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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 18.11.2002
Aktenzeichen: BVerwG 9 C 2.02
Rechtsgebiete: GG, BauGB, VwGO
Vorschriften:
GG Art. 3 Abs. 1 | |
BauGB § 242 Abs. 9 | |
VwGO § 113 Abs. 3 |
Die Sechs-Monats-Frist des § 113 Abs. 3 Satz 4 VwGO beginnt mit dem Eingang der Behördenakten, die auf die erstmalige Verfügung des Verwaltungsgerichts gemäß § 99 VwGO vorgelegt werden. Sie beginnt nicht in jeder Instanz neu.
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO sind eng auszulegen und deshalb auf besonders gelagerte Fälle beschränkt.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 9 C 2.02
Verkündet am 18. November 2002
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 18. November 2002 durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hien und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost, Vallendar, Prof. Dr. Rubel und Dr. Eichberger
für Recht erkannt:
Tenor:
Das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. August 2001 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Sächsische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe:
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung eines Erschließungsbeitrags für die Herstellung der Radwege der H.-Straße im Stadtteil Pieschen der beklagten Stadt Dresden. Sie ist Eigentümerin des Grundstücks H.-Straße 59. Dieses Grundstück ist 780 m² groß und mit einem viergeschossigen, überwiegend zum Wohnen genutzten Gebäude bebaut. Es liegt außerhalb des Geltungsbereichs eines Bebauungsplans und grenzt neben der H.-Straße auch an die D.-Straße.
Die H.-Straße verbindet die D.-Straße und den H.-Platz. Von ihr zweigen in westlicher Richtung zwei ca. 35 bis 40 m lange Stichstraßen ab, die u.a. zu zwei teilweise mit Garagen bebauten Grundstücken und zu einem Kleingartengelände führen. Spätestens seit den 30er Jahren weist die H.-Straße eine Fahrbahn, beidseitige Gehwege, Beleuchtungsanlagen und eine Straßenentwässerung auf. Von November 1993 bis März 1994 ließ die Beklagte auf beiden Straßenseiten einen Radweg mit Unterbau und einer Decke aus Betonpflastersteinen herstellen. Hierfür wurden ein Teil der bisherigen Gehwegfläche und bisher ungenutzte Bereiche der Straße in Anspruch genommen. Die beiden Stichstraßen erhielten keine Radwege. Die letzte Unternehmerrechnung ging bei der Stadt am 10. August 1994 ein.
Die Beklagte war der Ansicht, dass die Herstellung der Radwege erschließungsbeitragspflichtig sei. Mit Verfügung vom 11. August 1994 entschied der Abteilungsleiter Beitragswesen des Dezernats Stadtentwicklung und Bau, dass der Hauptzug der H.-Straße in Bezug auf die Radwege einen Abrechnungsabschnitt bilden solle. Für den Bau der Radwege ermittelte die Stadtverwaltung beitragsfähige Kosten von 268 030,50 DM, die sie abzüglich des 10%igen städtischen Anteils ausschließlich auf die Anlieger des Hauptzugs der Straße verteilte. Dabei wurden die am Hauptzug und an einer der Stichstraßen liegenden Eckgrundstücke lediglich anteilig im Verhältnis der an den jeweiligen Straßenabschnitt grenzenden Frontlängen zum Erschließungsbeitrag herangezogen.
Mit Bescheid vom 2. Juni 1998 erhob die Beklagte von der Klägerin für die Herstellung der Radwege einen Erschließungsbeitrag von 6 952,47 DM. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos. Auf die Klage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht Dresden nach Beiziehung der Behördenakten mit Urteil vom 3. Februar 2000 (ZMR 2002, S. 81 ff.) den Bescheid aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten wurde vom Sächsischen Oberverwaltungsgericht durch Urteil vom 22. August 2001 aus folgenden Gründen zurückgewiesen:
Die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für den Bau der Radwege sei nach § 242 Abs. 9 BauGB ausgeschlossen. Unstreitig habe es den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprochen, Anbaustraßen ohne beidseitige Radwege herzustellen. Deshalb sei die H.-Straße gemäß § 242 Abs. 9 Satz 1 Alt. 1 BauGB als Erschließungsanlage vor dem 3. Oktober 1990 bereits hergestellt gewesen. Aus § 242 Abs. 9 Satz 1 Alt. 2 BauGB ergebe sich nichts anderes. Diese Regelung sei so zu verstehen, dass sie die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für Teile von Anlagen nur zulasse, wenn die Straße noch nicht in ihrer Gesamtheit vor dem 3. Oktober 1990 hergestellt gewesen sei.
Der angefochtene Bescheid könne auch nicht mit Blick auf das Ausbaubeitragsrecht aufrechterhalten werden. Denn die Abschnittsbildung sei fehlerhaft. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob dies bereits deshalb gelte, weil sie nicht vom Stadtrat, sondern von einem Abteilungsleiter der Stadtverwaltung ausgesprochen worden sei. Jedenfalls sei die Abschnittsbildung willkürlich, weil die beiden Stichstraßen zusammen mit der H.-Straße eine Verkehrsanlage bildeten, die beidseitigen Radwege Teile dieser Anlage und für diese hergestellt worden seien und die Herstellung von Radwegen entlang der beiden Stichstraßen nicht vorgesehen sei. Daraus folge, dass der beitragsfähige Herstellungsaufwand für die beiden Radwege nicht nur auf die Grundstücke am Hauptzug der H.-Straße, sondern auch auf die an den beiden Stichstraßen liegenden Grundstücke zu verteilen sei. Dies sei nicht geschehen. Trotz der auch für diese Grundstücke bestehenden Vorteilssituation durch die Radwege seien sie nicht zu den Kosten für deren Herstellung herangezogen worden. Das sei mit dem aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Willkürverbot nicht vereinbar.
Der Beitragsbescheid sei deshalb zwar nur teilweise rechtswidrig. Er sei jedoch gemäß § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO insgesamt aufzuheben. Diese Vorschrift sei hier auch im Berufungsverfahren zu berücksichtigen, weil das Oberverwaltungsgericht - anders als das Verwaltungsgericht - erstmals von der nur teilweisen Rechtswidrigkeit des Bescheides ausgegangen sei. Eine nach Art und Umfang erhebliche Ermittlung im Sinne dieser Vorschrift stelle die Feststellung der durch die beiden Stichstraßen der H.-Straße erschlossenen Grundstücke dar. Dies gelte jedenfalls für die Grundstücke, auf denen sich die Garagen befinden. Hier bedürfe es noch einer weiteren Ermittlung der maßgeblichen Grundstücksflächen, die durch die beiden Radwege einen Vorteil im Sinne der ausbaubeitragsrechtlichen Vorschriften hätten. Dies erfordere eine weitere umfangreiche Sachaufklärung. Die Aufhebung des Beitragsbescheides sei auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich und diene insbesondere dem wohlverstandenen Interesse der Klägerin. Da die erforderlichen Ermittlungen nur unter Inanspruchnahme der Beklagten möglich wären, würde ihre Durchführung durch das Gericht länger dauern als ihre Durchführung durch die Beklagte selbst.
§ 113 Abs. 3 Satz 4 VwGO, wonach eine Entscheidung nach Satz 1 nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen kann, stehe der Zurückweisung der Berufung nicht entgegen. Maßgeblich sei insoweit die Vorlage der Akten beim Berufungsgericht am 17. August 2001.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Bundesverwaltungsgericht zugelassene Revision der Beklagten. Zur Begründung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor: Das angefochtene Urteil verstoße gegen § 242 Abs. 9 BauGB. Es treffe nicht zu, dass nach dieser Vorschrift eine Beitragserhebung für Teile von Erschließungsanlagen ausgeschlossen sei, wenn die gesamte Straße bereits vor dem 3. Oktober 1990 hergestellt gewesen sei. Damit werde der Unterschied zu der Regelung des § 242 Abs. 1 BauGB verkannt. Absatz 9 der Bestimmung erwähne ausdrücklich "Teile" von Erschließungsanlagen. Hierdurch solle vermieden werden, dass - wie in den Altbundesländern - noch für die gesamte Anlage Erschließungsbeiträge erhoben werden könnten, wenn vor dem Stichtag bereits Teileinrichtungen fertiggestellt worden seien. Diese Privilegierung könne nur erreicht werden, wenn im Umkehrschluss die verschiedenen Teileinrichtungen differenziert betrachtet würden.
Das Urteil verstoße zudem gegen § 130 Abs. 2 BauGB. Einer Abschnittsbildung nach dieser Vorschrift hätte es nicht bedurft, weil im Bauprogramm der Beklagten nicht vorgesehen gewesen sei, an den Stichstraßen Radwege anzulegen. Deshalb seien mit deren Herstellung am Hauptzug die sachlichen Beitragspflichten entstanden.
Darüber hinaus habe das Oberverwaltungsgericht seine Pflicht zur Sachaufklärung nach § 86 VwGO verletzt. Die Voraussetzungen des § 113 Abs. 3 VwGO seien nicht erfüllt gewesen. Die maßgeblichen Daten der bei der Beitragsverteilung noch zu berücksichtigenden Grundstücke seien ihr - der Beklagten - bekannt und hätten kurzfristig vorgetragen werden können. Im Übrigen hätten die Belange beider Prozessparteien berücksichtigt werden müssen. Die Aufhebung des Beitragsbescheides ohne abschließende Sachentscheidung sei nicht in ihrem Interesse, weil die Notwendigkeit einer Neubescheidung zu einem weiteren gerichtlichen Verfahren führen könne. Im Übrigen sei die Sechs-Monats-Frist nach § 113 Abs. 3 Satz 4 VwGO abgelaufen gewesen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. August 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II.
Die Revision, gegen deren Zulässigkeit keine Bedenken bestehen, ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht. Zwar trifft die Auffassung des Berufungsgerichts zu, dass § 242 Abs. 9 Satz 1 Alt. 1 BauGB die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für die Herstellung der Radwege an der H.-Straße ausschließt, weil die Anlage bereits in den 30er Jahren insgesamt hergestellt worden ist (1.). Das Berufungsgericht hätte jedoch gem. § 86 Abs. 1 i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ermitteln müssen, in welcher Höhe der angefochtene Beitragsbescheid durch die irrevisiblen Regelungen des Straßenausbaubeitragsrechts des Freistaates Sachsen (§§ 26 ff. SächsKAG) gedeckt ist (2.). Die in § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO vorgesehene Möglichkeit der Aufhebung des angegriffenen Bescheides ohne weitere Sachaufklärung schied aus. Zum einen war im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts die Sechs-Monats-Frist des § 113 Abs. 3 Satz 4 VwGO bereits abgelaufen. Zum anderen lagen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht vor. Der Rechtsstreit ist deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
1. Entgegen der Ansicht der Beklagten beruht das angefochtene Urteil auf keiner Verletzung von § 242 Abs. 9 BauGB. Diese Überleitungsvorschrift lautet in ihren hier allein interessierenden Sätzen 1 und 2 wie folgt:
"Für Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts bereits hergestellt worden sind, kann nach diesem Gesetz ein Erschließungsbeitrag nicht erhoben werden. Bereits hergestellte Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen sind die einem technischen Ausbauprogramm oder den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechend fertiggestellten Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen."
Diese Regelung verdrängt im Beitrittsgebiet die allgemeinere Überleitungsvorschrift des § 242 Abs. 1 BauGB, wonach für vorhandene Erschließungsanlagen, für die eine Beitragspflicht aufgrund der bis zum In-Kraft-Treten des Sechsten Teils des Bundesbaugesetzes geltenden Vorschriften nicht entstehen konnte, auch nach dem Baugesetzbuch kein Beitrag erhoben werden kann. Als Sonderregelung für die neuen Bundesländer gilt sie in deren Gebiet auch dann, wenn - wie hier - Erschließungsanlagen bereits vor der Teilung Deutschlands hergestellt worden sind.
Die Revision ist der Auffassung, dass § 242 Abs. 9 Satz 1 BauGB wegen der ausdrücklichen Erwähnung von "Teilen von Erschließungsanlagen" eine isolierte Betrachtung aller Teileinrichtungen in erschließungsbeitragsrechtlicher Hinsicht gebiete. Dies habe zur Folge, dass die Kosten einer Teileinrichtung, die - wie hier die Radwege - einer vor dem Wirksamwerden des Beitritts bereits hergestellten Erschließungsanlage nach dem Wirksamwerden des Beitritts hinzugefügt werde, nach dem Erschließungsbeitragsrecht abzurechnen seien (ebenso OVG Brandenburg, Urteil vom 23. März 2000 - 2 A 226/98 -, Mitt. StGB Bgb. 2000, S. 213 <221 f.>; VG Magdeburg, Urteil vom 28. September 1995 - 2 A 2200/94 -, Finanzwirtschaft 1996, S. 261 <263>). Die vom Verwaltungs- und vom Oberverwaltungsgericht vertretene Gegenansicht hält demgegenüber zusätzlich eine Gesamtbetrachtung der Anlage für geboten: War eine Erschließungsanlage vor dem Wirksamwerden des Beitritts im Sinne von § 242 Abs. 9 Satz 2 BauGB "bereits hergestellt" worden, kann danach ein Erschließungsbeitrag auch dann nicht erhoben werden, wenn dieser Anlage nach dem Wirksamwerden des Beitritts weitere Teile hinzugefügt werden (so auch OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 3. Juni 1996 - 6 M 20/95 -, LKV 1997, S. 225 <226>; VG Leipzig, Beschluss vom 6. Oktober 1999 - 6 K 837/99 -, VwRR MO 2000, S. 184 <186>; Becker, LKV 1999, S. 489 <491>; Driehaus, ZMR 2002, S. 241 <242> unter Aufgabe seiner früheren gegenteiligen Auffassung; Ernst, in: Ernst/ Zinkahn/Bielenberg, BauGB § 242 Rn. 20; Fischer, in: Hoppenberg, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Kap. F Rn. 501; Neumann/Müller, DWW 2000, S. 214 f.; Otto, NJ 2000, S. 299 <300>).
Der erkennende Senat schließt sich der letzteren Auslegung an. Für sie sprechen der Wortlaut der Vorschrift, von dem jede Auslegung auszugehen hat, und ihr Regelungszusammenhang mit § 242 Abs. 1 BauGB. Absatz 9 Satz 1 enthält - wie die Konjunktion "oder" ergibt - zwei Alternativen. Es reicht also für den Ausschluss des Rechts zur Erhebung eines Erschließungsbeitrags aus, dass eine von ihnen erfüllt ist: Für Erschließungsanlagen, die vor dem 3. Oktober 1990 bereits im Sinne des Satzes 2 hergestellt waren, kann in den neuen Bundesländern kein Erschließungsbeitrag erhoben werden. Dasselbe gilt dort für einzelne Teileinrichtungen, die vor dem 3. Oktober 1990 bereits im Sinne des Satzes 2 hergestellt worden waren, selbst wenn die Anlage insgesamt noch nicht in diesem Sinne hergestellt war. § 242 Abs. 1 BauGB stellt demgegenüber in den alten Bundesländern ausschließlich darauf ab, ob die Anlage an dem dort geltenden Stichtag (29. Juni 1961) insgesamt vorhanden und damit nach dem bis dahin geltenden Anliegerbeitragsrecht der Länder beitragsfrei war. Waren dagegen nur einzelne Teileinrichtungen hergestellt, ist auch für diese in den alten Bundesländern die nachträgliche Erhebung von Erschließungsbeiträgen grundsätzlich noch möglich. Insoweit sind die Anlieger in den neuen Bundesländern privilegiert. Die Ansicht der Revision hätte dagegen eine Schlechterstellung der Anlieger in den neuen Bundesländern gegenüber der in den alten Bundesländern geltenden Rechtslage nach § 242 Abs. 1 BauGB zur Folge.
Dort ist es in Fällen wie dem vorliegenden gerade nicht mehr möglich, noch Erschließungsbeiträge zu erheben. Vielmehr käme bei einer Erweiterung einer bis zum 29. Juni 1961 endgültig hergestellten Anlage um weitere Teileinrichtungen nur die Erhebung eines Straßenausbaubeitrags für eine Erweiterung oder Verbesserung der Einrichtung in Betracht. Darüber hinaus würden auch innerhalb des Beitrittsgebiets kaum zu rechtfertigende Unterschiede auftreten: Wird eine Anlage, mit deren Bau erst nach dem 3. Oktober 1990 begonnen wurde, nach ihrer endgültigen Herstellung um weitere Teileinrichtungen erweitert, könnten Erschließungsbeiträge für diese Erweiterung nicht mehr erhoben werden. Für die bereits vorher hergestellten Anlagen würde dies dagegen bei nachträglicher Hinzufügung einer Teileinrichtung nicht gelten. Aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber diese Folgen in Kauf nehmen wollte. Im Beitrittsgebiet wollte der Gesetzgeber vielmehr die Kostenerhebung für einen weiteren Ausbau von im Zeitpunkt des Beitritts bereits vorhandenen Erschließungsanlagen ohne Ausnahme dem Straßenausbaubeitragsrecht zuweisen.
2. Entsprach hiernach die Auffassung des Berufungsgerichts, die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für den Bau der Radwege sei nach § 242 Abs. 9 BauGB ausgeschlossen, der sich aus dem Bundesrecht ergebenden Rechtslage, so hat es im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteile vom 19. August 1988 - BVerwG 8 C 29.87 - BVerwGE 80, 96, 97 ff. und vom 4. Juni 1993 - BVerwG 8 C 55.91 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 256) zu Recht die Frage aufgeworfen, ob und ggf. in welchem Umfang der angefochtene Bescheid nach dem sächsischen Straßenausbaubeitragsrecht (§§ 26 ff. SächsKAG) aufrechterhalten werden kann. Es ist dabei zum Ergebnis gekommen, dass der Beitragsbescheid hiernach teilweise rechtswidrig sei, weil die Abschnittsbildung gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Willkürverbot verstoße. Damit sei es nämlich nicht vereinbar, mittels entsprechender Abschnittsbildung die an den beiden Stichstraßen liegenden Grundstücke nicht zu den Herstellungskosten der Radwege heranzuziehen, obwohl auch diese Grundstücke einen Vorteil durch die Radwege hätten.
Soweit die genannte Beurteilung des Berufungsgerichts auf irrevisiblem Landesrecht beruht, ist sie für das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 562 ZPO a.F. (jetzt § 560 ZPO n.F.) bindend. Die von der Beklagten vorgenommene Abschnittsbildung findet ihre Grundlage in § 27 Abs. 3 SächsKAG ("Der Aufwand kann insgesamt für mehrere Verkehrsanlagen, die für die Erschließung der Grundstücke eine Einheit bilden, oder für bestimmte Abschnitte einer Verkehrsanlage ermittelt werden."). Diese Norm gehört dem irrevisiblen Landesrecht an. Der von der Revision als verletzt gerügte § 130 Abs. 2 BauGB ist insoweit nicht einschlägig.
Allerdings hat das Oberverwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit der Abschnittsbildung anhand des aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Willkürverbots geprüft und wegen Verstoßes hiergegen verneint. Insoweit beruht seine Entscheidung auf der Auslegung und Anwendung einer Vorschrift des Bundesrechts und ist dabei revisionsgerichtlicher Prüfung zugänglich.
Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, Abschnittsbildungen im Erschließungsbeitragsrecht (§ 130 Abs. 2 BauGB) am Willkürverbot zu messen. Gründe, dies im Straßenausbaubeitragsrecht anders zu sehen, sind nicht erkennbar. Der allgemeine Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG verbietet, ohne sachlichen Grund wesentlich Gleiches ungleich und wesentlich Ungleiches gleich zu behandeln. Allerdings ist den Behörden im Abgabenrecht ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen, für den das Willkürverbot nur eine äußerste Grenze darstellt. Diese Grenze ist erst erreicht, wenn einer Regelung jeder vernünftige oder einleuchtende Grund fehlt.
Ob - gemessen an diesem Maßstab - die Ungleichheit der Vorteilslage zwischen den am Hauptzug der H.-Straße belegenen und damit auch durch die dortigen Radwege unmittelbar erschlossenen Gründstücken einerseits und den an den Stichstraßen belegenen, von den Radwegen nur mittelbar erschlossenen Grundstücken andererseits eine Ungleichbehandlung bei der Erhebung von Ausbaubeiträgen rechtfertigen kann, hängt wesentlich davon ab, wie der Begriff der "Vorteile" im Sinne von § 26 Abs. 1 Satz 1 und § 28 Abs. 1 Satz 1 SächsKAG auszulegen ist. Hierzu enthält das angefochtene Urteil keine näheren Ausführungen, so dass nicht ausreichend klar wird, innerhalb welchen durch das Landesrecht bestimmten Vergleichssystems es das Berufungsgericht als willkürlich angesehen hat, die an der Stichstraße belegenen Grundstücke mittels Abschnittsbildung von der Heranziehung zu den Herstellungskosten der Radwege zu befreien. Dem ist jedoch hier nicht weiter nachzugehen, weil das angefochtene Urteil bereits aus einem anderen Grunde aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist.
Das angefochtene Urteil verstößt in doppelter Hinsicht gegen § 113 Abs. 3 VwGO und leidet damit an einem erheblichen Verfahrensmangel, der von der Revision auch rechtzeitig und ordnungsgemäß gerügt wurde und auf dem die Entscheidung beruht. Gemäß § 86 Abs. 1 i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind die Verwaltungsgerichte grundsätzlich verpflichtet die Sache spruchreif zu machen und deshalb die Höhe, in der ein Abgabenbescheid aufrechterhalten bleiben kann, selbst festzustellen und diesen Bescheid nur aufzuheben, soweit er rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Nach der Ausnahmeregelung des § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht allerdings, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid auch aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. § 113 Abs. 3 Satz 4 VwGO bestimmt, dass eine solche Entscheidung nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen darf. Dem Berufungsgericht war es hier schon deshalb versagt, von der Möglichkeit des § 113 Abs. 3 VwGO Gebrauch zu machen, weil diese Frist bereits im erstinstanzlichen Verfahren abgelaufen war und im Berufungsverfahren nicht erneut zu laufen begann. Der Wortlaut des § 113 Abs. 3 Satz 4 VwGO gibt keinen Anhaltspunkt dafür, den Beginn der dort bestimmten Frist, wie das Berufungsgericht meint, von der materiellrechtlichen Beurteilung des Falles durch das jeweilige Instanzgericht abhängig zu machen. Er spricht vielmehr dafür, schon aus Gründen der im Verfahrensrecht unabdingbaren Rechtsklarheit die Frist mit dem Eingang der Behördenakten beginnen zu lassen, die auf die erstmalige Verfügung des Verwaltungsgerichts gemäß § 99 VwGO vorgelegt werden, so dass § 113 Abs. 3 VwGO im Rechtsmittelverfahren keine praktische Bedeutung hat (vgl. Demmel, Das Verfahren nach § 113 Abs. 3 VwGO, 1997, S. 50; Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn. 50; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. 2000, § 113 Rn. 168; Kuntze, in: Bader, VwGO, 2. Aufl. 2002, § 113 Rn. 94; Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl. 2000, § 113 Rn. 27; Spannowsky, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 113 Rn. 206). Nach der gesetzgeberischen Vorstellung ist das Gericht nach Ablauf der Frist des § 113 Abs. 3 Satz 4 VwGO verpflichtet, im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens die notwendigen Feststellungen selbst zu treffen. Die zeitliche Begrenzung soll im Interesse der Beteiligten die unbefriedigende Situation verhindern, dass das Gericht trotz längerer Prozessdauer von einer abschließenden Sachentscheidung absieht. Diesem Zweck würde es widersprechen, den Lauf der Frist in jeder Instanz neu beginnen zu lassen.
Abgesehen davon lagen die Anwendungsvoraussetzungen des § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO auch in der Sache nicht vor. Im Spannungsverhältnis zwischen dem öffentlichen Interesse an einer Entlastung der Gerichte von umfangreichen Sachverhaltsermittlungen und dem Bedürfnis der Beteiligten nach einer abschließenden und verbindlichen gerichtlichen Beurteilung des Rechtsstreits soll nach den diese Vorschrift tragenden Vorstellungen des Gesetzgebers das Interesse an der Entlastung der Justiz nur in besonders gelagerten Fällen überwiegen (vgl. BTDrucks 11/7030, S. 29; Gerhardt, a.a.O., Rn. 46). Deshalb sind die hierfür genannten Tatbestandsvoraussetzungen eng auszulegen: Nur dann, wenn die Behörde nach ihrer personellen und sachlichen Ausstattung eine Sachverhaltsermittlung besser durchführen kann als das Gericht und es auch unter übergeordneten Gesichtspunkten vernünftiger und sachgerechter ist, die Behörde tätig werden zu lassen, soll die Vorschrift heranzuziehen sein (BTDrucks 11/7030, S. 30).
Daran gemessen waren die nach Auffassung des Berufungsgerichts noch erforderlichen Ermittlungen nach Art und Umfang nicht erheblich. Die Feststellung, welche Grundstücke an den Stichstraßen liegen, wie sie nutzbar sind und wie hoch der von der Klägerin zu zahlende Straßenausbaubeitrag ist, hätte von der Beklagten auf entsprechende Verfügung des Gerichts mit Hilfe des Liegenschaftskatasters zügig festgestellt werden können. Dies gilt selbst dann, wenn auch etwaige Außenbereichsgrundstücke am Hauptzug der H.-Straße oder an den Stichstraßen, etwa die Kleingärten, anders als im Erschließungsbeitragsrecht durch die Radwege einen Vorteil im Sinne des § 26 Abs. 1 SächsKAG haben sollten und deshalb bei der Beitragsverteilung zu berücksichtigen sind. Bei vorausschauender, d.h. nicht erst wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung einsetzender Terminsvorbereitung hätte das Gericht die Behörde sicherlich veranlassen können, eine entsprechende Hilfsberechnung noch rechtzeitig vorzulegen. Auch die gerichtliche Überprüfung solcher Unterlagen wird regelmäßig weder besonderen Zeitaufwand noch erhebliche Kosten verursachen.
Unzutreffend ist schließlich die Auffassung des Berufungsgerichts, die vollständige Aufhebung des Beitragsbescheides ohne Entscheidung in der Sache selbst sei auch unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten sachdienlich. Bei der erforderlichen Abwägung sind die voraussichtliche Dauer der gerichtlichen und einer behördlichen Sachverhaltsermittlung sowie die wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten zu berücksichtigen (vgl. BFH, Urteil vom 25. Juli 2000 - VIII R 32/99 - BFH/NV 2001, 178 f.; Gerhardt, a.a.O., Rn. 48; Kuntze, a.a.O., Rn. 90). Wie ausgeführt, wäre das Gericht voraussichtlich alsbald nach der Vorlage einer Hilfsberechnung der Beklagten in der Lage gewesen, abschließend und verbindlich in der Sache zu entscheiden. Bei einer Aufhebung der Bescheide ohne abschließende Sachentscheidung bestand dagegen die nicht zu vernachlässigende Gefahr, dass es zu einem erneuten, unter Umständen wiederum jahrelang währenden und mit einem weiteren Kostenrisiko für beide Beteiligte verbundenen Rechtsstreit kommt, weil die Klägerin etwa die Nichtberücksichtigung einzelner Grundstücke oder Grundstücksteile für fehlerhaft hält.
3. Da das angefochtene Urteil hiernach auf einem Verstoß gegen § 113 Abs. 3 VwGO beruht, kann es keinen Bestand haben. Eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in der Sache selbst kommt jedoch nicht in Betracht, weil die nach Auffassung des Berufungsgerichts noch erforderlichen tatsächlichen Ermittlungen im auf die rechtliche Prüfung beschränkten Revisionsverfahren nicht durchführbar sind und die Würdigung des Ergebnisses dieser Ermittlungen am Maßstab des sächsischen Landesrechts auch grundsätzlich nicht zu den Aufgaben des Bundesverwaltungsgerichts gehört. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache zur anderweitigen und abschließenden Verhandlung und Entscheidung an das Sächsische Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 3 554,74 € festgesetzt (§ 13 Abs. 2, §§ 14, 73 Abs. 1 Satz 2 GKG).
Ende der Entscheidung
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