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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 09.07.2008
Aktenzeichen: BVerwG 9 B 74.07
Rechtsgebiete: BauGB, HessGO


Vorschriften:

BauGB § 132 Nr. 4
HessGO §§ 5 ff.
HessGO § 51 Nr. 6
Aus den bundesrechtlichen Vorgaben des Erschließungsbeitragsrechts (§ 132 Nr. 4 BauGB) ergibt sich kein Rechtssatz, dass eine Abweichungssatzung das rechtliche Schicksal der bei ihrem Erlass gültigen und von ihr in Bezug genommenen (allgemeinen) Erschließungsbeitragssatzung in der Weise teilt, dass die Außerkraftsetzung der allgemeinen Satzung auch die Aufhebung der Abweichungssatzung impliziert. Die Auffassung, dass sich dies nach dem im konkreten Einzelfall zu ermittelnden Revisionswillen des sein Ortsrecht ändernden Satzungsgebers richtet, ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 9 B 74.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 9. Juli 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Buchberger

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. August 2007 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beklagte.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 11 756,46 € festgesetzt.

Gründe:

I

Die Beschwerde betrifft eine Erschließungsbeitragsforderung. Die beklagte Stadt hatte in Abweichung von der Erschließungsbeitragssatzung aus dem Jahr 1977 (EBS 1977) im Jahr 1982 eine Abweichungssatzung erlassen, wonach bei der Erschließungsanlage "Im Bienenfang" das in der EBS 1977 bestimmte Herstellungsmerkmal "beiderseitige Gehwege" entfalle. Im Jahr 1987 erließ sie eine neue Erschließungsbeitragssatzung (EBS 1987), die die EBS 1977 außer Kraft setzte, allerdings hinsichtlich der Herstellungsmerkmale mit dieser inhaltsgleich war. Die Vorinstanz (vgl. KStZ 2007, 238 ff.) hat den Erschließungsbeitragsbescheid wegen Ablaufs der Festsetzungsverjährungsfrist aufgehoben. Sie hat angenommen, dass die Abweichungssatzung aus dem Jahr 1982 nicht als Folge der Aufhebung der EBS 1977 durch die EBS 1987 unwirksam geworden sei. Sie sei der Sache nach eine Maßnahmesatzung, die für eine konkrete Erschließungsanlage hinsichtlich eines bestimmten Herstellungsmerkmals i.S.v. § 132 Nr. 4 BauGB/BBauG einen von der allgemeinen Erschließungsbeitragssatzung abweichenden Willen des Satzungsgebers kundtue. Die Ersetzung der allgemeinen Erschließungsbeitragssatzung durch eine - hinsichtlich der Herstellungsmerkmale inhaltsgleiche - neue Regelung lasse diesen abweichenden Willen des Satzungsgebers regelmäßig unberührt. Die gegenteilige Auffassung des OVG Münster (Urteil vom 26. Juli 1991 - 3 A 910/91 - Gemhlt 1992, 212 <215>), wonach eine (unselbstständige) Abweichungssatzung sich ausschließlich auf die bei ihrem Inkrafttreten geltende Erschließungsbeitragssatzung beziehe und keine Wirkung für künftige Satzungen entfalte, werde mit ihrer formalen Betrachtung dem Charakter der Abweichungssatzung als Ausdruck der Konkretisierung eines bestimmten Planungswillens der Gemeinde nicht gerecht. Dass sich die Abweichungssatzung auf die bei ihrem Inkrafttreten geltende Erschließungsbeitragssatzung beziehe, sei dem Gebot der Normenklarheit geschuldet, erlaube aber keine Rückschlüsse auf den Revisionswillen des Satzungsgebers im Falle einer Satzungsänderung. Es gebe keinen allgemeinen Rechtssatz, dass eine Abweichungssatzung das rechtliche Schicksal der allgemeinen Satzung teile mit der Folge, dass die Außerkraftsetzung der allgemeinen Satzung auch die Aufhebung der Abweichungssatzung impliziere. Etwas anderes gelte nur, wenn der Satzungsgeber seinen Revisionswillen auch im Hinblick auf die Maßnahmesatzung konkret zum Ausdruck bringe. Dafür sei hier nichts ersichtlich. Im Gegenteil habe der Satzungsgeber in der EBS 1987 neben der EBS 1977 drei ausdrücklich genannte Änderungssatzungen außer Kraft gesetzt; dementsprechend sei die Abweichungssatzung aus 1982 von seinem Revisionswillen ausgenommen. Anders verhielte es sich nur, wenn die Gemeinde mit der Inkraftsetzung der EBS 1987 zugleich neue abweichende Merkmale der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage bestimmt hätte.

II

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO) gestützte Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.

1. Die Beklagte hält folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig:

"Bezieht sich eine Abweichungssatzung ausschließlich auf die bei ihrem Inkrafttreten geltende (allgemeine) Erschließungsbeitragssatzung oder entfaltet sie auch Wirkung für künftige Erschließungsbeitragssatzungen?"

Diese Frage, die die Beschwerde im Sinne der ersten Alternative bejaht wissen möchte, kann nicht zur Zulassung der Revision führen, weil sich ihre Beantwortung nicht nach Bundesrecht richtet und daher einer revisionsgerichtlichen Beurteilung entzogen ist (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Zwar bestimmt Bundesrecht, dass die Gemeinden durch Satzung die Merkmale der endgültigen Herstellung einer Erschließungsanlage regeln (§ 132 Nr. 4 BauGB). Wie die Gemeinde gültiges Ortsrecht setzt, namentlich welche formellen Anforderungen sie dabei zu beachten hat, wie früheres Satzungsrecht durch neues abgelöst wird und wie verschiedene Satzungen zueinander stehen, richtet sich dagegen nach irrevisiblem Landesrecht (vgl. hier §§ 5 ff., § 51 Nr. 6 HessGO) und dem ebenfalls zum Landesrecht gehörigen Ortsrecht, das sich die Gemeinde selbst gegeben hat (Hauptsatzung, Bekanntmachungssatzung), sowie dessen Auslegung. All dies ist grundsätzlich nicht revisibel (vgl. auch Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeitragsrecht, 8. Aufl. 2007, § 11 Rn. 2 und 68, auch zur Pflicht zur bundesrechtskonformen Auslegung). Danach lässt sich aus der bundesrechtlichen Vorgabe des § 132 Nr. 4 BauGB kein Rechtssatz des Inhalts entnehmen, dass eine Abweichungssatzung das rechtliche Schicksal der bei ihrem Erlass gültigen und von ihr in Bezug genommenen Erschließungsbeitragssatzung in der Weise teilt, dass die Außerkraftsetzung der Erschließungsbeitragssatzung auch die Aufhebung der Abweichungssatzung impliziert. Die Auffassung, dass sich dies nach dem - im konkreten Einzelfall zu ermittelnden - Revisionswillen des sein Ortsrecht ändernden Satzungsgebers richtet, ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden (ebenso Driehaus, a.a.O. § 11 Rn. 51).

Die von der Beschwerde formulierte Frage wird auch nicht dadurch zu einer Frage des revisiblen Rechts, wenn man sie dahin versteht, dass damit eine allgemeine Auslegungsregel beschrieben werden soll, wonach eine Rechtsnorm, die sich auf eine andere Rechtsnorm bezieht (hier: die Abweichungs- auf die Erschließungsbeitragssatzung), stets das Schicksal der in Bezug genommenen Norm teilt, mithin bei Außerkraftsetzung der in Bezug genommenen Norm automatisch, ohne gesonderten Rechtsakt, sondern allein aus Gründen ihrer Akzessorietät, ebenfalls außer Kraft tritt oder nichtig wird.

Gäbe es eine solche Auslegungsregel, wäre sie im Streitfall jedenfalls nicht dem Bundesrecht zuzuordnen. Denn Auslegungsregeln und allgemeine Grundsätze über die Auslegung von Rechtsvorschriften sind dem Bundesrecht nur zuzuordnen, wenn und soweit sie der Anwendung von Bundesrecht dienen. Sie sind dagegen Teil des revisionsgerichtlicher Prüfung grundsätzlich nicht unterliegenden Landesrechts, wenn und soweit es sich - wie hier - um ihre Anwendung im Rahmen von Landesrecht handelt. Eine generelle Zuordnung von Auslegungsregeln zum Bundesrecht würde dazu führen, dass jede Fehlauslegung irrevisiblen Rechts, die letztlich immer auf der Verletzung von irgendwelchen Auslegungsgrundsätzen beruhen muss, eben wegen dieser Verletzung als ein Verstoß gegen Bundesrecht deklariert und damit revisibel gemacht werden könnte (Beschlüsse vom 7. Januar 2008 - BVerwG 9 B 81.07 - NVwZ 2008, 337 <338> und vom 30. August 1972 - BVerwG 7 B 43.71 - Buchholz 310 § 137 VwGO Nr. 53 S. 19; Eichberger, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 137 Rn. 69 m.w.N.).

2. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist nicht den Anforderungen entsprechend dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Denn die Beschwerde benennt keinen inhaltlich bestimmten, das angefochtene Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz, den sie den von ihr angeführten drei Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts gegenüberstellt, von dem die Vorinstanz nach ihrer Ansicht abgewichen sein soll (zu diesem Erfordernis vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14).

Die Vorinstanz geht aus von der von ihr zutreffend wiedergegebenen und nicht in Frage gestellten ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach bei der Frage, ob ein zu unterschiedlichen Zeiten hergestellter Straßenzug eine einzelne Erschließungsanlage darstellt oder aus mehreren Anlagen besteht, grundsätzlich auf das durch die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Entstehens sachlicher Beitragspflichten geprägte Erscheinungsbild abzustellen ist. Ausnahmsweise - und diese Konstellation hat die Vorinstanz im Streitfall angenommen - sei eine Straßenstrecke jedoch dann als selbstständige Erschließungsanlage einzustufen, wenn sie eine vorhandene Erschließungsanlage nach deren endgültiger Herstellung und dem Entstehen sachlicher Beitragspflichten verlängert (vgl. die Urteile vom 5. Oktober 1984 - BVerwG 8 C 41.83 - Buchholz 406.11 § 135 BBauG Nr. 26 S. 30 <33> und vom 18. Mai 1990 - BVerwG 8 C 80.88 - Buchholz 406.11 § 127 BBauG/ BauGB Nr. 61 S. 59 <62>, jeweils m.w.N.; Driehaus, a.a.O., § 12 Rn. 11, 16). Die von der Beschwerde zitierte Passage des Berufungsurteils und die anschließende Subsumtion dienen der Begründung, warum die Vorinstanz im Streitfall die erwähnte Ausnahmesituation für gegeben erachtet. Der Vorwurf der Beschwerde, bei Anwendung der von ihr zitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts hätte das Berufungsgericht zu einem anderen Ergebnis gelangen müssen, geht unzutreffender Weise davon aus, dass es sich um vergleichbare Fallkonstellationen handelte und belegt im Übrigen, dass die Beschwerde in Wahrheit allein eine fehlerhafte bzw. unterbliebene Rechtsanwendung höchstrichterlicher Rechtsprechung im Einzelfall rügt. Damit ist eine Divergenz i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht dargetan (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O.).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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