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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 25.04.2001
Aktenzeichen: BVerwG 8 C 18.00
Rechtsgebiete: VermG, VwGO, GG, BGB


Vorschriften:

VermG § 2 Abs. 2 Satz 1
VermG § 3 Abs. 1 Satz 1
VwGO § 73 Abs. 1 Satz 1
VwGO § 113 Abs. 1 Satz 1
GG Art. 20 Abs. 3
GG Art. 2 Abs. 1
BGB § 93
BGB § 94 Abs. 1 Satz 1
BGB § 95 Abs. 1 Satz 2
BGB § 912
Leitsätze:

Aufgrund des Vermögensgesetzes kann keine gesonderte Regelung über das Eigentum an einem Überbau getroffen werden.

Durch einen unter Verstoß gegen den Gesetzesvorbehalt erlassenen belastenden Verwaltungsakt ist der Betroffene im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in seinen Rechten verletzt.

Urteil des 8. Senats vom 25. April 2001 - BVerwG 8 C 18.00 -

I. VG Weimar vom 12.01.2000 - Az.: VG 7 K 50/96.We -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 8 C 18.00 VG 7 K 50/96.We

Verkündet am 25. April 2001

Sieber Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 25. April 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf, Sailer, Krauß und Golze

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 12. Januar 2000 und der Widerspruchsbescheid des Thüringer Landesamts zur Regelung offener Vermögensfragen vom 9. November 1995 werden aufgehoben. Ferner wird der Bescheid der Stadt Weimar vom 16. Mai 1995 aufgehoben, soweit darin das Eigentum an dem auf dem Grundstück ... 24 in ... errichteten Überbau übertragen wird.

Von den Kosten des Verfahrens erster Instanz trägt die Beigeladene zu 1 die Hälfte der Gerichtskosten sowie die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers. Im Übrigen trägt der Beklagte die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Aufhebung eines zugunsten der Beigeladenen zu 1, seiner Grundstücksnachbarin, ergangenen Rückübertragungsbescheides, soweit darin das Eigentum an einem auf seinem Grundstück errichteten Überbau an diese übertragen wurde.

Seit 1948 waren Eigentümer des im Grundbuch von ... eingetragenen Grundstücks, Flur 37, Flurstück 167, ... 26 Frau ... und das "Eigentum des Volkes, Rechtsträger Rat der Stadt Weimar" in ungeteilter Erbengemeinschaft. 1986 wurde die Verlagerung einer Fleischerei auf dieses Grundstück geplant. Hierzu sollten in das auf dem Grundstück befindliche Gebäude ein Ladengeschäft und die Produktionsstätte der Fleischerei eingebaut sowie das gesamte Gebäude umfassend saniert werden. Zur Verwirklichung dieses Projektes wurde das Eigentumsrecht der Frau ... aufgrund des Baulandgesetzes zugunsten des Volkseigentums entzogen. Bei den in den Jahren 1987 und 1988 durchgeführten Umbau- und Sanierungsarbeiten erfolgte eine Überbauung des Nachbargrundstücks, Flur 37, Flurstück 168, ... 24. Damals befanden sich beide Grundstücke in Volkseigentum.

Das Eigentum an dem Grundstück ... 24 wurde mit Bescheid vom 17. März 1993 an die Rechtsvorgängerin des Klägers zurückübertragen.

Mit Bescheid vom 16. Mai 1995 übertrug das Vermögensamt das Eigentum an dem in Volkseigentum überführten Erbanteil der Frau ... an dem Grundstück ... 26 an die Beigeladene zu 1 zurück. Im Tenor des Bescheides wird auch festgestellt, mit Bestandskraft des Bescheides seien die Beigeladene zu 1 und die Stadt Weimar Eigentümer des Grundstücks in Erbengemeinschaft. Das Eigentum am aufstehenden Gebäude einschließlich der Anbauten sei darin eingeschlossen. Außerdem wurde in dem Bescheid ein von der Beigeladenen zu 1 zu zahlender Wertausgleich (§ 7 VermG) festgesetzt. Zur Begründung des Bescheides wurde ausgeführt, der Eigentumsverlust an dem Grundstück sei infolge einer Überschuldung im Sinne des § 1 Abs. 2 VermG erfolgt. Die Kosten, die den Überbau auf dem Grundstück ... 24 beträfen, seien dem Grundstück ... 26 bei der Berechnung des Wertausgleichs zugeordnet worden. Eine Herauslösung dieses Betrags sei nicht möglich. Mit dem Übergang des Eigentums am Erbanteil der Frau ... gehe damit auch das anteilige Eigentum am Überbau auf die Beigeladene zu 1 über.

Gegen die in diesem Bescheid getroffene Feststellung, dass das Eigentum an dem sich auf dem Grundstück ... 24 befindlichen Überbau an die Beigeladene zu 1 übergehe, legte die Rechtsvorgängerin des Klägers Widerspruch ein. Diesen wies der Beklagte mit Bescheid vom 29. November 1995 als unzulässig zurück. Zur Begründung führte er aus: Der Anbau habe nicht einer Maßnahme im Sinne § 1 VermG unterlegen. Auch sei er lediglich ein Grundstücksbestandteil, so dass eine Zuordnung als Vermögenswert schon aus diesem Grunde nicht möglich sei. Der angefochtene Bescheid sei insoweit unrichtig. Da aber der Anbau sachenrechtlich keinen selbständigen Rechtsgegenstand darstelle, eine vermögensrechtliche Zuordnung also ins Leere gehe, habe die Rechtsvorgängerin des Klägers kein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung des Bescheides.

Dagegen richtet sich die Klage. Darüber hinaus hat der Kläger beim Verwaltungsgericht eine weitere Klage gegen die Beigeladene zu 1 erhoben, mit der er begehrt, festzustellen, dass er Eigentümer des sich auf dem Grundstück ... 24 befindlichen Gebäudes ist. Das Verwaltungsgericht hat für diese Klage den Zivilrechtsweg für eröffnet gehalten und sie an das Landgericht Erfurt verwiesen. Das Landgericht hat zwischenzeitlich das Verfahren gemäß § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im vorliegenden Fall ausgesetzt. In den Gründen des Aussetzungsbeschlusses hat das Landgericht ausgeführt, mit dem Bescheid vom 16. Mai 1995 sei das Eigentum an dem streitgegenständlichen Überbau übertragen worden.

Die vorliegende Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 12. Januar 2000 abgewiesen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Klage sei zwar zulässig. Dem Kläger fehle nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Der Satz "das Eigentum am aufstehenden Gebäude einschließlich der Anbauten ist darin (in die Rückübertragung an die Beigeladene zu 1) eingeschlossen" im Tenor des angefochtenen Bescheides sei nicht deklaratorisch. Dies ergebe sich aus der Begründung des Bescheides. In dieser werde darauf hingewiesen, dass bei der Berechnung des Wertausgleiches, den die Beigeladene zu 1 zu leisten habe, eine Herausrechnung des auf den Überbau entfallenden Betrages nicht möglich gewesen sei. Da das Vermögensamt den kompletten Wertausgleich für das Hauptgebäude und den Anbau der Beigeladenen zu 1 auferlegt habe, sollte ihr im Gegenzug dafür auch das Eigentum an dem Überbau zukommen. Dass das Vermögensamt dies gewollt habe, ergebe sich auch aus einem Besprechungsprotokoll. Der Ausgangsbescheid sei auch nicht durch den Widerspruchsbescheid modifiziert worden. Durch den angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides werde zumindest der Rechtsschein gesetzt, das Vermögensamt habe festgestellt, dass die Beigeladene zu 1 Eigentümerin des Überbaus sei.

Der Kläger habe jedoch kein subjektives Recht auf Aufhebung der Feststellung, die Beigeladene zu 1 sei Eigentümerin des Überbaus. Denn er sei nicht dessen Eigentümer. Die Frage, wer Eigentümer des Überbaus sei, sei eine rein zivilrechtliche. Danach sei der auf dem Grundstück des Klägers stehende Gebäudeteil ein Überbau, den er dulden müsse (§ 912 Abs. 1 BGB). Folglich seien die Eigentümer des Grundstücks ... 26 auch Eigentümer des sich auf dem Grundstück des Klägers befindlichen Überbaus.

Deshalb könne es dahingestellt bleiben, ob das Vermögensamt die entsprechende Festlegung in den angefochtenen Bescheid hätte aufnehmen dürfen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers, der die Verletzung materiellen Rechts rügt und beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 12. Januar 2000 und der Widerspruchsbescheid des Thüringer Landesamts zur Regelung offener Vermögensfragen vom 9. November 1995 werden aufgehoben. Ferner wird der Bescheid der Stadt ... vom 16. Mai 1995 aufgehoben, soweit darin das Eigentum an dem auf dem Grundstück ... 24 in Weimar errichteten Überbau übertragen wird.

Die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die Zulässigkeit der Klage zu Recht bejaht (1). Die Begründetheit dagegen hat es unter Verstoß gegen Bundesrecht verneint. Der Bescheid vom 10. Mai 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids ist, soweit er angefochten wird, rechtswidrig (2). Dadurch ist der Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 3).

1. Die Klage ist zulässig. Dem Kläger fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Bescheid ausgelegt und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass in diesem durch einen selbständigen Verwaltungsakt auch das anteilige Eigentum an dem Überbau an die Beigeladene zu 1 übertragen wird. Der Bescheid habe insoweit nicht etwa nur deklaratorische Bedeutung. Dies wird im verwaltungsgerichtlichen Urteil im Einzelnen begründet. Revisionsrechtlich ist dagegen nichts zu erinnern. Der Ausgangsbescheid wurde - worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hinweist - nicht durch den Widerspruchsbescheid geändert. Denn der Widerspruch wurde insgesamt zurückgewiesen. Dass in den Gründen des Widerspruchsbescheids eingeräumt wird, der angefochtene Bescheid sei teilweise rechtsfehlerhaft, hebt diesen Bescheid weder teilweise auf noch gibt es ihm einen anderen Inhalt.

Selbst wenn der angefochtene Bescheid insoweit nicht konstitutiv wäre, bestünde - worauf das Verwaltungsgericht ebenfalls zu Recht hinweist - dennoch ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage zum Verwaltungsgericht. Denn es ist zumindest der Rechtsschein einer Regelung entstanden. Dies wird dadurch verdeutlicht, dass sich das zuständige Landgericht bisher an einer allein an den zivilrechtlichen Vorschriften orientierten Entscheidung durch den angefochtenen Bescheid gehindert sieht.

2. Der Bescheid vom 16. Mai 1995 ist, soweit er angefochten wird, rechtswidrig. Der Beklagte durfte keine gesonderte Regelung über das Eigentum an dem Überbau treffen. Nach dem Vermögensgesetz sind - unter den dort näher geregelten Voraussetzungen - Vermögenswerte (§ 2 Abs. 2 VermG), die einer schädigenden Maßnahme (§ 1 VermG) unterlagen, zurück zu übertragen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 VermG). Ein Überbau als solcher ist kein Vermögenswert im Sinne des § 2 Abs. 2 VermG. Er ist nicht selbst Grundstück, sondern lediglich Bestandteil des Grundstücks. Auch ist er weder ein rechtlich selbständiges Gebäude noch eine rechtlich selbständige Baulichkeit (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 VermG). Vielmehr ist er entweder rechtlich untrennbar mit dem Eigentum an dem Grundstück, von dem aus der Überbau vorgenommen wurde, verbunden (vgl. §§ 912 ff. BGB, das hier gemäß Art. 233 § 2 Abs. 1 EGBGB anwendbar ist) oder er ist wesentlicher Bestandteil des Grundstücks, auf dem er errichtet wurde (§ 94 Abs. 1 Satz 1 BGB). Deshalb kann er nicht Gegenstand besonderer Rechte sein (§ 93 BGB). Dies hat der Beklagte bereits in seinem Widerspruchsbescheid erkannt, auch wenn er es unterlassen hat, den von ihm insoweit als rechtswidrig angesehenen Ausgangsbescheid zu ändern. Die nunmehr im Revisionsverfahren vom Beklagten unter Hinweis auf § 7 VermG vertretene gegenteilige Auffassung vermag der Senat nicht zu teilen. § 7 VermG verpflichtet den Beklagten, einen Wertausgleich für vom Verfügungsberechtigten durchgeführte Baumaßnahmen festzusetzen. Eine Befugnis, eine in § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG nicht vorgesehene selbständige (Rück-)Übertragung eines Gebäudeteils auszusprechen, kann dieser Bestimmung nicht entnommen werden.

3. Durch den rechtswidrigen Bescheid ist der Kläger in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dabei kann es dahinstehen, wer nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts Eigentümer des Überbaus ist. Ist der Überbau wesentlicher Bestandteil (§ 93 und § 94 Abs. 1 Satz 1 BGB) des klägerischen Grundstücks und der Kläger damit dessen Eigentümer, wird durch die angefochtene Regelung in das Eigentumsrecht (Art. 14 GG) des Klägers eingegriffen. Muss der Kläger dagegen den Überbau dulden (§ 912 Abs. 1 BGB), ist dieser zwar nur Scheinbestandteil (§ 95 Abs. 1 Satz 2 BGB) des klägerischen Grundstücks und steht im Eigentum der jeweiligen Eigentümer des Nachbargrundstücks. Der Verwaltungsakt verletzt dann aber zumindest die sich aus Art. 2 Abs. 1 GG ergebenden Rechte des Klägers. Denn mangels Ermächtigungsgrundlage verstößt er gegen den sich aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) ergebenden Gesetzesvorbehalt (vgl. Urteil vom 29. November 1985 - BVerwG 8 C 105.83 - BVerwGE 72, 265 = Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 94).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und Abs. 3, § 159 Satz 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladene zu 1 im erstinstanzlichen Verfahren einen Antrag gestellt hat, ist sie insoweit an den Kosten des Verfahrens zu beteiligen.

Die Kosten der Vertretung im Widerspruchsverfahren sind dem Kläger zu erstatten; denn die Zuziehung eines Bevollmächtigten war zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Die erforderliche Abgrenzung zivilrechtlicher von öffentlich-rechtlichen Bestimmungen sowie die Klärung der sich hieraus ergebenden Konsequenzen verleihen der Sache eine besondere Schwierigkeit. Deshalb war es dem Kläger nicht zuzumuten, das Vorverfahren selbst zu führen.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 107 269 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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