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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 29.09.1998
Aktenzeichen: BVerwG 9 C 31.97
Rechtsgebiete: AsylVfG
Vorschriften:
Familienasyl nach §·26 AsylVfG·n.F. können auch Kinder erst erhalten, wenn der "stammberechtigte" Elternteil unanfechtbar als Asylberechtigter anerkannt ist.
Urteil des 9. Senats vom 29. September 1998 - BVerwG 9 C 31.97 -
I. VG Saarlouis vom 25.01.1994 - Az.: VG 5 K 267/93.A - II. OVG Saarlouis vom 27.01.1997 - Az.: OVG 3 R 84/95 -
BVerwG 9 C 31.97 OVG 3 R 84/95
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 29. September 1998 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Seebass, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund und Richter, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck sowie den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eichberger
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 27. Januar 1997 wird aufgehoben, soweit es die Berufung des Beteiligten zurückgewiesen hat. Das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 25. Januar 1994 wird in vollem Umfang aufgehoben.
Die Klage wird auch insoweit abgewiesen, als mit ihr die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter begehrt wird.
Im übrigen hinsichtlich des Vorliegens von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG wird die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Kläger trägt zwei Drittel der Kosten des Verfahrens. Im übrigen bleibt die Entscheidung über die Kosten der Schlußentscheidung vorbehalten.
Gründe:
I.
Der 1976 geborene Kläger, ein albanischer Volkszugehöriger aus dem Kosovo (Bundesrepublik Jugoslawien), reiste im April 1992 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte unmittelbar nach seiner Einreise einen Asylantrag. Dabei gab er im wesentlichen an, er habe seine Heimat gemeinsam mit seinem Bruder verlassen, weil dieser eine Ladung zum Militär nach Bosnien erhalten habe und von der Polizei gesucht worden sei. Er selbst sei zweimal von Polizisten verprügelt worden.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte den Asylantrag ab, stellte fest, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen und forderte den Kläger unter Androhung der Abschiebung nach "Restjugoslawien, Teilrepublik Serbien" zur Ausreise auf.
Auf die hiergegen gerichtete Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung des Bundesamtsbescheids, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Es ging davon aus, daß dem Kläger bei einer Rückkehr in seine Heimat eine gegen die Gruppe der Albaner im Kosovo gerichtete Verfolgung drohe.
Auf die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) hat das Oberverwaltungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung teilweise geändert und die Klage insoweit abgewiesen, als der Kläger begehrt, die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festzustellen. Im übrigen hat es die Berufung des Bundesbeauftragten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei nicht bereits wegen seiner albanischen Volkszugehörigkeit unter dem Aspekt der Gruppenverfolgung asylberechtigt. Ihm sei aber gemäß § 26 Abs. 2 AsylVfG Familienasyl zu gewähren. Das Verwaltungsgericht habe die Beklagte verpflichtet, den Vater des Klägers als Asylberechtigten anzuerkennen. Daß dieses Urteil noch nicht rechtskräftig sei, stehe der Gewährung von Familienasyl zugunsten des Klägers nicht entgegen. Die Feststellung, daß auch die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, könne der Kläger neben der Gewährung von Familienasyl jedoch nicht beanspruchen (§ 31 Abs. 5 AsylVfG). Wenn man im Hinblick auf einen möglichen negativen Ausgang des Asylverfahrens seines Vaters eine individuelle Prüfung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bzw. des Asylgrundrechts gleichwohl für geboten erachte, ergebe sich nichts anderes. Individuelle Asylgründe lägen nicht vor.
Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Revision vor, die Berufungsentscheidung verletze § 26 AsylVfG. Voraussetzung für die Gewährung von Familienasyl sei bereits nach der im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung maßgeblichen Fassung des § 26 AsylVfG gewesen, daß der Stammberechtigte unanfechtbar als Asylberechtigter anerkannt sei. Jedenfalls scheitere eine Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter nunmehr an der inzwischen geänderten Fassung des § 26 AsylVfG Durch die neue Fassung der Vorschrift werde zwar nur für Ehegatten ausdrücklich geregelt, daß Familienasyl erst nach unanfechtbarer Anerkennung des Stammberechtigten zu gewähren sei. Die bei der Regelung für Kinder in § 26 Abs. 2 AsylVfG fehlende Verweisung auf diese Neufassung beruhe aber offensichtlich auf einem Redaktionsversehen.
Die Klage des Vaters des Klägers auf Gewährung von Asyl und Abschiebungsschutz ist durch Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 6. März 1998 3 R 43/98 abgewiesen worden. Die Beschwerde des Vaters gegen die Nichtzulassung der Revision ist durch Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. August 1998 BVerwG 9 B 590.98 verworfen worden.
II
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist entsprechend dem vor dem Verwaltungsgericht gestellten unbeschränkten Antrag auf asyl- und ausländerrechtlichen Schutz in Deutschland nicht nur der Hauptantrag des Klägers auf Asylanerkennung nach Art. 16 a GG bzw. § 26 AsylVfG, sondern auch sein bisher nicht beschiedenes Hilfsbegehren auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG. Nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens ist dagegen der weitere Hauptantrag des Klägers auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Das Berufungsurteil, das die Klage in diesem Punkt abgewiesen hat, ist insoweit nicht angefochten und daher rechtskräftig geworden.
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht, soweit es dem Kläger Asyl zugesprochen hat. Insoweit ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Soweit der Kläger hilfsweise Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG begehrt, fehlt es für eine abschließende Entscheidung des Senats an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts. Die Sache ist deshalb in diesem Umfang zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, daß der Kläger nicht nach Art. 16 a Abs. 1 GG als Asylberechtigter anzuerkennen ist. Es hat die Voraussetzungen für einen Asylanspruch des Klägers wegen eigener politischer Verfolgung im einzelnen geprüft und sowohl die Gefahr einer staatlichen Gruppenverfolgung aller ethnischen Albaner im Kosovo als auch die Gefahr einer individuellen politischen Verfolgung des Klägers verneint. Die entsprechenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden und deshalb für den erkennenden Senat bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO).
Für die Entscheidung des Berufungsgerichts, dem Kläger Familienasyl zuzuerkennen, ist mit der am 1. November 1997 in Kraft getretenen Änderung des § 26 AsylVfG durch Art. 2 Nr. 4 des Gesetzes zur Änderung ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 29. Oktober 1997 (BGBl I S. 2584), die im Revisionsverfahren zu berücksichtigen ist, die Rechtsgrundlage entfallen. Nach § 26 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG n.F. diese Regelung ist neu in das Gesetz eingefügt worden kann der Ehegatte eines Asylberechtigten nämlich nur dann (Familien-)Asyl erhalten, wenn "die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist". Dies gilt für die im Zeitpunkt ihrer Asylantragstellung minderjährigen ledigen Kinder eines Asylberechtigten entsprechend. Zwar ist für die minderjährigen ledigen Kinder eines Ausländers im Gesetz zur Änderung ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 29. Oktober 1997 nicht ausdrücklich geregelt worden, ob ihnen vor der Unanfechtbarkeit der Asylanerkennung eines Elternteils Familienasyl gewährt werden kann. Insoweit enthält das Gesetz aber eine Regelungslücke. Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber in dieser Frage nunmehr zwischen Ehegatten und minderjährigen ledigen Kindern hat differenzieren wollen, ergeben sich weder aus den Gesetzesmaterialien noch sind sie sonst ersichtlich. Die Neufassung des § 26 AsylVfG ist erst im Vermittlungsverfahren auf Vorschlag des Bundesministeriums des Innern BMI eingefügt worden (vgl. BTDrucks 13/7956). Ausgangspunkt hierfür war die bei einem "Praktikertreffen" im BMI erhobene Forderung, die durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 89, 315) geschaffene Rechtslage zu ändern und Familienasyl nur bei unanfechtbarer Anerkennung des "Stammberechtigten" zu gewähren (vgl. Henning, EE Brief 3/98 S. 7; ebenso die Schreiben des BMI und des Vermittlungsausschusses vom April 1998 an den Senat zu den Verfahren BVerwG 9 C 46.97 u.a.). Der Umsetzung dieser Forderung, die offenkundig nicht auf eine unterschiedliche Behandlung von Ehegatten (nach Abs. 1) und Kindern (nach Abs. 2) zielte, diente die vom BMI vorgeschlagene, zunächst in eine "Synopse" der Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses übernommene und später unverändert beschlossene Änderung des § 26 AsylVfG. Bei der Abfassung des Änderungsvorschlags und im weiteren Verfahren wurde offenbar übersehen, daß es für eine einheitliche Änderung des Familienasyls nicht ausreichte, die Regelung für Ehegatten in § 26 Abs. 1 AsylVfG um die neue Nr. 1 zu ergänzen und die bisherige Verweisung des § 26 Abs. 2 AsylVfG redaktionell an die geänderte Numerierung in Abs. 1 anzupassen, ohne zugleich für die minderjährigen ledigen Kinder den Umfang der Verweisung in Abs. 2 auf die neue Nr. 1 des Abs. 1 zu erstrecken.
Auch im Hinblick auf den Zweck der Neuregelung ist kein Umstand erkennbar, der eine Differenzierung zwischen dem Ehegatten und den minderjährigen ledigen Kindern eines noch nicht bestandskräftig anerkannten Asylberechtigten nahelegt. Mit der Neuregelung soll ausgeschlossen werden, daß Familienangehörige unanfechtbar als Asylberechtigte anerkannt werden, bevor endgültig feststeht, ob das "stammberechtigte" Familienmitglied asylberechtigt ist. Der Vermeidung von Statusdifferenzen, die nach bisheriger Rechtslage bei dem Ehegatten und den Kindern eines noch nicht bestandskräftig anerkannten Ausländers in gleicher Weise entstehen konnten, hat der Gesetzgeber nunmehr Vorrang eingeräumt gegenüber der Erleichterung für Behörden und Gerichte, im Falle der Anerkennung zumindest eines Elternteils zugleich auch über die Asylanträge der übrigen Mitglieder einer Kleinfamilie positiv entscheiden zu können, ohne die Asylgründe jedes einzelnen nachprüfen zu müssen. Der Zweck der Neuregelung spricht daher gleichfalls für eine analoge Anwendung des § 26 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG n.F. auf minderjährige ledige Kinder (ebenso OVG Lüneburg, Urteil vom 11. März 1998 2 L 3674/94 und Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, § 26 AsylVfG Rn. 13).
Abgesehen von dem durch die Rechtsänderung eingetretenen Wegfall der Rechtsgrundlage für die Anerkennung des Klägers als familienasylberechtigt könnte seine Anerkennung auch deshalb dies hätte im übrigen auch nach altem Recht gegolten keinen Bestand haben, weil die Asylklage des Vaters des Klägers inzwischen rechtskräftig abgewiesen worden ist, so daß es an einem "Stammberechtigten", der dem Kläger einen Anspruch auf Familienasyl vermitteln könnte, fehlt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, soweit sie abschließend zu treffen ist. Dabei bewertet der Senat das Unterliegen des Klägers im Streit über die in den Instanzen anhängig gewesenen Ansprüche auf Asylanerkennung nach Art. 16 a GG bzw. § 26 AsylVfG und auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG im Verhältnis zu dem nachrangigen Anspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG mit zwei Dritteln des Gesamtinteresses an einem Obsiegen. Soweit der Rechtsstreit zurückverwiesen wird, bleibt die Kostenentscheidung der Schlußentscheidung vorbehalten. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Ende der Entscheidung
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