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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 21.09.1999
Aktenzeichen: BVerwG 9 C 8.99
Rechtsgebiete: AuslG
Vorschriften:
AuslG § 53 Abs. 6 |
Krankheitsbedingte Gefahren, die sich allein als Folge der Abschiebung und nicht wegen der spezifischen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung ergeben können, sind nicht vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Asylverfahren, sondern von der Ausländerbehörde im Vollstreckungsverfahren zu prüfen.
Urteil des 9. Senats vom 21. September 1999 - BVerwG 9 C 8.99 -
I. VG Oldenburg, Gerichtsbescheid vom 21.11.1995 - Az.: VG 2 A 2906/94 - II. OVG Lüneburg, Urteil vom 1.12.1998 - Az.: OVG 12 L 1733/96 -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 9 C 8.99 OVG 12 L 1733/96
Verkündet am 21. September 1999
Battiege Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 21. September 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Seebass, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund und Richter, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eichberger
für Recht erkannt:
Tenor:
Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 1. Dezember 1998 wird aufgehoben, soweit es die Beklagte zur Feststellung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG verpflichtet.
Die Sache wird insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt insoweit der Schlußentscheidung vorbehalten.
Gründe:
I.
Der 1935 geborene Kläger ist srilankischer Staatsangehöriger tamilischer Volkszugehörigkeit. Er reiste mit Hilfe von Schleppern im Januar 1994 auf dem Landweg nach Deutschland ein. Zur Begründung seines Asylantrags gab er an, er könne in seinem Heimatort wegen der Auseinandersetzungen zwischen der srilankischen Armee und der Befreiungsorganisation LTTE nicht mehr leben. Seine Frau und drei seiner Kinder seien auf der Flucht nach Indien erschossen worden; auch er selbst habe Angst um sein Leben gehabt. Bei einer Rückkehr befürchte er, von der srilankischen Armee erschossen zu werden.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte den Asylantrag ab (Nr. 1 des Bescheids) und stellte fest, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen (Nr. 2 und Nr. 3); gleichzeitig forderte es den Kläger zur Ausreise auf und drohte ihm die Abschiebung nach Sri Lanka an (Nr. 4).
Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid des Bundesamts aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, weil er sein Heimatland als Gruppenverfolgter ohne eine inländische Fluchtalternative verlassen habe.
In dem auf Antrag des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) zugelassenen Berufungsverfahren hat der Kläger unter anderem einen Arztbericht des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. vom April 1994 vorgelegt, der mit der Beurteilung schließt, diagnostisch handle es sich um eine schwere depressive Reaktion bzw. Entwicklung angesichts der vom Kläger berichteten Kriegserlebnisse; die Zusammenführung mit seinem in Deutschland lebenden Sohn erscheine wichtig und notwendig, um eine weitere Isolierung zu vermeiden und eine Entwicklung zum Suizid hin frühzeitig abzuwenden.
Das Berufungsgericht hat ein amtsärztliches Sachverständigengutachten eingeholt. In dem Gutachten vom Oktober 1998 ist ausgeführt, der Kläger leide an einem Asthma bronchiale, einer chronischen Magenschleimhautentzündung, Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule und einer reaktiven Depression im Sinne eines Entwurzelungssyndroms. An Medikamenten erhalte er zur Zeit Schmerzmittel, ein Dosieraerosol zur Erweiterung der Bronchien sowie ein Mittel zur Verringerung der Säureproduktion im Magen. Aus amtsärztlicher Sicht seien nur die beiden letzteren Medikamente lebensnotwendig. Da es sich um gängige, weltweit eingeführte Präparate handele, seien sie vermutlich auch in Sri Lanka verfügbar. Ohne die Einnahme dieser Medikamente sei nicht auszuschließen, daß der Kläger in Kombination mit dem feucht-warmen Klima seiner Heimat und dem emotionalen Streß seiner Ausreise eine lebensgefährliche Magenblutung oder einen lebensgefährlichen Asthmaanfall erleide. Der Grad der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines derartigen Ereignisses lasse sich dabei nicht sicher angeben. Der Kläger hat hierzu Stellung genommen und beantragt, die Verfügbarkeit der Medikamente in Sri Lanka durch die Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amts abschließend aufzuklären. Außerdem hat er beantragt, ein ergänzendes medizinisches Sachverständigengutachten zum Beweis dafür einzuholen, daß er aufgrund einer überaus gravierenden seelischen Belastung - beruhend auf einem Entwurzelungssyndrom - in Verbindung mit seinem behandlungsbedürftigen körperlichen Gesundheitszustand nicht in der Lage sei, in Sri Lanka ohne geeignete Betreuungs- und Bezugspersonen zu überleben.
Nach Anhörung des Sozialbetreuers des Klägers als Zeugen hat das Berufungsgericht den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage mit der Maßgabe abgewiesen, daß die Beklagte verpflichtet wird, die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG festzustellen. Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Berufung des Bundesbeauftragten habe im wesentlichen Erfolg. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Asyl und Abschiebungsschutz nach § 51 AuslG, auch Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1 und Abs. 4 AuslG bestünden nicht. Indessen seien die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erfüllt. Gefahren, die einem Ausländer bei einer Rückkehr in sein Heimatland dort drohten, könnten ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne dieser Bestimmung begründen, wenn der Ausländer einer extremen allgemeinen Gefahrenlage ausgesetzt sei, so daß er im Falle seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde. Nach diesem Maßstab stehe dem Kläger der beschriebene Abschiebungsschutz zu. Der Kläger leide nach dem Arztbericht vom April 1994 an einer schweren depressiven Reaktion; diesen Befund bestätige das Gutachten des Gesundheitsamtes vom Oktober 1998. Der als Zeuge vernommene Betreuer des Klägers habe dessen besondere Betreuungsbedürftigkeit bestätigt. Seine Aussage ergebe überzeugend, daß der Kläger allein nicht bestehen könnte. Diese Folge träte aber ein, wenn er die Bundesrepublik verlassen müßte.
Mit der Revision macht der Bundesbeauftragte geltend, das Berufungsgericht knüpfe seine Überlegungen zur Gefährdung des Klägers nicht an den Standard der Gesundheitsversorgung in Sri Lanka, sondern stelle mit seiner Würdigung der besonderen Betreuungsbedürftigkeit und des Nicht-Bestehen-Könnens letztlich auf fehlende Kontakte in Sri Lanka ab. Das sei mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht vereinbar. Bei genauer Betrachtung ergebe sich die Gesundheitsgefährdung bereits mit der Abschiebung und betreffe mithin ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
II.
Die Revision des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) ist begründet. Die angefochtene Entscheidung verletzt Bundesrecht. Für eine abschließende Entscheidung des Senats in der Sache sind ausreichende tatsächliche Feststellungen nicht getroffen; das Verfahren muß daher an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Nur hierzu ist die Zulassung der Revision beantragt und die Revision zugelassen worden. Rechtskräftig abgelehnt ist die Klage, soweit mit ihr die Gewährung von Asyl nach Art. 16 a GG und Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG, die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1, 2 und 4 AuslG sowie die Aufhebung der Abschiebungsandrohung begehrt worden ist.
Das Berufungsgericht hat die Beklagte zur Feststellung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ausdrücklich mit der Begründung verpflichtet, diese Bestimmung sei hier infolge einer extremen allgemeinen Gefahrenlage verfassungskonform anzuwenden. Dem Kläger drohe eine Abschiebung in den Tod. Eine verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG wäre indessen nur in Betracht gekommen, wenn das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers nicht auf seine individuelle Erkrankung, sondern auf Gefahren gestützt hätte, die der Kläger mit einer Vielzahl von Personen in seinem Heimatland Sri Lanka teilt - nur das sind allgemeine Gefahren im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG - und die in extremer Weise drohen. Feststellungen zu Gefahren solcher Art hat das Berufungsgericht jedoch nicht getroffen und seiner Entscheidung auch nicht zugrunde gelegt. Insbesondere gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, daß das Berufungsgericht - wie der Bundesbeauftragte meint - schon das Fehlen sozialer Kontakte im Heimatland Sri Linka generell als eine extreme allgemeine Gefahr im Sinne von § 53 Abs. 6 AuslG bewerten wollte. Das Berufungsgericht hat mithin einen falschen Prüfungsmaßstab gewählt.
Das Berufungsurteil stellt sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig dar (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO). Die tatrichterlichen Feststellungen ergeben nicht, daß der Kläger - im Hinblick auf die ihm ärztlich attestierten Erkrankungen - einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten wegen einer individuellen Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hat.
Nach der Rechtsprechung des Senats kann allerdings die Gefahr, daß sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind, ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG darstellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. September 1997 - BVerwG 9 C 48.96 - InfAuslR 1998, 125; Urteil vom 25. November 1997 - BVerwG 9 C 58.96 - BVerwGE 105, 383, 384 ff., 387; Urteil vom 18. März 1998 - BVerwG 9 C 36.97 - <Juris>; Urteil vom 27. April 1998 - BVerwG 9 C 13.97 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 12 = NVwZ 1998, 973). Hierauf hat sich das Berufungsgericht nicht gestützt und entsprechende Feststellungen auch nicht getroffen. Vielmehr hat es angenommen, die psychische Erkrankung des Klägers (reaktive Depression im Sinne eines Entwurzelungssyndroms) führe in Verbindung mit seiner Betreuungsbedürftigkeit dazu, daß er "allein nicht bestehen könnte ..., wenn er die Bundesrepublik verlassen müßte" (Beschlußabdruck S. 5). Daraus folgt indessen kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne von § 53 AuslG (vgl. dazu auch BVerwG, Urteil vom 11. November 1997 - BVerwG 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322, 324 ff.), sondern allenfalls - wie die Revision zutreffend geltend macht - ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, über das im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden ist. Hierüber hat nämlich nicht das Bundesamt im Asylverfahren, sondern nach dessen Abschluß die Ausländerbehörde im Vollstreckungsverfahren zu befinden. Denn die befürchteten negativen Auswirkungen treten allein durch die Abschiebung als solche (wie auch durch jedes sonstige Verlassen des Bundesgebiets) und nicht wegen der spezifischen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung ein. Solche Abschiebungsfolgen führen auch dann nicht zu einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis im Sinne von § 53 AuslG, wenn sie besonders intensiv oder sogar mit einer Lebensgefahr verbunden sind. Im übrigen läßt sich weder den vorgelegten Attesten noch dem amtsärztlichen Sachverständigengutachten entnehmen, daß sich die psychische Erkrankung des Klägers bei einer Rückkehr nach Sri Lanka dort in lebensgefährdender Weise verschlimmern würde.
Nicht geprüft und untersucht hat das Berufungsgericht, ob nach dem Sachverständigengutachten vom Oktober 1998 konkrete Gefahren für Leib oder Leben im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG in Sri Lanka durch eine medizinisch unzureichende Versorgung entstehen könnten. Soweit das Gesundheitsamt eine lebensgefährliche Magenblutung oder einen lebensgefährlichen Asthmaanfall des Klägers im Zusammenhang mit dem "emotionalen Streß seiner Ausreise" in Erwägung gezogen hat, handelt es sich zwar ebenfalls um ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis. Das Gesundheitsamt hat es aber außerdem ausdrücklich für möglich gehalten, daß der Kläger ohne die Einnahme von zwei Medikamenten in Verbindung mit dem feucht-warmen Klima des Heimatlandes und der Streßsituation bei der Rückkehr eine derartige lebensgefährliche Komplikation erleiden könnte. Es ist Aufgabe des Berufungsgerichts, diese Gefahrenlage nunmehr tatrichterlich zu würdigen und ggf. aufzuklären, ob die Medikamente in Sri Lanka für den Kläger erhältlich wären.
Im Revisionsverfahren kann danach nicht abschließend beurteilt werden, ob dem Kläger aus anderen als den vom Berufungsgericht bisher genannten Gründen Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zuzusprechen ist. Der Senat weist darauf hin, daß sich das Berufungsgericht bei seiner erneuten Entscheidung ggf. auch nochmals mit der Frage der Einholung eines weiteren medizinischen Gutachtens zu den Auswirkungen des Entwurzelungssyndroms befassen muß.
Ende der Entscheidung
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