 4721/92 - HSGZ 1994, 353; VGH Kassel, Urteil vom 24. November 1994 - 5 UE 255/94 - ZMR 1995, 560 <561>; Driehaus a.a.O. § 18 Rn. 56), kann bei der Auslegung einer solchen auf die tatsächliche gewerbliche Nutzung abstellenden Satzungsbestimmung auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß eben diese Nutzung ausschließlich über eine andere Anliegerstraße erfolgt und deswegen der besondere Vorteil der abzurechnenden Erschließungsanlage gerade nicht besteht. Zwar ist es wegen der auch beim Artzuschlag besonders zu beachtenden Praktikabilität und Überschaubarkeit des Heranziehungsverfahrens (vgl. dazu Urteil vom 26. Januar 1979 - BVerwG 4 C 61-68 und 80-84.75 - BVerwGE 57, 240 <246> = Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 27 S. 42 <48>) nicht von Bedeutung, welchen Umfang der von der Nutzung ausgelöste Verkehr im jeweiligen Einzelfall hat -(vgl. dazu auch VGH Kassel a.a.O.). Etwas anderes ist aber dann anzunehmen, wenn der mit der gewerblichen oder gewerbeähnlichen Tätigkeit typischerweise verbundene Verkehr - aus der Sicht der abzurechnenden Anliegerstraße - gänzlich unterbleibt.

Der Hinweis der Revision, daß nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Fällen der Doppel- oder Mehrfacherschließung die bestehende Ersterschließung hinwegzudenken ist, vermag an dem vorstehenden Ergebnis nichts zu ändern; denn diese Rechtsprechung ist nur im Zusammenhang mit der Frage von Bedeutung, ob ein Grundstück im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB durch die abzurechnende Anlage erschlossen ist. Für die Zulässigkeit eines Artzuschlags gibt dieser Gedanke dagegen nichts her.

Allerdings ist im Interesse der Praktikabilität des Verwaltungsverfahrens vorauszusetzen, daß die ausschließliche Abwicklung des gewerblichen Verkehrs über die andere Erschließungsanlage durch die äußere Gestaltung des Grundstücks im maßgeblichen Zeitpunkt für die Gemeinde eindeutig erkennbar ist.

Dieses Erfordernis war im vorliegenden Fall wegen der unstreitigen Teilung des Grundstücks durch einen Zaun und durch die zusätzliche Tannenbepflanzung sowie wegen der vom Berufungsgericht festgestellten baulichen Ausrichtung der gewerblich genutzten Garagen und der Lagerhalle zur Sch.-straße hin gegeben. Bei dieser Sachlage war es für die Beklagte und die übrigen Beitragspflichtigen ohne weiteres erkennbar, daß der durch die gewerbliche Tätigkeit verursachte Ziel- und Quellverkehr nicht ohne Änderung der tatsächlichen Verhältnisse (zumindest teilweise Beseitigung des Zaunes und der Tannenbepflanzung sowie Anlegung einer mehr als 50 m langen Zufahrt zur T. Straße) über die abzurechnende Erschließungsanlage abgewickelt werden konnte.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist es unerheblich, daß diese tatsächlichen Verhältnisse vom Kläger möglicherweise geändert werden könnten. Denn es entspricht den Grundsätzen des allgemeinen Abgabenrechts, auf die im Zeitpunkt der Heranziehung vorliegenden Umstände abzustellen. Veränderungen der maßgebenden Situation, die erst nach Wirksamwerden eines Heranziehungsbescheides eintreten, werden regelmäßig nicht berücksichtigt. Das Abgabenrecht ist darauf angewiesen, die Prüfung der Voraussetzungen der Abgabenpflicht auf einen bestimmten Zeitpunkt zu fixieren. Dieser maßgebende Zeitpunkt wird für das Erschließungsbeitragsrecht durch die §§ 133 Abs. 2, 134 Abs. 1 BauGB bestimmt. Die Möglichkeit einer solchen Änderung ist im übrigen dem grundstücksbezogenen Artzuschlag immanent (vgl. Urteil vom 14. Dezember 1979 - BVerwG 4 C 23.78 - Buchholz a.a.O. Nr. 30 S. 54 <57>).

Gegen die rechnerische Richtigkeit des vom Berufungsgericht aufgrund der Angaben der Beklagten in der mündlichen Verhandlung ermittelten Teilbetrages, der auf der unzulässigen Berücksichtigung des Artzuschlages beruht, werden von den Beteiligten keine Bedenken erhoben. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluß

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 6 460,48 DM festgesetzt. .

Ende der Entscheidung

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