Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 21.06.2007
Aktenzeichen: BVerwG 8 C 8.06
Rechtsgebiete: VermG


Vorschriften:

VermG § 1 Abs. 6
In Zweifelsfällen, ob jemand zum Personenkreis der Kollektivverfolgten im Sinne des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO gehörte, kommt es darauf an, ob nach den Erkenntnissen zur Zeit des Nationalsozialismus der Nachweis erbracht war, dass er Jude oder "Mischling ersten Grades" war, oder ob er, unabhängig davon, als solcher behandelt wurde. Neue Erkenntnisquellen aus heutiger Zeit können für den Nachweis nicht berücksichtigt werden.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 8 C 8.06

Verkündet am 21. Juni 2007

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 21. Juni 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Postier, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Guttenberger

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. Dezember 2005 und Nr. 4 des Tenors des Bescheides des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 11. Januar 2005 werden aufgehoben.

Die Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Gründe:

I

Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung, die Beigeladene habe einen Anspruch auf Auskehr des Erlöses aus den Veräußerungen der Grundstücke W. Straße 14 und N. 16 in N.

Beide Grundstücke gingen im Jahr 2003 durch Teilung aus dem 906 m² großen Flurstück 188 der Flur 8 hervor. Bis 1937 bildete es eine Teilfläche des rund 490 ha großen, östlich von Berlin gelegenen ehemaligen Ritterguts B. Das Gut wurde 1929 von Ernst St. erworben, der eine bereits vom Voreigentümer begonnene Parzellierung fortsetzte und bis 1932 rund 1 200 Parzellen veräußerte.

Friedrich J., dessen Rechtsnachfolge die Beigeladene geltend macht, erwarb 1932 die noch im Eigentum St. stehenden Flächen aus der Zwangsversteigerung. Im Oktober 1932 schloss er einen Ansiedlungsvertrag mit der Landgemeinde N., die ihm eine Parzellierungsgenehmigung für das gesamte ehemalige Gutsgelände erteilte.

Friedrich J. wurde am 31. Juli 1871 in L. (Ungarn) als Sohn des Simon J. und seiner Ehefrau Bertha G. geboren und evangelisch getauft. Seine Großeltern mütterlicherseits waren keine Juden im Sinne der nationalsozialistischen Rassegesetze. Der Großvater väterlicherseits, Joel J., war Jude. Er heiratete 1830 Johanna Elisabeth B., die wahrscheinlich am 9. Januar 1809 in F. (Posen) geboren wurde und 1889 in St. L., USA, verstarb. Sie wurde dort auf einem Friedhof beigesetzt, wo seinerzeit laut Auskunft der United Hebrew Congregation St. L. vom 26. August 1997 nur jüdische Bestattungen erlaubt waren. Aus ihrer Ehe gingen außer Simon J., der in Urkunden als "mosaisch" bezeichnet wird, auch die ebenfalls in O. (O., Landkreis S., preußischer Regierungsbezirk Posen) geborenen Kinder Saul, Cäcilie, Louis und Ernestine hervor. Ernestine schloss am 13. November 1871 die Ehe mit dem Kaufmann Emanuel U., die in das beim Kreisgericht Posen geführte "Register betreffend die Beglaubigung der Heiraten unter den Juden" eingetragen wurde. Das Heiratsattest stellt die jüdische Konfession beider Eheleute fest; als zweiter Vorname Ernestines wird "Esther" angegeben.

Im Jahr 1933 wurde Friedrich J. nach eigenen Angaben von Ernst St. und Hildegard K. wegen des Rittergutes B. erfolglos verklagt. Beide bezeichnete er 1945 in einem Schreiben als "ausgesprochene Nationalsozialisten und Parteigenossen". Sie hätten ihn als Juden angezeigt und bei der Gestapo denunziert.

1934 wurde die für das Gut B. erteilte umfassende Parzellierungsgenehmigung auf die Teilfläche westlich der Berliner Ringautobahn beschränkt. In der Zeit von 1932 bis 1943 verkaufte Friedrich J. ca. 8 000 Parzellen. Im Frühjahr 1937 wurden Parzellen in N. zu "1,40 RM mit 10 Pf. Ansiedlungsgebühr" angeboten. Das verfahrensgegenständliche, 1937 als Parzelle 2478 mit 906 m2 abgetrennte Grundstück bot Friedrich J. den Eltern des Klägers zunächst zum Kaufpreis von 1 305 Goldmark (GM) (= 1,44 RM/m2) an. Auf das Angebot einer Anzahlung von 1 000 GM gewährte er 10 % Rabatt auf einen Teilbetrag von 478,50 GM und erklärte, bei Zahlung des sich dann ergebenden Restkaufpreises von 257,15 GM bis Ende Juni 1937 sei die Eintragung einer Restkaufpreishypothek nicht erforderlich. Unter dem 3. Juni 1937 gab die Mutter des Klägers ein notarielles Kaufangebot ab, das eine Stundung des Restkaufpreises von 257,15 GM bis zum 1. September 1937 vorsah. Mit der notariellen Annahme durch Friedrich J. am 11. Juni 1937 wurden auch die Auflassung und der Verzicht auf die Eintragung der Restkaufpreishypothek erklärt. Am 11. Dezember 1937 wurde die Mutter des Klägers als Eigentümerin im Grundbuch von B. eingetragen. Die anschließende Festsetzung des Einheitswerts auf 1 450 RM (= 1,60 RM/m²) ließ sie bestandskräftig werden, obwohl Friedrich J. sie darauf hinwies, dass er s.E. zu hoch festgesetzt sei.

Unter dem 18. März 1938 beschimpften "einige nationalsozialistische Siedler" Friedrich J. anonym als "Jude(n)". Die Ortsgruppe L.-Ost der NSDAP teilte Friedrich J. unter dem 22. April 1938 mit, nach den von ihm beigebrachten Unterlagen sei er nicht Jude, sondern "Mischling ersten Grades".

In einer Ergänzungskarte für Angaben über Abstammung und Vorbildung zur Volkszählung vom 17. Mai 1938 bejahten Friedrich J. und seine Schwester Olga S. die Frage, ob "einer der vier Großelternteile der Rasse nach Volljude" gewesen sei, für den Großvater väterlicherseits. Olga S. verneinte sie für alle übrigen Großeltern, Friedrich J. nur für die Großeltern mütterlicherseits. Seine Eintragung zur Großmutter väterlicherseits ist teils durchgestrichen, teils unleserlich und lautet im Übrigen: "aber auf Urkunden weder jüdisch noch arisch feststellbar". In einem weiteren Fragebogen zum Nachweis der Abstammung bezeichnete Friedrich J. sich unter dem 22. Juni 1938 als "Mischling", ohne Angaben zur Konfession oder "Rasse" der Großmutter väterlicherseits zu machen. Weitere Bemühungen Friedrich J.', zu klären, ob seine Großmutter väterlicherseits Jüdin war, führten zu keinem klaren Ergebnis.

Seit Mai 1939 arbeitete das Reichssippenhauptamt an einem Abstammungsbescheid für Friedrich J., der jedoch bis Kriegsende nicht mehr erging. Eine Aufstellung der "Judengüter über 75 ha" des Oberpräsidenten der Provinz Mark Brandenburg vom 30. August 1939, in der bereits "arisierter" Grundbesitz gerötet ist, führte Friedrich J. als Gutsbesitzer in N. auf mit dem Zusatz, noch schwebten Ermittlungen, ob er Jude im Sinne der nationalsozialistischen Rassegesetze sei. Dieser Zusatz fehlte in einer undatierten, vom Regierungspräsidium Potsdam aufgrund einer Verordnung von 1939 erstellten Auflistung landwirtschaftlicher Grundflächen "im Eigentum von Juden". Sie nannte Friedrich J. als Eigentümer von 125 ha Ackerland in N., von 22 ha Parzellierungsgelände in K. und eines Baugrundstücks von 16 a in S. Nach dem Vermögenssteuerbescheid vom 26. September 1941 betrug das für 1940 zu versteuernde Gesamtvermögen Friedrich J. 1 241 738 RM, davon 171 800 RM land- und forstwirtschaftliches Vermögen entsprechend dem Einheitswert des N. Guts, zuzüglich 68 800 RM Betriebsvermögen entsprechend dem Einheitswert der parzellierten Grundstücke.

Ein von Friedrich J. am 1. April 1941 mit der Deutschen Reichsbahn geschlossener Kaufvertrag über eine Teilfläche von 154 880 m² des ehemaligen Gutes B. enthielt die Erklärung der Vertragsparteien, "Nichtjuden" zu sein. Der handschriftlich eingefügte Begriff ersetzte das gestrichene Wort "Arier".

Am 2. August 1943/9. Juni 1944 veräußerte Friedrich J. nach anfänglicher Weigerung die Restfläche des Gutes B. an den Union-Klub, den Betreiber der Rennbahn H. Nach Kriegsende verzichtete der Union-Klub auf seine Rechte aus dem nicht vollzogenen Vertrag. Im Zuge der Bodenreform wurde die Restfläche enteignet.

Bis zum Ende der nationalsozialistischen Herrschaft bezeichnete Friedrich J. sich als "Mischling zweiten Grades", danach als "Mischling ersten Grades". Friedrich J. verstarb am 1. November 1952 in E. und wurde von seinem am 29. November 1972 nachverstorbenen Sohn Wolfgang J. allein beerbt. Dessen Erben meldeten mit Schreiben vom 4. Juli und 14. August 1990 vermögensrechtliche Ansprüche hinsichtlich der 1945 enteigneten und in einem Schreiben vom 2. Mai 1990 genannten Grundstücke, zu denen das streitgegenständliche nicht gehört, sowie hinsichtlich einer in H. belegenen Parzelle an.

Die Beigeladene machte mit Schreiben vom 9. Dezember 1992 vermögensrechtliche Ansprüche auf "Grundvermögen in N.", "Grundbuch von N., ehemaliger Eigentümer: J., Friedr." geltend.

Mit Schreiben vom 13. März 1995 beantragten die Erben nach Friedrich J. die Rückübertragung von diesem veräußerter Grundstücke, darunter auch des streitgegenständlichen Grundstücks.

Als dessen Eigentümer in ungeteilter Erbengemeinschaft wurden am 7. April 1992 der Kläger und seine Schwester als Erben nach ihrer Mutter im Grundbuch eingetragen. Sie veräußerten mit notariellem Kaufvertrag vom 16. Mai 2002 und notariellem Ergänzungsvertrag vom 17. Dezember 2002 mit Zustimmung der Beigeladenen und der Erben nach Friedrich J. eine 453 m² große Teilfläche des Grundstücks zum Preis von 31 775,87 €. Für den Fall bestandskräftiger Feststellung der vermögensrechtlichen Berechtigung der Beigeladenen oder der Erben nach Friedrich J. wurde eine Abtretung des Kaufpreisanspruchs bzw. eine Auszahlung des hinterlegten Erlöses vereinbart. Die Restfläche des Grundstücks von 451 m² veräußerten der Kläger und seine Schwester mit notariellem Kauf- und Ergänzungsvertrag vom 23. Dezember 2002 bzw. 16. September 2003 zum Preis von 35 585 €. Am 20./29. Oktober 2003 schlossen sie mit der Beigeladenen und den Erben nach Friedrich J. eine Zustimmungs- und Abtretungsvereinbarung.

Mit Bescheid vom 11. Januar 2005 lehnte das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen den Rückübertragungsantrag der Erben nach Friedrich J. und deren Entschädigungsantrag für das verfahrensgegenständliche Grundstück als verspätet ab (Tenorziffern 1. und 2.). Den Rückübertragungsantrag der Beigeladenen lehnte das Bundesamt ebenfalls ab (Tenorziffer 3.), stellte aber fest, diese habe einen Anspruch auf Herausgabe des Kaufpreises aus den Veräußerungen der beiden Teilflächen vom 16. Mai und 23. Dezember 2002 (Tenorziffer 4.). Für die 1937 erhaltene Gegenleistung habe sie dem Kläger und seiner Schwester 32,14 € zu zahlen (Tenorziffer 5.). Zur Begründung wurde ausgeführt, der Restitutionsantrag der Beigeladenen sei rechtzeitig gestellt und wirksam. Friedrich J. gehöre zum Kreis der aus rassischen Gründen Kollektivverfolgten. Die Vermutung verfolgungsbedingten Vermögensverlustes sei mangels Beweises nach Art. 3 Abs. 3 REAO nicht widerlegt.

Diesen Bescheid haben die Erben nach Friedrich J. nicht angefochten.

Der Kläger hat am 20. Januar 2005 vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt/Oder auch im Namen seiner Schwester Klage erhoben, die zunächst der 6. Kammer zugeteilt wurde. Am 24. Januar 2005 bat der Vorsitzende die Vorsitzende der 3. Kammer, das Verfahren zuständigkeitshalber zu übernehmen. Zur Begründung trug er statt einer Sachgebietsnummer das Stichwort "Gut B." ein. Mit Verfügung der Vorsitzenden vom 25. Januar 2005 hat die 3. Kammer das Verfahren übernommen.

Die Schwester des Klägers hat diesem mit notariellem Vertrag vom 31. März 2005 ihre Ansprüche aus der Veräußerung der Teilgrundstücke abgetreten und anschließend dem Verwaltungsgericht mitgeteilt, sie sei mit der Klageerhebung nicht einverstanden. Daraufhin hat der Kläger am 2. Mai 2005 die in ihrem Namen erhobene Klage zurückgenommen.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die vermögensrechtliche Anmeldung der Beigeladenen sei nicht hinreichend individualisiert. Überdies zähle das verfahrensgegenständliche Grundstück nicht zum in der Archivquelle aufgeführten Grundbesitz. Eine Kollektivverfolgung Friedrich J.' könne nicht schon aus seinem Status als "Mischling ersten Grades" gefolgert werden. Entscheidend sei, dass die nationalsozialistischen Machthaber seine Behauptung, nur "Mischling zweiten Grades" zu sein, nicht widerlegt und ihn auch nicht als "Halbjuden" behandelt hätten. Sein Geschäftsgebaren lasse ebenfalls nicht auf Verfolgungsdruck schließen. Der beim Grundstücksverkauf 1937 erzielte Kaufpreis sei angemessen, zumal der Wert der von der Käuferin übernommenen Nebenpflichten als Teil der Gegenleistung berücksichtigt werden müsse. Der Grundstückskaufvertrag wäre seinem wesentlichen Inhalt nach auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus geschlossen worden, da Friedrich J. die 1932 begonnenen Parzellierungsverkäufe von den Nationalsozialisten ungestört und unbeeinflusst bis 1943/44 habe fortsetzen können. Er sei so wohlhabend gewesen, dass er die Grundstücke nicht um des Erlöses willen habe veräußern müssen.

Der Kläger hat vor dem Verwaltungsgericht beantragt, Ziffer 4 des Bescheides des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 11. Januar 2005 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, es liege eine Einzelanmeldung vor, zu deren Konkretisierung die Nennung des Geschädigten und eines räumlich eingegrenzten Grundvermögens genüge. Friedrich J. habe spätestens seit September 1935 damit rechnen müssen, als "jüdischer Mischling" behandelt zu werden. Der vereinbarte Kaufpreis sei unangemessen, da er unter dem Einheitswert liege. Außerdem habe Friedrich J. für benachbarte Grundstücke regelmäßig einen wesentlich besseren Preis erzielt. Auch die Verkaufserlöse aus Folgeverträgen hätten zum Teil erheblich höher gelegen.

Die Beigeladene hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat sich das Vorbringen der Beklagten zu eigen gemacht und ergänzend vorgetragen, von einer sogenannten Mischehe Joel und Johanna J.' könne angesichts der Rechtslage in Posen um 1830 nicht ausgegangen werden. Friedrich J. habe als "Mischling ersten Grades" liquide Mittel nicht nur zur Sicherung des Lebensunterhalts der eigenen Familie, sondern auch zur Unterstützung verfolgter Angehöriger und zur Zahlung von Bestechungsgeldern u.a. an den Polizeipräsidenten von Berlin benötigt.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 21. Dezember 2005 die Klage abgewiesen. Der Berechtigung der Beigeladenen stehe § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG nicht entgegen. Die verspätete Geltendmachung des Rückübertragungsanspruchs durch die Erben nach Friedrich J. stehe einem Unterbleiben der Anmeldung gleich. Der rechtzeitige Antrag der Beigeladenen sei schon mit der Nennung des Alteigentümers und der Gemeinde N. hinreichend individualisiert. Als "Mischling ersten Grades" mit zwei "volljüdischen" Großeltern gehöre Friedrich J. zu den rassisch Kollektivverfolgten im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO. Auch ohne einschlägige amtliche Urkunden stehe aufgrund der Indizien zur Überzeugung des Gerichts fest, dass Johanna J., geb. B., im Sinne der nationalsozialistischen Rassegesetze Jüdin gewesen, nämlich zumindest zum jüdischen Glauben übergetreten sei. Das ergebe sich aus ihrer Bestattung auf dem jüdischen Friedhof in St. L. und der dazu erteilten Auskunft der jüdischen Gemeinde, aus dem Heiratsattest ihrer Tochter Esther Ernestine, der Sterbeurkunde ihres Sohnes Simon und dem Grundsatz, dass die jüdische Religionszugehörigkeit "matriarchalisch" (i.e.: matrilinear) weitergegeben werde. Die Vermutung verfolgungsbedingten Vermögensverlustes nach § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO habe der Kläger nach Art. 3 Abs. 2 und 3 REAO nicht widerlegen können. Hier könne offenbleiben, ob der für das Grundstück erzielte Kaufpreis angemessen gewesen und in die freie Verfügung Friedrich J.' gelangt sei. Jedenfalls wäre der Kaufvertrag seinem wesentlichen Inhalt nach nicht ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus geschlossen worden. Schon die Mitursächlichkeit der Herrschaft des Nationalsozialismus für das fragliche Rechtsgeschäft schließe eine Widerlegung der Vermutung aus. Die Mitursächlichkeit für den Abschluss des Kaufvertrages sei nicht widerlegt und auch nicht widerlegungsfähig.

Der Kläger hat die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Er rügt einen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter, eine fehlerhafte Anwendung des § 1 Abs. 6 und der §§ 30, 30a VermG, eine Verletzung gesetzlicher Auslegungsregeln sowie der Pflicht zur gerichtlichen Sachaufklärung und des Überzeugungsgrundsatzes.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. Dezember 2005 und Nr. 4 des Tenors des Bescheides des Bundesamtes für offene Vermögensfragen vom 11. Januar 2005 aufzuheben.

Der Beklagte und die Beigeladene beantragen jeweils,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

II

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht und stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

1. Allerdings greift die Rüge der Revision, das Verwaltungsgericht habe in vorschriftswidriger Besetzung entschieden (§ 138 Nr. 1 VwGO), weil nicht die 3. Kammer, sondern die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts für die Entscheidung nach der Eingangsziffer zuständig gewesen wäre, nicht durch. Eine vorschriftswidrige Besetzung im Sinne des § 138 Nr. 1 VwGO liegt bei Mängeln in der Anwendung der Geschäftsverteilung nur vor, wenn entweder die richterliche Zuständigkeit nicht durch Regelungen gemäß §§ 21e, 21g GVG im Voraus nach objektiven Kriterien möglichst eindeutig bestimmt ist, oder wenn solche Regelungen willkürlich und manipulativ falsch ausgelegt oder angewendet wurden (Urteil vom 25. Juli 2001 - BVerwG 6 C 8.00 - juris Rn. 8 ff. <nicht abgedruckt in BVerwGE 115, 32 = Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 158>; BVerfG, Beschluss des Plenums vom 8. April 1997 - 1 PBvU 1/95 - BVerfGE 95, 322 <328 ff.>).

Die Revision rügt einen Verstoß gegen Nr. III.1.6 der Geschäftsverteilung des Verwaltungsgerichts für das Geschäftsjahr 2005. Danach ist, wenn mehrere Streitigkeiten nach dem Vermögens- oder Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz denselben Vermögensgegenstand betreffen, die Kammer zuständig, bei der die zuerst eingegangene Sache anhängig ist oder war. Unter Bezugnahme auf diese Regelung der Geschäftsverteilung hatte der Vorsitzende der 6. Kammer das Verfahren des Klägers an die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts abgegeben, weil diese bereits mehrere das Parzellierungsgelände des ehemaligen Gutes B. betreffende Verfahren bearbeitete. Die von der Revision insoweit zugrunde gelegte Auslegung des Begriffs des Vermögensgegenstandes, die den Anwendungsbereich dieser Regelung sehr eng begrenzen würde, ist zwar vom Wortlaut her möglich. Die vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegte weitere Interpretation, die in Parzellierungsfällen auf das Parzellierungsvorhaben statt auf die Parzelle abstellt, ist aber ebenso vertretbar und sachgerecht. Darüber hinaus lassen sich für diese Auslegung des Geschäftsverteilungsplanes sachliche Gründe aus der Systematik vermögensrechtlicher Ansprüche und aus dem Sinn und Zweck der Geschäftsverteilungsregelung anführen. Jedenfalls hat das Verwaltungsgericht die Regelung weder willkürlich noch manipulativ falsch ausgelegt oder angewendet.

2. Im Ergebnis zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch angenommen, dass die Beigeladene Ansprüche nach Friedrich J. fristgemäß nach §§ 30, 30a VermG angemeldet hat. Da die Erben nach Friedrich J. innerhalb der Frist des § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG für das hier streitgegenständliche Grundstück keine Ansprüche angemeldet hatten, konnte die Beigeladene diese gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG anmelden.

Die Anmeldung war trotz des darin enthaltenen Quellenverweises, der zu "1 Grundstück 125 ha Ackerland" führt, nicht auf diese 125 ha, zu denen das streitgegenständliche Grundstück nicht gehörte, beschränkt. Ein fristwahrender Restitutionsantrag nach § 30 Abs. 1 Satz 1 VermG setzt voraus, dass die Anmeldung hinsichtlich der Person des Berechtigten und in Bezug auf den oder die begehrten Vermögensgegenstände individualisierbar ist. Das gilt auch für Anmeldungen der Beigeladenen. Der Antragsgegenstand muss so genau bezeichnet sein, dass zumindest im Wege der Auslegung ermittelt werden kann, was der Antragsteller beansprucht. Dazu ist wegen der Möglichkeit nachträglicher Konkretisierung nach § 31 Abs. 1b VermG nicht erforderlich, dass bereits aufgrund der Antragsangaben festgestellt werden kann, welcher Vermögenswert zurückbegehrt wird. Die Angaben müssen aber zu einem bestimmten Vermögenswert bzw. bestimmten Vermögenswerten hinführen und damit deren späteren Austausch oder die Möglichkeit einer späteren Substantiierung durch einen beliebigen Vermögenswert ausschließen (vgl. Urteile vom 5. Oktober 2000 - BVerwG 7 C 8.00 - Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 21 S. 17; vom 15. November 2000 - BVerwG 8 C 28.99 - Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 40 S. 33 und vom 3. November 2005 - BVerwG 7 C 24.04 - Buchholz 428 § 30a VermG Nr. 34 S. 62). Einzelanmeldungen, die die Rückübertragung von Grundstücken betreffen, sind jedenfalls dann hinsichtlich ihres Gegenstandes individualisierbar, wenn sie Angaben enthalten, die es ermöglichen, zielgerichtete behördliche Ermittlungen vorzunehmen und die betreffenden Grundstücke anhand der von den örtlichen Kataster- und Grundbuchämtern geführten Unterlagen zweifelsfrei zu bestimmen (Urteil vom 5. Oktober 2000 - BVerwG 7 C 8.00 - a.a.O.).

Zweifel, ob eine Einzelanmeldung in diesem Sinne individualisierbar ist, sind in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu klären (Urteile vom 5. Oktober 2000 - BVerwG 7 C 8.00 - a.a.O. und vom 15. November 2000 - BVerwG 8 C 28.99 - a.a.O.). Maßgebend ist danach, wie die Behörde den Rückübertragungsantrag nach seinem gesamten Inhalt unter Berücksichtigung aller ihr bis zum Ablauf der Anmeldefrist bekannt gewordenen und erkennbaren Umstände des Einzelfalles nach Treu und Glauben zu verstehen hatte (Urteile vom 26. Mai 1999 - BVerwG 8 C 20.98 - Buchholz 428 § 30a VermG Nr. 9 S. 9 und vom 15. November 2000 - BVerwG 8 C 28.99 - a.a.O. S. 32). Für die Auslegung, dass der Hinweis auf die Archivquelle in der Anmeldung der Beigeladenen nicht als Beschränkung des Rückübertragungsantrags auf das dort aufgelistete Grundstück von 125 ha Ackerland zu verstehen war, sondern als Hinweis auf die Schädigung eines als "jüdisch" bezeichneten (Groß-)Grundbesitzes von Friedrich J. in N., spricht die Textgestaltung des Anmeldeschreibens. Während die Angaben zum Ort, Grundbuchbezirk und früheren Eigentümer des Grundbesitzes als Teil des Antragssatzes mittig gesetzt sind, erscheint der linksbündig darunter stehende Hinweis auf die Quelle wie eine Fußnote oder ein Beleg.

Dass die Quelle selbst, eine undatierte, aufgrund von Verordnungen aus dem Jahr 1939 erstellte Auflistung "jüdischen" Grundbesitzes, als Eigentum des Friedrich J. in N. ein 125 ha großes Grundstück Ackerland nennt, zwingt ebenfalls nicht dazu, ihr Zitat als abschließende Umschreibung des Antragsgegenstandes anzusehen. Einen abschließenden Charakter von Immobilienbezeichnungen hat die Rechtsprechung bisher nur angenommen, wenn einzelne Grundstücke - wie in den ersten Schreiben der Erben nach Friedrich J. - detailliert mit Flurstücksnummern oder Grundbuchdaten aufgeführt waren (Beschlüsse vom 13. Mai 2003 - BVerwG 8 B 174.02 - Buchholz 428 § 30a VermG Nr. 28 und vom 21. Februar 2006 - BVerwG 7 B 83.05 - ZOV 2006, 183 f.). Schon bei der Bezeichnung mit Straßennamen und Hausnummern wurde auf die naheliegende Möglichkeit zwischenzeitlicher Änderungen hingewiesen und ein Einbezogensein anderer oder weiterer Parzellen in den Antrag für möglich gehalten, wenn entweder die postalische Anschrift gewechselt hatte oder Anhaltspunkte für eine Unsicherheit oder einen Irrtum des Antragstellers bestanden (Beschlüsse vom 20. Januar 1999 - BVerwG 8 B 160.98 - n.v., vom 21. Dezember 1998 - BVerwG 8 B 171.98 - n.v., vom 27. März 2000 - BVerwG 8 B 77.00 - Buchholz 428 § 30a VermG Nr. 15 und vom 3. Dezember 2003 - BVerwG 7 B 7.03 - n.v.). Anders als eine detaillierte, mit Flurstücksnummern oder Grundbuchdaten präzisierte Grundstücksaufzählung ist der Hinweis auf "1 Grundstück" von "125 ha Ackerland" noch so wenig konkret, dass er nicht als parzellenscharfe, abschließende Konkretisierung des Rückerstattungsbegehrens verstanden werden kann.

Gegenstand der Anmeldung ist vielmehr der gesamte zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft bestehende Grundbesitz Friedrich J.' in N., der sich mit der zum 30. Januar 1933 in seinem Eigentum stehenden Parzellierungsfläche des ehemaligen Gutes B. deckt und der wegen seiner Ausdehnung nicht innerhalb der Ausschlussfrist nach Straße und Hausnummern oder abschließend nach Grundbuchdaten bezeichnet werden konnte.

3. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt aber Bundesrecht, indem es annimmt, dass Friedrich J. zu den im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO in der Zeit des Nationalsozialismus Kollektivverfolgten gehörte.

Gemäß § 1 Abs. 6 Satz 1 ist das Vermögensgesetz entsprechend auf vermögensrechtliche Ansprüche von Bürgern und Vereinigungen anzuwenden, die in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen verloren haben. Gemäß § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG wird zugunsten des Berechtigten ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust vermutet, wenn die Voraussetzungen des Art. 3 REAO vorliegen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Geschädigten individuellen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt waren (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a REAO), vielmehr reicht es aus, wenn sie zu einem Personenkreis gehörten, der in seiner Gesamtheit von der deutschen Regierung oder der NSDAP verfolgt wurde (Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO). Zu diesem Personenkreis gehörten schon seit dem 30. Januar 1933 nicht nur Juden im Sinne der nationalsozialistischen Rassegesetze, sondern auch "Mischlinge ersten Grades" (Urteile vom 13. September 2000 - BVerwG 8 C 21.99 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 8 S. 39 und vom 29. März 2006 - BVerwG 8 C 15.05 - BVerwGE 125, 359 <362> = Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 36; so auch weitgehend die rückerstattungsrechtliche Rechtsprechung, vgl. CoRA vom 22. September 1950, RzW 1951, 66; BOR Herford, RzW 1951, 244; KG Berlin (West), RzW 1952, 381 f.; WK Kassel, RzW 1949, 26). Als "Mischlinge ersten Grades" wurden auf der Grundlage des § 2 Abs. 2 Satz 1 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 (RGBl I S. 1333, geändert durch Verordnung vom 5. Dezember 1938, RGBl I S. 1751) alle Personen angesehen, die von zwei "der Rasse nach volljüdischen" Großeltern abstammten. Nach Satz 2 der Vorschrift galt als "volljüdisch" ein Großelternteil "ohne weiteres, wenn er der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat". Nicht zu den Kollektivverfolgten gehörten jedoch auch nach der rückerstattungsrechtlichen Rechtsprechung (vgl. CoRA, RzW 1951, 227; BOR, RzW 1954, 102; OLG Frankfurt, RzW 1949, 9; OLG Hamm, RzW 1949/50, 442; s.a. Schwarz, Rückerstattung nach den Gesetzen der alliierten Mächte, 1974, S. 127 m.w.N.) die "Mischlinge zweiten Grades", die nur einen "volljüdischen" Großelternteil hatten.

Das Verwaltungsgericht hat dadurch gegen § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO verstoßen und damit Bundesrecht verletzt, dass es für die Beurteilung, ob Friedrich J. im Sinne der nationalsozialistischen Rassenideologie als "Mischling ersten Grades" oder als "Mischling zweiten Grades" anzusehen sei, Tatsachen herangezogen hat, die auf Erkenntnissen aus der Zeit nach 1945 beruhten. Dies gilt für wissenschaftliche Erkenntnisse, vor allem aber für die Verwertung der Mitteilung der United Hebrew Congregation St. L. vom 26. August 1997 als Indiz. Nach den genannten Vorschriften durfte die Beurteilung aber allein auf Erkenntnisse und Erkenntnismittel gestützt werden, die zur Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus zur Verfügung standen. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO stellt darauf ab, ob der Betroffene zu dem Personenkreis (der Kollektivverfolgten) "gehörte". Verlangt ist damit eine retrospektive Beurteilung auf der Grundlage der Erkenntnisse zur Zeit des Nationalsozialismus. Eine solche retrospektive Beurteilung entspricht dem Zweck der Wiedergutmachung, Vermögensschäden auszugleichen, die durch die Verfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus entstanden waren. Für den vorliegenden Fall ist danach zu prüfen, ob nach den damaligen Erkenntnismitteln der Nachweis erbracht war, dass Friedrich J. "Mischling ersten Grades" war, oder ob er, unabhängig davon, als solcher behandelt wurde.

Der Nachweis, dass Friedrich J. "Mischling ersten Grades" war, war nach den Erkenntnissen zur Zeit des Nationalsozialismus nicht erbracht. Er selbst hat sich während dieser Zeit immer wieder um Aufklärung bemüht, ob seine Großmutter väterlicherseits Jüdin war. Dies ist nicht gelungen. Selbst in einem Schreiben von 1946, in dem er sich selbst - anders als während der Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus - als "Mischling ersten Grades" bezeichnet, weist er darauf hin, dass es zwar wahrscheinlich, aber nicht geklärt sei, dass seine Großmutter väterlicherseits Jüdin war. Es bestehen keinerlei Personenstandsurkunden, aus denen sich verlässlich eine entsprechende Feststellung ableiten lassen könnte. Auch eine von Friedrich J. eingeholte Auskunft der Deutsch-polnischen Gesellschaft vom 15. Februar 1939 gibt nur einen Hinweis darauf, dass diese Frage offen und nicht geklärt war. "Trotz ausführlicher Forschungen bei den in Frage kommenden jüdischen Gemeinden (seien) keine Unterlagen über die genannte B. gefunden" worden. Als Hinweis darauf, dass Johanna B. nicht jüdisch gewesen sei, wurde angeführt, dass es zur Zeit ihrer Geburt ungewöhnlich gewesen wäre, wenn jüdische Eltern ihrer Tochter die Vornamen Johanna Elisabeth gegeben hätten. Entscheidend ins Gewicht fällt aber, dass selbst das Reichssippenhauptamt, das grundsätzlich dazu neigte, im Zweifel und bei ungeklärten Fällen zu unterstellen, dass der Betreffende eine jüdische Abstammung habe, sich trotz der Einleitung eines entsprechenden Verfahrens bereits im Jahr 1939 bis Kriegsende nicht in der Lage sah, einen entsprechenden Abstammungsnachweis für Friedrich J. zu erstellen. In der damaligen Zeit waren die Zweifel an seiner - jüdischen - Abstammung damit so groß, dass nicht angenommen werden kann, dass nach damaligem Erkenntnisstand seine Eigenschaft als "Mischling ersten Grades" belegt war. Auch die Aktenlage, wie sie sich bis 1945 ergibt, liefert keinen klaren Beweis dafür, dass er es war.

Friedrich J. ist auch nicht als "Mischling ersten Grades" behandelt worden, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt die Voraussetzungen des § 1 Abs. 6 VermG nicht bejaht werden können. Zwar ist er in einer Aufstellung der "Judengüter über 75 ha" des Oberpräsidenten der Provinz Mark Brandenburg vom 30. August 1939 als Gutsbesitzer in N. aufgeführt. Dieser Eintrag enthält aber den Zusatz, dass noch Ermittlungen schwebten, ob er Jude im Sinne des nationalsozialistischen Rassegesetzes sei. Dieser Zusatz fehlte zwar in einer undatierten weiteren Auflistung landwirtschaftlicher Grundflächen "im Eigentum von Juden". Da beide Listen in zeitlich engem Zusammenhang erstellt wurden, können sie aber nicht anders behandelt werden. Die Listen sind insoweit widersprüchlich. Aus der Gesamtbetrachtung beider zusammen lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass Friedrich J. als Jude oder "Mischling ersten Grades" angesehen wurde. Dafür spricht auch, dass in den Verfahren zur "Entjudung", insbesondere aufgrund der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 (RGBl I S. 1709) oder des § 3 der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 (RGBl I S. 722), nicht an ihn herangetreten wurde.

Gegen die Annahme, dass Friedrich J. als "Mischling ersten Grades" behandelt wurde, spricht auch, dass er in notariellen Verträgen aus den Jahren 1941 und 1943, die die Angabe über die Beteiligung von Juden an Grundstücksgeschäften erforderten, als "Nichtjude" bezeichnet wurde. Er konnte offenbar auch bis Kriegsende seine Geschäftstätigkeit unbehelligt durchführen. Zwar gab es ein Schreiben der Ortsgruppe L. der NSDAP vom April 1938, in dem ihm bescheinigt wird, dass er "Mischling ersten Grades" sei. Bei einer Gesamtbetrachtung seiner Situation kann daraus aber nicht der Schluss gezogen werden, dass er als "Mischling ersten Grades" behandelt wurde. Es gab vielmehr immer wieder von unteren Ebenen und Instanzen gegen ihn gerichtete Angriffe und Versuche, gegen den wirtschaftlich starken Unternehmer vorzugehen; diese konnten sich aber nicht durchsetzen. Sie lassen deshalb nicht den Schluss zu, dass Friedrich J. als "Mischling ersten Grades" behandelt worden ist.

Schließlich ergibt sich eine Verfolgungssituation für ihn auch nicht daraus, dass er sich aus seiner Sicht als zur Gruppe der Verfolgten zugehörig fühlte und deshalb die eigene Verfolgung befürchten musste. Dafür ergeben sich aus der Aktenlage keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr hat er bis 1944 im Rahmen der ausstehenden Genehmigung des Vertrages, mit dem die Restfläche des Gutes B. an den Union-Club veräußert wurde, seine Interessen anhaltend und energisch gegenüber den Behörden vertreten. Wenn er befürchtet hätte, als "Halbjude" verfolgt zu werden, hätte er ein solches Risiko, auf sich aufmerksam zu machen, wohl nicht eingehen können. Dieses immer offensive Auftreten widerlegt auch den Hinweis der Beigeladenen, Friedrich J. habe um seine jüdische Herkunft genau gewusst und sich tarnen wollen. Vielmehr hat er noch in einem Schreiben vom 17. März 1944 von C. aus an Herrn W., einen früheren Eigentümer des Gutes B., der sich bemühte, dieses zu für J. ungünstigen Bedingungen wieder zu erlangen, sehr deutlich gemacht, dass er sich auch mit der Drohung, anderenfalls sofort verhaftet zu werden, nicht unter Druck setzen lasse. Vielmehr heißt es dort: "Bei der unbedingten Gerechtigkeit, die in unserem heutigen Staate herrscht und der Sauberkeit aller behördlichen Maßnahmen habe ich so etwas nicht zu fürchten." Ein solches Verhalten schließt die Annahme, er habe befürchtet, verfolgt zu werden, aus.

Damit liegen die Voraussetzungen des Schädigungstatbestandes des § 1 Abs. 6 VermG nicht vor. Ein Rückübertragungsanspruch gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG bestand nicht. Er konnte damit auch nicht gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG auf die Beigeladene übergehen. Damit entfällt auch ein Anspruch der Beigeladenen auf Auskehr des Veräußerungserlöses gemäß § 3 Abs. 4 Satz 3 VermG. Nr. 4 des Bescheides der Beklagten vom 11. Januar 2005 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 33 680 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück