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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 19.03.2009
Aktenzeichen: BVerwG 9 C 10.08
Rechtsgebiete: BauGB, KAG


Vorschriften:

BauGB § 133 Abs. 3
KAG § 3 Abs. 1
Die in § 133 Abs. 3 Satz 2 BauGB angeordnete Verrechnung mit dem endgültigen Erschließungsbeitrag (mit Tilgungswirkung) erfolgt nur bei einer tatsächlich erbrachten Vorausleistung, nicht dagegen bei einem Erlöschen der Vorausleistungsforderung infolge Eintritts der Zahlungsverjährung.
In der Verwaltungsstreitsache

...

hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts

am 19. März 2009

durch

den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost,

den Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen,

die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Buchberger und

die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Christ und Prof. Dr. Korbmacher

ohne mündliche Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 14. August 2008 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen die Kläger als Gesamtschuldner.

Gründe:

I

Die Kläger wenden sich gegen die Erhebung eines Erschließungsbeitrags. Mit Bescheid vom 9. Dezember 1983 waren sie von der Beklagten zu einer Vorausleistung auf den künftigen Erschließungsbeitrag für die Herstellung der Straße "Rheinblick", an die ihr mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück angrenzt, in Höhe von (umgerechnet) 6 509,15 EUR herangezogen worden. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Die Kläger zahlten nicht, die Beklagte unternahm auch keine Versuche zur Beitreibung des Betrages.

Nach endgültiger Herstellung der Straße setzte die Beklagte mit Bescheid vom 6. Dezember 2005 den auf das Grundstück der Kläger entfallenden Erschließungsbeitrag auf 10 708,03 EUR fest. Nach erfolglosem Widerspruch erhoben die Kläger Anfechtungsklage, soweit darin ein über die Differenz zur Vorausleistung hinausgehender Beitrag (mithin mehr als 4 198,88 EUR) festgesetzt wurde. Zur Begründung machten sie geltend, ihre Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag sei insoweit rechtswidrig, als die wegen Verjährung erloschene Vorausleistungsforderung aus dem Bescheid vom 9. Dezember 1983 nicht berücksichtigt worden sei. Ebenso wie die Zahlung einer Vorausleistung bewirke auch der Eintritt der Zahlungsverjährung, dass die endgültige Beitragsschuld mit ihrer Entstehung getilgt sei.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung mit dem angefochtenen Urteil (VBlBW 2009, 28 f.) zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Heranziehung der Kläger beruhe auf den im Streitfall gemäß § 49 Abs. 7 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes des Landes Baden-Württemberg vom 17. März 2005 (GBl S. 206) - KAG BW 2005 - noch anzuwendenden §§ 131, 133 BauGB i.V.m. der Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten. Der von den Klägern allein erhobene Einwand, der Erschließungsbeitrag sei in Höhe der zahlungsverjährten Vorausleistungsforderung erloschen, gehe fehl. Zwar sei hinsichtlich der von der Beklagten geforderten Vorausleistungsforderung gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 5a KAG BW (sowohl in der beim Erlass des Bescheides geltenden Fassung vom 15. Februar 1982, GBl S. 57 - KAG BW 1982 -, wie in der Fassung des KAG BW 2005) i.V.m. §§ 228, 229 AO inzwischen Zahlungsverjährung eingetreten. Unter "Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis" i.S.v. § 228 AO fielen auch Vorausleistungsansprüche. Diese seien zwar in § 37 Abs. 1 AO nicht eigens genannt, doch würden sie im Bereich der Abgabenordnung als eine durch die Festsetzung der Jahressteuerschuld auflösend bedingte Steuerschuld angesehen und seien ebenfalls zu den Steueransprüchen i.S.v. § 37 Abs. 1 AO zu rechnen. Die Vorausleistungsforderung aus dem Bescheid vom 9. Dezember 1983 sei daher nach Verstreichen der mit Ablauf des Jahres 1983 begonnenen fünfjährigen Verjährungsfrist als zahlungsverjährt anzusehen und gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2b KAG BW i.V.m. § 47 AO erloschen. Das Erlöschen des Anspruchs der Beklagten auf die Vorausleistung habe jedoch keine Auswirkungen auf die Beitragsschuld der Kläger. Zwar sei die Vorausleistung gemäß § 133 Abs. 3 Satz 2 BauGB zur Verrechnung mit der endgültigen Beitragsschuld bestimmt und tilge diese in dem Umfang des Vorausleistungsbetrages. Diese Tilgungswirkung trete aber nicht aufgrund des Erlöschens der Vorausleistung in Folge des Eintritts von Zahlungsverjährung, sondern nur mit einer tatsächlich erbrachten Vorausleistung ein.

Die Kläger tragen zur Begründung ihrer Revision vor: Die Beklagte habe die durch den bestandskräftig gewordenen Vorausleistungsbescheid konkret entstandene Vorauszahlungsschuld durch rechtswidriges Unterlassen nicht realisiert und dadurch ihren Anspruch auf teilweise Deckung des Erschließungsaufwandes aufgegeben. Die sich daraus ergebende Belastung müsse sie selbst tragen. Daher sei die endgültige Erschließungsbeitragsforderung im Umfang der erloschenen Beitragsvorausleistungsschuld als getilgt anzusehen.

Die Kläger beantragen,

unter Änderung der Urteile des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 11. Dezember 2007 und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 14. August 2008 den Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 2005 sowie den Widerspruchsbescheid des Landratsamtes Waldshut vom 9. August 2006 insoweit aufzuheben, als der dort festgesetzte Erschließungsbeitrag 4 198,88 EUR übersteigt.

Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 141 Satz 1 VwGO), ist nicht begründet.

Das angefochtene Urteil verstößt nicht gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO).

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Vorauszahlungsforderung aus dem bestandskräftigen, aber nicht vollzogenen Bescheid vom 9. Dezember 1983 zahlungsverjährt und deshalb erloschen sei. Zu diesem Ergebnis ist es in Anwendung und Auslegung von Vorschriften der Abgabenordnung gelangt (§§ 228, 229 sowie § 37 und § 47 AO), die zwar Teil des Bundesrechts sind, aber im Streitfall lediglich über den landesrechtlichen Anwendungsbefehl in § 3 Abs. 1 Nr. 5a bzw. Nr. 2b KAG BW 1982 (wie KAG BW 2005) Geltung beanspruchen, insoweit in das irrevisible Landesrecht inkorporiert werden und daher nicht Maßstab einer revisionsgerichtlichen Überprüfung sein können (stRspr, vgl. zuletzt die Urteile vom 21. Mai 2003 - BVerwG 9 C 12.02 - BVerwGE 118, 201 <203 f.> und vom 20. August 2008 - BVerwG 9 C 9.07 - DVBl 2008, 1506).

Das Berufungsgericht hat weiter entscheidungstragend angenommen, dass eine Erschließungsbeitragsforderung nicht getilgt wird, wenn die entsprechende Vorausleistungsforderung infolge Eintritts der Zahlungsverjährung erloschen ist, sondern nur wenn die Vorausleistung tatsächlich erbracht wurde. Dies steht mit Bundesrecht, namentlich mit § 133 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 BauGB, in Einklang.

Nach dieser Vorschrift ist die Vorausleistung mit der endgültigen Beitragsschuld zu verrechnen. Die damit angeordnete Tilgungswirkung tritt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ipso facto, d.h. ohne dass es hierzu eines Verwaltungsakts bedarf, in dem Zeitpunkt ein, in dem die endgültige sachliche Beitragspflicht (§ 133 Abs. 2 BauGB) für das betreffende Grundstück entsteht (Urteile vom 5. September 1975 - BVerwG 4 CB 75.73 - Buchholz 406.11 § 133 BBauG Nr. 55 S. 20 f. und vom 26. Januar 1996 - BVerwG 8 C 14.94 - Buchholz 406.11 § 133 BauGB Nr. 125 S. 16 f.). Voraussetzung für den Eintritt der Tilgungswirkung ist, dass der Schuldner auch tatsächlich im Voraus geleistet hat. Dies ist in den vorgenannten Entscheidungen bereits zum Ausdruck gebracht, wenn es dort heißt, dass die Verrechnung nur erfolgt, wenn die Vorausleistung von ihrem Schuldner "erbracht" worden ist (Urteil vom 5. September 1975 a.a.O. S. 20 oben, Urteil vom 26. Januar 1996 S. 16). Die Leistung wird in der Regel erbracht durch Zahlung des geschuldeten Betrags (vgl. §§ 224 ff. AO). Dem gleichgestellt ist die Aufrechnung (§ 226 AO). Wenn unter den in § 47 AO genannten Rechtsakten und Ereignissen, die ebenfalls zum Erlöschen der Steuer- bzw. Abgabenschuld führen, auch die Verjährung genannt ist, bezieht sich dies auf die Forderung in dem jeweiligen Steuerverhältnis (bzw. Abgabenverhältnis i.S.v. § 3 Abs. 3 Nr. 2 KAG BW 1982/2005), d.h. es ist zu unterscheiden zwischen der - hinsichtlich ihres Schicksals je gesondert zu betrachtenden - endgültigen Abgabenschuld einerseits (im Streitfall dem Erschließungsbeitrag gemäß § 133 Abs. 2 BauGB) und einer Vorauszahlungsschuld andererseits (der Vorausleistung gemäß § 133 Abs. 3 BauGB).

Entgegen der Ansicht der Kläger tritt die Tilgungswirkung der Vorausleistung nicht ein, wenn die Vorausleistungsforderung infolge Eintritts der Zahlungsverjährung erloschen ist (a.A. ohne nähere Begründung allein Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl. 2007, § 21 Rn. 36). Schon der Wortlaut des § 133 Abs. 3 Satz 2 BauGB bietet dafür keinen Anhaltspunkt. Auch bei wertender Betrachtung unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks der Regelung ist kein Grund für eine Gleichstellung von erbrachter (geleisteter) und (nur) durch Verjährung erloschener Vorausleistung ersichtlich. Die "Tatsache der Vorausleistung", wie das Bundesverwaltungsgericht in den vorgenannten Entscheidungen formuliert hat, d.h. die tatsächlich erbrachte Vorausleistung, wirkt sich im Zeitpunkt des Entstehens der endgültigen Beitragspflicht nicht anders aus als eine zu diesem Zeitpunkt erbrachte Leistung auf die endgültige Beitragsschuld. Der Eintritt dieser Erfüllungswirkung war nur so lange aufgeschoben, wie es noch an dem endgültigen Beitragsanspruch gefehlt hat, dessen Erfüllung sie letztlich dienen sollte (Urteile vom 5. September 1975 a.a.O. S. 20 und vom 26. Januar 1996 a.a.O. S. 17).

Für den Beitragsschuldner ist die Vorauszahlungspflicht lediglich insoweit eine zusätzliche Belastung, als er vorzeitig, d.h. vor Entstehen der sachlichen Beitragspflichten (§ 133 Abs. 2 BauGB), einen Geldbetrag bis zur Höhe des voraussichtlichen endgültigen Erschließungsbeitrags leisten soll. Unterlässt die Gemeinde - aus welchen Gründen auch immer - die zwangsweise Durchsetzung einer festgesetzten Vorausleistung, erspart sie dem Vorausleistungsschuldner diese vorzeitige Belastung und daraus folgende Zinsnachteile. Jedoch ist kein Grund ersichtlich, weshalb der Verzicht auf die vorzeitige Belastung des Beitragsschuldners zur Tilgung und Erfüllung der endgültigen Beitragsschuld führen soll. Ein dahingehendes schutzwürdiges Vertrauen des Beitragsschuldners ist nicht zu erkennen. Dies würde bedeuten, dass er den dauerhaften Erschließungsvorteil, den er durch die hergestellte Erschließungsanlage genießt und der erst mit dem endgültigen Erschließungsbeitrag abgegolten wird, in Höhe des nicht beigetriebenen Betrags der Vorausleistung ohne Gegenleistung erhielte. Dies widerspräche der gesetzlichen Verpflichtung der Gemeinde zur Erhebung von Erschließungsbeiträgen (§ 127 Abs. 1 BauGB) und wäre auch mit dem Grundsatz der Abgabengerechtigkeit unvereinbar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO.

Ende der Entscheidung

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