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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 26.11.2003
Aktenzeichen: BVerwG 9 C 2.03
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 1 Abs. 6
BauGB § 125 Abs. 2
BauGB § 131 Abs. 1 Satz 1
BauGB § 214 Abs. 3 Satz 2
BauGB § 233 Abs. 1
Fehlte bei Erlass eines Erschließungsbeitragsbescheides die seinerzeit nach § 125 Abs. 2 BauGB a.F. erforderliche Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde zur Herstellung der Erschließungsanlage, so ist dieser formelle Mangel dadurch unerheblich geworden, dass mit Wirkung vom 1. Januar 1998 das genannte Zustimmungserfordernis entfallen ist.

Von dieser Rechtsänderung unberührt blieb das materiellrechtliche Gebot, alle von der Planung der Erschließungsanlage berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen (§ 125 Abs. 2 i.V.m. § 1 Abs. 6 BauGB). Dieses Gebot bezieht sich auch auf das Abwägen als Vorgang.

Ein Mangel im Abwägungsvorgang führt auch im Fall des § 125 Abs. 2 BauGB entsprechend § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB nur dann zur Rechtswidrigkeit der Herstellung der Erschließungsanlage, wenn nach den Umständen des Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Planungsentscheidung ohne den Mangel im Ergebnis anders ausgefallen wäre.

Eine Ausnahme von der Maßgeblichkeit des bürgerlich-rechtlichen Grundstücksbegriffs bei Anwendung des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist im Fall der Mehrfacherschließung eines Grundstücks auch im unbeplanten Innenbereich anerkannt, wenn sich die Erschließungswirkung einer Anbaustraße nach den tatsächlichen Gegebenheiten erkennbar eindeutig nur auf eine Teilfläche des Grundstücks beschränkt (wie bisherige Rechtsprechung; vgl. etwa BVerwGE 71, 363 <366>).


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 26. November 2003

BVerwG 9 C 2.03

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 26. November 2003 durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hien und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost, Vallendar, Prof. Dr. Rubel und Dr. Eichberger

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. November 2002 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Der Klägerin steht ein Erbbaurecht an den im unbeplanten Innenbereich gelegenen Grundstücken Gemarkung A. Flur ... Flurstücke ... und ... zu. Das 7 919 m² große Flurstück ... grenzt im Westen mit etwa 17 m an die T.straße und im Norden mit etwa 300 m an den davon nach Osten abzweigenden A.weg. Das am A.weg gegenüberliegende, 6 268 m² große Flurstück ... grenzt mit etwa 32 m an die T.straße und mit etwa 190 m an den A.weg. Die Grundstücke sind mit insgesamt zwölf Mehrfamilienhäusern und Nebenanlagen bebaut; die dafür angelegten Zugänge und Zufahrten münden in den A.weg. Außerdem verlaufen auf den Grundstücken Wege zwischen einzelnen Häusern und zu den im jeweils rückwärtigen Teil angelegten Kinderspielplätzen.

In den Jahren 1974 bis 1994 baute die Stadt A. die T.straße im Bereich von der L.straße bis zur Kreuzung mit dem D.weg aus. Am 10. September 1984 stimmte der Planungs- und Bauausschuss des Stadtrats der Ausbauplanung zwischen A.weg und D.weg zu.

Durch zwei Bescheide vom 13. September 1996 zog der Beklagte die Klägerin zu Erschließungsbeiträgen für die erstmalige Herstellung der T.straße im Teilstück zwischen L.straße und D.weg heran, und zwar für das Flurstück ... in Höhe von 99 553,36 DM und für das Flurstück ... in Höhe von 78 156,55 DM. Dabei legte er die Grundstücksflächen über die in der Erschließungsbeitragssatzung vorgesehene Tiefenbegrenzung von 30 m hinaus bis zur Tiefe der von der T.straße aus äußersten Bebauung zugrunde.

Mit ihren nach erfolglosen Widersprüchen erhobenen Klagen hat die Klägerin geltend gemacht, ihre Grundstücke seien nur zu einem geringen Teil durch die T.straße erschlossen. Die Möglichkeit, die Grundstücke in voller Tiefe zu bebauen, folge nicht aus der Erschließungswirkung der T.straße, sondern nur daraus, dass die Grundstücke am A.weg lägen und maßgeblich durch diesen erschlossen seien. Hinzu komme, dass die jeweils in Ecklage an T.straße und A.weg gelegenen Baukörper, nämlich das Haus A.weg 2 und das Doppelhaus A.weg 1 und 3, die restlichen Grundstücksteile für eine von der T.straße her weiter in die Tiefe gehende Nutzung abriegelten. Angesichts dieser Umstände müsse davon ausgegangen werden, dass sich die von der T.straße ausgehende Erschließungswirkung nur auf eine Teilfläche der Grundstücke beziehe.

Der Beklagte hat dagegen die Auffassung vertreten, beide Grundstücke müssten in vollem Umfang als erschlossen behandelt werden, da sie über die Tiefenbegrenzung auf 30 m hinaus baulich genutzt würden und durch beide Anbaustraßen jeweils in vollem Umfang erschlossen seien. Zudem seien sie einheitlich bebaut mit Verbindungswegen ohne jede Begrenzung zu den bauordnungsrechtlich notwendigen Spielplätzen auf den Grundstücken. Daher könne keine Rede davon sein, dass sich die von jeder der Straßen ausgehende Erschließungswirkung erkennbar eindeutig nur auf eine Teilfläche des jeweiligen Grundstücks erstrecke.

Das Verwaltungsgericht hat die Verfahren zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden und die Klage abgewiesen. Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung durch Urteil vom 29. November 2002 (ZKF 2003, S. 87 f.) zurückgewiesen und zur Begründung Folgendes ausgeführt: Die Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht seien erfüllt. Die T.straße sei im Sinne von § 132 Nr. 4 BauGB endgültig hergestellt, da Fahrbahn, Entwässerung und Beleuchtung den in der Erschließungsbeitragssatzung der Gemeinde hierfür festgelegten Merkmalen entsprächen und die flächenmäßigen Teileinrichtungen im Übrigen das auf die konkrete Straße bezogene formlose Bauprogramm erfüllten. Für die Aufstellung dieses Programms sei nach der Zuständigkeitsordnung des Gemeinderats der Planungs- und Bauausschuss zuständig. Dieser habe nach einem zu den Gerichtsakten gereichten Vermerk im September 1984 die Ausbauplanung für die gesamte Abrechnungsstrecke beschlossen, die durch den hier abgerechneten Ausbau dann umgesetzt worden sei. Allerdings sei für die Herstellung der Straße gemäß § 125 Abs. 2 BauGB a.F. eine Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde erforderlich gewesen. Da diese nicht eingeholt worden sei, sei die Rechtmäßigkeit der Straßenherstellung nunmehr nach § 125 Abs. 2 BauGB in der seit dem 1. Januar 1998 geltenden neuen Fassung zu beurteilen. Die Überleitungsvorschrift des § 233 Abs. 1 Satz 1 BauGB sei hier nicht einschlägig. Sie bestimme die Weitergeltung früheren Rechts nur für Verfahren, die vor dem In-Kraft-Treten einer Gesetzesänderung förmlich eingeleitet worden seien. Das Zustimmungsverfahren nach § 125 Abs. 2 BauGB a.F. könne jedoch nicht ab Beginn oder Abschluss der bautechnischen Herstellung einer Erschließungsanlage, sondern erst ab Stellung eines entsprechenden Antrags der Gemeinde bei der höheren Verwaltungsbehörde als in diesem Sinne eingeleitet angesehen werden. Daran fehle es hier.

Die nach § 125 Abs. 2 BauGB n.F. erforderliche Prüfung sei allein auf das Vorliegen der Anforderungen des § 1 Abs. 4 bis 6 BauGB bezogen, deren Feststellung nach der alten Fassung der Vorschrift der höheren Verwaltungsbehörde oblegen habe. Damals und jetzt gehe es allein um die Frage, ob die gewählte Ausbauvariante rechtmäßiges Resultat einer den Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 bis 6 BauGB genügenden Planung sein könne. § 125 Abs. 2 BauGB verlange dagegen nicht die Vornahme eines Planungsakts, erfordere also nicht einen der Gemeinde und dort dem nach Kommunalverfassungsrecht zuständigen Organ vorbehaltenen Abwägungsvorgang gemäß § 1 Abs. 5 und 6 BauGB. Es komme also unter dem Gesichtspunkt des § 125 Abs. 2 BauGB n.F. nicht darauf an, in welcher Art und in welchem Umfang der Planungs- und Bauausschuss mit der Ausbauplanung für die T.straße befasst worden sei. Es reiche aus, dass weder den von der Stadtplanungsabteilung vorgelegten Vermerken und Plänen noch dem Vorbringen der Klägerin Anhaltspunkte für eine Verfehlung der im dargelegten Sinne aufzufassenden Anforderungen des § 1 Abs. 4 bis 6 BauGB entnommen werden könnten.

Die angefochtenen Beitragsfestsetzungen seien auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Zu Recht habe der Beklagte bei der Bemessung der Erschließungsbeiträge nicht nur eine geringe Teilfläche der veranlagten Grundstücke, sondern jeweils nahezu die gesamte Grundstücksfläche mit Ausnahme der Freiflächen jenseits der letzten Baukörper zugrunde gelegt. Da die Grundstücke der Klägerin von Bebauung umgeben seien, lägen sie im "zentralen" unbeplanten Bereich im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Angesichts dieser Lage müssten sie von vornherein aus dem Anwendungsbereich der satzungsmäßigen Tiefenbegrenzung auf 30 m ausscheiden, wenn der Meinung zu folgen wäre, kraft Bundesrechts sei die Anwendung von Tiefenbegrenzungsregelungen auf solche unbeplanten Grundstücke beschränkt, die an den Außenbereich angrenzten bzw. in ihn übergingen. Dieser Auffassung schließe sich das Oberverwaltungsgericht jedoch nicht an.

Die Beitragsabrechnung sei auch insofern nicht zu beanstanden, als ihr die Annahme zugrunde liege, die Tiefengrenze sei gemäß der Erschließungsbeitragssatzung bis zum Ende der "übergreifenden Nutzung", d.h. bis zum Ende der Bebauung, zu verschieben. Das entspreche der revisionsgerichtlichen Rechtsprechung, nach der eine in der Erschließungsbeitragssatzung geregelte Tiefenbegrenzung nicht anwendbar sei, wenn und soweit ein Grundstück über die Grenze hinaus tatsächlich baulich oder gewerblich genutzt werde. Hiernach sei die jenseits der Tiefengrenze gelegene, baulich oder vergleichbar genutzte Fläche des unbeplanten Grundstücks als erschlossen anzusehen, und zwar unabhängig davon, ob für die "übergreifende Nutzung" tatsächlich die abgerechnete Erschließungsanlage oder aber - wie hier - eine andere Erschließungsanlage in Anspruch genommen werde.

Auch unter dem Gesichtspunkt der (allgemeinen) "beschränkten Erschließungswirkung" habe das Klagebegehren keinen Erfolg. Insoweit werde auf die Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen, wonach unmissverständliche Anhaltspunkte dafür, dass die Erschließungswirkung der T.straße erkennbar eindeutig nur eine Teilfläche der Grundstücke erfasse, nicht vorlägen.

Die Klägerin hat die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt und im Wesentlichen wie folgt begründet:

Es bedürfe höchstrichterlicher Klärung, ob nach der Novellierung des § 125 BauGB eine Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde für Vorhaben notwendig sei, die - wie hier - vor In-Kraft-Treten der Novellierung bereits begonnen gewesen seien. Darüber hinaus sei unklar, ob das kommunalrechtlich zuständige Gemeindeorgan einen Planungsakt unter Abwägung aller Umstände gemäß § 1 Abs. 5 und 6 BauGB durchführen müsse, um den Anforderungen des § 125 Abs. 2 BauGB zu genügen. Vor allem bedürfe der Klärung, inwieweit ein übergroßes Eckgrundstück, das im unbeplanten Innenbereich gelegen sei und tatsächlich zwar eine übergreifende Nutzung aufweise, die jedoch zum Teil wie eine separate Bebauung anzusehen sei, an der Erschließungswirkung einer Anbaustraße teilhabe.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. November 2002 die Heranziehungsbescheide des Beklagten vom 13. September 1996 und dessen Widerspruchsbescheide vom 21. Oktober 1996 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt die Begründung des angefochtenen Berufungsurteils.

II.

Die Revision, gegen deren Zulässigkeit keine Bedenken bestehen, ist unbegründet. Zwar sind die tragenden Gründe des angefochtenen Urteils nicht in jeder Hinsicht mit Bundesrecht vereinbar; insoweit stellt sich jedoch die Entscheidung selbst aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

1. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass die Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht für die T.straße erfüllt sind. Dies gilt zunächst sowohl hinsichtlich der hierfür erforderlichen Widmung, die ausweislich der Akten spätestens im Oktober 1998 mit einen etwaigen früheren Mangel heilender Wirkung (vgl. BVerwGE 64, 218 <221> m.w.N.) erfolgte, als auch hinsichtlich der endgültigen Herstellung dieser Erschließungsanlage, die nach den in dem angefochtenen Urteil getroffenen, das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen einer Beschlussfassung des Planungs- und Bauausschusses vom 10. September 1984 über das formlose Bauprogramm entsprach. Es gilt darüber hinaus auch hinsichtlich des weiteren Erfordernisses, dass die Erschließungsanlage gemäß § 125 BauGB rechtmäßig hergestellt wurde. Zwar fehlte es bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens an der für die rechtmäßige Herstellung der Erschließungsanlage seinerzeit nach § 125 Abs. 2 BauGB a.F. erforderlichen Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde; diese ist auch nicht nachträglich erteilt worden. Der darin liegende formelle Mangel ist jedoch dadurch unerheblich geworden, dass durch Art. 1 Nr. 46 des Bau- und Raumordnungsgesetzes 1998 vom 18. August 1997 (BGBl I S. 2081) mit Wirkung vom 1. Januar 1998 das genannte Zustimmungserfordernis für die vorliegende Erschließungsanlage entfallen ist. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, folgt aus der Überleitungsvorschrift des § 233 Abs. 1 BauGB hier nichts anderes, weil das Zustimmungsverfahren nach § 125 Abs. 2 BauGB a.F. vor dem 1. Januar 1998 nicht förmlich eingeleitet worden war. Der Wegfall des Zustimmungserfordernisses durch Gesetzesänderung kann insoweit nicht anders behandelt werden als seine nachträgliche Erfüllung, der heilende Wirkung zugekommen wäre (vgl. BVerwGE 64, 218 <221> m.w.N.).

Von dieser Rechtsänderung unberührt blieb das bereits in § 125 Abs. 2 Satz 3 BauGB a.F. enthalten gewesene und nunmehr in § 125 Abs. 2 BauGB n.F. ausdrücklich normierte materiellrechtliche Erfordernis, dass die Herstellung von Erschließungsanlagen, wenn ein Bebauungsplan nicht vorliegt, den in § 1 Abs. 4 bis 6 BauGB bezeichneten Anforderungen entsprechen muss. Schon nach der früheren

Rechtslage waren diese Anforderungen an die Bauleitplanung einschließlich der ihnen vorgegebenen planerischen Gestaltungsfreiheit der Gemeinde maßgebend für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der gemeindlichen Entscheidung über die Ausgestaltung einer Anbaustraße im unbeplanten Innenbereich (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 1990 - BVerwG 8 C 77.88 - Buchholz 406.11 § 125 BBauG/BauGB Nr. 28 S. 23). Die Neufassung des § 125 Abs. 2 BauGB hat an diesem materiellrechtlichen Maßstab nichts geändert, sondern nur das Prüfungsverfahren vor der höheren Verwaltungsbehörde entfallen lassen (vgl. BTDrucks 13/7589, S. 28). An seine Stelle ist - bei entsprechenden Klagen - die unmittelbare gerichtliche Kontrolle der Planungsentscheidung der Gemeinde getreten. Dies hat allerdings zur Folge, dass eine Beanstandung durch das Gericht - wie früher durch die höhere Verwaltungsbehörde - nur gerechtfertigt ist, wenn ein Bebauungsplan, der die in Rede stehende Erschließungsanlage festgesetzt hätte, wegen Überschreitung der planerischen Gestaltungsfreiheit nichtig wäre (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. April 1990 a.a.O. und vom 3. Juli 1992 - BVerwG 8 C 34.90 - Buchholz 406.11 § 125 BBauG/BauGB Nr. 30 S. 35).

Die wichtigste materiellrechtliche Bindung, in deren Rahmen sich jede planende Gemeinde bei Ausübung jener Gestaltungsfreiheit und damit auch bei der bebauungsplanersetzenden Planung einer Erschließungsanlage nach § 125 Abs. 2 BauGB halten muss, ist das in § 1 Abs. 6 BauGB normierte Gebot, alle von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Dieses Gebot bezieht sich sowohl auf das Abwägen als Vorgang, insbesondere also darauf, dass überhaupt eine Abwägung stattfindet und dass bei dieser Abwägung bestimmte Interessen in Rechnung gestellt werden, als auch auf das Abwägungsergebnis, also auf das, was bei dem Abwägungsvorgang "herauskommt" (vgl. BVerwGE 34, 301 <308 f.>; 41, 67 <71>; 45, 309 <314 f.>). Die Auffassung des Berufungsgerichts, § 125 Abs. 2 BauGB n.F. erfordere keinen der Gemeinde vorbehaltenen Abwägungsvorgang, steht mit der in dieser Vorschrift enthaltenen Verweisung auf die Anforderungen des § 1 Abs. 6 BauGB, der eindeutig den Vorgang des Abwägens anspricht, nicht in Einklang.

Dies führt im vorliegenden Fall jedoch zu keinem anderen Ergebnis. Dass eine Abwägung überhaupt stattgefunden hat, ergibt sich aus den im angefochtenen Urteil in Bezug genommenen Vermerken der Stadtplanungs- und der Tiefbauabteilung des Beklagten. Im Übrigen muss die verwaltungsgerichtliche Prüfung, ob sich die planerische Entscheidung innerhalb der durch das Abwägungsgebot gesetzten Grenzen hält, in entsprechender Anwendung des § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB davon ausgehen, dass ein Mangel im Abwägungsvorgang nur dann erheblich ist und deshalb - wie zur Nichtigkeit eines entsprechenden Bebauungsplans - zur Rechtswidrigkeit der Herstellung der Erschließungsanlage führen kann, wenn nach den Umständen des Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Planungsentscheidung ohne den Mangel im Ergebnis anders ausgefallen wäre (vgl. BVerwGE 64, 33 <39 f.>). Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Da, wie das Berufungsgericht unwidersprochen festgestellt hat, weder den von der Stadtplanungsabteilung vorgelegten Vermerken und Plänen noch dem Vorbringen der Klägerin Anhaltspunkte für eine Verfehlung der Anforderungen des § 1 Abs. 4 bis 6 BauGB entnommen werden können, ist hier ein der Gemeinde möglicherweise unterlaufener Fehler im Abwägungsvorgang im Ergebnis nicht von Einfluss gewesen.

2. Dass die Feststellung des Berufungsgerichts, die angefochtenen Beitragsfestsetzungen seien auch der Höhe nach nicht zu beanstanden, zu Lasten der Klägerin auf der Verletzung von Bundesrecht beruht, ist nicht ersichtlich.

Gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist der beitragsfähige Erschließungsaufwand für eine Erschließungsanlage auf die durch die Anlage erschlossenen Grundstücke zu verteilen. Gemäß § 132 Nr. 2 BauGB regeln die Gemeinden durch Satzung die Art der Verteilung des Aufwands. Dies ist hier durch § 6 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 EBS 1988 in der Weise geschehen, dass die Verteilung nach einem kombinierten Grundstücksflächen- und Geschosszahlmaßstab erfolgt, wobei als Grundstücksflächen die Flächen von der Erschließungsanlage bis zu einer Tiefe von 30 m und bei darüber hinausgreifender baulicher Nutzung zusätzlich die Tiefe der übergreifenden Nutzung zu berücksichtigen sind. Der Beklagte hat in Anwendung dieser Regelung hier die Grundstücksflächen bis zur Tiefe der von der T.straße aus gesehen äußersten Bebauung zugrunde gelegt. Das Oberverwaltungsgericht hat dies als rechtens gebilligt. Entgegen der Auffassung der Revision folgt aus dem Bundesrecht nicht, dass ihre Grundstücke nur mit einem geringen Flächenanteil als im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB durch die T.straße erschlossen anzusehen sind.

Bei der Anwendung von Vorschriften des Baugesetzbuches und damit auch des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB mit dem Begriff der "durch die Anlage erschlossenen Grundstücke" ist grundsätzlich der bürgerlich-rechtliche Grundstücksbegriff maßgebend (vgl. BVerwGE 38, 35 <36>). Dieser Grundsatz gilt auch für mehrfach erschlossene Grundstücke (vgl. BVerwGE 71, 363 <365>). Eine Ausnahme davon ist im Fall der Mehrfacherschließung eines Grundstücks anerkannt, wenn sich die von einer Anbaustraße ausgehende Erschließungswirkung erkennbar eindeutig nur auf eine Teilfläche des Grundstücks beschränkt (BVerwGE 71, 363 <366>; Urteil vom 3. Februar 1989 - BVerwG 8 C 78.88 - Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 79 S. 32). Dies gilt bei entsprechenden tatsächlichen Gegebenheiten auch im unbeplanten Innenbereich (BVerwG, Urteil vom 22. April 1994 - BVerwG 8 C 18.92 - Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 91 S. 5 f.). Eine derartige Konstellation ist hier jedoch angesichts der einheitlichen Bebauung und Gestaltung der Grundstücke nicht gegeben. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, auf die im angefochtenen Urteil in diesem Zusammenhang Bezug genommen worden ist und an die das Bundesverwaltungsgericht deshalb gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, wurden die Grundstücke von der Klägerin - jeweils zeitgleich - einheitlich mit Wohnhäusern bebaut und dadurch tatsächlich einer einheitlichen Nutzung zugeführt. In Einklang damit stehen die Anlegung eines einheitlichen Systems gemeinschaftlicher Grünflächen auf jedem von beiden Grundstücken, eines durchgängigen Wegenetzes auf dem Flurstück ... und die vom Verwaltungsgericht festgestellte, nur teilweise realisierte Möglichkeit, eine vergleichbare "Binnenerschließung" auch auf dem Flurstück ... anzulegen. Schon wegen dieser tatsächlichen Umstände ist die tatrichterliche Verneinung einer eindeutig beschränkten Erschließungswirkung der Twieluchtstraße aus der Sicht des Revisionsgerichts nicht zu beanstanden.

Auf die Frage, ob bei anderer rechtlicher Beurteilung, nämlich auf der Grundlage der Auffassung, die übergreifende Nutzung der Grundstücke durch die nicht an der T.straße liegenden Gebäude dürfe nicht berücksichtigt werden, die Grundstücksfläche (nur) bis zur Tiefengrenze von 30 m nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EBS 1988 zu berücksichtigen wäre, kommt es hiernach im vorliegenden Fall nicht an. Deshalb kann auch offen bleiben, ob die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung dieses kommunalen Satzungsrechts mit dem Bundesrecht in Einklang steht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 90 861,63 € festgesetzt (§ 13 Abs. 2, §§ 14, 73 Abs. 1 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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