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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 26.11.2003
Aktenzeichen: BVerwG 9 C 4.03
Rechtsgebiete: AbwAG


Vorschriften:

AbwAG § 4 Abs. 1
AbwAG § 4 Abs. 4
AbwAG § 6 Abs. 1
AbwAG § 6 Abs. 2
AbwAG § 10 Abs. 3
AO § 153
1. Das Verrechnungsverbot des § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG greift auch dann ein, wenn die Anwendbarkeit der Abgabenerhöhungsvorschrift des § 4 Abs. 4 AbwAG durch § 6 Abs. 2 AbwAG vermittelt wird.

2. Eine Abgabeerklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG kann nach Ablauf der Erklärungsfrist nicht abgeändert werden.


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 26. November 2003

BVerwG 9 C 4.03

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 26. November 2003 durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hien und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost, Prof. Dr. Rubel, Dr. Eichberger und Dr. Nolte

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Januar 2003 wird aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 12. November 1997 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, in welchem Umfang die Klägerin Investitionskosten für die Erweiterung ihrer Abwasserbehandlungsanlage gemäß § 10 Abs. 3 AbwAG mit der von ihr geschuldeten Abwasserabgabe für das Jahr 1992 verrechnen kann.

Nachdem durch Gesetzesänderungen eine Berechnung der Abwasserabgabe aufgrund des der Klägerin erteilten wasserrechtlichen Erlaubnisbescheides nicht mehr möglich war, gab die Klägerin für das Veranlagungsjahr 1992 am 29. November 1991 eine Erklärung gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG ab, wonach sie bestimmte Überwachungswerte einhalten werde. Im Rahmen der amtlichen Überwachung wurde eine Überschreitung dieser Werte festgestellt. Mit Schreiben vom 28. Januar 1993 gab die Klägerin eine neue, "berichtigte" Erklärung ab. Die berichtigten Werte entsprechen den höchsten im Rahmen der amtlichen Überwachung gemessenen Werten. Mit weiterem Schreiben vom 28. Januar 1993 stellte die Klägerin für das Jahr 1992 einen Antrag auf Verrechnung nach § 10 Abs. 3 AbwAG und machte hierfür Aufwendungen für den Ausbau ihrer Abwasserbehandlungsanlage von insgesamt 6 917 000 DM geltend.

Mit Bescheid vom 19. August 1993 setzte der Beklagte für das Jahr 1992 eine Abwasserabgabe in Höhe von 3 924 732,10 DM fest. Den Antrag der Klägerin auf nachträgliche Berichtigung der Abgabeerklärung lehnte er ab, ging wegen Nichteinhaltung der erklärten Überwachungswerte von einer gemäß § 4 Abs. 4 AbwAG erhöhten Zahl der Schadeinheiten aus und nahm unter Hinweis auf § 4 Abs. 4 AbwAG eine Verrechnung nur mit dem nicht erhöhten Teil der Abgabe in Höhe von 1 034 250 DM vor. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.

Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben und begehrt, den Beklagten zu verpflichten, einen weiteren Betrag von 2 949 882,10 DM mit der für 1992 geschuldeten Abwasserabgabe zu verrechnen. Aufgrund ihrer berichtigten Erklärung sei ein "erhöhter Teil der Abgabe", auf den sich das Verrechnungsverbot des § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG beziehe, nicht vorhanden. Außerdem erfasse die Vorschrift nur den Regelfall behördlich festgesetzter Überwachungswerte, nicht jedoch Abgabeerklärungen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und ist davon ausgegangen, dass § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG auch im Fall des § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG eine Verrechnung mit dem nach § 4 Abs. 4 AbwAG erhöhten Teil der Abgabe ausschließe. Ihre zunächst abgegebene Erklärung für das Jahr 1992 habe die Klägerin nicht ändern können, weil § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG für die Abgabe der Erklärung eine gesetzliche Ausschlussfrist setze.

Auf die Berufung der Klägerin hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts abgeändert und den Beklagten unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide verpflichtet, Aufwendungen der Klägerin für ihre Abwasserbehandlungsanlage im Umfang von weiteren 1 508 250,70 € (= 2 949 882,10 DM) mit der von ihr für das Jahr 1992 geschuldeten Abwasserabgabe zu verrechnen. Das Verrechnungsverbot des § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG gelte nicht, wenn die Anwendbarkeit der Abgabeerhöhungsvorschrift des § 4 Abs. 4 AbwAG durch § 6 Abs. 2 AbwAG vermittelt werde. Hierfür spreche schon der Gesetzeswortlaut, da § 6 Abs. 2 AbwAG in § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG nicht erwähnt werde. Der Wortlaut sei im Abgabenrecht von vorrangiger Bedeutung. Das Auslegungsergebnis werde bekräftigt durch die Gesetzesbegründung der Bundesregierung, in der lediglich von den nach § 4 Abs. 1 AbwAG maßgeblichen Überwachungswerten die Rede sei und die nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG erklärten Werte nicht erwähnt würden, sowie durch gesetzessystematische Erwägungen: § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG habe gegenüber § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG ebenso wie § 6 Abs. 1 AbwAG gegenüber § 4 Abs. 1 AbwAG Ausnahmecharakter. Diesem Ausnahmecharakter werde die von der Klägerin bevorzugte Auslegung eher gerecht, weil sie sämtliche Fälle des § 6 Abs. 1 AbwAG im Hinblick auf die Verrechnungsmöglichkeit gleichbehandele und § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG auf keinen von ihnen anwende. Der Sinn und Zweck des § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG hingegen gebe für die zu entscheidende Frage nichts Signifikantes her.

Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine fehlerhafte Auslegung von § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG. Schon der Wortlaut schließe eine Einbeziehung der Fälle des § 6 Abs. 2, § 4 AbwAG nicht aus. Die Gesetzesbegründung spreche zwar nur von "nach § 4 Abs. 1 maßgeblichen Überwachungswerten"; ihr sei aber ebenso zu entnehmen, dass die Regelung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG einen Anreiz zur Einhaltung der Überwachungswerte sicherstellen solle. Da nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG auch erklärte Werte einzuhaltende Überwachungswerte seien, sei kein Grund für die Nichtanwendung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG erkennbar. Auch den systematischen Erwägungen des Verwaltungsgerichtshofs zur Gleichbehandlung aller Fälle des § 6 Abs. 1 AbwAG könne nicht gefolgt werden. Die Abwasserabgabe werde in den Fällen des § 6 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AbwAG nach anderen Grundsätzen erhoben als in den Fällen des § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG. In den erstgenannten Fällen sei eine Überschreitung von Überwachungswerten nicht möglich, weshalb § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG nicht angewandt werden könne. Im Gegensatz dazu simulierten die erklärten Überwachungswerte nach Satz 1 der Vorschrift die im Bescheid fehlenden Überwachungswerte nach § 4 Abs. 1 AbwAG, träten also gleichwertig an die Stelle der fehlenden behördlichen Überwachungswerte. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs ergebe sich diese Auslegung auch aus dem Sinn und Zweck des § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG. Die Regelung stelle sicher, dass der Anreiz zur Einhaltung der Überwachungswerte nicht durch eine Verrechnungsmöglichkeit aufgehoben werde. Andernfalls würden Einleiter, die behördlich vorgeschriebene Überwachungswerte überschritten, bei der Verrechnung schlechter gestellt als solche, die in Ermangelung behördlicher Überwachungswerte die von ihnen selbst nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG erklärten Überwachungswerte nicht einhielten. Dieses Ergebnis sei nicht nachvollziehbar.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Januar 2003 aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie betont die ausschließliche Erwähnung des § 4 Abs. 4 AbwAG in § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG. Entgegen der Auffassung der Revision sei die Abgabe in den von § 6 Abs. 2 AbwAG vermittelten Fällen nicht "nach § 4 Abs. 4", sondern "nach § 6 Abs. 2 erhöht". Darauf, dass die Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG das Verfahren nach § 4 Abs. 1 AbwAG simuliere, könne nicht abgestellt werden. Zum Ersten seien beide Verfahren nicht gleichwertig, weil rechtsverbindlichen hoheitlichen Werten naturgemäß höheres Gewicht zukomme als Werten, die vom Anlagenbetreiber in atypischen, vorübergehenden Konstellationen erklärt würden. Zum Zweiten gelte die Simulation nur für die Ermittlung der Überwachungswerte; für das Verrechnungsverbot lasse sich daraus nichts herleiten. Zum Dritten wäre die Vorschrift des § 6 Abs. 2 AbwAG überflüssig, wenn man von einer Gleichwertigkeit der Verfahren ausginge. Die von der Revision befürwortete analoge Anwendung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG auf die Abgabenerhöhung nach § 6 Abs. 2 AbwAG widerspreche dem Ausnahmecharakter des Verrechnungsverbots, da es sich am gesetzlichen Regelfall des Bescheidsystems (§ 4 Abs. 1 AbwAG) orientiere und restriktiv auszulegen sei. Außerdem sei die Analogie im Hinblick auf das abgaberechtliche Gebot der Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit von Abgabelasten sowie wegen des grundsätzlichen Verbots der Begründung von Abgabepflichten durch Analogie unzulässig. Schließlich führe die Rechtsauffassung der Revision zu dem gleichheitswidrigen Ergebnis, dass derjenige, der von vornherein gesetzeswidrig keine Erklärung abgebe, seine Investitionsaufwendungen verrechnen dürfe, der gesetzestreue Erklärungspflichtige, der die erklärten Werte lediglich überschreite, hingegen nicht. Dies werde vermieden, wenn man die strenge Sanktion des Verrechnungsverbots auf die Überschreitung von auf Dauer bescheidmäßig festgesetzten Werten beschränke und nicht auf die Fälle des § 6 AbwAG erstrecke, der nur provisorische Regelungen für Ausnahmesituationen beinhalte. Sanktionslos bleibe eine Grenzwertüberschreitung auch in den Fällen des § 6 AbwAG nicht, da sich die Abgabe auch hier nach § 6 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 4 AbwAG erhöhe.

Der Vertreter des Bundesinteresses unterstützt den Rechtsstandpunkt des Beklagten.

II.

Die zulässige Revision ist begründet.

Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, das Verrechnungsverbot des § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG sei im Fall der Überschreitung eines gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG erklärten Überwachungswertes nicht anwendbar, verletzt Bundesrecht (1.). Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (2.). Dies führt zu seiner Aufhebung und zur Zurückweisung der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts (vgl. § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).

1. Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG können Aufwendungen für die Errichtung oder Erweiterung von Abwasserbehandlungsanlagen unter bestimmten Voraussetzungen mit der Abwasserabgabe verrechnet werden. Dies gilt jedoch gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG nicht für den nach § 4 Abs. 4 AbwAG erhöhten Teil der Abgabe. Eine solche Erhöhung der Abgabe ist vorzunehmen, wenn ein der Abgabenberechnung zugrunde zu legender Überwachungswert im Veranlagungszeitraum überschritten wird (§ 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG). Soweit der die Abwassereinleitung zulassende Bescheid Überwachungswerte festlegt, sind diese maßgeblich (§ 4 Abs. 1 AbwAG), andernfalls ergeben sich die Überwachungswerte aus einer entsprechenden Erklärung des Einleiters (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG), aus dem höchsten Messergebnis der behördlichen Überwachung (§ 6 Abs. 1 Satz 2 AbwAG) oder letztlich aufgrund einer behördlichen Schätzung (§ 6 Abs. 1 Satz 3 AbwAG). § 6 Abs. 2 AbwAG erklärt für diese Fälle § 4 Abs. 2 bis 5 AbwAG für entsprechend anwendbar.

Der Verwaltungsgerichtshof hat angenommen, dass das Verrechnungsverbot des § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG nur dann eingreift, wenn die Abgabenerhöhung nach § 4 Abs. 4 AbwAG auf die Überschreitung eines Bescheidwertes nach § 4 Abs. 1 AbwAG zurückzuführen ist, nicht aber dann, wenn die Erhöhung - wie hier - auf der Nichteinhaltung eines Erklärungswertes nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG beruht. Das trifft jedoch nicht zu. Auch dann, wenn die Anwendbarkeit der Abgabenerhöhungsvorschrift des § 4 Abs. 4 AbwAG durch § 6 Abs. 2 AbwAG vermittelt wird, entsteht ein "nach § 4 Abs. 4 erhöhter Teil der Abgabe" im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG, mit dem die geschuldete Abwasserabgabe nicht verrechnet werden kann.

a) Eine solche Auslegung ist vom Wortlaut des § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG gedeckt. Zu Unrecht beruft sich der Verwaltungsgerichtshof darauf, der Wortlaut spreche "überwiegend" für die von ihm vertretene engere Auslegung. § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG verweist lediglich auf die Rechtsfolge eines "nach § 4 Abs. 4 erhöhten Teils der Abgabe", ohne auf die Voraussetzungen einer solchen Erhöhung Bezug zu nehmen. Auch im Falle der über § 6 Abs. 2 AbwAG vermittelten Anwendung von § 4 Abs. 4 AbwAG entsteht mangels insoweit einschlägiger Regelungen in § 6 Abs. 2 AbwAG ein "nach § 4 Abs. 4 erhöhter Teil der Abgabe". Es wäre gesetzestechnisch ungewöhnlich, vom Gesetzgeber zu verlangen, von einer "nach § 4 Abs. 4 oder § 6 Abs. 2 erhöhten Abgabe" zu sprechen, um Erhöhungen wegen Überschreitung von Bescheidwerten ebenso wie von Erklärungswerten einzubeziehen.

Weder das Gebot der Bestimmtheit von Abgabetatbeständen noch der abgaberechtliche Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit zwingen im Übrigen dazu oder legen es auch nur stets nahe, von mehreren denkbaren Auslegungsmöglichkeiten, die sich - wie auch der Verwaltungsgerichtshof hier nicht infrage gestellt hat - im Rahmen des möglichen Wortlauts halten (vgl. BVerfGE 71, 108, 115), von vornherein nur die engste als maßgeblich zu erachten (vgl. auch Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Aufl., § 4 Rn. 184).

b) Die Anwendbarkeit des Verrechnungsverbotes auf über § 6 Abs. 2 AbwAG vermittelte Fälle der Abgabenerhöhung nach § 4 Abs. 4 AbwAG steht auch mit gesetzes-systematischen Gesichtspunkten in Einklang.

Dass es sich bei dem Verhältnis von § 10 Abs. 3 Satz 1 zu § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG sowie von § 4 Abs. 1 gegenüber § 6 Abs. 1 AbwAG um "eindeutige Regel-Ausnahme-Konstellationen" handelt, denen der Verwaltungsgerichtshof "indizielles Gewicht" für seine Rechtsauffassung beigemessen hat, ist - wie der Vertreter des Bundesinteresses zutreffend angemerkt hat - aus der Gesetzessystematik nicht zu erkennen. Im Übrigen ließe sich allein aus dem Ausnahmecharakter der genannten Regelungen das Gebot ihrer engen Auslegung nicht ableiten: Auch die Interpretation von "Ausnahmevorschriften" folgt den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen; auch diese Vorschriften sind, je nach der ihnen innewohnenden Zweckrichtung, einer einschränkenden oder ausdehnenden Auslegung zugänglich (BVerwG, Urteil vom 7. November 1995 - BVerwG 9 C 73.95 - Buchholz 402.25 § 26 a AsylVfG Nr. 1 S. 7 m.w.N.).

Zu Unrecht geht der Verwaltungsgerichtshof auch davon aus, die in § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG geregelte "Erklärungslösung" weise im Hinblick auf die Verrechnungsmöglichkeit eine stärkere systematische Verwandtschaft mit den in Satz 2 und Satz 3 dieser Vorschrift geregelten Fällen der "Messlösung" und der "Schätzlösung" auf als mit der in § 4 Abs. 1 AbwAG geregelten "Bescheidlösung". Zutreffend ist zwar, dass im Fall der Messlösung ebenso wie im Fall der Schätzlösung das Verrechnungsverbot des § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG nicht anwendbar ist, weil insoweit eine Überschreitung des - retrospektiv - ermittelten Überwachungswertes ausgeschlossen ist und mithin ein "erhöhter Teil der Abgabe" im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG nicht entstehen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2002 - BVerwG 9 C 4.01 - BVerwGE 115, 339 <347>). Hiermit ist der in § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG geregelte Fall der - prospektiven - Erklärung von Überwachungswerten jedoch nicht vergleichbar. Mit dieser Erklärungslösung hat der Gesetzgeber vielmehr die in § 4 Abs. 1 AbwAG geregelte Bescheidlösung für den Fall fehlender Bescheidwerte simuliert (BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2002 - a.a.O. - S. 346 m.w.N.). Das schließt die Übertragung des für die Bescheidlösung geltenden Anreiz- und Sanktionssystems auf die Erklärungslösung ein. Denn es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber dem erklärten Überwachungswert eine geringere Verbindlichkeit beimessen wollte als dem behördlich festgesetzten Bescheidwert und Überschreitungen deswegen weniger streng sanktionieren wollte. Das stellt die Klägerin hinsichtlich der in § 4 Abs. 4 AbwAG vorgesehenen Erhöhung der Abgabe im Fall einer Überschreitung des Erklärungswertes - zu Recht - auch nicht in Frage. Es muss aber gleichermaßen für die Anwendbarkeit des Verrechnungsverbotes nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG gelten. Denn andernfalls wäre ein Einleiter, der Bescheidwerte überschreitet, schlechter gestellt als derjenige, der seine selbst erklärten Überwachungswerte nicht einhält. Ein sachlicher Grund für eine solche Ungleichbehandlung ist nicht erkennbar.

Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin ist eine solche Ungleichbehandlung auch nicht deswegen hinzunehmen, weil sich andernfalls eine noch schwerwiegendere Ungleichbehandlung zwischen den Fällen des § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG und den in den Sätzen 2 und 3 dieser Vorschrift geregelten ergäbe. Die Klägerin meint, der gesetzestreue Erklärungspflichtige werde mit einem Verrechnungsverbot bestraft, während dem gesetzesbrechenden Nichterklärer die Belohnung der Verrechnung bleibe. Das trifft indes nicht zu. Beim Vergleich der Fallgruppen des § 6 Abs. 1 AbwAG darf nicht einseitig auf die Möglichkeit einer Verrechnung nach § 10 Abs. 3 AbwAG abgestellt werden. Vielmehr sind der gesamte Anreiz- und Sanktionsmechanismus des Abwasserabgabengesetzes und seine Wirkung in den Blick zu nehmen. Bei dieser Betrachtung ist nicht zu erkennen, dass der "Erklärungsverweigerer" im Grundsatz besser gestellt wird als derjenige, der der gesetzlichen, wenn auch nicht unmittelbar erzwingbaren Verpflichtung zur Erklärung des Überwachungswertes nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG nachkommt. Denn dem Vorteil der Verrechnungsmöglichkeit nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG stehen in den Fällen des § 6 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AbwAG der Ausschluss einer Reduzierung des Abgabensatzes nach § 9 Abs. 5 AbwAG und einer Heraberklärung nach § 4 Abs. 5 AbwAG sowie das Risiko einer intensivierten behördlichen Überwachung gegenüber (BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2002 - a.a.O. - S. 346). Diese Folgen mögen zwar - was verfassungsrechtlich allerdings unbedenklich wäre (BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2002 - a.a.O. - S. 346 m.w.N.) - eine Besserstellung des "Erklärungsverweigerers" nicht in jedem Einzelfall verhindern können, sind aber jedenfalls grundsätzlich geeignet, etwaigen Anreizen, der Erklärungspflicht mit dem Ziel der Erhaltung der Verrechnungsmöglichkeit nicht nachzukommen, hinreichend entgegenzuwirken.

c) Vor allem Sinn und Zweck der Regelung des § 10 Abs. 3 AbwAG gebieten den Ausschluss einer Verrechnungsmöglichkeit im Fall einer durch Überschreitung des erklärten Überwachungswertes bedingten Abgabenerhöhung.

Die Zurückhaltung des Verwaltungsgerichtshofs gegenüber der Aussagekraft der teleologischen Auslegung im Abgabenrecht ist jedenfalls im hier interessierenden Zusammenhang einer Lenkungsabgabe, mit der der Gesetzgeber das Ziel einer indirekten Verhaltenssteuerung verfolgt, nicht gerechtfertigt. Die Rechtsprechung des Senats, in der er wiederholt dem verhaltenssteuernden Charakter von Normen des Abwasserabgabengesetzes entscheidende Bedeutung für die Auslegung beigemessen hat, gibt zu solcher Zurückhaltung jedenfalls keinen Anlass (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2002 - a.a.O. - S. 346 m.w.N.).

Die Abwasserabgabe soll nach dem Willen des Gesetzgebers eine Anreizwirkung zur Durchführung von Gewässerschutzmaßnahmen ausüben (vgl. etwa BTDrucks 12/4272, S. 1). Diese Lenkungswirkung wird durch das "Bauphasenprivileg" nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG gestützt, indem der Investitionsaufwand für bestimmte Maßnahmen schon vor deren Wirksamkeit, nämlich bereits während der auf drei Jahre geschätzten Bauzeit, mit der in diesem Zeitraum anfallenden Abwasserabgabe verrechnet werden kann (BVerwG, Urteil vom 8. September 2003 - BVerwG 9 C 1.03 - juris - m.w.N.). Hierdurch soll eine Doppelbelastung des Einleiters durch Investitionskosten und Abgabe vermieden werden. Die Begrenzung der Verrechnung in § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG soll jedoch sicherstellen, dass der Anreiz zur Einhaltung der Überwachungswerte durch die Verrechnungsmöglichkeit nicht aufgehoben wird (BTDrucks 11/4942 S. 10). Das Gesetz sieht mithin - wie der Vertreter des Bundesinteresses zutreffend ausgeführt hat - die Investition des Einleiters als solche noch nicht als "besonders förderungswürdig" an, sondern nur insoweit, als sich der Einleiter auch im Übrigen den Mechanismen des Abwasserabgabengesetzes unterwirft und deren Vorgaben einhält. Das ist bei einer Überschreitung der Überwachungswerte, die zu einer erhöhten Abgabenfestsetzung führt, nicht der Fall.

Diese Erwägungen gelten für die Fälle des § 4 Abs. 1 Satz 1 und des § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG gleichermaßen. Andernfalls wäre dem Einleiter, der die einzuhaltenden Überwachungswerte selbst erklärt hat, deren risikoloses Überschreiten möglich. Auch in diesem Fall werden die Anreize und Sanktionen des Abwasserabgabengesetzes und somit auch das Verrechnungsverbot nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG nicht entbehrlich.

2. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO). Die Tatbestandvoraussetzungen des Verrechnungsverbots nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG, deren Vorliegen der Verwaltungsgerichtshof - aus seiner Sicht konsequent - nicht geprüft hat, sind erfüllt.

Das Verrechnungsverbot des § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG greift auch dann, wenn die Anwendbarkeit der in Bezug genommenen Vorschrift des § 4 Abs. 4 AbwAG über § 6 Abs. 2 AbwAG vermittelt wird, nur ein, soweit ein "erhöhter Teil der Abgabe" vorliegt. Die Klägerin meint, diese Voraussetzung sei nicht gegeben, weil sie ihre Abgabeerklärung für 1992 vom 29. November 1991 nachträglich mit Schreiben vom 28. Januar 1993 berichtigt habe. Das trifft jedoch nicht zu.

Die "Berichtigung" einer Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG ist nicht mehr möglich, wenn - wie hier - die in dieser Vorschrift festgelegte Erklärungsfrist abgelaufen ist. Mit dieser Ausschlussfrist soll der Einleiter im Rahmen der Abgabenberechnung nach dem Erklärungssystem dazu angehalten werden, die erklärten Überwachungswerte einzuhalten oder sogar zu unterbieten. An die Unter- und Überschreitung der erklärten Überwachungswerte sind deshalb positive oder negative abgaberechtliche Folgen geknüpft (so genanntes "Bonus-Malus-System", vgl. etwa § 6 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 4 AbwAG oder § 9 Abs. 5 AbwAG). Dass die vom Gesetzgeber damit angestrebte Steuerungswirkung (BTDrucks 10/5533, S. 13) verfehlt würde, wenn die Überwachungswerte vom Einleiter nachträglich, d.h. später als einen Monat vor Beginn des Veranlagungszeitraums, abgegeben werden könnten, hat der Senat bereits entschieden (Urteil vom 29. Januar 2001 - BVerwG 11 C 3.00 - Buchholz 401.64 § 6 AbwAG Nr. 3). Für die nachträgliche "Berichtigung" kann nichts anderes gelten. Denn die verhaltenssteuernde Funktion des Bonus-Malus-Systems kann nur wirksam werden, wenn sich der Einleiter mit seiner Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG vorab und ohne Änderungsmöglichkeit auf bestimmte Überwachungswerte festlegt. Das schließt nachträgliche "Korrekturen" nach Kenntniserlangung von Messergebnissen aus der behördlichen Überwachung, aus denen die mangelnde Einhaltung der erklärten Überwachungswerte hervorgeht, aus. Denn die Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG ist eine unmittelbare Rechtswirkung entfaltende Willenserklärung und keine Wissenserklärung, die durch das Auftreten neuer Tatsachen in Frage gestellt werden könnte.

Als speziellere Regelung schließt § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG die von der Klägerin geltend gemachte Berichtigungsbefugnis nach Art. 14 BayAbwAG i.V.m. § 153 AO jedenfalls aus. Abgesehen davon ist nach dem vorstehend Ausgeführten auch nicht erkennbar, dass die Erklärung der Klägerin vom 28. November 1991 aufgrund der Ergebnisse der behördlichen Überwachung "unrichtig" oder "unvollständig" im Sinne der zuletzt genannten Vorschrift geworden sein könnte.

b) Die von der Klägerin bereits im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Gründe für einen Billigkeitserlass der geschuldeten Abwasserabgabe hat der Beklagte im Widerspruchsbescheid vorsorglich erwogen, jedoch nicht abschließend beschieden. Das ist schon deswegen nicht zu beanstanden, weil über den Erlassantrag der Klägerin in einem gesonderten, nicht streitgegenständlichen Verfahren mit anderer Behördenzuständigkeit zu entscheiden ist (Art. 11 Abs. 1 Satz 4 BayAbwAG). Diese Entscheidung wird der Beklagte nunmehr entsprechend seiner in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärung zu treffen haben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1 508 250,70 € festgesetzt (§ 13 Abs. 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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