Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 16.11.2000
Aktenzeichen: BVerwG 9 C 6.00
Rechtsgebiete: AuslG, StGB


Vorschriften:

AuslG § 51 Abs. 1
AuslG § 51 Abs. 3 2. Alternative
StGB § 57 Abs. 1
Leitsätze:

1. Die rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren führt nach § 51 Abs. 3 2. Alternative AuslG nur dann zum Ausschluss von Abschiebungsschutz wegen politischer Verfolgung, wenn im Einzelfall eine konkrete Wiederholungsgefahr festgestellt wird. Eine solche Gefahr liegt vor, wenn in Zukunft neue vergleichbare Straftaten des Ausländers ernsthaft drohen.

2. Ist die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe nach § 57 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt, begründet dies ein gewichtiges Indiz, aber keine Vermutung gegen das Bestehen einer Wiederholungsgefahr.

Urteil des 1. Senats vom 16. November 2000 - BVerwG 9 C 6.00 -

I. VG Bremen vom 20.03.1998 - Az.: VG 7 AS 338/93 - II. OVG Bremen vom 26.01.2000 - Az.: OVG 2 A 299/98.A -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 9 C 6.00 OVG 2 A 299/98.A

Verkündet am 16. November 2000

Battiege Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 16. November 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund und Richter, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eichberger

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 26. Januar 2000 wird aufgehoben, soweit die Berufung zurückgewiesen worden ist.

Insoweit wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Der 1970 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und stammt aus der Provinz Elazig. Er kam im Juli 1992 nach Deutschland und beantragte Asyl. Zur Begründung gab er unter anderem an, er habe in seiner Heimat die PKK unterstützt und sei deshalb mehrfach festgenommen worden.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte mit Bescheid vom 8. Oktober 1993 den Asylantrag des Klägers ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass er in der Türkei politischer Verfolgung ausgesetzt gewesen sei.

Während des verwaltungsgerichtlichen Klageverfahrens geriet der Kläger in Verdacht, am 28. November 1994 Brandanschläge auf das Vereinslokal eines türkischen Sportvereins und das Vereinshaus einer türkischen Gemeinschaft verübt zu haben. Er wurde deshalb in Untersuchungshaft genommen, nach etwa fünf Wochen aber mangels ausreichenden Tatverdachts wieder freigelassen. Das Ermittlungsverfahren wurde im Juli 1997 endgültig eingestellt.

Im Juli 1996 wurde der Kläger zusammen mit zwei anderen Kurden beim Verkauf von drei Kilogramm Heroin gestellt und verhaftet. Das Landgericht Bremen verurteilte ihn deswegen im Januar 1997 wegen gemeinschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten.

Das Verwaltungsgericht Bremen hat die Beklagte unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei vorliegen. Es sah die Verwicklung des Klägers in das Ermittlungsverfahren wegen der der PKK zugeschriebenen Brandanschläge auf türkische Einrichtungen als asylbegründenden objektiven Nachfluchtgrund an, der dazu führe, dass dem Kläger bei Rückkehr in die Türkei deswegen Verhöre mit menschenrechtswidriger Behandlung drohten.

Auf die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben, soweit es die Beklagte zur Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten verpflichtet hat, und die Klage insoweit abgewiesen. Hinsichtlich der Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG hat das Oberverwaltungsgericht dagegen die Berufung zurückgewiesen. Die gegen den Kläger gerichteten Ermittlungen wegen der Brandanschläge auf türkische Einrichtungen im November 1994 stellten einen Nachfluchtgrund dar, der zwar nicht im Rahmen des Asylanspruchs, wohl aber für den Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG beachtlich sei. Es sei davon auszugehen, dass interessierten türkischen Behörden, namentlich dem Staatsschutz, bekannt geworden sei, dass dem Kläger in türkischen und kurdischen Kreisen die Täterschaft an den Brandanschlägen zugeschrieben werde und er deshalb bei diesen Behörden im Verdacht einer möglichen Nähe zur PKK stehe. Dieser Verdacht setze ihn bei einer Rückkehr in die Türkei der Gefahr eines Verhörs mit Folter und damit politischer Verfolgung aus. § 51 Abs. 3 AuslG stehe der Gewährung von Abschiebungsschutz nicht entgegen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift seien eng auszulegen, da die Abschiebung eines politisch Verfolgten in den Verfolgerstaat mit Rücksicht auf das Asylgrundrecht gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG nur als "ultima ratio" gerechtfertigt sei. Für beide Alternativen des § 51 Abs. 3 AuslG sei deshalb eine hinreichend sichere Wiederholungsgefahr erforderlich. Daran habe sich auch durch die Einführung einer Mindeststrafe von drei Jahren in der Neufassung des § 51 Abs. 3 2. Alternative AuslG im Jahre 1997 nichts geändert. Im Übrigen sei das Erfordernis einer Wiederholungsgefahr verfassungsrechtlich zwingend geboten und stehe deshalb nicht zur Disposition des Gesetzgebers. Davon ausgehend greife der Ausschlusstatbestand der zweiten Alternative des § 51 Abs. 3 AuslG im Falle des Klägers nicht ein, da bei der gebotenen Prognose eine Wiederholungsgefahr nicht bejaht werden könne. Eine solche Gefahr sei nur dann hinreichend sicher, wenn sich für den maßgebenden Zeitpunkt mit besonders hoher, d.h. hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lasse, dass der Kläger auch in Zukunft gleichartige Straftaten von entsprechendem Gewicht verüben werde. Daran fehle es in der Regel, wenn im Hinblick auf eine günstige Sozialprognose nach § 57 Abs. 1 StGB ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt worden sei. Dies sei im Falle des Klägers nach Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe im November 1998 geschehen. Nach der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt habe es die Anstaltsleitung im Hinblick auf das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit für verantwortbar angesehen, die Vollstreckung der Reststrafe wegen günstiger Sozialprognose zur Bewährung auszusetzen. Die Stellungnahme sei nachvollziehbar und frei von Widersprüchen. Umstände, die eine Wiederholung nahe legten, seien nicht auszumachen. Insbesondere lasse sich den Akten nichts dafür entnehmen, dass das Rauschgiftgeschäft, das Gegenstand der Bestrafung gewesen sei, zugunsten übergeordneter Auftraggeber erfolgt und der Kläger dem Einfluss dieser Hintermänner auch künftig unterworfen sei.

Mit der Revision macht der Beteiligte im Wesentlichen geltend, das Urteil des Berufungsgerichts verletze Bundesrecht, weil es auf der unzutreffenden Annahme beruhe, dass bei dem Ausschlussgrund des § 51 Abs. 3 2. Alternative AuslG als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal eine einschlägige Wiederholungsgefahr zu prüfen und festzustellen sei. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts lasse sich den Gesetzesmaterialien eindeutig entnehmen, dass der Gesetzgeber bei der Neufassung beabsichtigt habe, das bis dahin richterrechtlich entwickelte, ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Wiederholungsgefahr entfallen zu lassen. Durch das Erfordernis einer mindestens dreijährigen Freiheitsstrafe habe der Gesetzgeber nunmehr die besondere Gefährlichkeit des Ausländers definiert. Danach sei bei einer derartigen strafrechtlichen Verurteilung generell von einer besonderen Gefährlichkeit des Ausländers für die Allgemeinheit und auch von einer generellen Wiederholungsgefahr auszugehen. Das Berufungsurteil könne aber auch dann keinen Bestand haben, wenn man die Prüfung einer Wiederholungsgefahr für nötig halte. Das Berufungsgericht habe nämlich noch nicht hinreichend aufgeklärt und überzeugend begründet, warum im Falle des Klägers angesichts der Hintergründe des abgeurteilten Rauschgiftdelikts und seines jetzigen sozio-kulturellen Umfeldes keine Wiederholungsgefahr bestehe.

II.

Die Revision des beteiligten Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) ist begründet. Die Berufungsentscheidung verletzt Bundesrecht. Die Feststellungen des Berufungsgerichts lassen eine abschließende Entscheidung des Senats nicht zu. Die Sache ist deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

Soweit das Berufungsgericht die Klage auf Gewährung von Asyl nach Art. 16 a GG abgewiesen hat, ist seine Entscheidung rechtskräftig geworden. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch die Frage, ob das Berufungsgericht dem Kläger zu Recht Abschiebungsschutz wegen politischer Verfolgung nach § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei zugebilligt hat.

Das Berufungsgericht hat angenommen, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, weil er bei den türkischen Sicherheitsbehörden im Verdacht stehe, für die Brandanschläge auf türkische Einrichtungen in Bremen im November 1994 verantwortlich zu sein, und ihm deshalb wegen einer unterstellten Nähe zur PKK bei Rückkehr in die Türkei die Gefahr eines Verhörs mit Folter drohe (UA S. 98 f.). Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Zutreffend ist das Berufungsgericht weiter davon ausgegangen, dass der Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG gleichwohl dann entfällt, wenn in der Person des Klägers ein Ausschlussgrund im Sinne des § 51 Abs. 3 AuslG vorliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 1999 - BVerwG 9 C 31.98 - BVerwGE 109, 1). Nach § 51 Abs. 3 AuslG in der hier maßgeblichen Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Änderung ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 29. Oktober 1997 (BGBl I S. 2584) findet § 51 Abs. 1 AuslG keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass der - hier allein in Betracht kommende - Ausschlussgrund nach der zweiten Alternative der Vorschrift nicht vorliegt. Der Umstand, dass der Kläger wegen eines Verbrechens nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2 des Betäubungsmittelgesetzes rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden ist, reicht nach Auffassung des Berufungsgerichts hierfür nicht aus; vielmehr sei auch nach der Neufassung der Vorschrift eine hinreichend sichere Wiederholungsgefahr erforderlich, die im Falle des Klägers insbesondere angesichts der positiven Sozialprognose bei der Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung nicht bestehe. Diese Begründung ist mit Bundesrecht nicht in vollem Umfang vereinbar.

Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass allein die rechtskräftige Verurteilung zu einer mindestens dreijährigen Freiheitsstrafe auch nach der Neufassung der Vorschrift nicht automatisch zum Ausschluss von Abschiebungsschutz wegen politischer Verfolgung nach § 51 Abs. 1 AuslG führt, sondern darüber hinaus im Einzelfall eine Wiederholungsgefahr festgestellt werden muss. Zur früheren Fassung dieser Bestimmung, die noch keine Mindestfreiheitsstrafe vorsah, sondern nur eine rechtskräftige Verurteilung "wegen einer besonders schweren Straftat" (§ 51 Abs. 4, später § 51 Abs. 3 AuslG 1990 oder zuvor nach § 14 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 "wegen eines besonders schweren Verbrechens") voraussetzte, hat die Rechtsprechung stets verlangt, dass eine Wiederholungsgefahr hinzukommen muss (grundlegend Urteil vom 7. Oktober 1975 - BVerwG 1 C 46.69 - BVerwGE 49, 202, 209 f.; ebenso Beschluss vom 20. Oktober 1994 - BVerwG 1 B 84.94 - Buchholz 402.240 § 51 AuslG 1990 Nr. 7). Dies wurde im Wesentlichen auf die verfassungsrechtliche Erwägung gestützt, dass die Abschiebung eines politisch Verfolgten in den Verfolgerstaat einen Eingriff in den Kernbereich des Asylgrundrechts bedeute, der nur zulässig sei, wenn bei einer Würdigung der gesamten Umstände des einzelnen Falles die Sicherheit des Zufluchtstaates und der in ihm lebenden Menschen ein Zurücktreten des Schutzes für den politisch Verfolgten erforderten. An der aus diesem Grundgedanken folgenden Notwendigkeit, im Einzelfall eine Wiederholungsgefahr festzustellen, hat sich auch durch die Einführung einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren in den Tatbestand der zweiten Alternative des § 51 Abs. 3 AuslG nichts geändert.

Entgegen der Ansicht der Revision lässt sich vor dem Hintergrund der geschilderten Rechtsprechung weder dem Wortlaut der Vorschrift noch der Entstehungsgeschichte entnehmen, dass nunmehr - abweichend von der bisherigen Rechtslage - die Prüfung einer Wiederholungsgefahr im Einzelfall entfallen sollte. Schon der Umstand, dass der Gesetzgeber unverändert daran festgehalten hat, der Ausländer müsse eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeuten, legt nahe, dass die neu eingefügte Voraussetzung einer mindestens dreijährigen Freiheitsstrafe den Wegfall von Abschiebungsschutz für politisch Verfolgte nicht automatisch bedingen soll, sondern dass nach wie vor spezialpräventiv auf die von dem betroffenen Ausländer konkret ausgehende Gefahr abzustellen ist. Dies erfordert es aber, im Einzelfall zu prüfen, ob der Ausländer - etwa wegen der Einmaligkeit der Tatsituation, einer ernsthaften sozialen oder politischen Neuorientierung oder sonstiger Umstände - künftig keine Gefahr für die Allgemeinheit mehr darstellt. Dass demgegenüber mit der Einführung der Mindestfreiheitsstrafe zugleich auf das Erfordernis einer Wiederholungsgefahr verzichtet werden sollte, ergibt sich auch aus den Gesetzesmaterialien nicht hinreichend deutlich. Die Begründung des Gesetzentwurfs zu § 51 Abs. 3 AuslG, in der es eingangs heißt: "Von einer Gefahr für die Allgemeinheit ist auszugehen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist" (BTDrucks 13/4948 S. 9), schließt die Berücksichtigung von Besonderheiten des Einzelfalls nicht aus. Allerdings wurde in den gegen die Änderung der Vorschrift gerichteten Anträgen der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie in den Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates im Vermittlungsverfahren die Änderung offenbar so verstanden, dass sie zu einer generalisierenden Betrachtungsweise und zum Wegfall der Einzelfallprüfung führe, was mit Art. 33 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention nicht vereinbar sei (BTDrucks 13/5986 S. 12 und 14, BRDrucks 870/1/96 S. 8; vgl. in diesem Sinne auch die Stellungnahme des UNHCR gegenüber dem Innenausschuss des Bundestages vom 7. Juni 1996, Anlage 3 zum Protokoll der 40. Sitzung des Innenausschusses vom 25. September 1996). Dies zwingt indes nicht zu dem Schluss, dass der Gesetzgeber, der diese Einwände nicht berücksichtigt hat, mit der Änderung eben diese Wirkung erzielen wollte. Selbst von Seiten der Mehrheitsfraktionen wurde im Gesetzgebungsverfahren betont, dass auch künftig im Rahmen von § 51 Abs. 3 AuslG eine Prognose erforderlich sei und eine Einzelfallprüfung durchgeführt werden müsse (vgl. die Ausführungen des Abgeordneten Stadler, FDP, in der 40. Sitzung des Innenausschusses des Bundestages am 25. September 1996, Protokoll S. 14 ff., 16 f.). Wenn der Gesetzgeber von der Prüfung einer Wiederholungsgefahr im Einzelfall hätte abrücken wollen, hätte er dies gerade auch angesichts der verfassungsrechtlichen Erwägungen, die der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Wiederholungsgefahr bei dem Ausschlussgrund nach § 51 Abs. 3 AuslG alter Fassung zugrunde lagen, eindeutig zum Ausdruck bringen müssen.

Bei der Frage, welche Anforderungen an die Feststellung einer Wiederholungsgefahr zu stellen sind, legt das Berufungsgericht indes unter Verstoß gegen Bundesrecht einen zu strengen Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde, wenn es eine "hinreichend sichere Gefahr" der Begehung gleichartiger Straftaten von entsprechendem Gewicht verlangt. Dieser nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Mai 1998 - BVerwG 1 C 17.97 - (BVerwGE 106, 351, 361) sowohl für die erste Alternative als auch für die frühere Fassung der zweiten Alternative des § 51 Abs. 3 AuslG geforderte besonders hohe Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist bei Anwendung der neuen Fassung der zweiten Alternative nicht mehr maßgeblich. Durch die Einführung einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren hat der Gesetzgeber die Anwendung der Vorschrift in der Praxis erleichtern wollen (BTDrucks 13/4948 S. 9). Aus Anlass der gewalttätigen Ausschreitungen von Kurden im Frühjahr 1996 sollten die Vorschriften über die zwingende Ausweisung sowie die Abschiebung straffälliger Ausländer mit dem Ziel modifiziert werden, derartigen Ausschreitungen in Zukunft ausländerrechtlich - auch in Fällen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 48 Abs. 1 AuslG - besser begegnen zu können. Dieses Anliegen des Gesetzgebers macht deutlich, dass mit der Festlegung einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren in § 51 Abs. 3 AuslG nicht nur der unbestimmte Rechtsbegriff einer "besonders schweren Straftat" konkretisiert und damit für unterhalb dieser Grenze bleibende Straftäter die Anwendung der Vorschrift ausgeschlossen werden sollte, sondern dass auch für die diese Grenze überschreitenden Straftäter eine konsequentere Anwendung der Vorschrift in der Praxis erreicht werden sollte. Vor diesem Hintergrund muss es nach der neuen Fassung genügen, wenn im Einzelfall eine konkrete Wiederholungs- oder Rückfallgefahr vorliegt. Das und nicht mehr verlangt zutreffend nunmehr auch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz - AuslG-VwV - vom 28. Juni 2000 (GMBl S. 618, 736 zu 51.3.3.2). Das bedeutet, dass in Zukunft eine Gefahr für die Allgemeinheit durch neue vergleichbare Straftaten des Ausländers ernsthaft drohen muss; die lediglich entfernte Möglichkeit weiterer Straftaten genügt nicht (vgl. zur entsprechenden Prognose bei Ausweisungen von nach § 48 AuslG privilegierten Ausländern den Beschluss des Senats vom 10. Februar 1995 - BVerwG 1 B 221.94 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 5 m.w.N.).

Dieser Prognosemaßstab genügt angesichts der nunmehr in § 51 Abs. 3 2. Alternative AuslG vorausgesetzten hohen Mindestfreiheitsstrafe auch den aus Art. 16 a GG folgenden - eine enge Auslegung des § 51 Abs. 3 AuslG gebietenden - verfassungsrechtlichen Anforderungen. Eine weitergehende Beschränkung des Anwendungsbereichs dieses Ausschlusstatbestandes durch einen strengeren Prognosemaßstab ist auch im Hinblick auf die in letzter Konsequenz mögliche Abschiebung eines politisch Verfolgten in den Verfolgerstaat nicht geboten. Bei der Abwägung des Schutzinteresses des politisch Verfolgten und des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit ist - wie das Bundesverwaltungsgericht in der bereits zitierten Entscheidung vom 30. März 1999 - BVerwG 9 C 31.98 - a.a.O. zur Verfassungsmäßigkeit von § 51 Abs. 3 AuslG ausgeführt hat - nämlich zu berücksichtigen, dass der politisch Verfolgte, sofern ihm Gefahren im Sinne des § 53 AuslG drohen, auch bei Vorliegen des Ausschlussgrundes nach § 51 Abs. 3 AuslG nicht in den Verfolgerstaat abgeschoben werden kann, so dass eine Preisgabe des Menschenrechtsschutzes letztlich nicht zu befürchten ist. Soweit der Senat gefordert hat, dass an die Abschiebung eines Asylberechtigten oder eines politischen Flüchtlings in den Verfolgerstaat strengere Anforderungen zu stellen sind als an dessen Ausweisung (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Mai 1998 - BVerwG 1 C 17.97 - a.a.O. S. 361), ist dem - unabhängig von der Frage, inwieweit eine solche Abstufung verfassungsrechtlich geboten ist - hinsichtlich der zweiten Alternative des § 51 Abs. 3 AuslG jedenfalls durch die im Vergleich zu dem Ausweisungstatbestand des § 47 Abs. 1 i.V.m. § 48 Abs. 1 AuslG erhöhten Voraussetzungen hinreichend Rechnung getragen.

Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten ernsthaft droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts ebenso wie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zu dem maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. auch Nr. 51.3.3.0 AuslG-VwV). Dabei ist die der gesetzlichen Regelung zugrunde liegende Wertung zu beachten, dass Straftaten, die so schwerwiegend sind, dass sie zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren geführt haben, typischerweise mit einem hohen Wiederholungsrisiko verknüpft sind. Dies gilt in besonderem Maße für schwere Rauschgiftdelikte, namentlich den illegalen Heroinhandel, der regelmäßig mit einer hohen kriminellen Energie verbunden ist und in schwerwiegender Weise Gesundheit und Leben anderer Menschen gefährdet. Allein der Umstand, daß der Ausländer die Freiheitsstrafe verbüßt hat, lässt nicht auf einen Wegfall des Wiederholungsrisikos schließen. Denn rechtskräftige Verurteilungen im Sinne des § 51 Abs. 3 2. Alternative AuslG führen regelmäßig zur Verbüßung der Freiheitsstrafe, da eine Aussetzung ihrer Vollstreckung zur Bewährung nach § 56 StGB wegen der Strafhöhe von vornherein nicht in Betracht kommt. Würde der bloße mit der Strafverbüßung verbundene Zeitablauf regelmäßig zum Wegfall des Ausschlussgrundes führen, liefe die Vorschrift praktisch weitgehend leer. Dies gilt zumal in Asylverfahren, da es hier - anders als bei der Anfechtung einer rein ausländerrechtlichen Abschiebungsandrohung - im Falle eines Rechtsstreits maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankommt (§ 77 Abs. 1 AsylVfG).

Auch der Umstand, dass der Täter zwei Drittel der Freiheitsstrafe verbüßt hat und die Vollstreckung der Reststrafe nach § 57 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt worden ist, genügt für sich allein nicht ohne weiteres, um eine Wiederholungsgefahr zu verneinen. Zwar sind die Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 Abs. 1 StGB von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der Prognose ein wesentliches Indiz dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Januar 1997 - BVerwG 1 C 17.94 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 10; BVerfG, Kammerbeschluss vom 1. März 2000 - 2 BvR 2120/99 - DVBl 2000, 697). Eine Vermutung für das Fehlen einer Rückfallgefahr im Sinne einer Beweiserleichterung begründen sie indes nicht. So sind auch die Ausführungen in dem vom Berufungsgericht zitierten Beschluss des erkennenden Senats vom 20. Oktober 1994 - BVerwG 1 B 84.94 - a.a.O. nicht zu verstehen. Abgesehen davon, dass die für die Anwendung des § 51 Abs. 3 AuslG zuständigen Behörden und Verwaltungsgerichte eine eigenständige Prognose über die Wiederholungsgefahr zu treffen haben und an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden sind (vgl. zu § 56 StGB BVerwG, Urteil vom 28. Januar 1997 - BVerwG 1 C 17.94 - a.a.O. S. 41), haben sie auch sonstige, den Strafgerichten möglicherweise nicht bekannte oder von ihnen nicht beachtete Umstände des Einzelfalles heranzuziehen. Sie können deshalb sowohl aufgrund einer anderen Tatsachengrundlage als auch aufgrund einer anderen Würdigung zu einer abweichenden Prognoseentscheidung gelangen. Dies kann gerade bei einer Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach § 57 Abs. 1 StGB deshalb in Betracht kommen, weil hier - anders als bei der auch vom Gesetzgeber im Rahmen der Ausweisungstatbestände berücksichtigten Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 StGB (vgl. § 47 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 1 AuslG) - schon wegen der maßgeblichen Bedeutung der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt (§ 454 Abs. 1 Satz 2 und 4 StPO) naturgemäß eher Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund stehen. Zudem geht es bei der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung um die Frage, ob die vorzeitige Entlassung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann (§ 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB), während die asyl- und ausländerrechtliche Beurteilung eine längerfristige Gefahrenprognose erfordert (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 16. November 1992 - BVerwG 1 B 197.92 - InfAuslR 1993, 121). Soweit das Berufungsgericht demgegenüber aus der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung nach § 57 Abs. 1 StGB eine Vermutung gegen eine Wiederholungsgefahr hergeleitet haben sollte (vgl. UA S. 104), wäre seine Entscheidung auch in diesem Punkt nicht mit Bundesrecht vereinbar.

Gemessen an diesen Grundsätzen kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Die Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Ob auch bei Anwendung des richtigen Prognosemaßstabs im Falle des Klägers eine Wiederholungsgefahr zu verneinen wäre, kann der Senat hier aufgrund der unter anderen rechtlichen Voraussetzungen getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht beurteilen. Ebensowenig kann er aufgrund dieser Feststellungen eine Wiederholungsgefahr bejahen und damit dem Kläger Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG endgültig versagen. Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Berufungsgericht ausgehend von dem gebotenen Prognosemaßstab unter Berücksichtigung der Umstände des Falles erneut über die Wiederholungsgefahr zu befinden haben. Dabei wird es neben den bereits vorliegenden Strafakten und dem Vollstreckungsheft sowie einem aktuellen Bundeszentralregisterauszug auch inzwischen entstandene ausländerrechtliche Vorgänge und gegebenenfalls Auskünfte der Bewährungshilfe heranziehen müssen. Bei seiner Abwägung wird es unter anderem neben der Sozialprognose, die der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung zugrunde liegt, auch die in der Tat zum Ausdruck gekommene kriminelle Energie und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, vor allem die besondere Gefährlichkeit des Heroinhandels, würdigen müssen. Es wird sich auch damit auseinandersetzen müssen, ob der Kläger, der nach den Feststellungen in dem Strafurteil als "Verteiler des Rauschgifts im nachgeordneten Bereich einer sog. Heroin-Connection" tätig geworden ist, in dasselbe soziale Umfeld zurückgekehrt ist, aus dem heraus er die Tat begangen hat, und welche Auswirkungen dies gegebenenfalls auf die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholungsgefahr hat.



Ende der Entscheidung

Zurück