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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 29.05.2002
Aktenzeichen: BVerwG 8 C 15.01
Rechtsgebiete: GG, VwGO, VwVfG, BRAGO


Vorschriften:

GG Art. 28 Abs. 2
VwGO § 42 Abs. 2
VwVfG § 80 Abs. 3
VwVfG § 80 Abs. 2
BRAGO § 118 Abs. 1 Nr. 2
Eine Gemeinde, die im eigenen oder im übertragenen Wirkungskreis Ausgangsbehörde war, ist nach § 42 Abs. 2 VwGO zur Anfechtung eines Bescheides befugt, mit dem der Betrag der von ihr gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwVfG zu erstattenden Aufwendungen festgesetzt wird (wie Beschluss vom 22. Januar 2001 - BVerwG 8 B 258.00 -).

Für eine von der Behörde nicht angeordnete Besprechung fällt die Gebühr gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO nur an, wenn zumindest ein sachbezogenes Gespräch eines Rechtsanwalts mit einem Behördenvertreter über tatsächliche oder rechtliche Fragen stattgefunden hat, das zur Beilegung oder zur Förderung des Verfahrens geeignet ist. Ist die Gebühr entstanden, so ist sie auch erstattungsfähig.


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 8 C 15.01

Verkündet am 29. Mai 2002

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 29. Mai 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf, Sailer, Krauß und Golze

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle vom 16. November 2000 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über den Ansatz einer anwaltlichen Besprechungsgebühr bei der Erstattung von Kosten im Vorverfahren.

Mit Bescheid vom 16. Dezember 1994 lehnte die Klägerin den Antrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen auf Rückübertragung eines in Halle gelegenen Grundstücks ab. Dagegen ließen die Beigeladenen durch ihre frühere Verfahrensbevollmächtigte, Rechtsanwältin M., im Januar 1995 Widerspruch einlegen. Zwei Jahre später entzogen die Beigeladenen der Rechtsanwältin M. das Mandat und beauftragten die Rechtsanwältin S. mit der Fortführung des Verfahrens, die sich im Mai 1997 förmlich zur Verfahrensbevollmächtigten gegenüber der Klägerin bestellte. Rechtsanwältin S. sprach am 28. Januar 1997 im Rahmen eines öffentlichen Sprechtages bei der Klägerin vor. Nach dem formularmäßigen "Sprechtagsprotokoll" fand ein Gespräch zwischen ihr und dem Amtsleiter des Vermögensamtes der Klägerin wegen der vermögensrechtlichen Angelegenheit statt. In dem Sprechtagsprotokoll ist unter der Rubrik "Gesprächsergebnis" vermerkt: "Sachstand mitgeteilt, Erbscheine kommen". Die formularmäßigen Abschnitte, die mit "vereinbarte Maßnahmen des Amtes oder des Antragstellers" überschrieben sind, sind nicht ausgefüllt. Über den näheren Inhalt des Gesprächs streiten die Beteiligten.

Mit Bescheid des Vermögensamtes der Klägerin vom 19. August 1997 ist dem Widerspruch abgeholfen, das streitbefangene Grundstück auf die Beigeladenen in ungeteilter Erbengemeinschaft mit Frau G. zurückübertragen und zugleich festgestellt worden, dass die Klägerin die Kosten des Verfahrens trage, die Hinzuziehung der Bevollmächtigten der Beigeladenen notwendig sei und auf Antrag die den Widerspruchsführerinnen im Widerspruchsverfahren zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten zu erstatten seien.

Im März 1998 beantragten die Beigeladenen die Festsetzung der Kosten unter Zugrundelegung eines Gegenstandswertes von 200 000 DM, und machten u.a. auch eine 7,5/10 Besprechungsgebühr gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO geltend. In ihrem Kostenfestsetzungsbescheid vom 12. Oktober 1999 berücksichtigte die Klägerin die Besprechungsgebühr nicht. Diese sei nicht entstanden, da weder eine Besprechung auf Anordnung einer Behörde stattgefunden habe noch ein mit einer streitigen Verhandlung mit allen Verfahrensbeteiligten vergleichbares Gespräch.

Auf den Widerspruch der Beigeladenen verpflichtete der Beklagte die Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 5. April 2000, den Beigeladenen über den bisher festgesetzten Erstattungsbetrag hinaus weitere 1 666,40 DM zuzüglich 15 % Mehrwertsteuer hieraus als Besprechungsgebühr zu erstatten. Diese Gebühr sei entstanden, da die Verfahrensbevollmächtigte der Beigeladenen glaubhaft gemacht habe, dass sie in deren Auftrag und mit deren Einverständnis im Januar 1997 mit dem Leiter des Vermögensamtes die Berechtigtenstellung an dem streitgegenständlichen Grundstück erörtert habe. Das Gespräch sei zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen, da über die bloße Erfüllung einer Mitwirkungspflicht hinaus die Sach- und Rechtslage mit dem Ziel des Nachweises der Berechtigtenstellung erörtert worden sei, was auch letztlich zur Rückübertragung des streitbefangenen Grundstücks an die Widerspruchsführerinnen geführt habe.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin u.a. geltend gemacht, dass keine erstattungsfähige Besprechungsgebühr entstanden sei. Selbst wenn diese im Laufe des Abhilfeverfahrens durch eine Sachstandsanfrage im Rahmen des Sprechtages entstanden sein sollte, wäre sie jedenfalls nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen. Eine Besprechungsgebühr sei gegenüber dem Mandanten dahin gehend begrenzt, dass es entweder der Anordnung einer Behörde bedürfe oder der Zustimmung des Mandanten. Diese Begrenzung sei für die Frage der Kostenerstattung nicht ausreichend, da die Besprechungsgebühr eine systematische Ähnlichkeit mit der Verhandlungsgebühr aufweise. Im Abhilfeverfahren sei die Erstattungsfähigkeit einer Besprechungsgebühr als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigerweise entstandenen Gebühr nur dann anzuerkennen, wenn die Anordnung der Besprechung durch die Abhilfebehörde erfolgt sei. Keinesfalls reiche es - wie vorliegend - aus, dass ein nicht in das Verfahren eingearbeiteter Verfahrensbevollmächtigter im Rahmen des allgemeinen Sprechtages bei der Behörde erscheine und mit dem zuständigen Bearbeiter über den Sachstand spreche.

Mit Urteil vom 16. November 2000 hat das Verwaltungsgericht die Klage als unzulässig abgewiesen, da es der Klägerin an der erforderlichen Klagebefugnis fehle. Sie könne als Ausgangsbehörde in einer vermögensrechtlichen Angelegenheit kein Recht geltend machen, einen Widerspruchsbescheid anzufechten.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts und beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle vom 16. November 2000 und den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 5. April 2000 aufzuheben.

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladenen haben sich nicht geäußert.

II.

Die Revision ist zulässig und begründet.

Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht. Das Verwaltungsgericht hat der Klägerin zu Unrecht die Klagebefugnis abgesprochen. Eine Gemeinde, die im eigenen oder im übertragenen Wirkungskreis Ausgangsbehörde war, ist nämlich befugt, einen Bescheid anzufechten, mit dem der Betrag der von ihr gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwVfG zu erstattenden Aufwendungen festgesetzt wird (1.). Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).

Das Verwaltungsgericht hat auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung nicht über die Begründetheit der Klage entschieden und somit nicht geprüft, ob der angegriffene Widerspruchsbescheid rechtswidrig und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt ist, dass der auf § 80 Abs. 3 und 2 VwVfG gestützte Kostenfestsetzungsbescheid eine Besprechungsgebühr im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO außer Ansatz gelassen hat. Für eine abschließende Entscheidung des Senats fehlt es an hinreichenden Tatsachenfeststellungen (2.).

1. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht die Klagebefugnis der Klägerin verneint und deshalb die Klage als unzulässig abgewiesen. Zwar ist eine Gemeinde, sofern sie als Ausgangsbehörde im übertragenen Wirkungskreis tätig wird, grundsätzlich nicht befugt (§ 42 Abs. 2 VwGO), einen den Ausgangsbescheid abändernden Widerspruchsbescheid anzufechten. Etwas anderes gilt aber, wenn der Widerspruchsbescheid unmittelbar in Rechte der Gemeinde eingreift. Deshalb hat eine kreisfreie Stadt, der die Aufgaben nach dem Vermögensgesetz übertragen worden sind, gegenüber einem in ihr Eigentum oder ihre Verfügungsberechtigung eingreifenden Restitutionsbescheid eine Klagemöglichkeit, wenn die Restitution erstmals durch einen Widerspruchsbescheid des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen angeordnet wird (vgl. Urteil vom 28. März 1996 - BVerwG 7 C 35.95 - BVerwGE 101, 47 (51) = Buchholz 111 Art. 22 EV Nr. 19; Beschluss vom 22. Januar 2001 - BVerwG 8 B 258.00 - Buchholz 310 § 42 Abs. 2 VwGO Nr. 11 = NVwZ-RR 2001, 326; DVBl 2001, 918). Dasselbe gilt, wenn durch einen Bescheid nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwVfG eine unmittelbare Verpflichtung der Gemeinde begründet wird, einem Dritten aus dem kommunalen Haushalt Aufwendungen zu erstatten. In diesem Fall ist die zum Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden gehörende Finanzhoheit betroffen. Denn durch den angefochtenen Widerspruchsbescheid wird eine unmittelbare Verpflichtung der klagenden Stadt begründet, aus ihrem Haushalt einen bestimmten Betrag an einen Dritten zu zahlen (Beschluss vom 22. Januar 2001 - BVerwG 8 B 258.00 - a.a.O.).

2. Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Denn mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen kann nicht gesagt werden, dass die im Übrigen zulässige Klage der Klägerin unbegründet wäre. Das wäre dann der Fall, wenn der angegriffene Widerspruchsbescheid rechtmäßig wäre und eine Rechtsverletzung der Klägerin damit ausscheiden würde. Davon wäre nur auszugehen, wenn der auf § 80 Abs. 3 und 2 VwVfG gestützte Kostenfestsetzungsbescheid der Klägerin zu Unrecht eine Besprechungsgebühr im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO außer Ansatz gelassen hätte, weil entgegen der Meinung der Klägerin eine diesen Gebührentatbestand auslösende Besprechung stattgefunden hatte. Eine Besprechungsgebühr gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO setzt voraus, dass ein Rechtsanwalt u.a. bei einer mündlichen Verhandlung oder Besprechung über tatsächliche oder rechtliche Fragen mitgewirkt hat, die von einem Gericht oder einer Behörde angeordnet oder im Einverständnis mit dem Auftraggeber vor einem Gericht oder einer Behörde mit dem Gegner oder einem Dritten geführt wurde. Durch § 118 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz BRAGO wird klargestellt, dass eine mündliche oder fernmündliche Nachfrage nicht ausreicht. Eine von der Behörde nicht angeordnete Besprechung löst die Gebühr nur aus, wenn zumindest ein sachbezogenes Gespräch eines Rechtsanwalts mit einem Behördenvertreter über tatsächliche oder rechtliche Fragen stattgefunden hat, das zur Beilegung oder zur Förderung des Verfahrens geeignet ist. Das setzt einen Austausch von Informationen und Argumenten voraus, der über die bloße Informationsbeschaffung hinsichtlich Stand und Fortgang des Verfahrens hinausgeht (vgl. OVG Berlin, AnwBl 1988, 77; AnwBl 1999, 132; VGH BW, BWVBl 1990, 373 <374>; OVG NW, NVwZ-RR 2001, 71; OVG Hamburg, NVwZ-RR 1994, 621 m.w.N.). Ob das am 28. Januar 1997 zwischen der Verfahrensbevollmächtigten der Beigeladenen und dem Prozessvertreter der Klägerin geführte Gespräch diesen Anforderungen genügt, hat das Verwaltungsgericht bisher nicht festgestellt. Auch der Akteninhalt bietet keine hinreichende Tatsachenbasis. Denn ausweislich des formularmäßigen Sprechtagsprotokolls vom 28. Januar 1997 ist als Gesprächsergebnis nur festgehalten, dass der Sachstand mitgeteilt wurde und Erbscheine "kommen", also offenbar eingereicht werden sollten. Die im Formular vorgesehenen Abschnitte über vereinbarte Maßnahmen des Amtes bzw. des Antragsstellers sind hingegen nicht ausgefüllt worden. Da somit weder die tatsächlichen Feststellungen im verwaltungsgerichtlichen Urteil noch die dem Senat vorliegenden Streitakten und Verwaltungsvorgänge eine abschließende Entscheidung über das von der Klägerin verfolgte Begehren ermöglichen, muss die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen werden.

Das Verwaltungsgericht wird zu prüfen haben, ob der Gebührentatbestand des § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO vorliegt. Sollte das der Fall sein, bedarf es entgegen der Auffassung der Klägerin keiner weiteren Prüfung, ob die Besprechung notwendig zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung war. Vielmehr ergibt sich deren Notwendigkeit bereits aus dem Vorliegen des Gebührenentstehungstatbestandes und der Feststellung gemäß § 80 Abs. 2 VwVfG. Ist eine Besprechungsgebühr entstanden, so ist sie auch in jedem Fall erstattungsfähig, wenn zuvor bei der Kostenlastentscheidung die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren für notwendig erachtet worden ist (vgl. auch OVG Hamburg, HmbJVBl 1990, 61 f.). Die Sorge der Klägerin, dass durch mehr oder weniger belanglose Gespräche mit der Behörde der Gebührentatbestand des § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO ausgelöst wird, wird dadurch entkräftet, dass er - wie dargelegt - eine qualifizierte Besprechung über tatsächliche und rechtliche Fragen mit dem Ziel der Beilegung oder Förderung des Verfahrens voraussetzt.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 1 097,42 € (entspricht: 2 146,36 DM) festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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