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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 10.11.2009
Aktenzeichen: BVerwG 9 B 28.09
Rechtsgebiete: Habitatrichtlinie, BNatSchG, NNatG


Vorschriften:

Habitatrichtlinie Art. 1 Buchst. a
Habitatrichtlinie Art. 6 Abs. 3
Habitatrichtlinie Art. 6 Abs. 4
BNatSchG § 10 Abs. 1 Nr. 9
BNatSchG § 34 Abs. 1
BNatSchG § 34 Abs. 2
NNatG § 34c Abs. 2
1. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Projekt ein FFH-Gebiet in seinen für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen durch betriebsbedingte Schad- und Nährstoffeinträge i.S.v. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL, § 34 Abs. 2 BNatSchG erheblich beeinträchtigen kann, sind gleichartige Belastungen aus anderen Quellen (Vor-/Hintergrundbelastung) zu berücksichtigen.

2. Schöpft bereits die Vorbelastung die Belastungsgrenze aus oder überschreitet sie diese sogar, so läuft prinzipiell jede Zusatzbelastung dem Erhaltungsziel zuwider und ist deshalb erheblich i.S.v. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL, § 34 Abs. 2 BNatSchG (hier auch zu Ausnahmen).


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 9 B 28.09

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 10. November 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte und Domgörgen

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 11. September 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10 225,84 € festgesetzt.

Gründe:

Die auf den Zulassungsgrund grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde ist unbegründet. Sie wirft keine Rechtsfragen des revisiblen Rechts von fallübergreifender Bedeutung auf, die der Klärung in einem Revisionsverfahren bedürften.

1. Die Beschwerde will zunächst die folgende Frage geklärt wissen:

"Ist es rechtlich zulässig oder geboten, bei der Beurteilung der Frage, ob ein Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen eines FFH-Gebietes in seinen für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen (hier eines prioritären Kalk-Trockenrasens <LRT 6210*>) im Sinne von § 34 Abs. 2 BNatSchG, § 34c Abs. 2 NNatG führen kann, durch das Projekt verursachte betriebsbedingte Schad- und Nährstoffeinträge (hier durch eutrophierende Stickoxide) mit der vorhandenen gleichartigen Schad- und Nährstoffvorbelastung aus anderen Quellen zu summieren?"

Diese Frage lässt sich anhand der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne Weiteres beantworten. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL und § 34 Abs. 1 und 2 BNatSchG fordern zwar einen projektbezogenen Prüfungsansatz; zu beurteilen sind die Auswirkungen des jeweiligen konkreten Vorhabens. Diese Beurteilung kann aber nicht losgelöst von dem Zustand des zu schützenden Gebietsbestandteils und der Einwirkungen, denen dieser im Übrigen unterliegt, vorgenommen werden. Maßstab für die Erheblichkeit von Gebietsbeeinträchtigungen sind die für das Gebiet maßgeblichen Erhaltungsziele (Urteil vom 17. Januar 2007 - BVerwG 9 A 20.05 - BVerwGE 128, 1 Rn. 41), also die Festlegungen zur Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der in einem FFH-Gebiet vorkommenden Lebensräume und Arten nach den Anhängen I bzw. II der Habitatrichtlinie (§ 10 Abs. 1 Nr. 9 BNatSchG). Eine an den Erhaltungszielen orientierte Prüfung ist jedoch nicht möglich, ohne neben den vorhabenbedingten Einwirkungen auch Einwirkungen in den Blick zu nehmen, denen der geschützte Lebensraum oder die geschützte Art von anderer Seite unterliegt. So kann eine Vorbelastung bereits zu Vorschädigungen führen, die einen verschlechterten Erhaltungszustand zur Folge haben. Sie kann aber auch Auswirkungen nach sich ziehen, die von dem Lebensraum oder der Art noch ungeschädigt verkraftet werden, die jedoch deren Fähigkeit, Zusatzbelastungen zu tolerieren, einschränken oder ausschließen. Daher liegt es auf der Hand, dass für eine am Erhaltungsziel orientierte Beurteilung der projektbedingten Zusatzbelastung die Berücksichtigung der Vorbelastung unverzichtbar ist. Dementsprechend hat der Senat in seinem Urteil vom 17. Januar 2007 (a.a.O. Rn. 108) den Einwand, bereits die Vorbelastung bewege sich in einem kritischen Bereich, für beachtlich gehalten und dazu ausgeführt, dass ein aufgrund der Vorbelastung aktuell ungünstiger Erhaltungszustand keine zusätzliche Beeinträchtigung rechtfertige. Ebenso ist in dem Senatsurteil vom 12. März 2008 - BVerwG 9 A 3.06 - (Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 30 Rn. 111 ff.) die Vorbelastung der Beurteilung projektbedingter Zusatzbelastungen durch Stickstoffdeposition zu Grunde gelegt worden.

2. Darüber hinaus wirft die Beschwerde folgende Fragen auf:

"Führt eine zusätzliche Belastung eines Lebensraumtyps (hier eines prioritären Kalk-Trockenrasens <LRT 6210*>) mit Schad- und Nährstoffeinträgen (hier eutrophierende Stickoxide) durch ein Vorhaben zur Unzulässigkeit des Vorhabens nach § 34 Abs. 2 BNatSchG, § 34c Abs. 2 NNatG, wenn der maßgebliche critical-load-Wert für den Lebensraumtyp bereits durch die vorhandene Vorbelastung mit gleichartigen Schad- und Nährstoffeinträgen aus anderen Quellen überschritten oder erreicht wird und die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes des Lebensraumtyps nicht Erhaltungsziel des FFH-Gebiets ist?

Führt jegliche zusätzliche Belastung eines Lebensraumtyps (hier eines prioritären Kalk-Trockenrasens <LRT 6210*>) mit Schad- und Nährstoffeinträgen (hier eutrophierende Stickoxide) durch ein Vorhaben zur Unzulässigkeit des Vorhabens nach § 34 Abs. 2 BNatSchG, § 34c Abs. 2 NNatG, wenn der maßgebliche critical-load-Wert für den Lebensraumtyp bereits durch die vorhandene Vorbelastung mit gleichartigen Schad- und Nährstoffeinträgen aus anderen Quellen überschritten oder erreicht wird und die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands Erhaltungsziel des FFH-Gebiets ist?"

Die erste dieser Fragen wäre in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, weil sie nicht dem von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt entspricht. Im angefochtenen Urteil wird ausdrücklich festgestellt, für das betroffene FFH-Gebiet bestehe das Erhaltungsziel, den Lebensraumtyp 6210 in prioritärer Ausprägung zu erhalten und zu fördern (UA S. 20). Zum einen lässt sich unter die Förderung eines günstigen Erhaltungszustands ohne Weiteres auch - und in erster Linie - dessen Wiederherstellung fassen. Zum anderen schließt die Erhaltung - worauf der Kläger bereits in seiner Beschwerdeerwiderung hingewiesen hat - nach der Definition des Art. 1 Buchst. a FFH-RL Maßnahmen zur Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands eines natürlichen Lebensraums oder einer Art bereits begrifflich ein.

Dem trägt zwar die zweite Fragestellung Rechnung. Soweit sie einen rechtlichen Gehalt aufweist, lässt sie sich aber ohne Weiteres anhand des - wie ausgeführt - bereits geklärten Erheblichkeitsmaßstabs beantworten. Kommt es für die Erheblichkeit einer Beeinträchtigung darauf an, ob diese dem Erhaltungsziel zuwiderläuft, so ist grundsätzlich jede Überschreitung eines Wertes, der die Grenze der nach naturschutzfachlicher Einschätzung für das Erhaltungsziel unbedenklichen Auswirkungen bestimmter Art markiert, als erheblich anzusehen. Critical Loads sind als naturwissenschaftlich begründete Belastungsgrenzen in diesem Sinne zu verstehen; sie sollen die Gewähr dafür bieten, dass an dem Schutzgut auch langfristig keine signifikant schädlichen Effekte auftreten (vgl. Urteil vom 12. März 2008 a.a.O. Rn. 108). Schöpft bereits die Vorbelastung die Belastungsgrenze aus oder überschreitet sie diese sogar, so folgt daraus, dass prinzipiell jede Zusatzbelastung dem Erhaltungsziel zuwiderläuft und deshalb erheblich ist, weil sie die kritische Grenze überschreitet oder schon mit der Vorbelastung verbundene Schadeffekte verstärkt.

Allerdings sind Fallgestaltungen vorstellbar, in denen Hintergrundbelastungen oberhalb der Critical Loads zum Verschwinden hochempfindlicher lebensraumtypischer Arten geführt haben, der Lebensraum sich aufgrund des verbliebenen, die Vorbelastung dauerhaft verkraftenden Artenspektrums aber immer noch in einem günstigen Erhaltungszustand befindet. Kann sich daran auch durch eine projektbedingte Zusatzbelastung nichts ändern, weil das verbliebene Artenspektrum auch die Gesamtbelastung schadlos zu tolerieren vermag, so ist die Zusatzbelastung mit dem Erhaltungsziel ausnahmsweise verträglich. Ob solche Fallgestaltungen tatsächlich vorkommen und wann sie konkret gegeben sind, ist nicht nach rechtlichen, sondern nach naturschutzfachlichen Maßstäben zu beurteilen.

Unabhängig davon steht, wie der Senat mit Urteil vom 12. März 2008 (a.a.O. Rn. 124) entschieden hat, auch die festgestellte Zielunverträglichkeit unter einem Bagatellvorbehalt, der seine Rechtfertigung im gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 3 EG) findet. Wenngleich der Senat diesen Vorbehalt in der zitierten Entscheidung in erster Linie auf direkte Flächenverluste bezogen hat, handelt es sich doch um einen allgemeinen Gedanken, der auf sonstige Beeinträchtigungen in gleicher Weise Anwendung finden kann (vgl. für Stickstoffdepositionen a.a.O. Rn. 113). So mögen Zusatzbelastungen, die eine den als maßgeblich zugrunde gelegten Critical-Load-Wert ausschöpfende oder überschreitende Vorbelastung nur gering anheben, noch als Bagatelle zu werten sein, wenn davon eine Fläche des geschützten Lebensraumtyps betroffen ist, die sowohl absolut als auch in Relation zur Gesamtfläche dieses Lebensraumtyps im Schutzgebiet ohne Bedeutung ist. Was als Bagatelle angesehen werden kann, ist indessen eine zuvörderst naturschutzfachliche Frage und kann daher nicht in einem Revisionsverfahren geklärt werden.

Dass das Oberverwaltungsgericht sich mit dem Bagatellgedanken nicht auseinandergesetzt hat, rechtfertigt für sich genommen nicht die Zulassung der Revision. Dies gilt umso mehr, als der Streitfall dazu keinen Anlass bot; nach den Feststellungen der Vorinstanz war der angesetzte kritische Belastungswert nämlich auf einer Fläche beträchtlichen Umfangs um mehr als zehn Prozent überschritten. Einen fachwissenschaftlichen Konsens, Belastungen dieser Größenordnung als vernachlässigbar anzusehen, hat der Beklagte selbst nicht behauptet.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 52 Abs. 1, § 47 GKG.

Ende der Entscheidung

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