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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 22.04.1999
Aktenzeichen: BVerwG 9 B 1037.98
Rechtsgebiete: GG, VwGO
Vorschriften:
GG Art. 103 Abs. 1 | |
VwGO § 108 Abs. 2 | |
VwGO § 130 a | |
VwGO § 125 Abs. 2 Satz 3 | |
VwGO § 138 Nr. 3 |
Ist die Anhörungsmitteilung nach § 130 a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO irreführend und dadurch objektiv geeignet, den betroffenen Beteiligten in seiner Rechtsverteidigung zu beeinträchtigen, verstößt eine Entscheidung durch Beschluß nach § 130 a Satz 1 VwGO gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs.
Beschluß des 9. Senats vom 22. April 1999 - BVerwG 9 B 1037.98
I. VG Ansbach vom 11.12.1997 - Az.: VG AN 14 K 94.41515 - II. VGH München vom 31.07.1998 - Az.: VGH 9 B 98.31520 -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS
BVerwG 9 B 1037.98 VGH 9 B 98.31520
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 22. April 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Seebass und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund und Dr. Eichberger
beschlossen:
Der Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 31. Juli 1998 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde der Klägerin ist begründet. Zwar liegt nicht die von ihr geltend gemachte Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr.2 VwGO) zu einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vor; die Beschwerde hat jedoch Erfolg, soweit sie mit der Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) geltend macht. Im Hinblick auf diesen beachtlichen Verfahrensverstoß macht der Senat im Interesse der Verfahrensbeschleunigung von der ihm nach § 133 Abs. 6 VwGO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Der beschließende Senat hat mit Urteil vom 30. Juni 1998 - BVerwG 9 C 6.98 - (NVwZ 1998, 1311 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung vorgesehen) entschieden, daß § 124 a Abs. 3 VwGO auch in Streitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz gilt und es demzufolge für eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung im Sinne dieser Vorschrift nicht genügt, wenn sich die Begründung und der Berufungsantrag lediglich dem Vorbringen im Zulassungsverfahren entnehmen lassen. Vielmehr muß der Berufungsführer nach Zulassung der Berufung einen Begründungsschriftsatz einreichen, der sich allerdings ggf. auch - je nach den Umständen des Einzelfalles - auf eine Bezugnahme auf das Zulassungsvorbringen beschränken kann. Die von der Beschwerde geltend gemachte Divergenz des angefochtenen Beschlusses des Berufungsgerichts zu dieser Entscheidung liegt nicht vor. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Bundesbeauftragten im Einklang mit dieser Rechtsprechung als zulässig angesehen. Denn der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat als Berufungsführer mit Schriftsatz vom 7. Juli 1998 einen bestimmten Berufungsantrag gestellt und zur Begründung auf seine Ausführungen in dem Zulassungsantrag und im Zulassungsbeschluß des Berufungsgerichts verwiesen.
Ob die verspätete Übermittlung dieser Berufungsschrift an die Klägerin erst zusammen mit der Berufungsentscheidung einen beachtlichen Gehörsverstoß begründet (zu der in insoweit hier in Betracht zu ziehenden Ausnahme von der Beruhensvermutung des § 138 Nr. 3 VwGO vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 20. November 1995 - BVerwG 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 Nr. 267 und Beschluß vom 1. Februar 1999 - BVerwG 10 B 4.98 -) und was hierzu dargelegt werden muß (vgl. den den Beteiligten bekannten Beschluß des Senats vom 22. April 1999 - BVerwG 9 B 188.99 -), kann offenbleiben. Ein zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führender Gehörsverstoß folgt jedenfalls aus der fehlerhaften Anhörungsmitteilung nach § 130 a VwGO.
Das Berufungsgericht hat den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 29. April 1998 mitgeteilt, es könne nach § 130 a VwGO über die Berufung durch Beschluß entscheiden, wenn es sie "einstimmig für teilweise begründet und teilweise unbegründet" und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Nach dem bisherigen Sachstand komme hier eine solche Entscheidung in Betracht. Sie erhielten Gelegenheit, sich hierzu zu äußern. Die Beschwerde macht im Hinblick hierauf eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs geltend, weil das Berufungsgericht der Berufung des Bundesbeauftragten entgegen dieser Ankündigung in vollem Umfang stattgegeben habe. Demgegenüber hätte die Klägerin davon ausgehen dürfen, daß sie zumindest teilweise, d.h. jedenfalls im Hinblick auf Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG obsiegen werde. Hätte sie hingegen erwarten müssen, daß das Berufungsgericht auch solche Abschiebungshindernisse verneinen werde, hätte sie noch weiter zur Gefährdung der Klägerin im Falle ihrer Rückkehr vorgetragen.
Nach § 130 a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO hat das Berufungsgericht die Beteiligten zu seiner Absicht, gemäß § 130 a Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß zu entscheiden, vorher zu hören. Unterbleibt eine ordnungsgemäße Anhörung, so stellt dies einen Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs dar (Art. 103 Abs. 1 GG) mit der Folge, daß die Entscheidung gem. § 138 Nr. 3 VwGO stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen ist (stRspr; vgl. BVerwG, Beschluß vom 4. Dezember 1998 - BVerwG 2 B 152.97 -; Beschluß vom 17. November 1994 - BVerwG 1 B 42.94 - Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 11; Beschluß vom 21. Dezember 1993 - BVerwG 6 B 76.92 - a.a.O. Nr. 10 und Beschluß vom 3. Februar 1993 - BVerwG 11 B 12.92 - Buchholz 310 § 133 VwGO n.F. Nr. 10). Hierbei sind an die Anhörungsmitteilung in formeller und inhaltlicher Hinsicht strenge Anforderungen zu stellen, da das damit eingeleitete Verfahren es dem Berufungsgericht ermöglicht, ohne die auch im Berufungsverfahren grundsätzlich vorgesehene mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1, § 101 Abs. 1 VwGO) zu entscheiden.
Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob nach der Neufassung des § 130 a VwGO durch das Sechste Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 1. November 1996 (BGBl I S. 1626), wodurch die Befugnisse des Berufungsgerichts dahin erweitert wurden, daß es nunmehr der Berufung auch - einstimmig - durch Beschluß stattgeben kann, die Anhörungsmitteilung den Beteiligten zu erkennen geben muß, in welche Richtung das Berufungsgericht zu entscheiden gedenkt (so Eyermann/Happ, VwGO, 10. Aufl., § 130 a Rn. 7). Die Anhörungsmitteilung darf jedenfalls, wenn sie eine Aussage über den vom Berufungsgericht erwogenen Ausgang des Berufungsverfahrens enthält, insoweit nicht irreführend und dadurch objektiv geeignet sein, den betroffenen Beteiligten in seiner Rechtsverteidigung zu beeinträchtigen (vgl. hierzu BVerwG, Beschluß vom 21. Dezember 1993, a.a.O.). Dies ist hier indes der Fall. Die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin durften auf die Ankündigung des Berufungsgerichts, nach dem bisherigen Sachstand komme eine Entscheidung über die Berufung (nur) als teilweise begründet und teilweise unbegründet in Betracht, vertrauen. Sie konnten damit rechnen, im Berufungsverfahren jedenfalls teilweise zu obsiegen. Es ist nicht auszuschließen, daß sie deshalb, wie geltend gemacht, von einem ergänzenden Vortrag zum Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG abgesehen haben. Dabei ist nach § 138 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht zu prüfen, ob der Gehörsverstoß zu einer konkreten Benachteilung in der Sache geführt hat (vgl. BVerwG, Beschluß vom 21. Dezember 1993, a.a.O.). Es ist zudem für die Entscheidung auch ohne Belang, daß die irreführende Anhörungsmitteilung nach den Ausführungen des Berufungsgerichts in seinem Nichtabhilfebeschluß auf einem "Büroversehen" beruhte, weil sie der korrekten Verfügung des Vorsitzenden nicht entsprach. Denn der zur Aufhebung der berufungsgerichtlichen Entscheidung führende Verfahrensfehler hat seine Ursache in der objektiven Erklärungswirkung der Anhörungsmitteilung aus Sicht der Beteiligten ohne Rücksicht auf ein etwaiges Verschulden des Gerichts. Eine der Berufung in vollem Umfang stattgebende Entscheidung wäre hiernach nur nach einer erneuten - korrekten - Anhörungsmitteilung zulässig gewesen.
Ende der Entscheidung
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