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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 08.03.1988
Aktenzeichen: 125/87
Rechtsgebiete: EWG/EAGBeamtStat


Vorschriften:

EWG/EAGBeamtStat Art. 91
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Ein Beamter kann die in Artikel 91 des Statuts vorgesehene Frist nicht dadurch wieder in Gang setzen, daß er eine Beschwerde erhebt, die eine durch eine unanfechtbar gewordene individuelle Entscheidung geregelte Frage betrifft. Nur das Vorliegen einer neuen Tatsache vermag die Frist für die Erhebung einer Klage wegen einer solchen Entscheidung erneut in Gang zu setzen. Ein Urteil des Gerichtshofes, das einen Verwaltungsakt aufhebt, kann eine solche neue Tatsache darstellen, jedoch nur für die unmittelbar durch den aufgehobenen Akt Betroffenen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 8. MAERZ 1988. - LESLIE BROWN GEGEN GERICHTSHOF DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - VERWEIGERUNG EINER AUSGLEICHSZULAGE - ZULAESSIGKEIT. - RECHTSSACHE 125/87.

Entscheidungsgründe:

1 Herr Leslie Brown, Verwaltungsinspektor beim Gerichtshof und in die Besoldungsgruppe B 4 eingestuft, hat mit Klageschrift, die am 10. April 1986 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, eine Klage erhoben, mit der er im wesentlichen beantragt, ihm rückwirkend zum 13. August 1981, dem Tag seiner Ernennung in der Besoldungsgruppe B 5, hilfsweise mit Wirkung vom 1. Februar 1985, eine Ausgleichszulage gemäß der vom Präsidenten des Gerichtshofes in dessen Eigenschaft als Anstellungsbehörde am 10. April 1986 erlassenen allgemeinen Entscheidung über die Einführung einer neuen Methode für die Berechnung der Ausgleichszulage in den Fällen des im Anschluß an ein Auswahlverfahren erfolgenden Übergangs in eine andere Laufbahngruppe zu gewähren. Ferner beantragt er die Zahlung von Verzugszinsen in Höhe von 8 % jährlich auf die Differenz zwischen den jeweiligen Bezuegen.

2 Herr Brown, seinerzeit beim Gerichtshof als Verwaltungssekretär der Besoldungsgruppe C 2 beschäftigt, wurde mit Wirkung vom 1. August 1981 zum Verwaltungsinspektor in der Besoldungsgruppe B 5 ernannt. Am 12. November 1981 erhob er eine Beschwerde gegen seine Ernennung zum Verwaltungsinspektor und die Gewährung einer Ausgleichszulage in Höhe der Differenz zwischen seinen früheren Bezuegen in der Besoldungsgruppe C 2 und seinen jetzigen Bezuegen in B 5; hierbei machte er die - im Vergleich zu der Lage, in der er sich zuvor befunden hatte - nachteiligen finanziellen Auswirkungen dieser Entscheidung geltend. Die Beschwerde wurde von der Anstellungsbehörde am 5. Februar 1982 zurückgewiesen.

3 Am 12. Juli 1983 stellte der Kläger einen Antrag auf Neufestsetzung seiner Ausgleichszulagen auf der Grundlage einer in der Besoldungsgruppe C 2 fortgesetzten fiktiven Laufbahn. Der Antrag wurde durch Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofes vom 8. November 1983 abgelehnt.

4 Diese Entscheidung führte zu einem längeren Schriftwechsel zwischen dem Präsidenten des Gerichtshofes und dem Kläger, der sich hinsichtlich der Berechnung seiner Ausgleichszulage auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Gerichtshofes vom 29. Januar 1985 in der Rechtssache 273/83 ( Michel/Kommission, Slg. 1985, 347 ) berief. In seinen mehrfachen Entgegnungen verwies der Präsident des Gerichtshofes den Kläger im wesentlichen auf die beiden vorerwähnten Entscheidungen vom 5. Februar 1982 und 8. November 1983 und betonte den Ablauf der Klagefrist sowie die Bestandskraft der Entscheidung über die Einstufung des Klägers und die Gewährung der Ausgleichszulage.

5 Am 10. April 1986 erließ der Präsident des Gerichtshofes eine allgemeine Entscheidung über die Einstufung und Besoldung der Beamten, die im Anschluß an ein Auswahlverfahren in eine höhere Laufbahngruppe übergehen. Diese Entscheidung, die dem Personal des Gerichtshofes am 26. März 1987 mitgeteilt wurde, führte eine auf dem Prinzip der dynamischen Ausgleichszulage beruhende Regelung ein, die seit dem 1. März 1986 für alle Beamten gilt, einschließlich derjenigen, die vor diesem Datum in eine andere Laufbahngruppe übergewechselt waren.

6 Am 5. August 1986 reichte der Kläger gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Statuts eine Beschwerde ein, mit der er sich dagegen wandte, daß die allgemeine Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofes den 10. April 1986 als Datum ihres Inkrafttretens bestimmt hatte, und forderte, die Entscheidung mit Wirkung nicht vom 1. März 1986, sondern vom Datum der Ernennung des betroffenen Beamten in einer höheren Laufbahngruppe, mindestens jedoch - unter Berücksichtigung des vorgenannten Urteils des Gerichtshofes vom 29. Januar 1985 - vom 1. Februar 1985 auf den Beamten anzuwenden. Der für die Entscheidung über die gemäß Artikel 90 des Statuts erhobenen Beschwerden zuständige Ad-hoc-Ausschuß des Gerichtshofes wies die Beschwerde am 30. Januar 1987 mit der Begründung zurück, es bestehe keine rechtliche Verpflichtung, die vorgenannte allgemeine Entscheidung vom 10. April 1986 rückwirkend in Kraft treten zu lassen. Wegen der Zurückweisung seiner Beschwerde hat Herr Brown die vorliegende Klage erhoben.

7 Der Beklagte erhebt gemäß Artikel 91 § 1 der Verfahrensordnung eine Einrede der Unzulässigkeit. Der Gerichtshof ( Zweite Kammer ) hat beschlossen, die mündliche Verhandlung auf die Prüfung dieser Einrede zu beschränken, ohne in die Erörterung der Hauptsache einzutreten.

8 Wegen des Sachverhalts, des rechtlichen Rahmens und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

9 Der Beklagte führt aus, die Klage ziele darauf ab, die Entscheidung vom 13. August 1981 über die Ernennung des Klägers in der Besoldungsgruppe B 5 in Frage zu stellen, soweit hierin die Ausgleichszulage in bestimmter Weise festgesetzt worden sei. Da der Kläger im Anschluß an die am 5. Februar 1982 erfolgte Zurückweisung seiner Beschwerde keine Klage erhoben habe, sei die vorliegende Klage verspätet und somit unzulässig.

10 Weiterhin macht der Beklagte geltend, an der Bestandskraft der Entscheidung über die Ernennung von Herrn Brown könne auch das vorgenannte Urteil des Gerichtshofes vom 29. Januar 1985 nichts ändern. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes berührten die Rechtswirkungen eines einen Verwaltungsakt aufhebenden Urteils nur diejenigen Personen, die durch den Akt unmittelbar betroffen seien.

11 Der Kläger tritt dieser Unzulässigkeitseinrede entgegen. Er macht geltend, Beschwerde und Klage richteten sich gegen die allgemeine Entscheidung vom 10. April 1986. Diese Entscheidung stelle im Hinblick auf seine, des Klägers, beamtenrechtliche Stellung eine neue Tatsache dar, so daß ihm der seinerzeitige Ablauf der Klagefrist nicht entgegengehalten werden könne.

12 Die Klage enthält zwei Antragspunkte; der erste zielt auf die Gewährung einer gemäß den in der allgemeinen Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofes niedergelegten Grundsätzen berechneten Ausgleichszulage mit Wirkung vom Datum der Ernennung des Klägers, der zweite auf die Gewährung einer solchen Zulage mit Wirkung vom 1. Februar 1985, d. h. als Folge des vorgenannten Urteils des Gerichtshofes vom 29. Januar 1985.

13 Was den ersten Antragspunkt betrifft, so hat der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung ( siehe insbesondere das Urteil vom 15. Dezember 1971 in der Rechtssache 17/71, Tontodonati/Kommission, Slg. 1971, 1059 ) entschieden, daß ein Beamter, der die in Artikel 91 des Statuts vorgesehene Frist hat verstreichen lassen, diese nicht dadurch wieder in Gang setzen kann, daß er eine Verwaltungsbeschwerde erhebt, die den gleichen Gegenstand hat wie die unanfechtbar gewordene Entscheidung. Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 15. Mai 1985 in der Rechtssache 127/84 ( Esly/Kommission, Slg. 1985, 1437 ) festgestellt hat, vermag nur das Vorliegen einer neuen Tatsache die Frist für die Erhebung einer Klage wegen einer solchen Entscheidung erneut in Gang zu setzen. Insoweit besteht eine ständige Rechtsprechung ( siehe insbesondere das Urteil vom 17. Juni 1965 in der Rechtssache 43/64, Müller/Rat, Slg. 1965, 519 ), wonach ein einen Verwaltungsakt aufhebendes Urteil eine neue Tatsache nur für die Personen darstellen kann, die von dem aufgehobenen Verwaltungsakt unmittelbar betroffen werden.

14 Vorliegend ist hinzuzufügen, daß die umstrittene allgemeine Entscheidung wegen ihrer Rechtsnatur und ihrer rechtlichen Tragweite ebenfalls nicht als neue Tatsache angesehen werden kann. Diese Entscheidung bezweckt und bewirkt nicht, daß vor ihrem Inkrafttreten bestandskräftig gewordene Verwaltungsentscheidungen in Frage gestellt werden. Die Klage ist daher insoweit als unzulässig abzuweisen, als sie auf die Gewährung einer gemäß den Kriterien der vorgenannten allgemeinen Entscheidung berechneten Ausgleichszulage mit Wirkung vom Tage der Ernennung des Klägers zielt.

15 Was den zweiten Antragspunkt betrifft, so richtet er sich gegen eine Maßnahme allgemeiner Natur, mit der die Ausgleichszulage neu geregelt wurde. Der Kläger macht nämlich geltend, der Präsident des Gerichtshofes sei verpflichtet gewesen, die allgemeine Entscheidung rückwirkend in Kraft treten zu lassen, um aus dem vorgenannten Urteil des Gerichtshofes vom 29. Januar 1985 unverzueglich die gebotenen verwaltungsrechtlichen Konsequenzen zu ziehen.

16 Daß die Entscheidung vom 13. August 1981 über die Ernennung des Herrn Brown bestandskräftig geworden war, hindert diesen nicht daran, von der in Artikel 90 Absatz 2 des Statuts ausdrücklich vorgesehenen Befugnis Gebrauch zu machen, wegen einer ihn beschwerenden allgemeinen Maßnahme Klage zu erheben. Dem Kläger muß es daher gestattet sein, die Rechtmässigkeit der allgemeinen Entscheidung vom 10. April 1986 insoweit zu bestreiten, als diese Entscheidung seiner Auffassung nach nicht die gebotenen verwaltungsrechtlichen Konsequenzen aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 29. Januar 1985 gezogen hat.

17 Die Klage ist daher insoweit zulässig, als sie auf die Feststellung abzielt, die allgemeine Entscheidung hätte rückwirkend zum 1. Februar 1985 in Kraft gesetzt werden müssen.

18 Die Klage ist daher in ihrem zweiten Teil für zulässig zu erklären; die Fortsetzung des Verfahrens ist anzuordnen.

Kostenentscheidung:

Kosten

19 Die Kostenentscheidung ist vorzubehalten.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Zweite Kammer )

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Einrede der Unzulässigkeit wird insoweit zurückgewiesen, als sie sich gegen den Antrag auf Gewährung einer gemäß der allgemeinen Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofes vom 10. April 1986 berechneten Ausgleichszulage ab 1. Februar 1985 richtet; das Verfahren wird in der Hauptsache fortgesetzt.

2 ) Im übrigen wird die Klage als unzulässig abgewiesen.

3 ) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Ende der Entscheidung

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