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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 02.09.1997
Aktenzeichen: BVerwG 9 C 40.96
Rechtsgebiete: AuslG, EMRK


Vorschriften:

AuslG § 53 Abs. 4 und 6
AuslG § 55 Abs. 2 bis 4
EMRK Art. 3
Leitsätze:

1. Auch eine extreme Leibes- und Lebensgefahr begründet ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK nur dann, wenn sie durch einen Staat oder eine staatsähnliche Organisation droht (Bestätigung des Urteils vom 15. April 1997 - BVerwG 9 C 38.96 -, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung bestimmt, unter Auseinandersetzung mit den inzwischen ergangenen Urteilen des EGMR vom 29. April 1997 - 11/1996/630/813 - und vom 2. Mai 1997 - 146/1996/767/964 -).

2. Ist die Abschiebung in den Zielstaat aus tatsächlichen Gründen nur auf einem bestimmten Weg möglich und sind dabei sichere Landesteile nicht ohne extreme Gefahren erreichbar, so ist auch bei nicht landesweiter extremer Gefahrenlage Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG zu gewähren.

Urteil des 9. Senats vom 2. September 1997 - BVerwG 9 C 40.96 -

I. VG Karlsruhe vom 09.11.1995 - Az.: VG A 9 K 11392/94 - II. VGH Mannheim vom 05.06.1996 - Az.: VGH A 13 S 1268/96 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 9 C 40.96 VGH A 13 S 1268/96

Verkündet am 2. September 1997

Battiege Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 2. September 1997 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Seebass und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bender, Dawin, Dr. Henkel und Hund

für Recht erkannt:

Die Beklagte wird unter entsprechender Abänderung der Urteile des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 5. Juni 1996 und des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 9. November 1995 verpflichtet festzustellen, daß für den Kläger in Somalia die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorliegen.

Im übrigen werden die Klage abgewiesen und die Berufung der Beklagten sowie die Revision des Beteiligten zurückgewiesen.

Der Kläger trägt fünf Sechstel, die Beklagte trägt ein Sechstel der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger und die Beklagte, diejenigen des Revisionsverfahrens der Kläger und der Beteiligte je zur Hälfte.

Gründe:

I.

Der 1979 in Mogadischu geborene Kläger ist somalischer Staatsangehöriger aus dem Stamm der Majerteen. Er verließ Mogadischu im August 1991 und reiste auf dem Luftwege über Nairobi Ende Januar 1992 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er seine Anerkennung als Asylberechtigter beantragte. Er trug vor, Somalia wegen des Bürgerkriegs verlassen zu haben, da insbesondere Jugendliche seines Alters zum Kampf gezwungen worden seien. Er gehöre dem Clan des früheren Präsidenten Siad Barre an, dessen Mitglieder nunmehr bekämpft und verfolgt würden. Seine Mutter habe jedoch frühzeitig für eine Fluchtmöglichkeit gesorgt; sonst wären sie sicher in den Bürgerkriegswirren ums Leben gekommen. Ihr Haus in Mogadischu sei bei einem Artillerieangriff zerstört worden. Im übrigen leide er seit drei Jahren an Herzrhythmusstörungen, deretwegen er im September 1992 operiert worden sei. Er habe künstliche Herzklappen erhalten und sei daher auf ärztliche Hilfe angewiesen, die er in Afrika kaum erhalten könne.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab (Nr. 1); zugleich stellte es fest, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht gegeben sind (Nr. 2) und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen (Nr. 3); außerdem drohte es dem Kläger die Abschiebung nach Somalia an (Nr. 4).

Das Verwaltungsgericht gab der Klage hinsichtlich der Nrn. 3 und 4 des Bescheids teilweise statt. Auf die Berufung des Bundesamtes hat der Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil geändert und dahin neu gefaßt, daß Nr. 3 des Bescheids des Bundesamtes aufgehoben und die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses gemäß § 53 Abs. 4 AuslG in bezug auf Somalia verpflichtet sowie Nr. 4 des Bescheids aufgehoben wird, soweit dem Kläger darin die Abschiebung nach Somalia angedroht worden ist; im übrigen hat er die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt:

Das Verwaltungsgericht habe die Androhung der Abschiebung nach Somalia zu Recht aufgehoben. Bei dem Kläger liege nämlich ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK vor. Art. 3 EMRK schütze allerdings nur vor Mißhandlungen, die ein geplantes, vorsätzliches, auf eine bestimmte Person gerichtetes Handeln darstellten. Für die allgemeinen Folgen von Bürgerkriegen treffe das offensichtlich nicht zu. Ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK liege jedoch auch dann vor, wenn der einzelne durch die aufenthaltsbeendende Handlung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder einer anderen schwersten Rechtsgutsverletzung ausgesetzt werde. In einer solchen extremen Gefahrenlage sei die zielgerichtete aufenthaltsbeendende Handlung selbst bereits als "unmenschlich" im Sinne von Art. 3 EMRK zu beurteilen und kein Raum mehr für die vom Bundesverwaltungsgericht insoweit geforderte verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG. Der Kläger würde im Falle seiner Abschiebung nach Somalia dort sehenden Auges, also mit hoher Wahrscheinlichkeit derart hochgradigen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt werden. Es bestehe für ihn nämlich das hohe Risiko, bei den Bürgerkriegsauseinandersetzungen getötet oder schwer verletzt zu werden bzw. mangels Existenzmöglichkeit außerhalb des eigenen Clans zu verhungern. Dieses Risiko bestehe, weil die deutschen Behörden eine Abschiebung entsprechend den Empfehlungen des Auswärtigen Amtes allenfalls über Mogadischu vornehmen würden. Dann aber würde der Kläger unmittelbar in die heftigen Kämpfe um Flugplatz und Hafen von Mogadischu geraten und damit der extremen Gefahr ausgesetzt, sofort getötet oder körperlich schwer verletzt zu werden. Mangels irgendeines existentiellen Rückhalts in Mogadischu würde er zudem der weiteren extremen Gefahr preisgegeben, an Hunger oder Krankheit zu sterben. Das gelte um so mehr angesichts der schweren Erkrankung des Klägers, die wohl in Mogadischu selbst nicht zureichend behandelt werden könnte.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision macht der Beteiligte geltend, § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK stehe einer Abschiebung nur dann entgegen, wenn die unmenschliche Behandlung vom aufnehmenden Heimatstaat oder von einem Drittstaat ausgehe oder von ihm zu verantworten sei.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, bereits die aufenthaltsbeendende Maßnahme des deutschen Staates sei als "unmenschlich" zu qualifizieren, wenn der Betroffene einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt würde, widerspreche der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.

Der Kläger tritt der Revision entgegen.

II.

Die Revision des Beteiligten ist begründet, soweit sie sich gegen die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG und die Aufhebung der Abschiebungsandrohung nach Somalia richtet; insoweit führt sie zur Änderung der vorinstanzlichen Urteile und zur Klageabweisung. Auf den Hilfsantrag des Klägers ist die Beklagte allerdings zur Feststellung der Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu verpflichten; insoweit sind die Revision des Beteiligten und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Mit der Annahme, ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 686) - EMRK - könne ohne eine im Zielstaat der Abschiebung drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch den dortigen Staat oder eine staatsähnliche Gewalt auch dann bestehen, wenn der Ausländer in eine extreme Gefahrenlage abgeschoben und damit gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde, verletzt das Berufungsurteil Bundesrecht. Die Ansicht des Berufungsgerichts, daß unter solchen Umständen die aufenthaltsbeendende Maßnahme selbst bereits die unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstelle und dem Betroffenen deshalb Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 4 AuslG zu gewähren sei, widerspricht der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. zuletzt das Urteil vom 15. April 1997 - BVerwG 9 C 38.96 -, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung bestimmt, m.w.N.). Danach besteht ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK nur, wenn dem Ausländer im Zielland der Abschiebung eine Behandlung droht, die - würde er sie in einem Vertragsstaat der EMRK erleiden - alle tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllt. Dazu ist erforderlich, daß der Ausländer im Zielstaat der Abschiebung Mißhandlungen ausgesetzt wäre, die nach Art, Intensität und Urheberschaft dem Art. 3 EMRK unterfallen und darum dort gegen den Standard von Art. 3 EMRK verstoßen (Urteil vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 15.95 - BVerwGE 99, 331 <334>). Dabei kann grundsätzlich nur eine im Zielstaat von einer staatlichen, ausnahmsweise auch von einer staatsähnlichen Herrschaftsmacht begangene oder von ihr zu verantwortende Mißhandlung eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK sein (Urteil vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 15.95 - a.a.O. - S. 335), wobei der Begriff der Behandlung ein geplantes, vorsätzliches, auf eine bestimmte Person gerichtetes Handeln im Zielstaat der Abschiebung voraussetzt. Art. 3 EMRK schützt ebenso wie das Asylrecht nicht vor den allgemeinen. Folgen von Naturkatastrophen und (Bürger-)Kriegen (Urteil vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 15.95 - a.a.O. - S. 333/334). Das gleiche gilt für die nachteiligen Auswirkungen eines unterentwickelten Gesundheitssystems. Auch die Herzkrankheit des Klägers vermag deshalb ein Abschiebungshindernis i.S. des § 53 Abs. 4 AuslG, Art. 3 EMRK nicht zu begründen.

Der Senat hat seine Rechtsprechung zur Auslegung und Anwendung des § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK erst jüngst bestätigt (vgl. das Urteil vom 15. April 1997 - BVerwG 9 C 38.96 -) und sich dabei mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - vom 17. Dezember 1996 in der Sache Ahmed gegen Österreich (InfAuslR 1997, 279) auseinandergesetzt; hierauf wird Bezug genommen. Auch die neueren Entscheidungen des EGMR geben keinen Anlaß zu einer Änderung dieser Rechtsprechung.

Das gilt zunächst für die Entscheidung vom 29. April 1997 - 11/1996/630/813 - in der Sache H.L.R. gegen Frankreich, in der über den Antrag eines Drogenschmugglers aus Kolumbien zu entscheiden war. Dieser hatte geltend gemacht, bei einer Abschiebung in sein Heimatland befürchte er die Rache seiner Auftraggeber, vor der ihn die kolumbianischen Behörden nicht schützen könnten. Denn aufgrund seiner Aussagen in Frankreich sei einer von ihnen festgenommen und verurteilt worden. In dieser Sache hat der EGMR erklärt, Art. 3 EMRK könne auch dann zur Anwendung kommen, wenn die geltend gemachte Gefahr von Personen oder Gruppen von Personen ausgehe, die nicht öffentliche Bedienstete seien, sofern dargelegt werde, daß die Gefahr real sei und die Behörden des Empfangsstaates nicht in der Lage seien, ihr durch angemessenen Schutz zu begegnen (Nr. 40 der Entscheidung). Im Ergebnis hat der EGMR allerdings eine Verletzung des Art. 3 EMRK verneint, weil der Antragsteller nicht dargetan habe, daß die ihm von den Drogenhändlern drohende Gefahr real sei und die Behörden ihn davor nicht schützen könnten (Nr. 42 und 43 der Entscheidung).

Abgesehen davon, daß die wiedergegebenen rechtlichen Ausführungen des EGMR unter Nr. 40 der Gründe seine Entscheidung nicht tragen, es sich dabei also lediglich um ein obiter dictum handeln dürfte, hat der erkennende Senat im Ansatz ebenso wie der EGMR stets erklärt, daß Mißhandlungen durch private Dritte eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen können, sofern sie dem Staat zugerechnet werden können (Senatsurteil vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 15.95 - a.a.O. - S. 335). Unterschiede in der Rechtsprechung beider Gerichte könnten somit allenfalls in der Frage bestehen, unter welchen Voraussetzungen eine solche Zurechenbarkeit anzunehmen ist. Während dies nach Ansicht des erkennenden Senats nur der Fall ist, wenn der Staat die Mißhandlungen durch Dritte veranlaßt, bewußt duldet oder ihnen gegenüber keinen Schutz gewährt, obwohl er dazu in der Lage wäre (Senatsurteil vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 15.95 - a.a.O. - S. 335), könnte der EGMR möglicherweise so zu verstehen sein, daß er die Mißhandlungen durch Dritte dem Staat auch dann zurechnen will, wenn dieser mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu einem wirksamen Schutz nicht in der Lage ist. Auch dann ließen sich jedoch der Entscheidung des EGMR keine Gesichtspunkte entnehmen, die eine Änderung der Rechtsprechung des erkennenden Senats veranlassen könnten, denn in dem entschiedenen Fall existierte in dem Empfangsstaat Kolumbien noch eine staatliche Herrschaftsmacht, der Mißhandlungen Dritter unter Umständen zugerechnet werden können, während dies vorliegend - in Somalia - nicht der Fall ist.

Entsprechendes gilt auch für die Entscheidung des EGMR vom 2. Mai 1997 - 146/1996/767/964 - in der Sache D. gegen Vereinigtes Königreich. Sie betrifft die Abschiebung eines an Aids im Endstadium leidenden Drogenschmugglers in seinen Heimatstaat St. Kitts. Hier hat der Gerichtshof unter Hinweis auf die höchst außergewöhnlichen Umstände des Falles und die auf dem Spiel stehenden zwingenden humanitären Erwägungen erklärt, daß die Abschiebung eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde (Nr. 53 Abs. 1 und Nr. 54 Abs. 2 der Entscheidung). Er begründete dies damit, daß nach seinen Feststellungen der abrupte Entzug der im Vereinigten Königreich vom Antragsteller genossenen medizinischen und karitativen Betreuung höchst dramatische Folgen für den Antragsteller hätte. So würde die Abschiebung den Eintritt seines Todes beschleunigen und die reale Gefahr mit sich bringen, daß er im Empfangsstaat unter höchst qualvollen Umständen sterben müßte, da es für ihn dort keine angemessene medizinische Versorgung, keine Unterkunft und keinen Familienrückhalt gebe (Nrn. 52 und 53 der Entscheidung).

Auch in diesem Fall hat der EGMR zunächst hervorgehoben, daß er bisher Art. 3 EMRK nur auf Fälle angewendet habe, in denen dem Antragsteller eine absichtlich zugefügte unmenschliche Behandlung durch die öffentlichen Behörden des Empfangsstaates oder durch nichtstaatliche Gruppen in diesem Lande gedroht habe, gegen die die Behörden ihm keinen ausreichenden Schutz hätten bieten können (Nr. 49 Abs. 1 der Entscheidung). Er hat dann allerdings hinzugefügt, er müsse sich angesichts der fundamentalen Bedeutung des Art. 3 EMRK im System der Konvention die nötige Flexibilität vorbehalten, dessen Anwendung auch unter anderen Umständen in Betracht zu ziehen. Er sei daher nicht daran gehindert, auch Fälle anhand des Art. 3 EMRK zu prüfen, in denen die Quelle der Gefahr einer verbotenen Behandlung im Empfangsstaat auf Umstände zurückzuführen sei, die weder direkt noch indirekt eine Verantwortlichkeit der öffentlichen Behörden des Empfangsstaates begründeten, oder die - für sich genommen - nicht in sich selbst die Standards des Art. 3 EMRK verletzten. In solchen Fällen müsse der Gerichtshof allerdings alle Umstände des Falles, insbesondere die persönliche Situation des Antragstellers im ausweisenden Staat, einer rigorosen Prüfung unterwerfen (Nr. 49 Abs. 2 der Entscheidung).

Der erkennende Senat hält auch angesichts dieser letzten Entscheidung des EGMR daran fest, daß ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK nur dann in Betracht kommt, wenn die dem Ausländer im Zielstaat drohende Mißhandlung vom Staat oder einer staatsähnlichen Organisation ausgeht oder zu verantworten ist. Die rechtlichen Ausführungen des EGMR in der Sache D. gegen Vereinigtes Königreich verwischen die Grenzen des Schutzbereichs des Art. 3 EMRK. Das gilt insbesondere angesichts der Aussage des EGMR, er dürfe selbst solche Fälle anhand des Art. 3 EMRK prüfen, in denen die Quelle der Gefahr für den Antragsteller auf Umstände zurückzuführen sei, die - für sich genommen - nicht in sich selbst die Standards des Art. 3 EMRK verletzten (Nr. 49 Abs. 2 der Entscheidung: "which taken alone, do not in themselves infringe the Standards of that article"). Diese Aussage ist nicht nur völlig vage, sondern könnte sogar dahin zu verstehen sein, daß der Gerichtshof es sich vorbehalten will, eine Verletzung des Art. 3 EMRK bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände selbst dann zu bejahen, wenn dessen tatbestandliche Voraussetzungen nicht gegeben sind. Damit erhöht sich die Gefahr, daß Art. 3 EMRK in eine unbestimmt weite, vom Vertragszweck und vom Willen der Vertragsstaaten nicht mehr getragene Generalklausel umgeformt wird, wie der Senat in seinem Urteil vom 15. April 1997 - BVerwG 9 C 38.96 - (a.a.O.) näher ausgeführt hat.

Im übrigen dürfte die Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Auslegung und Anwendung des § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK in aller Regel im Ergebnis selbst dann nicht zu einem Konflikt mit dem EGMR führen, wenn der Gerichtshof an seiner den Vertragsinhalt sprengenden extensiven Auslegung des Art. 3 EMRK für Abschiebungsfälle - wie in der Sache D. gegen Vereinigtes Königreich - festhalten sollte. Die besonderen Umstände, die der EGMR in dieser Sache berücksichtigt hat, führen nämlich im System des deutschen Ausländerrechts zwar nicht zu einem Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG; der Ausländer bleibt deshalb aber nicht schutzlos. So kann etwa das Fehlen einer ausreichenden medizinischen Versorgung und Betreuung im Empfangsstaat entweder ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG begründen oder einen Duldungsgrund nach § 55 Abs. 2 bis 4 AuslG darstellen; bei besonders schwerwiegenden Gefahren kann dabei das Duldungsermessen der Ausländerbehörde eingeschränkt oder auf nur eine rechtmäßige Entscheidung, nämlich die Erteilung einer Duldung, reduziert sein.

Einer unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK - so, wie die Vorschrift nach Auffassung des erkennenden Senats zu verstehen ist, - wäre der Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Falle seiner Abschiebung in Somalia nicht ausgesetzt. Das Berufungsgericht hat nämlich festgestellt, daß dem Kläger bei einer Rückkehr nach Somalia dort ausschließlich Leibes- und Lebensgefahren wegen des Bürgerkriegs und einer Verfolgung durch fremde Clans drohen, die nicht von einem Staat oder einer staatsähnlichen Gewalt ausgehen oder zu verantworten sind. Das Risiko schwerster Menschenrechtsverletzungen hänge dabei insbesondere vom Abschiebeweg ab; in Mogadischu - allein hierhin komme allenfalls eine Abschiebung in Betracht - tobten Kämpfe von besonderer Brutalität (UA S. 11), auch könne der Kläger in Mogadischu als Angehöriger eines dort bekämpften Clans keine Existenzmöglichkeit finden (UA S. 13). Die Gefahr, an Hunger oder Krankheit zu sterben, bestehe für den Kläger in besonderem Maße, weil seine schwere Erkrankung in Mogadischu wohl nicht zureichend behandelt werden könnte (UA S. 13). Auf der Grundlage dieser Feststellungen fehlt es jedenfalls an einer staatlichen oder quasi-staatlichen unmenschlichen Behandlung im Zielstaat der angedrohten Abschiebung. Ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG scheidet hiernach aus.

Auch im vorliegenden Verfahren muß der Senat indessen über das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG entscheiden, denn das vom Kläger bereits in erster Instanz umfassend unterbreitete Rechtsschutzbegehren ist dahin auszulegen, daß im Falle der Abweisung des Antrags auf Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 4 AuslG hilfsweise zumindest Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG beantragt ist (vgl. hierzu Urteil vom 15. April 1997 - BVerwG 9 C 19.96 -, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung bestimmt). Ob die Folgen der Abschiebung für die Gesundheit des Klägers im Heimatstaat die Annahme eines Abschiebungshindernisses aus § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG rechtfertigen, kann offenbleiben; hierüber könnte im Revisionsverfahren schon deshalb nicht abschließend entschieden werden, weil das Berufungsgericht hierzu keine näheren Feststellungen getroffen hat. Einer Zurückverweisung bedarf es gleichwohl nicht, denn ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ergibt sich aus anderen Gründen.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts würde der Kläer bei einer Abschiebung über den Flughafen von Mogadischu in die dort besonders heftigen Kämpfe hineingeraten. Er würde danach sehenden Auges der extremen Gefahr ausgesetzt, entweder am Flughafen sofort getötet oder schwer verletzt zu werden oder in Mogadischu an Hunger oder Krankheit zu sterben, da er als Angehöriger eines von den dort herrschenden Clans bekämpften Clans keine Existenzmöglichkeit fände (UA S. 13). An diese mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ist der erkennende Senat gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO). Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Würdigung der dem Kläger in Somalia drohenden Gefahren durch das Berufungsgericht als einer extremen Gefahr für Leib oder Leben, der er im Falle der Abschiebung ausgesetzt wäre. Damit ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts eine extreme allgemeine Gefahrenlage gegeben, die nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats die Annahme eines Abschiebungshindernisses in verfassungskonformer Auslegung und Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG gebietet, wenn sie landesweit besteht oder ein Ausweichen nicht möglich ist (vgl. Urteile vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 29. März 1996 - BVerwG 9 G 116.95 - DVBl 1996, 1257).

Die aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts gegebene extreme Gefahrenlage besteht in Somalia allerdings nicht landesweit; das Berufungsgericht geht vielmehr davon aus, daß der Kläger innerhalb seines Clangebietes leben könnte, ohne ernsthafte und schwere Menschenrechtsverletzungen befürchten zu müssen (UA S. 11 und 12). Eine Rückkehr ist für den Kläger aber auch dann nicht zumutbar, wenn er die sicheren Landesteile nicht erreichen kann, ohne auf dem Wege dorthin einer extremen Leibes- oder Lebensgefahr ausgesetzt zu sein (vgl. Urteile vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - a.a.O. - S. 330 und vom 15. April 1997 - BVerwG 9 C 38.96 - UA S. 24). Dies ist vorliegend der Fall. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist eine Abschiebung des Klägers unmittelbar in sein Clangebiet nicht möglich; er würde vielmehr nur über Mogadischu abgeschoben werden können (UA S. 13). Darauf, ob der Kläger die ihm bei einer Abschiebung drohenden Gefahren durch zumutbares eigenes Verhalten, insbesondere die freiwillige Ausreise und Rückkehr nach Somalia abwenden könnte (vgl. Urteile vom 3. November 1992 - BVerwG 9 C 21.92 - BVerwGE 91, 150 und vom 15. April 1997 - BVerwG 9 C 38.96 - UA S. 23), mußte das Berufungsgericht mangels ernsthafter Anhaltspunkte hierfür nicht eingehen; auch die Revision rügt nicht, daß sich eine solche Prüfung vorliegend hätte aufdrängen müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dabei bewertet der Senat das Unterliegen des Klägers im Streit über die im erstinstanzlichen Verfahren anhängig gewesenen Ansprüche auf Anerkennung als Asylberechtigter, auf Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG und auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG im Verhältnis zu dem nachrangigen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG entsprechend seinem Interesse am Verbleib im Bundesgebiet - unabhängig von der pauschalierten Gegenstandswertregelung in § 83 b AsylVfG - mit fünf Sechsteln des Gesamtinteresses am Obsiegen und im Streit über den im Berufungs- und Revisionsverfahren allein noch anhängigen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 4 AuslG im Verhältnis zu dem nachrangigen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG mit der Hälfte des insoweit noch bestehenden Gesamtinteresses an einem Obsiegen.

Ende der Entscheidung

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