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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 16.06.1999
Aktenzeichen: BVerwG 9 B 1084.98
Rechtsgebiete: VwGO, EMRK
Vorschriften:
VwGO § 130 a | |
EMRK Art. 6 Abs. 1 |
Die Anordnung und Durchführung einer Beweisaufnahme sowie die Anberaumung eines - später wieder aufgehobenen - Termins zur mündlichen Verhandlung stehen einer Entscheidung durch Beschluß nach § 130 a VwGO nicht entgegen.
Beschluß des 9. Senats vom 16. Juni 1999 - BVerwG 9 B 1084.98 -
I. VG Regensburg vom 25.11.1997 - Az.: VG RN 11 K 97.30082 - II. OVG München vom 14.09.1998 - Az.: OVG 20 B 98.30400 -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS
BVerwG 9 B 1084.98 VGH 20 B 98.30400
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 16. Juni 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Seebass, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14. September 1998 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe:
Die auf alle Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen teilweise nicht vor, teilweise sind sie nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt.
Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam,
"ob auch dann, wenn
a) im konkreten Verfahren bereits Beweis erhoben wurde und
b) bereits Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt worden war,
das Gericht trotzdem durch Beschluß nach § 130 a VwGO entscheiden darf" (I.3 der Beschwerdebegründung).
Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung der Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung, daß eine im Rechtsstreit entscheidungserhebliche Rechtsfrage aus Gründen der Einheit des Rechts - einschließlich einer gebotenen Rechtsfortentwicklung - eine höchstrichterliche Klärung erfordert. An einer solchen Klärungsbedürftigkeit fehlt es nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts dann, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Interpretation auch außerhalb eines Revisionsverfahrens beantworten läßt (vgl. etwa Beschluß vom 30. Dezember 1994 - BVerwG 4 B 265.94 - NVwZ 1995, 695; Beschluß vom 27. August 1996 - BVerwG 8 B 165.96 - Buchholz 401.1 § 7 h EStG Nr. 1, jeweils m.w.N.). So liegt es hier.
Nach § 130 a Satz 1 VwGO kann das Oberverwaltungsgericht über die Berufung durch Beschluß entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Von weiteren Voraussetzungen ist die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im vereinfachten Berufungsverfahren nicht abhängig. Auch die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung, der später wieder abgesetzt wird, und die Anordnung und Durchführung einer Beweisaufnahme stehen einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht entgegen (so auch Meyer-Ladewig, in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 130 a Rn. 6; Happ, in: Eyermann, VwGO, 10. Auflage 1998, § 130 a Rn. 6; Kopp/Schenke, VwGO, 11. Auflage 1998, § 130 a Rn. 7; ebenso für den Fall einer im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme durch Augenschein BVerwG, Beschluß vom 12. März 1999 - BVerwG 4 B 112.98 - sowie BSG, Beschluß vom 13. Oktober 1993 - 2 BU 79.93 - NZS 1994, 190 zu § 153 SGG). Die in Art. 2 § 5 Abs. 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 (BGBl I S. 446 - EntlG) enthaltene zeitliche Grenze für eine Entscheidung im vereinfachten Berufungsverfahren - "bis zur Anberaumung der mündlichen Verhandlung und bis zur Anordnung der Beweiserhebung"- hat der Gesetzgeber bei der Neufassung der Regelung in § 130 a VwGO durch das 4. Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 17. Dezember 1990 (BGBl I S. 2809) nicht übernommen. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung heißt es zu § 130 a VwGO (BTDrucks 11/7030, S. 31 f.):
"§ 130 a übernimmt die für die Entlastung der Oberverwaltungsgerichte besonders bedeutsame Vorschrift des Art. 2 § 5 VGFGEntlG in Dauerrecht und vereinfacht sie zugleich. Wie bisher wird dem Oberverwaltungsgericht die Möglichkeit gegeben, eine Berufung durch Beschluß zurückzuweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die zeitliche Begrenzung, innerhalb derer ein Beschluß nach Art. 2 § 5 VGFGEntlG ergehen kann, wird nicht übernommen, weil sie sich als nicht praxisgerecht erwiesen hat (vgl. auch § 84 - Art. 1 Nr. 15). ... Ebenso wie der Gerichtsbescheid für die erste Instanz hat sich auch die Möglichkeit der Berufungszurückweisung durch Beschluß als außerordentlich wirkungsvolle Entlastungmaßnahme bewährt. Die Regelung gibt den Oberverwaltungsgerichten das notwendige Instrument an die Hand, um eindeutig aussichtslose Berufungen rasch und ohne unangemessenen Verfahrensaufwand zu erledigen."
Der Wegfall der entsprechenden zeitlichen Begrenzung für die Entscheidung durch Gerichtsbescheid wurde wie folgt begründet (BTDrucks 11/7030, S. 26):
"In der Praxis hat sich gezeigt, daß sich die Erledigung einer Streitsache durch Gerichtsbescheid nicht selten auch dann noch als sachgerecht anbietet, wenn bereits eine mündliche Verhandlung oder eine Beweiserhebung stattgefunden hat."
Hiernach ist die Zurückweisung der Berufung durch Beschluß ebenso wie die Entscheidung durch Gerichtsbescheid auch dann zulässig, wenn sich erst im Laufe des Verfahrens, z.B. aufgrund einer Beweiserhebung ergibt, daß die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Die Neufassung des § 130 a VwGO durch das 6. Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 1. November 1996 (BGBl I S. 1626) hat hieran nichts geändert. Der Anwendungsbereich des § 130 a VwGO ist nicht eingeschränkt, sondern erweitert worden (vgl. Beschluß vom 24. Februar 1998 - BVerwG 9 B 831.97 - Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 22). Das Oberverwaltungsgericht kann über die Berufung nunmehr auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet hält.
Diese Auslegung des § 130 a VwGO ist mit höherrangigem Recht, insbesondere mit Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG, vereinbar. Das Anhörungsverfahren stellt sicher, daß die Beteiligten sich zu allen tatsächlichen und rechtlichen Fragen äußern, Beweisanträge stellen und zur Absicht des Gerichts, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, Stellung nehmen können (vgl. Beschluß vom 10. April 1992 - BVerwG 9 B 142.91 - Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 5; Beschluß vom 31. Januar 1996, a.a.O.; BSG, Beschluß vom 13. Oktober 1993, a.a.O.).Allerdings entbindet die Zulässigkeit einer Entscheidung nach § 130 a VwGO nicht ohne weiteres von der Pflicht, bei einer vorherigen Beweiserhebung gegebenenfalls einen Beweistermin durchzuführen, wenn dies - wie etwa bei der Vernehmung von Zeugen oder der Einnahme von Augenschein - im Hinblick auf die Grundsätze der Unmittelbarkeit und der Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme geboten ist (§ 97 VwGO, vgl. auch Beschluß des Senats vom 31. Januar 1996 - BVerwG 9 B 417.95 - Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 15 = NVwZ 1996, 1102). Dies berührt indes nicht die Möglichkeit, nach prozeßordnungsgemäß durchgeführter Beweisaufnahme bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 130 a VwGO im Beschlußwege zu entscheiden.
Die von der Beschwerde gerügte Abweichung der Berufungsentscheidung von dem Beschluß des Senats vom 31. Januar 1996 a.a.O. (I.2 der Beschwerdebegründung) ist nicht dargetan. Den von der Beschwerde behaupteten Rechtssatz, daß die früher zu Art. 2 § 5 I EntlG aufgestellten Grundsätze auf § 130 a VwGO uneingeschränkt übertragbar seien und deshalb das vereinfachte Beschlußverfahren nur bis zur Anberaumung einer mündlichen Verhandlung und bis zur Beweiserhebung zulässig sei, hat der Senat in diesem Beschluß nicht aufgestellt. Vielmehr hat er entschieden, daß auch die Beiziehung und Einführung einer größeren Anzahl neuerer Erkenntnismittel sowie deren Verwertung im Wege des Urkundsbeweises einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im vereinfachten Berufungsverfahren schon nach bisheriger Rechtslage nicht entgegenstanden und dies auch für den neuen § 130 a VwGO gelte. Die Frage, ob das Oberverwaltungsgericht im vereinfachten Berufungsverfahren nach § 130 a VwGO auch befugt ist, über die Verwertung bereits vorliegender und in das Verfahren eingeführter Erkenntnisquellen hinaus Beweise zu erheben und zu verwerten, hat der Senat in dem genannten Beschluß offengelassen. Die gerügte Abweichung kann mithin nicht vorliegen.
Auch der von der Beschwerde als Verfahrensmangel geltend gemachte Verstoß gegen § 130 a VwGO (I.1 der Beschwerdebegründung) liegt nicht vor. Soweit sie rügt, daß schon wegen der vorherigen Einholung einer Auskunft des Auswärtigen Amtes und der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung nicht durch Beschluß nach § 130 a VwGO hätte entschieden werden dürfen, ergibt sich dies aus den vorstehenden Ausführungen zur Grundsatzbedeutung. Daß die Entscheidung durch Beschluß aus sonstigen Gründen verfahrensfehlerhaft ist, zeigt die Beschwerde nicht auf. Ob das Berufungsgericht den ihm nach § 130 a VwGO eröffneten Weg beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar ist (Beschluß vom 10. April 1992, a.a.O.). Anhaltspunkte für derartige Ermessensfehler lassen sich der Beschwerde nicht entnehmen. Der Kläger hat auf die Anhörungsmitteilung des Berufungsgerichts hin lediglich zur gleichzeitig übersandten Auskunft des Auswärtigen Amtes, nicht aber zur Erforderlichkeit einer mündlichen Verhandlung Stellung genommen. Den Kläger persönlich anzuhören, mußte sich dem Berufungsgericht schon deshalb nicht aufdrängen, weil es eine Rückkehrgefährdung im Falle des Klägers auch unabhängig von den Zweifeln an dessen Glaubwürdigkeit verneint hat (BA S. 24). Der von der Beschwerde weiter geltend gemachte Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK liegt schon deshalb nicht vor, weil diese Bestimmung bei asyl- und ausländerrechtlichen Streitigkeiten der vorliegenden Art nicht anwendbar ist (vgl. Beschlüsse vom 8. Mai 1998 - BVerwG 9 B 404.98 - und vom 15. Februar 1999 - BVerwG 9 B 520.98 - sowie Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, Einleitung, Rn. 135; Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, 2. Auflage, Art. 6 Rn. 52 mit Fn. 196 und 198; zur Vereinbarkeit des vereinfachten Berufungsverfahrens nach § 130 a VwGO mit Art. 6 Abs. 1 EMRK im übrigen vgl. Beschluß vom 12. März 1999 - BVerwG 4 B 112.98 -).
Die von der Beschwerde schließlich geltend gemachte Abweichung der Berufungsentscheidung von den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. April 1985 (BVerwG 9 C 109.84 - BVerwGE 71, 180) und vom 20. November 1990 (BVerwG 9 C 72.90 - BVerwGE 87, 141; II. der Beschwerdebegründung) ist nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt. Es fehlt bereits an der Benennung eines die Entscheidung des Berufungsgerichts tragenden Rechtssatzes, der einem in den genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Rechtssatz zu den Anforderungen an die Überzeugungsbildung widerspricht. Die volle Überzeugung von der Glaub- oder Unglaubwürdigkeit des Klägers mußte sich das Berufungsgericht entgegen der Auffassung der Beschwerde im übrigen - wie bereits dargelegt - schon deshalb nicht verschaffen, weil es hierauf nach seiner insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung nicht ankam (BA S. 24).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Ende der Entscheidung
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