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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 27.02.2008
Aktenzeichen: BVerwG 8 C 9.07
Rechtsgebiete: VermG


Vorschriften:

VermG § 4 Abs. 2
VermG § 4 Abs. 3
Den Käufer eines von der DDR staatlich verwalteten Grundstücks traf ohne weiteres keine Verpflichtung, sich vor Vertragsabschluss danach zu erkundigen, ob der vom Rat des Kreises vorgegebene Kaufpreis ordnungsgemäß ermittelt worden war.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 8 C 9.07

Verkündet am 27. Februar 2008

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 27. Februar 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Postier und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 19. Dezember 2005 wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Revisionsverfahren; ihre außergerichtlichen Kosten im erstinstanzlichen Verfahren tragen die Beigeladenen selbst.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten um die Rückübertragung des Grundstücks W.weg ... in G. Das 972 m2 große Grundstück ist mit einem Einfamilienhaus bebaut und gehörte den Klägern, die es im Jahre 1966 für 8 000 M erworben hatten. Der Kaufpreis entsprach laut Kaufvertrag dem Einheitswert.

Die Kläger verließen die DDR ohne Beachtung der damals geltenden Meldebestimmungen Anfang 1975. Daraufhin wurde der Rat der Gemeinde Glienicke mit Wirkung vom 15. Februar 1975 zum staatlichen Verwalter des Grundstücks bestellt. Zugleich erfolgte eine Bestandsaufnahme und Bewertung des Inventars, welches überwiegend im Frühjahr 1975 verkauft wurde.

Der Rat der Gemeinde G. bot den Beigeladenen Ende Mai/Anfang Juni 1975 auf ihren Wohnungsantrag hin die Wohnung auf dem Grundstück an, war jedoch mit einer mietweisen Überlassung nicht einverstanden, sondern verlangte den Erwerb des Grundstücks zu einem Preis von 8 000 M sowie Übernahme des restlichen Inventars für 650 M.

Da die Beigeladenen insbesondere zur Übernahme des Inventars nicht bereit waren, wandten sie sich an den Rat des Kreises Oranienburg, der bestimmte, dass das Inventar nicht übernommen werden musste, und zugleich den Kaufpreis auf 6 000 M festlegte. Daraufhin schlossen die Beigeladenen vor dem Rat des Bezirkes Potsdam am 7. August 1975 den Kaufvertrag mit dem Rat der Gemeinde G. zu einem Preis von 6 000 M ab, der in voller Höhe über einen Kredit der Kreissparkasse Oranienburg finanziert wurde. Anschließend wurden die Beigeladenen im Grundbuch als Eigentümer eingetragen.

Die Kläger beantragten mit Schreiben vom 15. August 1990 die Rückübertragung des Grundstücks, was der Beklagte mit Bescheid vom 17. Juni 1998 ablehnte. Nach seiner Begründung sind die Kläger zwar geschädigt worden, die Rückübertragung ist jedoch wegen des redlichen Erwerbs des Grundstücks durch die Beigeladenen ausgeschlossen. Der Widerspruch der Kläger, den sie im Wesentlichen damit begründeten, dass die Beigeladenen unredlich seien, weil sie wussten bzw. hätten wissen können, dass die Voraussetzungen für den Verkauf des Grundstücks nach der Verwalterverordnung nicht vorgelegen haben konnten, wies das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 1999 zurück. Zur Begründung heißt es, dass zwar eine den Verkauf rechtfertigende Verschuldungslage nicht vorgelegen habe, die Beigeladenen dies aber angesichts der Geheimhaltungspolitik und einer fehlenden Prüfungspflicht nicht hätten wissen müssen. Außerdem könne nicht davon ausgegangen werden, dass den Beigeladenen der Einheitswert des Grundstücks bei Abschluss des Kaufvertrages bekannt gewesen sei.

Mit ihrer Klage haben die Kläger ihr Rückübertragungsbegehren weiter verfolgt und im Wesentlichen angeführt, dass den Beigeladenen der günstige Kaufpreis bewusst gewesen sein müsse, weil sie dies ihnen gegenüber bekundet hätten. Auch der bauliche Zustand des Hauses habe keinen Anlass zur Herabsetzung des Kaufpreises geboten.

Die Kläger haben beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide das Grundstück Gemarkung G., Flur ..., Flurstück ..., an sie zurück zu übertragen.

Der Beklagte hat unter Hinweis auf die Begründung der angefochtenen Bescheide beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.

Das Verwaltungsgericht hat nach Vernehmung der Beigeladenen mit Urteil vom 19. Dezember 2005 der Klage stattgegeben und dazu im Wesentlichen ausgeführt: Es liege kein Rückgabeausschlussgrund vor. Die Beigeladenen seien nicht redlich im Sinne von § 4 Abs. 2 und 3 VermG gewesen. Der Verwalterverkauf habe gegen die Rechtsordnung der DDR verstoßen. Davon hätten die Beigeladenen wissen müssen.

Im einzelnen hat das Verwaltungsgericht verschiedene nicht veröffentlichte DDR-Bestimmungen über den Verkauf zwangsverwalteter Grundstücke angeführt und daraus abgeleitet, dass diese Vorschriften im vorliegenden Fall umfassend missachtet worden seien und für die Ermittlung des Schätzwertes des Grundstücks weder ein Sachverständigengutachten eingeholt noch die vereinfachte Berechnungsmethode angewandt worden sei. In subjektiver Hinsicht hätten die Beigeladenen bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt zumindest den Verstoß gegen die preisrechtlichen Vorschriften erkennen können. Sie hätten wissen müssen, dass der Kaufpreis eines aus staatlicher Hand zu erwerbenden Einfamilienhausgrundstückes dem durch den Sachverständigen festgestellten Sachwert entsprechen müsse und es hinsichtlich der Kaufpreisermittlung bei einem fehlenden Gutachten nicht mit rechten Dingen zugehe. Entsprechendes gelte auch für die gewährte Kaufpreisminderung von 2 000 M.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision wehren sich die Beigeladenen gegen die Ansicht des Verwaltungsgerichts, sie hätten von den Verstößen gegen Bestimmungen des DDR-Rechts wissen müssen.

Die Beigeladenen beantragen,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 19. Dezember 2005 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie treten dem angefochtenen Urteil bei.

II

Die Revision ist begründet, weil das Verwaltungsgericht mit seinem angefochtenen Urteil Bundesrecht verletzt hat (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Es hat die Anforderungen an das Vorliegen des subjektiven Tatbestandes von § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG überspannt (1.). Der Senat kann gemäß § 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO in der Sache selbst entscheiden, weil der Sachverhalt ausreichend geklärt ist (2.).

1. Die Rückübertragung des Grundstücks ist gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG ausgeschlossen, weil die Beigeladenen dieses redlich erworben haben. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sind die Voraussetzungen eines unredlichen Erwerbs nach § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG nicht gegeben. § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG zufolge ist der Rechtserwerb in der Regel dann als unredlich anzusehen, wenn er nicht im Einklang mit den im Zeitpunkt des Erwerbs in der Deutschen Demokratischen Republik geltenden allgemeinen Rechtsvorschriften, Verfahrensgrundsätzen und einer ordnungsgemäßen Verwaltungspraxis stand und der Erwerber dies wusste oder hätten wissen müssen. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts hätten die Beigeladenen erkennen müssen, dass es bei der staatlicherseits erfolgten Kaufpreisbildung nicht mit rechten Dingen zugegangen sei, weil ein Gutachten gefehlt habe. Auch indiziere eine erhebliche und durch nichts zu rechtfertigende Reduzierung des auf der Basis der maßgebenden Preisvorschriften festgestellten wahren Wertes des Grundstücks die Unredlichkeit des Erwerbs.

Der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist entgegenzuhalten, dass beim Verkauf zwangsverwalteter Grundstücke der Käufer an der Kaufpreisbildung in der Regel weder mitgewirkt hatte noch beteiligt worden war. Das Verwaltungsgericht hat nicht festgestellt, dass die Beigeladenen abweichend von dieser Praxis Einblick in die Prüfung und Ermittlung des Kaufpreises durch den Rat der Gemeinde bzw. den Rat des Kreises gehabt hätten. Die Höhe des Kaufpreises wurde nach Nr. 3 Satz 3 der streng vertraulichen Hinweise zur Durchführung der Verordnung vom 11. Dezember 1968 - Verkauf von Einfamilienhäusern sowie Wochenend- und Gartengrundstücken - vom 20. März 1969 (BARoV-Schriftenreihe, Heft 11, Dok. 13) von dem örtlichen Staatsorgan durch Schätzung ermittelt; eine Beteiligung des Kaufinteressenten daran war nicht vorgesehen. Dieser hätte zwar nach Satz 4 a.a.O. die Kosten der Schätzung zu übernehmen, was aber wegen der Geheimhaltung der Hinweise nicht allgemein bekannt war. Selbst der staatliche Verwalter war von der Prüfung und Beurteilung der Verkaufsvoraussetzungen, die durch die Räte des Kreises erfolgte, ausgeschlossen. Es fand insofern eine "rigorose Abschottung" statt (Urteil vom 19. Juli 2000 - BVerwG 8 C 20.99 - BVerwGE 111, 322 = Buchholz 428 § 4 Abs. 3 VermG Nr. 5). Auf welcher Grundlage der Kaufpreis ermittelt wurde, konnten die Käufer im Allgemeinen nicht wissen. Der Kaufpreis wurde vom örtlichen Staatsorgan vorgegeben (Urteil vom 3. November 1999 - BVerwG 8 C 19.98 - BVerwGE 110, 28 = Buchholz 428 § 4 Abs. 2 VermG Nr. 8). Im anhängigen Fall hat das Verwaltungsgericht nicht einmal festgestellt, dass die Beigeladenen bei Abschluss des Kaufvertrages den Einheitswert kannten, der ihnen einen Anhalt über die Werthaltigkeit des Grundstücks hätte geben können. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die Beigeladenen gezielt auf die Kaufpreisbildung beim Rat des Kreises Einfluss genommen hatten. Entgegen der Behauptung des Verwaltungsgerichts kann dem Beschluss vom 9. Januar 1998 - BVerwG 7 B 326. 97 - (Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 52) nicht entnommen werden, dass dem Umstand eines fehlenden Wertermittlungsgutachtens Indizwirkung bei der Beurteilung der Redlichkeit zu komme.

Den Käufern staatlich verwalteter Grundstücke oblag keine Pflicht zur Erkundung bei den staatlichen Stellen, auf welcher Grundlage und auf welche Art und Weise sie den Kaufpreis ermittelt hatten. Der Senat hat bereits mit Urteil vom 23. Februar 2005 - BVerwG 8 C 3.04 - (Buchholz 428 § 4 Abs. 3 VermG Nr. 22) entschieden, dass gegenüber einem von staatlicher Seite genehmigten Kaufpreis der Verkäufer keine Zweifel an der rechtlichen Wirksamkeit einer solchen Entscheidung haben musste. Gleiches gilt für den Käufer, dem ein Kaufpreis benannt wurde. Es widerspräche den realen Bedingungen der sozialen Verhältnisse in der damaligen DDR anzunehmen, der Bürger habe eine Kontrollpflicht gegenüber staatlichen Stellen gehabt, ob diese streng vertraulich behandelten Hinweise über die Behandlung von Flüchtlingsvermögen eingehalten hätten. Eine Prüfpflicht setzt eine Prüfmöglichkeit voraus, die jedoch nicht bestanden hatte.

Da der Rat des Kreises Oranienburg den Kaufpreis vorgab, brauchten den Beigeladenen auch keine Zweifel daran aufzukommen, dass die Preisbildung ordnungsgemäß erfolgt war. Die Entscheidung des Rates des Kreises erweckte den Anschein der Korrektheit, weil durch sie die Kaufbedingungen korrigiert wurden, die der Rat der Gemeinde vorgegeben hatte. Neben dem Kauf des Grundstückes war zu Unrecht der Erwerb von Inventar verlangt worden:

2. Die Sache ist spruchreif. Der vom Verwaltungsgericht festgestellte und insoweit nicht mit erheblichen Verfahrensrügen angegriffene Sachverhalt ergibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Erwerb des streitbefangenen Grundstücks durch die Beigeladenen aus anderen, als den oben abgehandelten Gründen unredlich gewesen sein könnte. Unzutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, vorliegend könne die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur gewährten Kaufpreisminderung eingreifen. Zum einen waren die Abweichungen zwischen dem Wert des Grundstücks und dem Kaufpreis in den bisher ergangenen Entscheidungen erheblicher, zum anderen ging es um Sachverhalte, in denen sich der Käufer eine Zwangslage im Sinne von § 4 Abs. 3 Buchst. c VermG zu Nutze gemacht hatte (vgl. z.B. Urteil vom 23. Februar 2005 - BVerwG 8 C 3.04 - a.a.O.). Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich. Die Restitution ist folglich ausgeschlossen.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 183 881 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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