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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 15.11.1988
Aktenzeichen: 229/87
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Akte über den Beitritt der Griechischen Republik zu den Europäischen Gemeinschaften


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 169
Akte über den Beitritt der Griechischen Republik zu den Europäischen Gemeinschaften Art. 29
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Eine auch noch so geringe finanzielle Belastung, die den aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten Waren bei ihrem Grenzuebertritt oder aufgrund desselben einseitig auferlegt wird, stellt unabhängig von ihrer Bezeichnung und der Art ihrer Erhebung eine Abgabe zollgleicher Wirkung dar. Deswegen stellt die von der Griechischen Republik für die Kontrolle der Preise aus anderen Mitgliedstaaten eingeführter Waren erhobene Gebühr eine solche Abgabe dar, deren Abschaffung in den Artikeln 12 ff. EWG-Vertrag und in Artikel 29 Beitrittsakte vorgesehen ist.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 15. NOVEMBER 1988. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN REPUBLIK GRIECHENLAND. - VERTRAGSVERLETZUNGSKLAGE - ZULAESSIGKEIT - MASSNAHMEN GLEICHER WIRKUNG - BEITRITT DER REPUBLIK GRIECHENLAND. - RECHTSSACHE 229/87.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Schriftsatz, der am 29. Juli 1987 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage mit dem Antrag erhoben, festzustellen, daß die Griechische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 12 ff. EWG-Vertrag und Artikel 29 der Akte über den Beitritt der Griechischen Republik zu den Europäischen Gemeinschaften verstossen hat, daß sie für die Kontrolle der Preise aus anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft eingeführter Waren eine Gebühr erhebt.

2 Nach den Artikeln 12 ff. EWG-Vertrag sind zwischen den Mitgliedstaaten insbesondere die Abgaben mit gleicher Wirkung wie Zölle aufzuheben; Artikel 29 Beitrittsakte bestimmt für Einfuhren zwischen der Gemeinschaft und der Griechischen Republik, daß diese Aufhebung schrittweise im Laufe einer am 1. Januar 1986 endenden Übergangszeit durchgeführt werden muß.

3 Nach griechischem Recht obliegt es dem mit Gesetz errichteten "Griechischen Industrie - und Handelstag", Informationen zu sammeln und den zu Devisengeschäften befugten Banken zur Verfügung zu stellen, um die Wirksamkeit der von diesen Banken vorzunehmenden Devisenkontrollen zu gewährleisten.

4 Als Gegenleistung für diese Tätigkeit wird von den Banken bei den von ihnen durchgeführten Kontrollen eine Gebühr erhoben und an den Griechischen Industrie - und Handelstag weitergeleitet. Nach einem Rundschreiben des Handelsministers vom 10. Dezember 1980 entspricht diese Gebühr 1 °/oo des Cif-Wertes nach Maßgabe der jeweiligen Einfuhrrechnung, mindestens aber 250 DR und höchstens 5 000 DR; der Staat ist von dieser Gebühr gänzlich, die juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind von ihr zur Hälfte befreit.

5 Mit am 3. Mai 1985 ( Rechtssache 138/85 ) eingereichter Klageschrift hatte die Kommission beantragt, der Gerichtshof möge feststellen, daß die Griechische Republik durch die Erhebung dieser Abgabe gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 28 Beitrittsakte verstossen habe.

6 Nach Artikel 28 wird jede ab 1. Januar 1979 im Handel zwischen der Gemeinschaft und Griechenland eingeführte Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Einfuhrzoll am 1. Januar 1981 abgeschafft.

7 Im Laufe des Verfahrens in der Rechtssache 138/85 erwies sich jedoch, daß die streitige Abgabe nicht mit dem griechischen Gesetz Nr. 1089 vom 12. November 1980 über die Errichtung von Industrie - und Handels - sowie Handwerkskammern eingeführt wurde, mit der der Industrie - und Handelstag errichtet wurde, sondern auf Rechtstexte aus dem Jahre 1947 zurückgeht. Aus diesen Gründen hat die Kommission ihre auf Artikel 28 Beitrittsakte gestützte Klage zurückgenommen; die Rechtssache ist aus dem Register des Gerichtshofes gestrichen worden.

8 Der vorliegenden Klage liegt ein neues vorgerichtliches Verfahren zugrunde, das namentlich auf Artikel 29 Beitrittsakte gestützt und von der Kommission am 8. August 1986 eingeleitet wurde.

9 Weitere Einzelheiten des nationalen Rechts, des Verfahrensablaufs sowie des Parteivorbringens finden sich im Sitzungsbericht, auf den verwiesen wird. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur Zulässigkeit

10 Die Griechische Republik macht geltend, die Klage sei als unzulässig abzuweisen, da die Kommission das Verfahren des Artikels 169 EWG-Vertrag verletzt habe : Das Aufforderungsschreiben vom 8. August 1986 habe bloß auf die Erklärungen der Kommission in der gelöschten Rechtssache verwiesen. Die Griechische Republik habe deshalb ihre Erklärungen nicht gemäß dem genannten Artikel abgeben können.

11 Nach Artikel 169 EWG-Vertag kann die Kommission nur Klage wegen einer Vertragsverletzung erheben, wenn sie zuvor dem betroffenen Mitgliedstaat Gegelegenheit gegeben hat, sich zu äussern.

12 Nach ständiger Rechtsprechung hat das Aufforderungsschreiben im vorgerichtlichen Vertragsverletzungsverfahren die Aufgabe, den Streitgegenstand festzulegen und dem zur Äusserung aufgeforderten Mitgliedstaat alle Hinweise für die Vorbereitung seiner Verteidigung zu geben.

13 Im vorliegenden Fall liegt der einzige tatsächliche Unterschied zwischen der auf Artikel 28 Beitrittsakte gestützten ersten Klage, die die Kommission zurückgenommen hat, und dem auf Artikel 29 Beitrittsakte gestützten Verfahren, das zur vorliegenden Klage geführt hat, im Zeitpunkt des Inkrafttretens der beanstandeten nationalen Regelung. Folglich lässt sich nicht bezweifeln, daß die Griechische Republik über alle zu ihrer Verteidigung nützlichen und erforderlichen Informationen verfügte, da das neue Aufforderungsschreiben genau denselben Zweck hatte, sich aber auf eine andere Bestimmung stützte und im übrigen auf die frühere Klage verwies.

14 Die von der Griechischen Republik erhobene Einrede der Unzulässigkeit ist deshalb zurückzuweisen.

Zur Begründetheit

15 Die Griechische Republik macht geltend, die Gebühr werde als Gegenleistung für Dienstleistungen erhoben, die von den Industrie - und Handelskammern, denen auch die Importeure angehörten, tatsächlich erbracht würden. Diese Dienstleistungen sollten das Funktionieren und die Ordnungsgemäßheit der Devisenkontrollen sicherstellen. Die Gebühr decke die Kosten, die diese Dienstleistungen verursachten, und entspreche ihnen. Hilfsweise führt die Griechische Republik aus, die Schutzwirkung der Gebühr könne vernachlässigt werden. Im übrigen werde die Gebühr nicht erhoben, wenn der Wert der eingeführten Ware unter 200 000 DR liege oder wenn der Staat die Einfuhr vornehme.

16 Die Griechische Republik konnte ein Interesse der Importeure an einer Teilnahme an der Durchführung der nationalen Devisenkontrollregelung nicht dartun und auch nicht klarstellen, wie das Funktionieren und die Ordnungsgemäßheit der Devisenkontrollen eine Dienstleistung für die Importeure darstellen soll, für die die Gebühr die Gegenleistung wäre.

17 Wie der Gerichtshof insbesondere in seinem Urteil vom 5. Februar 1976 in der Rechtssache 87/75 ( Bresciani, Slg. 1976, 129 ) entschieden hat, stellt eine finanzielle Belastung, die den aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten Waren bei ihrem Grenzuebertritt einseitig auferlegt wird, unabhängig von ihrer Bezeichnung und der Art ihrer Erhebung eine Abgabe zollgleicher Wirkung dar.

18 Folglich stellt die streitige Abgabe, die die Waren aufgrund ihrer Einfuhr belastet, eine Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Einfuhrzoll dar, deren Abschaffung in den Artikeln 12 ff. EWG-Vertrag und dem Artikel 29 Beitrittsakte vorgesehen ist.

19 Zum Hilfsvorbringen der Griechischen Republik - vernachlässigenswerte Wirkung der Gebühr - genügt der Hinweis, daß nach der zitierten Rechtsprechung finanzielle Belastungen, die ihren Grund im Überschreiten der Grenzen haben, eine Behinderung des freien Warenverkehrs darstellen, auch wenn sie noch so geringfügig sind.

20 Daß die fragliche Gebühr nicht auf alle eingeführten Waren erhoben wird, da Einfuhren mit einem Wert von weniger als 200 000 DR und vom Staat bewirkte Einfuhren von ihr befreit sind, kann an dieser Feststellung nichts ändern.

21 Nach alledem hat die Griechische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 12 ff. EWG-Vertrag und aus Artikel 29 der Akte über den Beitritt der Griechischen Republik zu den Europäischen Gemeinschaften dadurch verstossen, daß sie für die Kontrolle der Preise aus anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft eingeführter Erzeugnisse eine Gebühr erhebt.

Kostenentscheidung:

Kosten

22 Nach Artikel 69 § 2 Verfahrensordnung trägt die unterliegende Partei die Kosten. Da die Beklagte unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden :

1)Die Griechische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 12 ff. EWG-Vertrag und aus Artikel 29 der Akte über den Beitritt der Griechischen Republik zu den Europäischen Gemeinschaften verstossen, daß sie für die Kontrolle der Preise solcher aus anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft eingeführter Waren eine Gebühr erhebt, deren Wert 200 000 DR übersteigt und die nicht vom Staat eingeführt werden.

2)Die Griechische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

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