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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 22.03.1990
Aktenzeichen: 347/87
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 173 Abs. 2
EWG-Vertrag Art. 30
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gegen einen Rechtsakt des abgeleiteten Rechts darf der Gerichtshof nicht über Klagegründe entscheiden, die auf die angebliche Unvereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht gestützt sind. Er ist nämlich ausserhalb von Vertragsverletzungsverfahren nicht befugt, über die Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht zu befinden. Hierfür sind, erforderlichenfalls nach Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofes über Bedeutung und Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die nationalen Gerichte zuständig.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 22. MAERZ 1990. - TRIVENETA ZUCCHERI SPA UND ANDERE GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - LANDWIRTSCHAFT - GEMEINSAME MARKTORGANISATION - ZUCKER - RUECKZAHLUNG ZUM AUSGLEICH VON VERLUSTEN, DIE DURCH DIE ANWENDUNG EINER NATIONALEN PREISREGELUNG VERURSACHT WERDEN. - RECHTSSACHE 347/87.

Entscheidungsgründe:

1 Die Gesellschaft Triveneta Zuccheri SpA, Verona ( Italien ), hat mit Klageschrift, die am 11. November 1987 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemeinsam mit sieben anderen italienischen Gesellschaften des Zuckerhandels ( im folgenden : Klägerinnen ) gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Nichtigerklärung der Entscheidung 87/533/EWG der Kommission vom 8. April 1987 über eine Beihilfe der italienischen Regierung zugunsten der italienischen Zuckerhändler ( ABl. L 313, S. 24 ).

2 Mit der angefochtenen, an die italienische Regierung gerichteten Entscheidung stellte die Kommission fest, daß die Erstattung von 37,12 LIT/kg Weißzucker, das sich am 29. Oktober 1984 im Lagerbestand befand, an italienische Zuckerhändler eine mit dem Gemeinsamen Markt im Sinne des Artikels 92 EWG-Vertrag unvereinbare staatliche Beihilfe sei und daher nicht gewährt werden durfte.

3 Diese Erstattung, die in dem Beschluß des Ministerausschusses für Wirtschaftsplanung ( Comitato interministeriale programmazione economica, CIPE ) vom 11. Oktober 1984 sowie in den Verfügungen Nr. 39/1984 vom 24. Oktober 1984 und Nr. 41/1984 vom 16. November 1984 des Ministerausschusses für Preise ( Comitato interministeriale prezzi, CIP ) vorgesehen war, wurde zugunsten italienischer Zuckerhändler beschlossen, um diese für die Verringerung ihrer Gewinnspanne zu entschädigen, die eine Folge der - mit der am 30. Oktober 1984 in Kraft getretenen Verfügung Nr. 39/1984 beschlossenen - Senkung des Hoechstverkaufspreises für Zucker um 40,09 LIT/kg gegenüber dem vorher geltenden Preis war.

4 Die Kommission hat gemäß Artikel 91 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes gegenüber der Klage eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben und beim Gerichtshof beantragt, über diese Einrede vorab zu entscheiden.

5 Zur Stützung dieser Einrede der Unzulässigkeit macht die Kommission geltend, daß die Klägerinnen mit der Anfechtung der streitigen Entscheidung in Wahrheit eine Untätigkeitsklage gegen die Kommission anstrengen möchten, weil diese es unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht unterlassen habe, gegen die italienische Republik eine Vertragsverletzungsklage zu erheben, auf die hin der Gerichtshof die Unvereinbarkeit des italienischen Systems der Hoechstpreisfestsetzung für den Verkauf von Zucker mit dem Gemeinschaftsrecht habe feststellen sollen.

6 Die Klägerinnen ersuchen den Gerichtshof, die erhobene Einrede zurückzuweisen. Sie machen geltend, es bestehe eine untrennbare Verbindung zwischen der angefochtenen Entscheidung und der italienischen Zuckerpreisregelung, so daß es unmöglich sei, die Rechtmässigkeit der ergangenen Entscheidung in Frage zu stellen, ohne zugleich das Problem der Vereinbarkeit der italienischen Regelung der Festsetzung von Hoechstpreisen für Zucker mit dem Gemeinschaftsrecht anzusprechen.

7 Am 23. November 1988 hat der Gerichtshof entschieden, die Entscheidung über die mit der Zulässigkeit zusammenhängenden Fragen dem Endurteil vorzubehalten.

8 Was die Begründetheit anbetrifft, so wenden sich die Klägerinnen als Empfänger der in der italienischen Regelung vorgesehenen Erstattungen dagegen, diese als mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe anzusehen; sie machen vor allem geltend, die Erstattungen seien lediglich ein Ersatz des den italienischen Zuckerhändlern aus der Anwendung einer nationalen Preisregelung, die gegen das Gemeinschaftsrecht verstosse, entstandenen Schadens. Ausserdem sei die beschlossene Erstattung unerläßlich, um eine nach Artikel 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 EWG-Vertrag verbotene Diskriminierung der Händler, die am 29. Oktober 1984 Zucker auf Lager gehabt hätten, gegenüber denjenigen zu vermeiden, die nicht in dieser Lage gewesen seien.

9 Die Kommission macht geltend, die Klage sei zumindest unbegründet. Die Rechtmässigkeit der angefochtenen Entscheidung, die sich aus deren Begründung selbst ergebe, und die angebliche Unvereinbarkeit der italienischen Regelung der Festsetzung von Zuckerhöchstpreisen mit dem Gemeinschaftsrecht seien zwei voneinander völlig unabhängige Probleme. Artikel 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 sei vorliegend nicht anwendbar, da die behauptete Diskriminierung nicht Erzeuger der Gemeinschaft betreffe.

10 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Parteien wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

11 Ohne Prüfung des Parteivorbringens lässt sich vorab feststellen, daß die beiden von den Klägerinnen in der Klageschrift vorgebrachten und in der Verhandlung weiter verfolgten Klagegründe von der Prämisse ausgehen, daß die italienische Regelung zur Festsetzung der Zuckerpreise mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist.

12 Mit dem ersten Klagegrund wird nämlich geltend gemacht, daß eine nationale Preisregelung, die für alle Stufen der Erzeugung und der Vermarktung eines von einer gemeinsamen Marktorganisation erfassten Erzeugnisses gelte, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ( vgl. etwa das Urteil vom 23. Januar 1975 in der Rechtssache 31/74, Galli, Slg. 1975, 47 ) als mit dieser gemeinsamen Organisation unvereinbar betrachtet werden müsse, weil diese für die von ihr erfassten Bereiche Rat und Kommission die ausschließliche Zuständigkeit übertragen habe. Dies habe erst recht zu gelten, wenn, wie hier, die mit Verordnung Nr. 1785/81 des Rates vom 30. Juni 1981 über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker ( ABl. L 177, S. 4 ) geschaffene gemeinsame Organisation auf einer gemeinsamen Preisregelung aufbaue, die die Mitgliedstaaten daran hindere, durch einseitig erlassene innerstaatliche Rechtsvorschriften in den Preisbildungsmechanismus der gemeinsamen Organisation einzugreifen. Ausserdem verstosse die italienische Regelung der Festsetzung von Zuckerpreisen gegen Artikel 30 EWG-Vertrag, weil sie geeignet sei, den freien Warenverkehr zu behindern.

13 Mit dem zweiten, auf die Verletzung des Artikels 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 gestützten Klagegrund wird geltend gemacht, daß die von den italienischen Behörden beschlossene Erstattung unerläßlich gewesen sei, um eine Diskriminierung der italienischen Händler infolge des gemeinschaftsrechtswidrigen Vorgehens nationaler Behörden zu vermeiden.

14 In der mündlichen Verhandlung haben die Klägerinnen weiterhin dargelegt, die betreffende italienische Maßnahme müsse als Erstattung eines Betrages betrachtet werden, der den italienischen Zuckerhändlern aufgrund einer gemeinschaftsrechtswidrigen nationalen Regelung entzogen worden sei, und sich zur Stützung ihres Vorbringens, daß diese Maßnahme folglich nicht als mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe bewertet werden könne, auf das Urteil vom 10. Juli 1980 in der Rechtssache 811/79 ( Ariete, Slg. 1980, 2545, Randnr. 15 ) berufen. Sie haben ihre Darlegungen insbesondere auf den Rechtsspruch "nemini licet venire contra factum proprium" gestützt und darauf hingewiesen, daß die Kommission es verabsäumt habe, den Gerichtshof die Unvereinbarkeit der italienischen Hoechstpreisregelung für Zucker mit dem Gemeinschaftsrecht feststellen zu lassen; sie könne nun nicht berechtigt sein, sich gegen die von den italienischen Behörden beschlossene Erstattung zu stellen.

15 Somit müsste sich der Gerichtshof, wenn er über die Begründetheit der Klagegründe entscheiden wollte, unumgänglich zur Vereinbarkeit der italienischen Regelung zur Festsetzung von Hoechstpreisen für Zucker mit dem Gemeinschaftsrecht äussern.

16 Es entspricht aber ständiger Rechtsprechung, daß der Gerichtshof ausserhalb von Vertragsverletzungsverfahren nicht befugt ist, über die Vereinbarkeit einer nationalen Rechtsvorschrift mit dem Gemeinschaftsrecht zu befinden. Hierfür sind, erforderlichenfalls nach Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofes über Bedeutung und Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die nationalen Gerichte zuständig.

17 Hieraus folgt, daß der Gerichtshof nicht über die Klagegründe entscheiden kann, mit denen die Klägerinnen unter Berufung auf den angeblichen Verstoß der italienischen Hoechstpreisregelung für Zucker gegen das Gemeinschaftsrecht der Bewertung der betreffenden italienischen Maßnahme als Beihilfe entgegentreten; andernfalls würde er im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gegen eine Entscheidung der Kommission der Entscheidung über die Vereinbarkeit der italienischen Zuckerpreisregelung mit dem Gemeinschaftsrecht vorgreifen.

18 Da die Klägerinnen weiter keine Klagegründe vorgebracht haben, ist die Klage als unzulässig abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

19 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerinnen mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Sechste Kammer )

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2 ) Die Klägerinnen tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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